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Alfred Gordon, ca. 1930
© Sammlung Matthias Heyl

Alfred Gordon * 1886

Hastedtstraße 42 (Harburg, Harburg)


HIER WOHNTE
ALFRED GORDON
JG. 1886
DEPORTIERT 1941
LODZ
ERMORDET

Siehe auch:

Alfred Gordon, geb. am 24.5.1886 in Augsburg, am 25.10.1941 deportiert nach Łód´z, Todesdatum unbekannt

Statteil Harburg-Altstadt, Hastedtstraße 42

Alfred Gordon wuchs in einem jüdischen Elternhaus in Schwaben auf. Nach seinem Studium an einem Lehrerseminar arbeitete er zunächst als Pädagoge an einer Kölner Volksschule. Später leitete er das jüdische Landheim Schelm bei Elberfeld-Barmen, eine Stiftung der Familie Silberberg. In diesem Heim für geistigbehinderte Jungen lernte er seine spätere Frau Jenny (geb. 9.12.1886) kennen, die Tochter des Stifters des Heimes.

Im Ersten Weltkrieg diente Alfred Gordon als deutscher Soldat an der Ostfront. Mit einer Kriegsverletzung, unter der er später noch jahrelang zu leiden hatte, kehrte er schließlich aus Russland zurück. Nach dem Krieg arbeitete er zunächst als Kantor in der jüdischen Gemeinde in Halle a. d. Saale. Mit "Dankbarkeit und Freude" zeigten Jenny und Alfred Gordon am 15. Mai 1919 die Geburt ihres Sohnes Carl Alexander an.

1929 folgte Alfred Gordon Moritz Bachheimer als Kantor, Lehrer und Vorbeter der Harburger Synagogengemeinde nach. Hier fand er als überzeugter Humanist und erklärter Pazifist nach seinen bitteren Fronterlebnissen bald breite Anerkennung. Ehemalige Schülerinnen und Schüler bezeichnen ihn übereinstimmend als einen äußerst gütigen und überlegten Mann, der stets bemüht gewesen sei, sein Reden und sein Tun miteinander in Einklang zu bringen. Seine Autorität beruhte nicht auf seiner Amtsstellung, sondern auf Anteilnahme, Interesse, Überzeugungskraft und Kompetenz.

Der verstärkte Antisemitismus, der auch in Harburg in den Jahren der Weltwirtschaftskrise zu spüren war, erfüllte ihn mit großer Sorge. Dass er speziell auch bei vielen Jugendlichen zu erkennen war, beunruhigte ihn noch mehr, wie seine mahnenden Worte an den letzten demokratisch gewählten Oberbürgermeister der Stadt, Walter Dudek, zeigen: "Jedermann weiß, dass die Schüler unserer höheren Schulen außerordentlich der politischen Verhetzung ausgesetzt sind. Wenn man bedenkt, dass diese Art der Agitation fast nur mit Gefühlen arbeitet, und dadurch gerade bei der Jugend, die gefühlsmäßig eingestellt ist, großen Erfolg hat, darf man sich nicht darüber wundern, wenn antisemitische Strömungen innerhalb der Schülerschaft Platz greifen."

Im Sommer 1930 sah er sich in dieser Ana­lyse durch ein trauriges Erlebnis seines Sohnes Carl Alexander während eines Schulausflugs bestätigt. Als die Klasse auf der Wanderung eine Rast einlegte, wurde der zwölfjährige Junge plötzlich von mehreren Mitschülern angegriffen und unter lauten Rufen "Kreuziget ihn! Kreuziget ihn!" an einen Baum gebunden. Als das Harburger Volksblatt diesen Vor­fall im Februar 1931 in einer Ausgabe aufgriff, sah sich sogar der Harburger Magistrat unter Oberbürgermeister Walter Dudek gezwungen, in diese schulinterne Angelegenheit einzugreifen, was eigentlich nicht im Sinne der Eltern war. Sie hatten ursprünglich gehofft, im direkten Gespräch mit der Schule eine Einigung zu erzielen. Als dieser Versuch zu keinem positiven Ergebnis führte, entschlossen sie sich, ihren Sohn am staatlichen Stresemann-Realgymnasium (heute: Friedrich-Ebert-Gymnasium) in Harburg ab- und in der Talmud Tora Schule in Hamburg anzumelden.

Nach der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten erkannte Alfred Gordon sehr schnell, wie stark er jetzt als Seelsorger gefordert war. Wenige Tage nach dem reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte, Arztpraxen und Anwaltskanzleien schrieb er seiner Gemeinde zum Pessachfest 1933 einen Brief, der nichts verschwieg oder beschönigte. "Es ist eine große Angst in uns eingezogen; die materielle Basis unseres Lebens scheint uns bedroht, die seelische Not ist fast noch größer." Doch zugleich schenkte er seinen Leserinnen und Lesern Mut und Hoffnung: "Es wird wieder die Zeit kommen, in welcher man unsere Mitarbeit nicht verschmähen wird, in der man unsere Ehre und unseren guten Willen anerkennen wird! Dann werden wir zurückblicken auf diese Tage furchtbarer seelischer Not. Sie werden uns verklärt erscheinen und wir werden wissen, dass diese Tage uns besser gemacht haben, dass es Tage der Besinnung und der Einkehr waren." Dann, so hoffte er, würden sich "die Fluten des Hasses teilen" und der Weg "in das gelobte Land einer anderen und besseren Zeit" frei sein.

Doch die Not blieb und nahm weiter zu. Viele Harburger Jüdinnen und Juden entschlossen sich zur Auswanderung, andere zogen in die Großstadt Hamburg. Durch den damit verbundenen Kultussteuerausfall und die gleichzeitig steigenden Kosten wurde es für den Gemeindevorstand immer schwieriger, einen ausgeglichenen Haushalt zu erwirtschaften. Es lässt sich nicht eindeutig klären, wann genau der letzte Gottesdienst in der Harburger Synagoge abgehalten wurde. Im März 1937 begannen die Verhandlungen über den Zusammenschluss der Deutsch-Israe­litischen Gemeinde in Hamburg mit den drei preußischen Gemeinden Harburg, Wandsbek und Altona, die mit Beginn des Jahres 1938 zur Bildung einer Groß-Hamburger Gemeinde führten.

Alfred Gordon blieb offenbar vorerst in Harburg. Für ihn war ein Tätigkeitsbereich vorgesehen, der das südliche Umland mit einbezog, da er auch "als Lehrer und Seelsorger von Klein­gemeinden" einen guten Ruf genoss.

Obwohl Alfred Gordon von Freunden immer wieder zur Emigration gedrängt wurde, folgte er ihrem Rat nicht. 1936 kehrte er nach wenigen Tagen von einer Reise nach Palästina zurück, wohin er eine Jugendgruppe begleitet hatte. Er hielt es für seine Pflicht, denen zu dienen, die ihm anvertraut waren. "Mein Platz", sagte er, "ist in der Gemeinde. Ich kann erst gehen, wenn das letzte Mitglied der Gemeinde Deutschland verlassen hat." Lediglich seinem Sohn ermöglichte er im Februar 1939 die Ausreise nach Südamerika.

Im April 1939 zog Alfred Gordon mit seiner Frau in die Breite Straße 46 in Hamburg-Altona. Jenny Gordon starb, zutiefst deprimiert, am 18. August 1941.

Zwei Monate später gehörte der letzte Harburger Kantor am 25. Oktober 1941 zu den 1034 Hamburger Jüdinnen und Juden, die nach Łód´z deportiert wurden. Für die meisten dieser Menschen war das Getto Łód´z eine Durchgangsstation auf dem Weg in den Tod in den Gaskammern der Vernichtungslager Chełmno und Auschwitz.

Der Harburger Fritz Sarne, einer der wenigen Überlebenden des ersten Hamburger Deportationstransports, arbeitete zeitweilig als Totengräber auf dem Jüdischen Friedhof in Łód´z. Er berichtete später: "Ich habe eine Reihe von Harburgern dort beerdigt, deren Namen ich nicht mehr entsinnen kann. Ich erinnere mich jedoch an einen Morgen im Februar 1942, [als] ich an der Friedhofsmauer … arbeitete … [und] einen Lastwagen [sah], auf dem ich einige Harburger, darunter Prediger Gordon, erkannte. – Ich sehe ihn noch heute, mit seinem kleinen Spitzbart, mit seiner Brille, mit Gepäck ... auf dem Lastauto ... vorbeifahren. Und nach ungefähr zwei Stunden kehrten die Autos leer zurück. Später erfuhr ich, dass im in der Nähe gelegenen Chełmno eine Vergasungsanstalt bestand, in der unsere Leute umgebracht wurden."

Am 22. September 1987 beschloss die Harburger Bezirksversammlung, eine Straße im Langenbeker Feld – einem Neubaugebiet – nach Alfred Gordon, dem letzten Prediger der Harburger Synagogengemeinde, zu benennen.

© Klaus Möller

Quellen: 1; 4; 5; 8; StaH, 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 150519; StaH, 430-5 Magistrat Harburg-Wilhelmsburg, 1724-06 Antisemitismus unter den Schülern des Realgymnasiums; Heyl (Hrsg.), Harburger Opfer; Heyl, Synagoge; Heyl, "nicht mehr erinnerlich"; Hartwig, Großvaters Harburg.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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