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Selma Graulo (geborene Nachtigall) * 1890

Rappstraße 9 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
SELMA GRAULO
GEB. NACHTIGALL
JG. 1890
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
10.2.1945

Graulo, Selma, geb. Nachtigall, geb. am 29.9.1890 in Hamburg, Flucht in den Tod am 10. Februar 1945

Rappstraße 9

Selma Graulo, geb. Nachtigall war am 29.9.1890 in Hamburg geboren worden. Sie war die jüngste von sechs Geschwistern, die aus zwei Ehen ihres Vaters, dem Optiker Hirsch Nachtigall (geb. 27.5.1842 in Verden/Aller – gest. 15. Februar 1915 in Hamburg) stammten. Für ihre Mutter Sara, verw. Münster, geb. Fraenkel (geb. 21.6.1847 in Belk, Kreis Riebenich Schlesien, gest. 27. November 1918 in Hamburg) war es ebenfalls die zweite Ehe. Wir wissen nichts über Selmas (oder ihrer Geschwister) Kindheit, Jugend oder Ausbildung. Selmas Eltern starben bereits 1915 bzw. 1918. Aus der ersten Ehe ihres Vaters hatte Selma drei Halbgeschwister (die noch vor der nationalsozialistischen Machtübernahme verstarben).

Am 7. September 1917 heiratete Selma den am 3.6.1890 in Sliwno (Polen) geborenen Handlungsgehilfen Oswald Graulo, der als Soldat am 1. Weltkrieges bis zum Ende im Jahr 1918 teilnahm.
Das Paar zog am 25.September 1917 in die Rappstraße 9, 1. Stock, wo sie mit Selmas Mutter bis zu deren Tod zusammen lebten.
Selma gehörte dem jüdischen Glauben an, für Oswald vermerkte der Standesbeamte die Zugehörigkeit zur evangelischen Religion. Ab 1925 arbeitete Oswald Graulo als Vertreter in der Tabakbranche, angestellt in der Tabakfabrik Joh. Wilhelm von Eicken.

Seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 fürchtete sich das Ehepaar vor Repressalien. Wir wissen durch Oswald Graulo, daß seine Frau eine Aufforderung zum Zwangsarbeitseinsatz erhalten hatte und dass sie mehrfach "wegen Lappalien" zur Gestapo zitiert worden sei. Ihm sei nahegelegt worden, sich als "Arier" von seiner Frau scheiden zu lassen, was er entschieden ablehnte.
Aus Sicht der Nationalsozialisten lebten Selma und Oswald Graulo in einer "privilegierten Mischehe". Dadurch war der jüdische Teil, also Selma, zunächst vor der Deportation und einigen Zwangsmaßnahmen wie dem "Judenstern" geschützt. Auch konnten die Eheleute in ihrer Wohnung bleiben.

Diese Situation änderte sich im Jahr 1944, denn im Oktober dieses Jahres wurden die nichtjüdischen Ehemänner ("jüdisch Versippte") jüdischer Frauen zu Zwangsarbeit herangezogen. Oswald sollte sich, 54-jährig, zur Arbeitsaufnahme beim "DAF-Lager" (Deutsche Arbeitsfront) in der Nähe des Alsterdorfer Bahnhofs melden. Einer Kasernierung entging er, weil das Lager nicht bewohnbar war. Aber ab 27. Oktober 1944 hatte er sich morgens zum Apell am Hegeplatz zu melden. Sein Arbeitsalltag bestand nun aus Trümmerräumung, Mülleimerleerung, Kohlenschaufeln, Schneeräumung und Straßenreinigung.

Diese Zwangsmaßnahme belastete das Ehepaar, besonders Selma, nervlich sehr. Hinzu kamen die Gerüchte, dass die jüdischen Ehefrauen noch "evakuiert"´(ein euphemistischer Begriff für die Deportation) werden sollten. Dieses wollte sie keinesfalls hinnehmen.

Am 7. Februar 1945 setzte Selma ihren heimlichen Plan zum Suizid in die Tat um. Ihrer Untermieterin Martha Alwine Wolf hatte sie am Vormittag gesagt, sie fühle sich nicht wohl und wolle sich nochmal hinlegen. Sie bat, nicht gestört zu werden und auf mögliches Klingeln an der Tür nicht zu reagieren.
Nachmittags wurde Selma Graulo, durch die Einwirkung eines Schlafmittels bewusstlos, auf ihrem Bett liegend aufgefunden und von einem herbeigerufenen Sanitäter in das Jüdische Krankenhaus in der Schäferkampsallee 29 gebracht. Dort starb sie nach drei Tagen am 10. Februar 1945.
Am 14. Februar verließ ein Zug mit Jüdinnen und Juden, die in Mischehen lebten, Hamburg Richtung Theresienstadt.

Oswald Graulo blieb als Witwer allein zurück und wurde noch bis April 1945 als Zwangsarbeiter eingesetzt. Nach Kriegsende fand er eine Anstellung als Prüfer im Amt für Wirtschaft.
Im November 1951 verließ er die Wohnung in der Rappstr. 9 und zog in die Kielortallee 22.
Er hatte in Jettchen Behr, geb. Rothschild, (geb. 22.9.1894- gest. 12. Januar 1985) eine neue Partnerin gefunden, beide heirateten am 1. Oktober 1951. Am 30. Juni 1955 wurde Oswald Graulo pensioniert, er starb zwei Jahre später, am 22. April 1957.


Stand: Januar 2018
© Christina Igla

Quellen: StaH: 331-5 Unnatürliche Todefälle_3 Akte 1945/186 (Selma Graulo); 332-5 Personenstandsunterlagen_2231/41/1890 Geburtsurkunde Selma Nachtigall, _8020/36/1914 (Sterbeurkunde Gilda Lindemann); 332—8 Meldewesen _ Hausmeldekartei Rappstr. 9 Film Nr. 2435; 351-11 Amt für Wiedergutmachung _12055 (Oswald Graulo), _12056 Jettchen Graulo;352-5 Todesbescheinigungen _1125/2a/1918 (Sarah Nachtigall, _55/20/1933 (Leo Nachtigall); 522-1 Jüdische Gemeinde_ Kultussteuerkartei 992-b_ Film Nr. A29D; Hamburger Adressbuch – online- von (1938–1943) eingesehen am 7.12.2016): Gedenkbuch des Bundesarchiv –online- (eingesehen am 1.12.2016); www.ancestry.de (eingesehen am 7.12.2016), Grabregister Jüdischer Friedhof Ilandkoppel (Hamburg).

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