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Ivan Grüner
© Privatbesitz

Ivan Grüner * 1861

Beim Grünen Jäger 25 (Altona, Sternschanze)


HIER WOHNTE
IVAN GRÜNER
JG. 1861
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 1.3.1943

Weitere Stolpersteine in Beim Grünen Jäger 25:
Flora Grüner

Flora Grüner, geb. Cohn, geb. 6.4.1861 in Schwerin a. d. Warthe (Skwierzyna), deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, dort gestorben am 1.5.1944
Ivan (Iwan, Ischaie) Grüner, geb. 10.3.1861 in Odessa, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, dort gestorben am 1.3.1943

Beim Grünen Jäger 25

Der am 10. März 1861 in Odessa geborene jüdische Kaufmann Ivan Grüner flüchtete um 1880 aus seiner Heimat, um dem Militärdienst zu entgehen, und lernte in Schwerin a. d. Warthe, heute im westlichen Polen gelegen, seine spätere Frau Flora Cohn kennen, die hier am 6. April 1861 zur Welt gekommen war. Die beiden heirateten dort und zogen im Laufe der folgenden Jahren nach Hamburg, wo sie sich in Altona niederließen. 1890 wurde ihre Tochter Franziska geboren, zwei Jahre später folgte Tochter Gertrud. Deren Tochter Hilde, die im September 2008 im Alter von 87 Jahren in Nigeria starb, verfasste wenige Monate vor ihrem Tod eine kleine Biografie über ihre Großeltern in Englisch. Diese bietet ein anschauliches Bild der Lebensverhältnisse und der Beziehung der Eheleute Grüner.

Die Familie lebte von den Einkünften der Ehefrau, denn Ivan Grüner hatte nach Angaben der Enkelin keinen Beruf erlernt und sprach nur wenig Deutsch. Seine Frau Flora betrieb zuerst eine "Weißwaren-Handlung" am Schulterblatt, bis sie 1901 in die benachbarte Straße Beim Grünen Jäger 25 zogen. Diese Straße gehört seit 1938 zu St. Pauli. Hier eröffnete sie ein kleines Geschäft für "Damenblusen und Firlefanz", wie die Enkelin es nannte, in der zweiten Etage des Hauses, während sie im ersten Stock ihre Wohnung hatten. Präsentierte Flora Grüner ihren Laden im Hamburger Adressbuch 1913 noch bescheiden mit dem Eintrag "Mode-Partiewaren", so hieß es dort 1924 "Grüner’s Etagengeschäft elegante Damenbekleidung".

Ehemann Ivan übernahm die Buchhaltung und bezog von seiner Frau ein kleines Gehalt, hielt sich ansonsten aber weitestgehend aus dem Geschäft heraus und verbrachte seinen Tag "rauchend wie ein Schornstein und Zeitung lesend von morgens bis nachts". Über die Jahre vergrößerte Flora Grüner ihr Angebot an Kleidung und mietete sich in der zweiten Etage eine Wohnung, die sie zu einem Laden mit Glasvitrinen ausbaute, "wo sie die neuesten Kleidermodelle, die sie aus Berlin und anderen Hauptstädten mitgebracht hatte, ausstellte. Großmutter Flora war eine tüchtige Geschäftsfrau, sie war schön, obwohl klein und gedrungen, aber sie hatte einen Sinn für Eleganz. Ihre Haare waren immer frisch gemacht von einem Friseur, der täglich ins Haus kam um ihr schneeweißes Haar zu einer Marcel-Welle zu legen."

Auch an ihren Großvater Ivan Grüner konnte sich die Enkelin noch lebhaft erinnern: "Großvater muss ein unzufriedener Mann gewesen sein, er war brummig, leicht reizbar und sehr lärmempfindlich. Er ernährte sich am liebsten von Borscht, einer typisch russischen Suppe aus Kohl und Fleischknochen, aus denen er das Mark mit lautem Genuss lutschte. Er hatte noch eine russische Angewohnheit: er saugte seinen schwarzen Tee durch zwei Zuckerstückchen, die er im Mund vor seinen Zähnen festhielt." Ivan Grüner galt als staatenlos, war aber seit Anfang der 1920er Jahre im Besitz des "Nansenpasses" – ein Pass für staatenlose Flüchtlinge und Emigranten –, der ihm den Aufenthalt in Deutschland ermöglichte.

Den beträchtlichen Gemeindesteuerabgaben zufolge muss Flora Grüners Geschäft bis Mitte der 1930er Jahre gut gelaufen sein. Die Steuerkarte, auf der seit 1923 die Beiträge vermerkt wurden, ist auf Ivans Namen ausgestellt und liefert keinerlei Hinweise auf Floras Geschäftstätigkeiten. Nach Aussagen der Enkelin legte Flora ihre Einkünfte gegenüber ihrem Ehemann nicht offen dar. Dieser aber sorgte dafür, dass den beiden Töchtern eine gute Ausbildung ermöglicht wurde. So wurde die ältere Tochter Franziska für das Schulabschlussjahr nach London geschickt und Tochter Gertrud unterstützte schon als junges Mädchen ihre Mutter im Geschäft.

Das Verhältnis der Eheleute Grüner wurde als "Liebes-/Hassbeziehung" beschrieben: "Jeder hatte sein eigenes Schlafzimmer und es gab nicht allzu viel Austausch zwischen ihnen." Die Beziehung verbesserte sich etwas, als Floras Halbschwester Selma zu ihnen zog. Sie half nicht nur im Geschäft, sondern vermochte auch aufgrund ihrer vermittelnden Art das Ehepaar "in Harmonie zu halten". Den Verlust ihrer Halbschwester, die 1936 an Krebs starb, hat Flora nach Angaben der Enkelin nie überwinden können.

Familie Grüner beschäftigte auch eine Köchin und Haushälterin, die aber ab 1938, nachdem auch das Geschäft geschlossen werden musste, nicht länger für das jüdische Ehepaar arbeitete.

Im August 1939 wanderte die jüngere Tochter Gertrud nach der Scheidung von ihrem Mann Leo Gerson mit ihren beiden Kindern nach England aus. Wie später die Tochter Hilde erinnerte, "ging meine Mutter schweren Herzens und in großem Konflikt mit ihren Gefühlen. Es war ihr letzten Endes aber wichtiger, ihre Kinder vor der Verfolgung zu retten." An ihren Ehemann Leo Gerson, der wegen "Rassenschande" verurteilt wurde und im Februar 1942 im KZ Sachsenhausen ums Leben kam, erinnert ein Stolperstein in Groß Flottbek in der Dürerstraße 1.

Mit Aufgabe ihres Geschäftes beim Grünen Jäger 25 zogen die Eheleute 1938 zunächst in die Bogenstraße 15 und später in ihre letzte Wohnung in die Bogenstraße 27, ein "Judenhaus". Ab 1940 waren sie auf Zuwendungen seitens der Wohlfahrtshilfe angewiesen, da sie über "keinerlei Vermögen" mehr verfügten, wie auf der Steuerkarte vermerkt wurde. Im Alter von 81 Jahren wurden Flora Grüner und ihr Ehemann Ivan am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Ischaie, wie Ivan häufig genannt wurde, starb dort am 1. März 1943. Seine Frau Flora lebte trotz der harten Lebensbedingungen in diesem Getto noch bis zum 1. Mai 1944.

Franziska Grüner, die ältere Tochter von Ivan und Flora, hatte 1915 den Arzt Dr. Alexander geheiratet und wurde am 18. November 1941 nach Minsk deportiert. Ihre beiden Kinder waren 1939 nach Shanghai ausgewandert und leben heute in den USA.

Siehe den Beitrag über die Familie Alexander.

© Gunhild Ohl-Hinz

Quellen: 1; 2; 4; 8; StaH 351-11 AfW, Abl. 2008/1 100361; StaH 522-1 Jüd. Gemeinden, 992 d Band 11 Steuerakte; AB 1913, 1924; "Biography. Contribution to the story of the Grueners", aufgeschrieben von Hilda Ogbe im April 2008.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen. Hier abweichend: (2) Bundesarchiv Berlin, R 1509 Reichssippenamt, Ergänzungskarten der Volkszählung vom 17. Mai 1939.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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