Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste


Stolpertonstein

Erzählerin: Christine Jensen
Sprecher: Tim Kreuer & Michael Latz
Biografie: Ulf Bollmann
Liddy Bacroff, amtliches Foto der Kriminalbiologischen Sammelstelle, 1930
© Staatsarchiv Hamburg

Heinrich Habitz gen. "Liddy Bacroff" * 1908

Simon-von-Utrecht-Straße 76 -79 (Hamburg-Mitte, St. Pauli)

Mauthausen
ermordet 6.1.1943 KZ Mauthausen

Liddy Bacroff (Heinrich Eugen Habitz), geb. 19.8.1908, inhaftiert 1924, 1929, 1931, 1935, 1936 und 1938, gestorben am 6.1.1943 im KZ Mauthausen

Simon-von-Utrecht-Straße 79 (Eckernförderstraße 78)

Um seine transvestitischen bzw. transsexuellen Neigungen ausleben zu können, entschied sich der aus Ludwigshafen stammende Heinrich Habitz für ein Leben als Hure und nannte sich Liddy Bacroff.

Er wuchs bei seinen Großeltern auf. Joseph Habitz, der spätere Ehemann seiner Mutter, adoptierte ihn. Da er als "schwer erziehbar" galt, wurde er für ein Jahr in ein Erziehungsheim gesteckt. Nach einer abgebrochenen kaufmännischen Lehre arbeitete er als Bürodiener und anschließend als Laufbursche. Für die 1920er und 1930er Jahre sind mehrere Vorstrafen wegen Eigentumsdelikten und Hausfriedensbruchs dokumentiert. 1924 wurde der 16-Jährige wegen eines Vergehens nach § 176 Ziffer 3 RStGB vom Amtsgericht Ludwigshafen zu sechs Wochen Haft verurteilt, später wurde ihm die Strafe erlassen. 1929 verhängte das Amtsgericht Mannheim eine zweimonatige Gefängnisstrafe wegen "widernatürlicher Unzucht" nach § 175 RStGB. Im November 1929 verließ Habitz endgültig sein Elternhaus und zog zunächst nach Berlin, dann nach Hamburg. In der Hansestadt nannte sich Heinrich Habitz fortan Liddy Bacroff.

1930 folgte erneut eine zweimonatige Haft, dieses Mal, weil sie einem Zimmergenossen die Damenkleidung gestohlen hatte. Im Juni desselben Jahres wurde sie wegen Hausfriedensbruchs mit einem Monat Gefängnis bestraft. Im Mai 1931 folgte der nächste Prozess: Liddy Bacroff erhielt vier Monate Gefängnis wegen homosexueller Handlungen nach § 175 RStGB. 1933 und 1934 folgten zwei Verurteilungen wegen Beischlafdiebstahls und "widernatürlicher Unzucht" zu sechs und zehn Monaten Freiheitsentzug.

Während der Gefängnisaufenthalte in den Jahren 1930 und 1931 verfasste Liddy Bacroff mehrere Texte über ihre Gefühlswelt, die einen guten Einblick in das Leben eines Transvestiten geben. Die Texte trugen die Titel "Freiheit! (Die Tragödie einer homosexuellen Liebe)" und "Ein Erlebnis als Transvestit. Das Abenteuer einer Nacht in der Transvestitenbar Adlon!".

Im März 1936 wurde Liddy Bacroff erstmals nach dem neuen § 175 a Ziffer 4 RStGB, der "gewerbsmäßige Unzucht" unter Strafe stellte, und wegen Diebstahls vom Landgericht Hamburg zu zwei Jahren Zuchthaus mit Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte für drei Jahre verurteilt. Die Strafe verbüßte sie im Zuchthaus Bremen-Oslebshausen.

Was war geschehen? Im Dezember 1935 hatte ein Seemann bei der Schutzpolizei Anzeige gegen eine Hure wegen Diebstahls erstattet. Die polizeilichen Ermittlungen ergaben, dass dafür nur Liddy Bacroff in Frage kam. Im Januar 1936 erfolgte ihre Verhaftung. Im Verhör machte sie folgende Aussage: "Den Diebstahl der RM 20,– in der Herrenweide gebe ich zu. Nach meinem Dafürhalten hat der Mann nicht gewusst, dass ich ebenfalls männlichen Geschlechts bin. Er wird vielmehr angenommen haben, dass er mit einer Frauensperson verkehrt. Seit meiner Entlassung habe ich von widernatürlicher Unzucht gelebt. Feste Arbeit hatte ich nicht und habe auch keine Unterstützung aus öffentlichen Mitteln bezogen. Meine Freier lernte ich auch auf St. Pauli kennen. Für jeden Verkehr erhielt ich meistens 2 bis 3,– Reichsmark. Durchschnittlich hatte ich auf diese Weise einen Tagesverdienst von zehn Reichsmark. Gewohnt habe ich an verschiedenen Stellen immer nur ein paar Tage. Dort[hin] bin ich auch mit meinen Freiern gekommen. Die Namen und Adressen der Leute kenne ich nicht mehr. Bei Schmidt (Seilerstr. 11) wohnte ich erst seit zwei Tagen."

Aus dem Bericht der polizeilichen Ermittlungshilfe über Liddy Bacroff: "Zur sexuellen Veranlagung des Habitz ist zu sagen, dass die Anfänge seiner Abnormität schon in jüngsten Jahren zu beobachten waren. Er spielte vorzugsweise mit Puppen, wie sein Gebaren ganz dem eines Mädchens angepasst war. Ein Lippenstift war ihm bei seiner ,Eitelkeit‘ unentbehrlich. In seinem 16. Lebensjahre zeigte sich das Erwachen seiner homosexuellen Natur. Sein Gefühlsleben sei das [richtig: dem] einer Frau gleichzusetzen. Das Verlangen, den Geschlechtstrieb als Mann auszuüben, habe er nie gehabt. Mit der Bezeichnung, dass er ein ‚Mann-Weib‘ ist, ist er treffend gekennzeichnet."

Nach der Haftentlassung im Januar 1938 meldete sich Liddy Bacroff wahrscheinlich in der Davidstraße 3 auf St. Pauli an. Um sich der ständigen polizeilichen Überwachung zu entziehen, zog sie mit gefälschten Meldepapieren in die Eckernförderstraße 78 (heute Simon-von-Utrecht-Straße 79). Die Folge war, dass die Polizei steckbrieflich nach ihr fahndete.

Liddy Bacroffs Freiheit dauerte nur zwei Monate, bevor sie am 25. März 1938 einer Denunziation zum Opfer fiel. Um 23:15 Uhr wurde der Polizeiwache "vertraulich mitgeteilt, daß sich in dem Lokal ‚Komet‘ ... ein Mann in Frauenkleidung aufhalte und mit einem anderen Mann an einem Tisch sitze". Daraufhin wurden die beiden verhaftet. Liddy Bacroff gab an, sie trage Frauenkleidung "aus anomaler Veranlagung, um auf homosexueller Basis anzuschaffen". Ihr Begleiter erklärte, er habe nichts von der wahren Identität der Liddy Bacroff geahnt, er war der Meinung, eine Frau kennengelernt zu haben. Im Verhör am 2. April 1938 gab sie gegenüber den Kriminalbeamten freimütig Auskunft über ihr bisheriges Leben als Transvestit: "Von der Polizeibehörde erhielt ich dazu die Erlaubnis. Ich konnte mich also in Frauenkleidern bewegen. Hiermit stand ich gleichzeitig unter sittenpolizeilicher Kontrolle. ... Meine Leidenschaft zu den Männern hat mich dann letzten Endes zur Prostitution getrieben. Ich finde meine geschlechtliche Befriedigung, wenn Liebe zu meinem Partner vorliegt, durch den Afterverkehr. ... Ich habe bis auf den heutigen Tag durch gewerbsmäßige Unzucht meinen Lebensunterhalt erworben. ... In der Zeit nach meiner Strafverbüßung bis zu meiner Festnahme, also vom 15.1.38 bis zum 25.3.38 habe ich in den 9 Wochen täglich etwa 3 Männer gehabt. Sie gaben mir durchschnittlich RM 3,–. Es ist auch vorgekommen, daß ich von einem Freier bis zu RM 10,– bekam. In den meisten Fällen lernte ich meine Kavaliere auf der Straße kennen (St. Georg); in den seltensten Fällen in einem Lokal. Teilweise habe ich die Leute angesprochen oder umgekehrt. Nachdem wir über den Preis einig geworden waren, gingen wir nach dem Pensionat Kucharsky, Ecke Hansaplatz und Bremerreihe. Der Pensionsinhaber wusste, daß ich Mannweib bin."

Am 4. April 1938 stellte Liddy Bacroff einen Antrag auf "freiwillige" Kastration, um "von meiner krankhaften Leidenschaft, die mich auf den Weg der Prostitution brachte, geheilt zu werden". Daraufhin wurde sie von einem Gerichtsmediziner des Gesundheitsamtes Hamburg untersucht. Der Arzt zog in seinem Bericht folgendes Fazit, das einem Todesurteil gleich kam: "H. ist seiner Grundeinstellung nach ein Transvestit. Beim Gesamthabitus nach ist er entsprechend feminin infantilistisch, der Stimme nach eunuchoid ... Als Urning = Strichjunge = passiver Paederast wird er sich vermutlich auch nach seiner evt. Kastration weiter betätigen, weil ihm beim Fehlen der höheren Gefühlskräfte das unmoralische seiner Handlungen, z. B. Geldverdienen durch passive Paederastie als Strichjunge nicht begreiflich gemacht werden kann. Er fühlt sich in seiner Lebenslage glücklich und denkt nicht daran, durch Arbeit seinen Lebensunterhalt auf anständige Art und Weise zu verdienen. ... Es liegt demzufolge bei ihm schon eine Dauerfixierung, d. h. das Gewohnheitsmäßige: die sexuell-kriminelle Habitualform vor. ... Die Sicherungsverwahrung ist infolge der absolut ungünstigen Prognose erforderlich. Als Persönlichkeit in der geschilderten Form ist und bleibt er zweifellos ein Sittenverderber schlimmster Art und muß deshalb aus der Volksgemeinschaft ausgeschaltet werden."

Am 22. August 1938 wurde Liddy Bacroff vom Landgericht Hamburg wegen "gewerbsmäßiger widernatürlicher Unzucht" als "gefährlicher Gewohnheitsverbrecher" zu drei Jahren Zuchthaus mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Aus dem Urteil: "Von der von dem Angeklagten selbst angeregten Kastration hat das Gericht abgesehen, ... weil ... diese Maßnahme nach dem Gutachten des Sachverständigen offenbar auch nicht geeignet ist, das Triebleben des Angeklagten entscheidend zu beeinflussen. Es besteht sogar die Gefahr, daß die Kastration dem Angeklagten sein verbrecherisches Treiben noch erleichtern würde. Es würde ihm das Verbergen seines Geschlechtsteils vor seinen Unzuchtspartnern nur noch erleichtert werden. Er selbst hat diesen Antrag auch offenbar unter diesem Gesichtspunkt gestellt. Denn fast im gleichen Atemzuge hat er dem Sachverständigen erklärt, seinen After könne man ihm ja nicht verschließen."

Nach der Gestapo- und Untersuchungshaft wurde Liddy Bacroff im Oktober 1938 in das Zuchthaus Bremen-Oslebshausen überstellt und nach Verbüßung der Strafe im Oktober 1941 in die Sicherungsanstalt in Rendsburg eingeliefert. Im November 1942 erfolgte ihre Überstellung an die Hamburger Polizeibehörde und anschließend die Verbringung in das KZ Mauthausen, wo Liddy Bacroff am 6. Januar 1943 ermordet wurde.

© Bernhard Rosenkranz/Ulf Bollmann

Quellen: Rosenkranz/Bollmann/Lorenz, Homosexuellen-Verfolgung, 2009, S. 63–65, 198.

druckansicht  / Seitenanfang