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Irene Grebe
Irene Grebe
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Irene Grebe * 1915

Telemannstraße 46 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)


HIER WOHNTE
IRENE GREBE
JG. 1915
EINGEWIESEN 1928
ALSTERDORFER ANSTALTEN
´VERLEGT‘ 16.8.1943
AM STEINHOF WIEN
ERMORDET 19.6.1944

Irene Grebe, geb. 6.1.1915 in Hamburg, aufgenommen in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf), "verlegt" am 16.8.1943 nach Wien in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof"), dort gestorben am 19.6.1944

Telemannstraße 46 (Eimsbüttel)

Irene Nelly Ingeborg Grebe kam am 6. Januar 1915 in Hamburg zur Welt. Sie war das jüngste Kind von Elise Maria Caroline, geborene Timm, geboren am 23. Juli 1873 in Langenfelde, und dem Hilfsarbeiter Friedrich Gustav Willi Grebe, geboren am 2. September 1882 in Sylda im heutigen Kreis Mansfeld-Südharz.
(Langenfelde war 1915 ein Teil von Stellingen-Langenfelde und wurde 1927 nach Altona, am 1. April 1938 nach Hamburg eingemeindet.)

Irenes Eltern waren protestantisch. Sie hatten am 28. Dezember 1907 in Hamburg geheiratet. Am 9. Juli 1908 wurde Irenes ältere Schwester Helena, am 19. Juli 1912 ihr älterer Bruder Walter geboren.

Irene Grebe litt infolge einer Kinderlähmung an einem Hüft- und Beinleiden, das sie beim Gehen stark behinderte. Nach Ansicht des sie 1924 im Allgemeinen Krankenhaus Barmbek begutachtenden Arztes bestand zwar Aussicht auf Heilung, doch ihre Eltern verweigerten eine Behandlung. Sie meinten, dass andere Kinder auch so umherliefen. Weil sie es auch weiterhin ablehnten, Irene in eine spezialärztliche Behandlung zu geben, wurde den Eltern das Sorgerecht für ihr Kind entzogen.

Am 6. Februar 1925 wurde Irene Grebe erneut im Allgemeinen Krankenhaus Barmbek aufgenommen. Sie befand sich jetzt unter Betreuung der Fürsorgebehörde. Dies folgt aus der Notiz in ihrer Patientenakte, das "Kind wurde von einer Fürsorgedame ohne weitere Angaben gebracht". Ein am Ende ihres Krankenhausaufenthalts am 7. Juni 1925 verfasstes psychiatrisches Gutachten kam zu dem Ergebnis, bei Irene handele es sich um ein "schwachsinniges" Kind, das aber bis zu einem gewissen Grad bildungsfähig sei. (Der heute nicht mehr verwendete Begriff "Schwachsinn" bezeichnete eine Intelligenzminderung bzw. angeborene Intelligenzschwäche.)

Der Oberarzt am Allgemeinen Krankenhaus Barmbek, Heinrich Embden, schlug vor, einen Hilfsschulbesuch zu versuchen. Sollte dies fehlschlagen, so Heinrich Embden weiter, müssten die Alsterdorfer Anstalten eintreten. Die Erziehung dieses Kindes sei zweifellos eine schwierige Aufgabe, die von den Eltern besondere geistige Fähigkeiten erfordere, über die sie jedoch nicht verfügten. So sei es dringend notwendig, das Kind in öffentlicher Erziehung zu lassen.

Irene besuchte die Hilfsschule Eichenstraße 55 in Hamburg-Eimsbüttel und die Hilfsschülerabteilung im "Landheim Besenhorst" bei Geesthacht, das vom Hamburger Waisenhaus der Fürsorgebehörde genutzt wurde. Genaue Daten sind nicht bekannt.

Am 11. September 1928 wurde Irene Grebe schließlich in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) aufgenommen. Ihre Eltern wohnten zu dieser Zeit in der Telemannstraße 46 in Hamburg-Eimsbüttel.

Bei ihrer Aufnahme wurde als Diagnose "Epilepsie, Schwachsinn, schlaffe Lähmung des rechten Beines" notiert. Irene konnte "gut sprechen, sich selbst an- und auskleiden, allein essen." Sie besuchte zeitweise die Anstaltsschule, wurde im November 1930 aus der Schule entlassen und 1934 auf ihre Bitte hin wieder aufgenommen. Irenes Stimmungen wurden als extrem schwankend beschrieben, sie galt als anhänglich, eigensinnig, trotzig, willig und anstellig bei Hausarbeiten. Über den Erfolg des erneuten Schulbesuches sind keine Informationen vorhanden.

Anfang 1936 wurde über Irene Grebes seltene epileptische Anfälle berichtet, die mit Luminal behandelt wurden. Auf Antrag des Oberarztes der Alsterdorfer Anstalten, SA-Mitglied Gerhard Kreyenberg, wurde Irene Grebe am 27. Februar 1936 wegen "Epilepsie verbunden mit einem Schwachsinnen erheblichen Grades" entmündigt. Ebenfalls auf Antrag von Gerhard Kreyenberg entschied das damalige Erbgesundheitsgericht, dass bei der 21jährigen eine Sterilisation vorzunehmen sei. Der Eingriff wurde am 7. September 1937 im Universitätskrankenhaus Eppendorf durchgeführt.

Die Grundlage für diesen Eingriff bildete das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom Juli 1933, mit dem die Nationalsozialisten die formale Rechtsgrundlage zur zwangsweisen "Unfruchtbarmachung" hergestellt hatten. Nach diesem Gesetz konnte ein Mensch u.a. dann unfruchtbar werden, "wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden." (s. Reichsgesetzblatt I Nr. 86/1933 S. 146 ff.).

In den Jahren danach wiederholten sich die Berichte über die junge Frau weitgehend. Sie soll nun öfter erregt gewesen sein und habe deshalb im Wachsaal aufgenommen werden müssen. In den Alsterdorfer Anstalten waren Wachsäle Ende der 1920er Jahre als therapeutische Maßnahme eingeführt worden. Im Laufe der 1930er Jahre wurden Patientinnen und Patienten dort vor allem mit Fixierungen und Medikamenten ruhiggestellt. Die Betroffenen empfanden dies oft als Strafe.

Anscheinend hatte Irene Grebe nach ihrer Aufnahme in den Alsterdorfer Anstalten, falls überhaupt, nur sporadisch Kontakt mit ihren Eltern. Ob sie erfahren hat, dass ihre Mutter am 24. Juli 1941 gestorben war, wissen wir nicht.

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943 ("Operation Gomorrha") erlitten auch die Alsterdorfer Anstalten Bombenschäden. Der Anstaltsleiter, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, nutzte die Gelegenheit, sich mit Zustimmung der Gesundheitsbehörde eines Teils der Bewohnerinnen und Bewohner, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, durch Abtransporte in andere Heil- und Pflegeanstalten zu entledigen. Mit einem dieser Transporte wurden am 16. August 1943 aus Alsterdorf 228 Frauen und Mädchen sowie 72 Mädchen und Frauen aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn nach Wien in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof") "verlegt". Unter ihnen befand sich auch Irene Grebe.

In Wien wurde Irene Grebe ebenfalls im Wachsaal gehalten, weil sie angeblich häufig erregt und zornig war. Sie sei stets in gereizter Stimmung gewesen, habe geschrien, geschimpft, gekratzt und zugeschlagen. Und sie habe nach Hamburg zurückgewollt. Im Februar 1944 wurde sie mit Elektroschocks behandelt. Über das Ergebnis findet sich kein Eintrag in der Patientenakte. Widersprüchlich waren die Berichte im Mai 1944. Einerseits sei es Irene Grebe gut gegangen, andererseits sei sie sehr unruhig gewesen und deshalb isoliert worden.

Am 16. Juni 1944 wurden Daueranfälle notiert. Sie sei sehr schwach und nicht ansprechbar gewesen. Ihre Temperatur wurde mit 38 Grad angegeben, am Tag darauf mit 37,8 Grad.

Am Morgen des 19. Juni 1944 starb Irene Grebe angeblich an Pneumonia hypostatica.

Diese Todesursache wird definiert als eine Lungenentzündung, die in der Regel durch Flüssigkeitsansammlungen im Rückenbereich der Lunge entsteht und vor allem bei Personen auftritt, die über einen längeren Zeitraum auf dem Rücken liegen. Als weitere Todesursache wurde Imbezillität (geistige Behinderung) mit Krampfanfällen angegeben.

Aus der Krankenakte ergibt sich, dass Irene Grebe während ihres Aufenthalts in der Wiener Anstalt von noch 43,5 kg in Alsterdorf zehn Kilogramm Gewicht verloren hatte. Die nun 29 Jahre alte Frau wog zuletzt noch 33,5 kg.

Die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" war während der "Aktion-T4" (Bezeichnung für das "Euthanasie"-Programm der Nationalsozialisten, benannt nach dem Standort der Berliner "Euthanasie"-Zentrale in der Tiergartenstraße 4) eine Zwischenanstalt der Tötungsanstalt Hartheim bei Linz. Nach dem offiziellen Ende der Euthanasie-Morde in den Tötungsanstalten im August 1941 ging das Morden in den bisherigen Zwischenanstalten, auch in der Wiener Anstalt selbst, massenhaft weiter: durch Überdosierung von Medikamenten und Nichtbehandlung von Krankheiten, vor allem aber durch Nahrungsentzug.
Bis Ende 1945 waren von den 300 Hamburger Mädchen und Frauen 257 verstorben, 196 davon kamen aus Alsterdorf.

Stand: Mai 2023
© Ingo Wille

Quellen: Adressbuch Hamburg 1925/1928; Ev. Stiftung Alsterdorf, Archiv, Patientenakte V339 (Irene Grebe); Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 283 ff., 331 ff.

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