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Hans Güllendorf
Hans Güllendorf
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Hans Güllendorf * 1922

Hübbesweg 31 (Hamburg-Mitte, Hamm)


HIER WOHNTE
HANS GÜLLENDORF
JG. 1922
EINGEWIESEN 1930
ALSTERDORFER ANSTALTEN
‚VERLEGT’ 1943
HEILANSTALT MAINKOFEN
TOT 2.5.1945

Hans Güllendorf, geb. 25.3.1922 in Hamburg, aufgenommen in den Alsterdorfer Anstalten am 7. Juli 1930, verlegt am 11.8.1943 in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen", Tod dort am 2.5.1945

Beim Lesen von Frieda Güllendorfs Brief vom 1. Juli 1930 an die Leitung der damaligen Alsterdorfer Anstalten, mit dem sie herzlich darum bittet, dass "die Herren Ärzte dem Kinde eine liebe Pflegerin zuweisen, damit ihm das Einleben in die Anstalten dadurch erleichtert wird", fragt man sich, warum die Eltern Hans überhaupt dorthin gaben. "Unter unsagbaren Mühen und unendlicher Geduld" hatten sie und ihr Mann "Hans soweit gebracht, dass er eine große Geschicklichkeit bei häuslichen Arbeiten, Abwaschen, Putzen zeigt. Beim Spiel zeigt das Kind viel Interesse für Fußball, Turnen, Tanzen, auch hat er ein feines Gespür für Musik und bittet dauernd um eine Geige. Seine Entwicklung machte nach meiner Beobachtung täglich Fortschritte, auch mit der Sprache kam er immer weiter. Sein Schlaf ist gut, und er mag sehr gern essen. Er ist sauber und sagt seine Bedürfnisse an. … Sich selber kämmen und waschen tut er gern, auch Stiefelputzen ist ihm eine liebe Beschäftigung." All diese Fertigkeiten, seine Willigkeit und seine ausgeprägte Beobachtungsgabe gingen jedoch einher mit einer außerordentlichen Lebhaftigkeit, wobei es Hans an Einsicht und Überlegung mangelte. Dabei zerstörte er ungewollt Vieles und verbreitete eine solche Unruhe, dass er, inzwischen acht Jahre alt, in der Familie nicht mehr tragbar war.

Hans war das jüngste von sechs Kindern aus der zweiten Ehe seines Vaters, von denen eines, der 1911 geborene Erich, bereits an einer Gehirnhautentzündung gestorben war. Bei Hans’ Geburt war der Vater, der Klempner und Mechaniker Carl Güllendorf, 55 Jahre alt und, wie es hieß, nervenleidend. 1910 hatten er und die elf Jahre jüngere Ottilie Friederike Järnicke, genannt Frieda, geheiratet. Seine erste Frau, Margaretha, geb. Tenzer, war im Jahr zuvor gestorben und hatte einen vierjährigen Sohn hinterlassen.

Die Versorgung der sechs Kinder und ihres Mannes brachten Frieda Güllendorf an die Grenzen ihrer Kraft. Carl Güllendorf erhielt zwar eine Rente, die jedoch durch Leistungen der Wohlfahrt ergänzt werden musste. Nicht nur Hans erforderte besondere Aufmerksamkeit, sondern auch eine der Töchter, die nach einer Gehörgangsentzündung schwerhörig geworden war und einen Sprachfehler entwickelt hatte. Während die Geschwister die Volksschule Hübbesweg bis zum Abschluss durchliefen, wechselte sie, viel zu spät, für das letzte Schuljahr auf die Schwerhörigenschule in der Kampstraße.

Hans wurde zur Beobachtung im zur AK St. Georg gehörenden Kinderkrankenhaus in der Baustraße (heute: Hinrichsenstraße) in Borgfelde aufgenommen und nach acht Tagen entlassen. Der Vertrauensarzt des Wohlfahrtsamtes Hamburg überwies ihn danach wegen "mittleren Schwachsinns" in die damaligen Alsterdorfer Anstalten. Die Alternative wäre die "Staatskrankenanstalt Friedrichsberg" gewesen, aber Hans’ Eltern wählten auf Empfehlung von Pastor Heldmann und aufgrund eigener Überzeugung die christliche Einrichtung, wie ebenfalls aus Frieda Güllendorfs Schreiben hervorgeht: "So übergeben wir nun den verehrten Alsterdorfer Anstalten unser heißgeliebtes Kind mit dem Gotteswort: ‚Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan,’ und Gott wolle reichlich an allen, die an unserem Kind arbeiten, das Werk der Barmherzigkeit tausendfach segnen." Familie Güllendorf gehörte zur Dreifaltigkeits-Kirchengemeinde in Hamburg-Hamm, wo Hans am 17. Juni 1923 getauft und mit dem Vers aus Jesaja 43,1 ins Leben geschickt wurde: "Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!"

Bei seiner Aufnahme in den damaligen Alsterdorfer Anstalten am 7. Juli 1930 war nicht mehr von Schwachsinn die Rede, der mit der Nervosität seiner Eltern erklärt worden war, sondern von "Mongoloidie", heute "Down-Syndrom". Hans wurde als "typisch" beschrieben: drollig, komisch, flink, gewandt, gelenkig, wolle immer alles anfassen und haben, sei aber ungeübt im Umgang mit Spielzeug. In seiner Pflege brauche er teilweise Hilfe. Die Direktion der Anstalt schrieb Carl Güllendorf kurz darauf, dass sich Hans gut eingelebt habe und bei seinen Kameraden beliebt sei. Er imponiere ihnen dadurch sehr, dass er in häuslichen Dingen so gut angelernt sei, dass ihm alles leicht von der Hand gehe. Heimweh habe er nicht, dazu sei wohl auch das Leben der Anstalt zu abwechslungsreich.

Hans besuchte die Spielschule, zunächst noch ohne erkennbares Interesse, war aber im Verhalten zu seinen Kameraden "zart und fürsorglich". Er erkrankte mehrfach, auch wiederholt an Lungenentzündung, und lag immer wieder für kürzere oder längere Zeit im Krankenhaus. Während seine Freude an Hausarbeit und Sorgfalt bei der Ausführung nicht nachließen, machte er in der Spielschule keine wesentlichen Fortschritte. Obwohl sich seine Sprache nur wenig verbesserte, konnte er sich gut verständigen. Er war meist ruhig, verträglich und anhänglich, und er entwickelte Eigenheiten: Ab und an markierte er Krankheit, indem er sich an den Kopf fasste, als wolle er Fieber fühlen, oder er stützte seinen Kopf in die Hände. Zu imaginärer Musik benutzte er einen Stock, als schlage er damit den Takt, oder bewegte ihn wie einen Geigenbogen, wie er es schon zuhause getan hatte; zu tatsächlicher Musik tanzte er.

Hans’ Pubertät verlief mit allen Schwankungen "normal", was nach den damaligen Sexualvorstellungen das Pflegepersonal jedoch manchmal erschreckte, es aber nicht außergewöhnlich belastete. Trotz mancher Eigenwilligkeit gefährdete Hans weder Andere noch sich selbst, weshalb er auch außerhalb des Geländes Spaziergänge mit seinen Besuchern machen durfte. Die Ärzte empfahlen jedoch der Familie, Hans stattdessen für jeweils mehrere Tage auf Urlaub nach Hause zu holen, wovon sie, wann immer möglich, Gebrauch machte. Carl Güllendorf starb am 21. Mai 1938 im Alter von 71 Jahren.

Mit 18 Jahren wurde Hans wehrpflichtig und erwartungsgemäß ausgemustert. Die Sozialverwaltung forderte einen ärztlichen Bericht über Hans Güllendorfs Gesundheitszustand an. Gerhard Kreyenberg bescheinigte ihm bei der Diagnose "Mongoloide Idiotie" körperliche Gesundheit und ein sehr kindliches, verträgliches, freundliches und hilfsbereites Verhalten. Ein halbes Jahr später, am 19. August 1941, anerkannte die Hamburger Sozialverwaltung Hans’ Anstaltsbedürftigkeit bis zum 30. November 1945. Ein halbes Jahr vorher starb er.

Durch den "Feuersturm" Ende Juli 1943 verlor Frieda Güllendorf ihre Wohnung im Hübbesweg und wurde nach Schwarzenbach in Oberfranken evakuiert. Anfang August 1943 wurden auch Gebäude der "Alsterdorfer Anstalten" schwer beschädigt. Um Raum für die Aufnahme von Bomben- und anderen Kriegsopfern zu schaffen, ließ Pastor Lensch, der damalige Anstaltsleiter, im Einvernehmen mit der Hamburger Gesundheitsverwaltung und der "Euthanasie"-Zentrale in Berlin (T4 nach der Adresse Tiergartenstraße 4 benannt) mehrere hundert Bewohnerinnen und Bewohner in entfernte Anstalten verlegen.

Am 11. August wurden 113 männliche Kinder, Jugendliche und Erwachsene in die Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen bei Passau transportiert. Die GekraT, die Transportgesellschaft von T4, brachte die Patienten in ihren gefürchteten grauen Bussen zum Hamburger Hauptbahnhof, wo sie in einen Lazarettzug umstiegen bzw. die nicht gehfähigen umgeladen wurden. Warum Hans Güllendorf für diesen Transport ausgewählt wurde, ergibt sich nicht aus seiner Krankengeschichte. Es gibt ein Gruppenfoto mit vier Jungen, drei Mädchen und einer Hilfsperson, die alle durch das Down-Syndrom gezeichnet sind. Eines der Mädchen, Ida Langmann, wurde ebenfalls verlegt – nach Wien – und kam dort um.

Frieda Güllendorf hatte im September 1943 von Hans’ Verbleib erfahren und plante, ihn in Mainkofen zu besuchen, was ihr aber nicht gelang. Stattdessen schickte sie ein Paket und erbat Auskunft über sein Ergehen. Ihr wurde mitgeteilt, dass Hans’ "Befinden unverändert sei, er sich gut in die Ordnung einfüge und ein verträgliches Wesen an den Tag" lege.

Für einen "Hilfsjungen", der den Kameraden gut zur Seite stehen konnte, fehlten Hans Güllendorf einige Fähigkeiten, aber in der Hauswirtschaft konnte er eingesetzt werden, und so geschah es. Das sicherte ihm in den folgenden fast zwei Jahren das Leben, bis er im April 1945, wie es hieß, an einem schweren Darmkatarrh erkrankte, der zu seinem Tode am 2. Mai 1945 führte. Ob diese Erkrankung letztlich doch durch Hungerkost und daraus folgende Entkräftung willentlich herbeigeführt wurde, ließ sich nicht klären.

Da zu diesem Zeitpunkt am Ende des Krieges telefonische oder telegrafische Benachrichtigungen nicht möglich waren, wurde Frieda Güllendorf brieflich vom Tod ihres Sohnes und seiner Beisetzung auf dem Anstaltsfriedhof am Morgen des 4. Mai informiert. Wann sie den Brief erhielt, ist nicht bekannt. Hans wurde 23 Jahre alt.

© Hildegard Thevs

Quellen: Staatsarchiv Hamburg, 332-5 Standesämter, 7205-594/1938; Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, V 409 und Erbgesundheitskartei; Wunder, Michael, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr. Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, 2. Aufl. Hamburg 1988.

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