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Marianne Gutmann * 1865

Alter Steinweg 5 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
MARIANNE GUTMANN
JG. 1865
EINGEWIESEN 1939
HEILANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
"AKTION T4"

Marianne Gutmann, geb. am 1. 10. 1865 in Hamburg, ermordet am 23. 9. 1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Alter Steinweg 5

Marianne Gutmann war das viertjüngste der elf Kinder des jüdischen Ehepaares Zadick Guttmann und seiner Ehefrau Elise, geborene Biesental.

Zadick Guttmann war 1826 in Hamburg, Elise Biesental in Hagenow in Mecklenburg zur Welt gekommen. Sie heirateten am 23. Juli 1853 in Elises Geburtsort und ließen sich in Hamburg nieder. Zadick Guttmann betrieb, wie dem Hamburger Adressbuch von 1851 zu entnehmen ist, in der Neustadt seit mindestens 1850 eine Kleiderhandlung. Offiziell lautete sein Nachname zu dieser Zeit noch "Zadick Guttmann", er schrieb sich aber u. a. im Adressbuch auch "Zadig Gutmann". Den Wunschnamen "Gutmann" erhielt er offiziell erst durch Verfügung des Hamburger Senats vom 26. November 1869. Kurz darauf, am 10. Dezember 1869, erlangte er das Hamburger Bürgerrecht. Zadig Gutmann entstammte einer weitverzweigten, in der Hamburger Neustadt ansässigen jüdischen Familie, in der viele Männer als Kleiderhändler oder als Schneider arbeiteten. Oft waren beide Tätigkeiten in einem Geschäft miteinander verbunden, so auch zeitweise bei Zadig Gutmann.

Die beiden ältesten Töchter, Bertha und Jenny, wurden am 25. Juni 1854 und am 8. Dezember 1855 in der heute nicht mehr bestehenden 1. Marienstraße in der Neustadt geboren. Hermann, geboren am 13. Januar 1857, Otto, geboren am 10. September 1858 (gestorben am 2. Oktober 1866), Ludwig, geboren am 21. August 1860, Rosa, geboren am 1. Oktober 1861, und Ferdinand, geboren am 14. Juni 1863, kamen am Alten Steinweg 16, ebenfalls Hamburg-Neustadt, zur Welt. 1865 verlegte Zadig Gutmann die Geschäftsadresse und den Wohnsitz seiner Familie ein paar Häuser weiter in den Alten Steinweg 5. Marianne Gutmann wird hier am 1. Oktober 1865 zur Welt gekommen sein, ebenso ihre jüngeren Brüder Hellmuth Levy, geboren am 26. April 1867, und Bernhard, geboren am 24. September 1869 sowie die Schwester Johanna, geboren am 26. Dezember 1870 (gestorben am 6. Mai 1872).

Wir wissen nichts über Marianne Gutmanns Kindheit, Jugend, Ausbildung oder Berufstätigkeit. Als sie im Februar 1927 in die inzwischen in "Staatskrankenanstalt Friedrichsberg" umbenannte Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung oder psychischer Erkrankung eingewiesen wurde, war Marianne bereits siebenmal in der "Irrenanstalt Friedrichsberg” gewesen. Sie war 61 Jahre alt und ledig. Wenig später nahm die Staatskrankenanstalt Hamburg-Langenhorn Marianne Gutmann auf.

Schon bald nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten begannen intensive Untersuchungen, wie kostensenkende Unterbringungen und weitergehende Einschränkungen für Menschen mit einer geistigen Behinderung oder einer psychischen Erkrankung erreicht werden könnten.

"Der Gedanke, die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg mit ihren schönen Parkanlagen künftig nicht geisteskranken Menschen zur Verfügung zu halten, sondern sie solchen Volksgenossen zu eröffnen, die einen geistigen und körperlichen Gewinn von einem Aufenthalt in diesen schönen Anlagen haben würden, gab dem Herrn Reichsstatthalter Ende April 1934 Anlaß, die Gesundheits- und Fürsorgebehörde zu Überlegungen über eine entsprechende Umgestaltung zu veranlassen." Damit begründete Gesundheitssenator Ofterdinger im Dezember 1935 den sogenannten Friedrichsberg-Langenhorner Plan. Nachdem der Hamburger Senat am 7. Oktober 1934 beschlossen hatte,
"1. Die heilbaren Kranken sollen unter größtmöglichem Einsatz ärztlicher Betreuung behandelt werden.
2. Die unheilbar Kranken sollen in erster Linie in Bewahrung genommen werden. Die ärztliche Betreuung soll auf ein vertretbares Mindestmaß herabgesetzt werden.",
setzten umfangreiche Patientenverlegungen zwischen Hamburger Anstalten und nach außerhalb Hamburgs ein.

Rund 450 Patientinnen und Patienten wurden aus Langenhorn in die staatlichen Wohlfahrtsanstalten oder private bzw. gemeinnützige Anstalten auch in Schleswig-Holstein verlegt, darunter auch in die 1928/1929 gegründete private Einrichtung für Alte, Kranke und Behinderte Eichenkamp in Thesdorf/Pinneberg.

Dorthin wurde Marianne Gutmann am 9. Juli 1935 mit anderen Kranken aus Langenhorn überführt und am 15. Juli 1939 wieder nach Langenhorn zurückverlegt.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Jüdinnen und Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen. Nachdem alle jüdischen Patienten aus den norddeutschen Anstalten in Langenhorn eingetroffen waren, wurden sie am 23. September 1940 gemeinsam mit den bereits länger in Langenhorn lebenden Patienten auf dem Güterbahnhof Ochsenzoll in einen Zug verladen und nach Brandenburg an der Havel transportiert. Noch am selben Tag wurden sie in dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses mit Kohlenmonoxid getötet. Nur eine Patientin, Ilse Herta Zachmann, entkam diesem Schicksal zunächst (siehe dort).

Wir wissen nicht, ob und ggf. wann Angehörige Kenntnis von Marianne Gutmanns Tod erhielten. In allen dokumentierten Mitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch) verstorben sei. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm/Cholm, einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es in Chelm/Cholm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Auch Verwandte von Marianne Gutmann kamen im Holocaust ums Leben. Nähere Ausführungen über einzelne Schicksale von Marianne Gutmanns Geschwistern und deren Nachkommen sind in der Biographie von Walter Gutmann (siehe dort) enthalten.

Stand: Juni 2020
© Ingo Wille

Quellen: 1; 4, 5; 6; 9; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 332-5 Standesämter 7992 Nr. 412/1908 Sterberegister Zadig Gutmann; 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht A I e 40 Bd. 5 Bürgerregister 1845-1875; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26. 8. 1939 bis 27. 1. 1941; 522-1 Jüdische Gemeinden 696 b Geburtsregister Nr. 28/1826 Zadig Gutmann, 696 g Geburtsregister Nr. 42/1867 Hellmuth Levy Gutmann, Nr. 142/1863 Ferdinand Gutmann, Nr. 211/1865 Marianne Gutmann, 696 e Geburtsregister Nr. 106/1854 Bertha Gutmann, Nr. 164/1869 Ludwig Gutmann, Nr. 231/1855 Jenny Gutmann; UKE/IGEM, Archiv, Patienten-Karteikarte Marianne Gutmann der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg; Stadtarchiv Pinneberg, Auskünfte über die Geschichte des heutigen Pflegeheims Pinneberg, Ortsteil Thesdorf, Rellinger Straße 37. Böhme, Klaus/Lohalm, Uwe (Hrsg.), Wege in den Tod. Hamburgs Anstalt Langenhorn und die Euthanasie in der Zeit des Nationalsozialismus, Hamburg 1993; S. 14, 44ff. Bussche, Hendrik van den (Hrsg.), Medizinische Wissenschaft im "Dritten Reich", Berlin 1989, S. 289ff. Lohalm, Uwe, An der Inneren Front. Fürsorge für die Soldatenfamilie und "rassenhygienische" Krankenpolitik, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (Hrsg.), Hamburg im "Dritten Reich", 2. Aufl., Göttingen 2008, S. 445–470. Wunder, Michael, Die Auflösung von Friedrichsberg – Hintergründe und Folgen, in: Hamburger Ärzteblatt (1990) 4, S. 128–131.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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