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Otto Groth * 1920

Ausschläger Billdeich Ecke Großmannstraße (Hamburg-Mitte, Rothenburgsort)


HIER WOHNTE
OTTO GROTH
JG. 1920
VERHAFTET 10.12.1941
"FAHNENFLUCHT"
TODESURTEIL 1.8.1942
HINGERICHTET 26.8.1942
MARINESCHIESSPLATZ
KIEL-HOLTENAU

Weitere Stolpersteine in Ausschläger Billdeich Ecke Großmannstraße:
Wilhelm Boller

Otto Groth, geb. 3.4.1920 in Hamburg, erschossen am 26.8.1942 in Kiel-Holtenau

Ausschläger Billdeich/Großmannstraße (Ausschläger Billdeich 61)

Otto Groth kam als Sohn des Zuschneiders August Groth und seiner Ehefrau Elfriede, geb. Harms, die am 24. Mai 1919 heirateten, in Hamburg zur Welt. Er besuchte die Volksschule, verließ sie ohne Abschluss und fuhr zur See, bis er zum Reichsarbeitsdienst eingezogen wurde. Vor Beginn seiner Wehrpflichtzeit befand er sich im Einsatz im Kreis Meppen/Ruhr.

Am 1. November 1938 wurde Otto Groth als Wehrpflichtiger zur Marine eingezogen und dem Kommando I. Marine-Artillerie-Abteilung mit Standort Schönberg bei Kiel zugewiesen. Sein Kompaniechef stellte ihm am 1. Juni 1939 ein gutes Führungszeugnis aus, obwohl er am 22. Dezember 1938 einen Verweis wegen "fahrlässiger Urlaubsüberschreitung um 4 Mi­nuten am 20. XII." erhalten und der Vorgesetzte bereits wegen des Verdachts der Fah­nenflucht Nachforschungen angestellt hatte.

Auch von einem Pfingsturlaub bei seinen Eltern war Otto Groth nicht termingemäß am 31. Mai 1939 2 Uhr morgens zurückgekehrt. Der Kompaniechef vermutete, dass er sich aus Furcht vor Strafe wegen der Terminüberschreitung in Hamburg oder Kiel herumtreibe und meldete ihn dem Festungskommandanturgericht in Kiel. Er schätzte Otto Groth als "schlaffen, ungefestigten" Soldaten ein, der unter starker Nervosität leide, nicht genügend hart und energisch gegen sich selber sei und sich leicht gehen lasse. Das Gericht unter Konteradmiral Mewis ordnete ein Ermittlungsverfahren an, mit dem der Marinekriegsgerichtsrat Hoss beauftragt wurde. Am 7. Juni 1939 erließ es einen Haftbefehl gegen Otto Groth, weil er "sich der Verpflichtung zum Dienste in der Wehrmacht dauernd zu entziehen" beabsichtige und zur "Aufrechterhaltung der militärischen Manneszucht". Es wurde mit Lichtbild nach dem 174 cm großen Mann gefahndet.

Drei Wochen darauf, am 28. Juni 1939, nahmen Hamburger Kriminalbeamte Otto Groth auf der Reeperbahn fest, verhörten ihn und übergaben ihn dem Offizier vom Ortsdienst der Panzerabwehrabteilung in Hamburg. Von dort wurde er am 30. Juni durch sein Kommando abgeholt. Während des gesamten Monats Juni hatte er sich nicht bei seinen Eltern gemeldet, von denen er 2,50 RM für die Rückfahrt nach Kiel mit dem Bus für seine Abteilung erhalten hatte. Doch er wollte einen späteren Zug nehmen. In der Wartezeit vertrank er sein Fahrgeld und verbrachte die Nacht auf einer Bank am Holstenwall. Nach zwei Tagen ohne Essen begleitete er einen Bekannten auf die "Portland" der Hamburg-Amerika-Linie, gab vor, im Urlaub zu sein, aß dort zu Mittag und Abend und schlief wieder im Freien. Am folgenden Morgen entledigte er sich einiger Uniformstücke, trug danach "Räuberzivil", ernährte sich bei Besuchen auf Schiffen, auf denen er früher gefahren war, und verdiente sich kleine Summen durch Koffertragen. In dieser Situation wurde er verhaftet.

Die Hauptverhandlung fand am 4. August 1939 vor dem Festungskommandanturgericht in Kiel statt. Ein Verteidiger wurde nicht bestellt. Zum Leiter der Verhandlung wurde Assessor Hans Köhler-Kaess berufen. Otto Groth erwiderte auf die Anklage wegen Fahnenflucht, er habe sich nicht dem Dienst in der Wehrmacht auf Dauer entziehen wollen, sei aber aus Angst nicht nach Hause zurückgekehrt und habe nicht gewusst, was er tun solle. Das Gericht hielt dem entgegen, dass er sich zu seinen früheren Fahrenszeiten bei der Handelsmarine als gewandt erwiesen habe und unterstellte ihm, dass er bei sich bietender Gelegenheit wieder zur See fahren wolle, auch wenn kaum eine Aussicht bestehe, auf einem deutschen Schiff anheuern zu können. "Straferschwerend fiel ins Gewicht, dass der Angeklagte zu einer Zeit Fahnenflucht beging, in der von seiner Truppe besonders jederzeitige volle Einsatzbereitschaft erwartet wird"; der Krieg stand vor der Tür. Das Gericht verurteilte Otto Groth zu acht Monaten Gefängnis; er nahm das Urteil an. Der Gerichtsherr verzichtete ebenfalls auf eine Berufung, so dass Otto Groth am 18. August 1939 seine Haftstrafe im Wehrmachtsgefängnis Torgau antrat, womit gleichzeitig seine Ausbildungszeit endete. Seine Haftzeit verlängerte sich um 42 Tage, weil er wegen Verstößen gegen die Gefängnisordnung – z. B. unerlaubtes Sprechen – mehrfach geschärften Arrest erhielt. Am 15. Mai 1940 wurde er zur Truppe nach Kiel entlassen. Ein Gnadengesuch seiner Mutter vom 6. November 1939 an den "Führer" mit der Begründung, ihr Sohn habe aus Leichtsinn seinen Urlaub überschritten, das einen Tag später in der "Kanzlei des Führers" einging, wurde von Konteradmiral Mewis abgelehnt.

Otto Groth kehrte nicht in seine frühere Kompanie zurück, sondern wurde der 5. Kompanie der Marineartillerieabteilung 511 zugewiesen und am 1. Oktober 1940 zum Marineartilleriegefreiten befördert. Im Juli erhielt er eine dreiwöchige Urlaubssperre, weil er am 14. Oktober den Urlaub um eine Viertelstunde überschritten hatte, Ende Oktober verbüßte er drei Tage geschärften Arrest wegen einer fahrlässigen Urlaubsüberschreitung von ebenfalls 15 Minuten.

Am 21. April 1941 leitete das Gericht des Admirals der Polarküste Norwegens eine Untersuchung wegen unerlaubter Entfernung gegen Otto Groth ein. Was war geschehen? Am Ende seines Urlaubs vom 1. bis 26. Februar 1941 war Otto Groth termingerecht nach Saßnitz zurückgekehrt, um die vorgeschriebene Fähre nach Trelleborg und den Anschluss nach Narvik zu erreichen, und meldete sich auf der Frontleitstelle. Wegen Überfüllung des Transports wurde ihm der Urlaubsschein abgenommen und ein Privatquartier zugewiesen. Da in Saßnitz fast 2000 Urlauber auf eine Fahrgelegenheit warteten, rechnete sich Otto Groth aus, dass er vorläufig nicht reisen könne, und fuhr wieder nach Hamburg.

Drei Tage später meldete er sich bei der Kommandantur, erhielt einen Wehrmachtsfahrschein und kehrte nach Saßnitz zurück, wo er vier Tage später dem nach Narvik fahrenden Transport angeschlossen wurde. Da in der Zeit seiner Abwesenheit kein Transport nach Narvik abgegangen war, er somit den Transport zu seiner Batterie nicht verzögert hatte, wurde sein Fall als minder schwer angesehen. Er hätte mit 14 Tagen geschärftem Arrest geahndet werden können, wenn Otto Groth nicht wegen Fahnenflucht vorbestraft gewesen wäre. So aber ordnete Konteradmiral Schenk als Gerichtsherr seine Aburteilung durch ein Feldkriegsgericht an. Dieses, besetzt mit Marinekriegsgerichtsrat Burckhardt als Verhandlungsleiter und Gerichtsoffizier Lt. Reimann als Ankläger, verhandelte am 6. Mai 1941 in Narvik. Der Marineartilleriegefreite Henkel stand Otto Groth als Wahlverteidiger zur Seite.

Groth gab zu, unrecht gehandelt zu haben, verwies aber darauf, dass er rechtzeitig bei seinem Truppenteil eingetroffen sei. Der Vertreter der Anklage beantragte eine Gefängnisstrafe von vier Monaten wegen unerlaubter Entfernung, der Verteidiger plädierte für eine Arreststrafe, um die auch Otto Groth bat. Das Gericht verurteilte ihn zu vier Monaten Gefängnis, weil Otto Groth zwar nicht aus schlechter Veranlagung, sondern aus Unüberlegtheit gehandelt habe und es ihm, wie die disziplinarischen und die gerichtliche Strafe zeigten, an einem "Gefühl für militärische Einordnung" mangele. Der Gerichtsherr Konteradmiral Schenk bestätigte das Urteil und verfügte seine Vollstreckung. Es folgte eine Degradierung zum Matrosen und eine Beförderungssperre bis zum 28. Februar 1942.

Otto Groth wurde in die Wehrmachtstrafanstalt Akerhus bei Oslo eingeliefert, am 19. Juni 1941 in das Wehrmachtsgefängnis Anklam/Pommern, am 5. Juli 1941 zur Wehrmachtgefangenenabteilung nach Pinnow/Kreis Angermünde und schließlich am 17. September 1941 nach Bernau bei Berlin verlegt. Nach exakt vier Monaten wurde er am 6. Oktober 1941 um 1.55 Uhr entlassen und bei der 3. Kompanie der 1. Schiffstammabteilung beim Wach- und Arbeitsdienst eingesetzt.

Am 29. November 1941 verließ Otto Groth ohne Urlaubskarte und ohne jemanden einzuweihen die Kaserne in Kiel-Friedrichsort und kehrte nicht zurück. Der Gerichtsherr des Gerichts des 2. Admirals der Ostseestation, Kapitän zur See Sorge, Chef des Stabes II als Vertreter beim Kommando, verfügte die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, erließ Haftbefehl und holte ein Führungszeugnis des Kompaniechefs ein. Darin wurde Otto Groth als leicht beeinflussbar geschildert, der nach anfänglich guten Leistungen schnell nachlasse, weshalb er wohlwollender Führung bedürfe.

In der Frühe des 10. Dezember 1941 wurde Otto Groth als Begleiter eines von der Sittenpolizei gesuchten Mädchens an der Ecke Lange Reihe/Ernst-Merck-Straße in Hamburg-St. Georg festgenommen und der Kommandantur Hamburg übergeben, die ihn zur Untersuchungshaft nach Kiel überstellte. Unklar war, ob Otto Groth dauerhaft der Wehrmacht hatte entfliehen wollen und deshalb nach Hamburg gefahren war, was er in der Zeit getan hatte und ob er in Machenschaften von delinquenten Kameraden verwickelt war, wofür sein Notizbuch Anhaltspunkte zu bieten schien.

Zum 25. Juni 1942 berief Konteradmiral Slevogt als Gerichtsherr die Hauptverhandlung beim Gericht des 2. Admirals der Ostseestation ein und bestimmte Marinekriegsgerichtsrat Möller zum Verhandlungsleiter; als Vertreter der Anklage traten Marinekriegsgerichtsrat Teichgräber und als Verteidiger Rechtsanwalt Wacker auf, der Matrose Felix Nickel wurde als Zeuge geladen. Er gehörte einer Gruppe von Seeleuten an, die sich durch Diebstahl von Seesäcken Geld beschafften, und hatte Otto Groth 70 RM und Militärfahrscheine zur Aufbewahrung gegeben. Die Fahrscheine warf Otto Groth weg, da sie kein Dienstsiegel trugen. Von dem Geld bezahlte er eine Runde in der Kantine und lebte von dem Rest in Hamburg. Dies wurde später im Urteil als Begünstigung und Unterschlagung gewertet. Einem anderen Kameraden, der ohne Urlaub nach Hause fuhr, stand er bei, indem er versuchte, ihn zu benachrichtigen, als nach ihm gefragt wurde, damit er zurückkäme. Von anderen lieh er sich unter einem Vorwand militärische Kleidungsstücke, die er jedoch mit nach Hamburg nahm. Die Feldbluse trug den Gefreitenwinkel und ein SA-Sportabzeichen. Er kaufte in der Kantine für 1,50 RM ein E. K. II und heftete es sich an. Damit machte er sich militärischer Unterschlagung und des unbefugten Tragens von Dienstgrad- und Ehrenzeichen schuldig. Diese Delikte wurden mit insgesamt drei Jahren und sechs Monten Gefängnis geahndet.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Otto Groth sich dauernd von der Wehrmacht entfernen wollte, zumal er geäußert habe, dass es ihm bei der Truppe nicht mehr gefalle. In seinem Notizbuch habe er eine Reihe von Städtenamen notiert, die als Fluchtroute in Frage kämen. Er hatte seine Eltern nur einmal anfangs besucht, die folgenden Wochen in Lokalen und Kinos verbracht und im Wartesaal des Altonaer Bahnhofs geschlafen.

Otto Groth galt wegen seiner früheren Disziplinar- und Gerichtsstrafen als erheblich vorbestraft. Das Gericht nutzte seine Entscheidungsspielräume deshalb nicht, sondern verwarf den Antrag des Verteidigers auf milde Beurteilung. Es berief sich auf Adolf Hitlers Richtlinien vom 14. April 1940 und erkannte auf die Todesstrafe. Automatisch wurde die Wehrwürdigkeit aberkannt, Berufung und Revision nicht zugelassen. Eine Stellungnahme des Gerichtsherrn zum Urteil liegt nicht vor, doch ordnete er an, das Gericht möge sich für den Fall der Wiederaufnahme des Verfahrens in der Nacht vor der Urteilsvollstreckung bereithalten.

Otto Groth erkannte das Urteil an, bat allerdings seine Mutter, ein Gnadengesuch beim Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Großadmiral Erich Raeder, für ihn einzubringen. Dieser jedoch bestätigte am 1. August das Feldurteil, lehnte einen Gnadenerweis ab und ordnete die sofortige Vollstreckung an. Das Schreiben ging am 25. August 1942 beim Gericht ein. Am folgenden Morgen wurde Otto Groth in Begleitung eines evangelischen Geistlichen zum Schießstand in Kiel-Holtenau gebracht, wo sich als Leiter des Verfahrens Kapitänleutnant Contny und Marinekriegsgerichtsrat Hans Köhler-Kaess, Sanitätsoffizier Oberarzt Hermannsen sowie ein Zug der Wachkompanie Kiel befanden. Bevor der Geistliche letzte Worte an Otto Groth richtete, wurden ihm noch einmal die Urteilsformel, die Bestätigungsverfügung und die Entscheidung des Oberkommandos der Kriegsmarine vom 1. August 1942 vorgelesen. Dann "führten zehn Mannschaften, die in 1 Gliede 5 Schritte vom Verurteilten entfernt aufgestellt waren, das Urteil auf Kommando aus. Der San.Offz. Oberarzt Hermannsen stellte den Tod um 6 Uhr 4 Min. fest. Die Leiche wurde sofort vom Richtplatz entfernt".

Der Gerichtsherr erließ umgehend dreizehn Verfügungen, deren erste an den Polizeipräsidenten Hamburgs gerichtet war: Er möge den Vater August Groth schonend von der Ablehnung des Gnadenerweises und der Vollstreckung des Todesurteils benachrichtigen. Man erwarte schnelle Nachricht, ob die Leiche überführt werden solle oder ob der Vater darauf verzichte. Die Verzichtserklärung August Groths lag bereits um 9.30 Uhr vor. Als letzter Akt wurde der 2. Kompanie der 1. Schiffsstammabteilung am 7. September 1942 der "Verlust" des Marineartilleristen Otto Groth gemeldet.

© Hildegard Thevs

Quellen: BA/Militärarchiv Freiburg, RM 123/7448 2, 123/7455 3, 9577; StaH 332-5 Standesämter, 8737+308/1919; AB 1920.

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