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Doppelporträt Rosalie und Georg Schmidt
Rosalie und Georg Schmidt
© Privatbesitz

Georg Schmidt * 1903

Störtebekerweg 62 (Harburg, Neugraben-Fischbek)


HIER WOHNTE
GEORG SCHMIDT
JG. 1903
IM WIDERSTAND
VERHAFTET 1934
ZUCHTHAUS CELLE
SACHSENHAUSEN
TOT AN HAFTFOLGEN
25.8.1945

Georg Schmidt, geb. am 30.7.1903 in Wulfsfelde, vom 29.8.1934 bis 18.2.1938 in Haft in den Gefängnissen Harburg und Stade, im Zuchthaus Celle und im KZ Sachsenhausen, danach unter Polizeiaufsicht, am 25.8.1945 verstorben an den Haftfolgen

Störtebeker Weg 62

Georg Schmidt zog in jungen Jahren aus seiner holsteinischen Heimat im Kreis Bad Segeberg nach Wilhelmsburg und absolvierte in einem der umliegenden Betriebe eine Lehre als Kupferschmied. Später heiratete er die ein Jahr ältere Rosalie Marzinkowski, die auf der Elbinsel ebenfalls eine zweite Heimat gefunden hatte. Sie stammte aus Chwaliszew, einem Ort, der bis zum Ende des Ersten Weltkriegs zur preußischen Provinz Posen gehörte und danach polnisch wurde. An dem neuen Zuhause fand auch ihr erster Sohn Georg schnell Gefallen. Sein Lebensweg begann am 12. Oktober 1924. Anfang der 1930er Jahre zog die junge Familie nach Neugraben, wo am 12. Juni 1933 der zweite Sohn Gustav Friedrich geboren wurde. Im Unterschied zu dem damals bereits stark städtisch geprägten Wilhelmsburg hatte dieser Ort vor 80 Jahren noch einen weitgehend dörflichen Charakter.

Georg Schmidt trat 1928 der KPD bei, einer Partei, die bei den Reichstagswahlen am 20. Mai des Jahres in der benachbarten Industriestadt Harburg-Wilhelmsburg 17,6% der Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte. In den ländlichen Regionen des Kreises Harburg, zu dem auch der Ort Neugraben-Fischbek gehörte, fiel es der KPD schwerer, größere Gruppen der Bevölkerung für ihre Ziele zu gewinnen. Die Wählerschaft dieser Dörfer und Provinzstädte war stark national-konservativ geprägt. Bereits bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 hatten 53,2% der Wählerinnen und Wähler im Kreis Harburg der NSDAP ihre Stimme gegeben, während ihr Stimmenanteil in der Großstadt Harburg-Wilhelmsburg lediglich bei 29,5% lag. Hier hatten die beiden Arbeiterparteien (SPD: 36,6%; KPD: 20,5%) theoretisch die Mehrheit, die sie aber nicht in eine gemeinsame Politik gegen den landesweiten Aufstieg der NSDAP umsetzen konnten. Dafür waren ihre programmatischen Ziele zu unterschiedlich, was sich auch in der Folgezeit nicht grundlegend änderte.

Als Reichspräsident von Hindenburg den Führer der NSDAP am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannte, versuchte die KPD-Führung, den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB), die christlichen Gewerkschaften und die SPD für die Ausrufung eines Generalstreiks zu gewinnen, was von den Betreffenden mit der Begründung abgelehnt wurde, dass die Ernennung des neuen Reichskanzlers verfassungskonform erfolgt sei und die Erfolgsaussichten einer derartigen Aktion deshalb gering seien. Von Anfang an sahen sich die Kommunisten einem massiven Terror der Nationalsozialisten ausgesetzt. Die Ermordung des Harburger Kommunisten Martin Leuschel war ein trauriger Höhepunkt; er blieb nicht der einzige blutige Zusammenstoß von Harburger Nationalsozialisten und Kommunisten. Wie andernorts häuften sich nach dem 30. Januar auch in Harburg die Überfälle lokaler SA-Trupps auf stadtbekannte Mitglieder der KPD. Ein weiterer Schlag gegen die KPD war das Demonstrationsverbot, mit dem die Partei in Preußen und in anderen Ländern des Deutschen Reiches bereits am 2. Februar 1933 belegt wurde. Die Übergriffe auf politische Gegner wurden praktisch legitimiert, als Mitglieder der SA, der SS und des Stahlhelms am 24. Februar 1933 zu Hilfspolizisten ernannt wurden. Vier Tage später erließ Reichspräsident von Hindenburg nach dem Reichstagsbrand eine "Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat", mit der die Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt wurden. Von einer ersten breit angelegten Verhaftungswelle waren vor allem viele Kommunisten betroffen. Trotz dieser massiven Behinderungen gewann die KPD bei den anschließenden Wahlen zum Reichstag, zum Hannoverschen Provinziallandtag und zum kommunalen Harburger Bürgervorsteherkollegium (Stadtparlament) noch zahlreiche Mandate, die bald darauf aber für ungültig erklärt wurden und somit nicht wahrgenommen werden konnten.

Die KPD verlagerte ihre politische Arbeit unter dem Eindruck dieser wachsenden Verfolgung immer stärker in den Untergrund, wobei sie bereits auf Erfahrungen zurückgreifen konnte, die sie vor 1933 gesammelt hatte. Auch im KPD Unterbezirk Harburg-Wilhelmsburg wurde ein illegaler Parteiapparat aufgebaut, der sich von der Bezirksleitung über mehrere Stadtteilgruppen bis hin zu vielen kleinen Betriebs- und Wohnzellen aufgliederte. Eine Zelle bestand in der Regel aus 5 Personen. Der Beitrag betrug monatlich 1,60 RM. Alle hatten an ihrem Platz die Aufgabe, Informationen zu sammeln, die Weitergabe von Flugblättern und Zeitungen zu organisieren, bedrohte Parteimitglieder vor Verhaftungen zu schützen und den Angehörigen von inhaftierten und von ermordeten Parteigenossen finanziell und moralisch beizustehen. Georg Schmidt war Mitglied einer Wohnzelle und gehörte außerdem einer Betriebszelle der R.G.O. (Revolutionäre Gewerkschaftsopposition) an.

Eine große Leistung der neuformierten KPD-Unterbezirksorganisation Harburg-Wilhelmsburg war nach dem Verbot der Parteipresse zweifellos die Herstellung und Verbreitung der illegalen "Norddeutschen Zeitung". Zur Besprechung der inhaltlichen Gestaltung traf man sich zunächst in der Wohnung der Familie Klafack in der Hohen Straße in Harburg, dann im Hinterzimmer der späteren Leihbibliothek in der Wilstorfer Straße und nach einiger Zeit wieder bei Hansine und Heinrich Klafack, die inzwischen im Störtebeker Weg 81 in Neugraben eine neue Bleibe gefunden hatten.

Die Zeitung erschien vierzehntägig mit einer Auflage von anfangs 500 und später 1000 Exemplaren. Sie kostete 10 Pfennig. Anfang 1934 wurde der Name in "Arbeiterzeitung – Einheitsorgan der revolutionären Arbeiter Harburg-Wilhelmsburgs" umgeändert. Das Blatt wurde weit über die Stadtgrenzen hinaus verbreitet. Der regelmäßige Verkauf reichte bis Lüneburg und Buxtehude.

Die Harburger Gestapo verfolgte die Verbreitung der Zeitung mit zunehmender Sorge. Im Laufe der ersten beiden größeren Verhaftungswellen des Jahres 1933 blieben ihre Bemühungen um verwertbare Hinweise auf den aktuellen Standort der Druckerei erfolglos. Am 20. Juli 1934 gelang ihr der große Schlag. Der gelernte Buchdrucker Otto Dennstedt wurde entdeckt und verhaftet. Von einem seiner Kontaktmänner erhielt die Harburger Gestapo dann die nötigen Informationen, um den gesamten Apparat des Unterbezirks Harburg-Wilhelmsburg aufzurollen. Innerhalb von vier Tagen nahm die Gestapo 25 "Funktionäre" der KPD in Harburg-Wilhelmsburg fest, und zog sie die Druckerei am Störtebeker Weg 81 aus dem Verkehr. Im August 1934 folgte eine zweite Verhaftungswelle, von der 32 weitere Personen – vorwiegend aus dem Umland – betroffen waren. Im Zuge der folgenden Ermittlungen stieg die Zahl der festgenommenen Personen auf insgesamt 138 Männer und 17 Frauen.

Zu ihnen gehörte auch Georg Schmidt. Er wurde am 29. August 1934 verhaftet. Zusammen mit 18 weiteren Angeklagten wurde er im Januar 1935 vom 3. Strafsenat des Kammergerichts Berlin beschuldigt, einer Organisation anzugehören, die sich durch die Herstellung und Verbreitung von staatsfeindlichen Schriften hochverräterisch betätige. Konkret hielt man ihm vor, einem anderen Angeklagten den Kontakt zu einem Parteifunktionär vermittelt zu haben, bei dem die "Arbeiterzeitung" zu beziehen war.

Das Gericht tagte in Stade und verurteilte Georg Schmidt zu zwei Jahren Gefängnis. Nachdem er sieben Monate Untersuchungshaft im Harburger Gefängnis (29.8.1934–21.3.1935) verbracht hatte, wurde er für sechs Wochen (21.3.1935–8.5.1935) ins Stader Gefängnis verlegt und anschließend für den Rest der Haftzeit (8.5.1935–29.8.1936) in das Zuchthaus Celle.

Als Georg Schmidt nach zwei Jahren seine Strafe verbüßt hatte, fand die Freude, mit der alle Familienmitglieder diesem Tag voller Sehnsucht entgegenfieberten, ein jähes Ende. Georg Schmidt kehrte nicht zu seiner Frau und seinen beiden Söhnen nach Neugraben zurück, sondern wurde noch am Gefängnistor von der Gestapo in Gewahrsam genommen und als "Schutzhäftling" in das KZ Sachsenhausen überführt, wo er weitere eineinhalb Jahre verbrachte. Dieses Vorgehen entsprach einer häufigen Praxis der Gestapo. Missliebige Personen, die ihre Gefängnisstrafe verbüßt hatten, verhaftete sie erneut – ohne richterlichen Beschluss – und überführte sie mit der Anordnung der "Schutzhaft" in ein Konzentrationslager. Mit der Häftlingsnummer 721 wurde Georg Schmidt als politischer Gefangener im Häftlingsblock 11 dieses Lagers registriert.

Der rege Briefwechsel zwischen Neugraben und Oranienburg war für alle Beteiligten ein kleiner Lichtblick in dieser dunklen Zeit. Einige Briefe Georg Schmidts sind erhalten geblieben. Obwohl sie der Zensur unterlagen, lassen sie seine stille Hoffnung auf ein glückliches Wiedersehen und seinen tiefen Dank für die vielen Zeichen des Trosts und der Anteilnahme der Familie an seinem Schicksal erkennen. Nach einer Haftzeit von weiteren eineinhalb Jahren wurde Georg Schmidt am 18. Februar 1938 aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen entlassen. Eine Woche später fand er eine Anstellung als Kupferschmied bei der Hamburger Firma Rudolf Otto Meyer (heute: Imtech), einem Unternehmen für den Bau komplexer Anlagensysteme.

Die Firma operierte deutschlandweit. Das führte dazu, dass Georg Schmidt oft monatelang nicht vor Ort war, weil er außerhalb Hamburgs mit dem Einbau spezieller technischer Anlagen in Gebäuden oder Schiffen befasst war. Dennoch stand er die ganze Zeit unter Polizeiaufsicht. Er musste sich auf der örtlichen Polizeiwache in Neugraben melden, wenn er zu Hause war, und ständig auf unangemeldete Besuche des Dorfpolizisten gefasst sein. Auch für Rosalie Schmidt war der Alltag als Frau eines "Zuchthäuslers" in diesem dörflichen Umfeld nicht leicht, denn die Gestapo schreckte nicht davor zurück, auch dann unangemeldet in der Wohnung aufzutauchen und nach verdächtigen Spuren zu suchen, wenn Georg Schmidt bekanntermaßen eine Zeitlang nicht zu Hause war. Bei diesen "Besuchen" stellte sie nicht selten die ganze Wohnung auf den Kopf. Auch die beiden Kinder hatten in der Nachbarschaft und in der Schule unter manch übler Nachrede zu leiden. Als Georg Schmidt jun. 1943 zur Wehrmacht eingezogen und an die Ostfront abkommandiert wurde, konnte er sich wenigstens diesem Umfeld halbwegs entziehen.

Das Kriegsende erlebte sein Vater fern der Heimat. Als er im Sommer 1945 auf vielen Umwegen nach Neugraben zurückkehrte, konnte er nur seine Frau und seinen jüngeren Sohn in die Arme schließen. Sein älterer Sohn galt seit Wochen als vermisst.

Diese Ungewissheit belastete den Neuanfang der Familie, und die Sorgen und Ängste wurden nicht kleiner, weil sich bald herausstellte, dass Georg Schmidt die gesundheitlichen Folgen seiner dreieinhalbjährigen Haft und die psychologischen Auswirkungen der folgenden Jahre unter Polizeiaufsicht keineswegs überwunden hatte. Im August 1945 erkrankte er schwer. Als er am 24. August vom Hausarzt in das allgemeine Krankenhaus St. Georg überwiesen wurde, war es bereits zu spät. Er kam nicht wieder zu Bewusstsein und verstarb am nächsten Tag. Seine Hoffnungen, Gewissheit über das Schicksal seines ältesten Sohnes zu erhalten und eines Tages gar ein Wiedersehen mit ihm zu feiern, erfüllten sich nicht. Als der Langvermisste spät aus russischer Gefangenschaft nach Neugraben zurückkehrte, konnte er nur noch das Grab seines Vaters auf dem Friedhof am Scheideholzweg aufsuchen.

Stand Dezember 2014

© Klaus Möller

Quellen: Anklageschrift J des Generalstaatsanwalts beim Berliner Kammergericht vom 7.1.1935; Gespräch mit Gustav Friedrich Schmidt am 29.1.2013; schriftliche Dokumente aus dem Nachlass Georg Schmidts; Staatsarchiv Hamburg 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 27891; die anderen. Widerstand und Verfolgung in Harburg und Wilhelmsburg, VVN-BdA Harburg (Hrsg.), Hamburg-Harburg 2005; Dirk Stegmann (Hrsg.), Der Landkreis Harburg 1918–1949. Gesellschaft und Politik in Demokratie und nationalsozialistischer Diktatur, Hamburg 1994.

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