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Brautleute Martha und Karl Jonny Hagen am 22.5.1922
Brautleute Martha und Karl Jonny Hagen am 22.5.1922
© Privat

Karl Jonny Hagen * 1902

Steintwiete Ecke Deichstraße vor LZB (früher Steintwiete 25) (Hamburg-Mitte, Hamburg-Altstadt)


HIER WOHNTE
KARL JONNY HAGEN
JG. 1902
IM WIDERSTAND / KPD
VERHAFTET 11.7.1935
ZUCHTHAUS BÖRGERMOOR
1938 ZUCHTHAUS RHEDE-BRUAL
1943 "STRAFBATAILLON 999"
SCHICKSAL UNBEKANNT

Karl Jonny Hagen, geb. am 12.7.1902 in Altona, verhaftet am 11.7.1935, eingezogen am 3.2.1943 zum Bewährungsbataillon 999, seit November 1944 in Bosnien verschollen

Steintwiete/Ecke Deichstraße (Steintwiete 25)

"Du gab’s mir ein Röschen
Du gab’s mir die Ruh‘
Du herzliebes Mädchen
Wie kamst Du dazu?
Die blutrote Rose
bedeutet Dein Herz
Das stets mich umkoste
in Freud und in Schmerz"


Der, der diese Zeilen 1936 in der Haftanstalt KOLAFU für seine Ehefrau schrieb, hieß Karl Jonny Hagen und war mein Großvater.

Mein Großvater Karl Jonny Hagen wurde am 12. Juli 1902 als achtes Kind des Gemüsewarenhändlers Johann Hinrich Hagen und dessen Ehefrau Metta Hagen, geborene Dössel, in der Kleinen Schmiedestraße 23a in Altona geboren. Nach Ende seiner Schulzeit, war er zunächst im Straßenhandel tätig und verkaufte zusammen mit seinem Vater Gemüse und Kartoffeln als fahrender Händler auf dem Fischmarkt und anderen Marktständen in Hamburg. 1926 begann er eine Lehre als Maurer und arbeitete für die Firma Wartenberg.

Am 27. Mai 1922 heiratete Karl Jonny Hagen die Kontoristin Martha Emma Kallohn (geb. 26.6.1905), die Tochter von Paul Emil Kallohn und Rosa Kallohn, geborene Wolff. Meine Großmutter wurde in der Siemensstraße 16 (jetzt Planckstraße) in Altona geboren. Ihre Mutter Rosa stammte aus einem jüdischen Elternhaus.

Als Jüdin war sie gezwungen, den Zusatznamen "Sara" anzunehmen, den sie gleich nach Ende des Zweiten Weltkriegs wieder löschen ließ. Ihr Mann, der rein "arisch" war, wurde ständig unter Druck gesetzt, sich von seiner Frau scheiden zu lassen. Das wäre für meine Urgroßmutter als Jüdin der sichere Weg für die Deportation nach Theresienstadt gewesen. Meine Großmutter Martha Hagen hat dann in Altona gewohnt und die beiden Töchter Thea (geb. 28.10.1922) und Elfriede, meine Mutter (geb. 24.06.1929) geboren.

1922 trat Karl Jonny Hagen der Hilfsorganisation Rote Hilfe bei, die in der Weimarer Republik politische Gefangene aus der kommunistischen Arbeiterbewegung und ihre Angehörigen unterstützte. 1924 trat er aus der Organisation wieder aus. 1929 schloss er sich der KPD an und wurde Parteifunktionär.1931, während seiner dreijährigen Arbeitslosigkeit, übernahm Karl Jonny Hagen die Leitung der Ortsgruppe Altona.

Die 10–20 Mitglieder trafen sich abwechselnd in ihren Wohnungen. Nach der Versammlung wurden die Wohnungen immer nur zu zweit verlassen, da die SA bereits in den Straßen patrouillierte. Martha Hagen und die anderen Frauen standen zusammen "Schmiere".

Karl Jonny Hagen wohnte zu diesem Zeitpunkt (1934) in der Kleinen Carlstraße 15 III (jetzt Zeißtwiete) in Altona und zog dann 1934 mit seiner Familie in die Steintwiete 25 I. Seine Eltern bezogen im gleichen Jahr eine Wohnung in der Deichstraße 32 II und bewohnten diese bis zu ihrem Tod (1950).

Am 11. Juli 1935 wurde Karl Jonny Hagen morgens von Gestapobeamten in der Wohnung seiner Familie in der Steintwiete 25 verhaftet. Nachbarn, die über meiner Familie wohnten, waren zur Gestapo gegangen und hatten von den regelmäßigen Sitzungen, die in der Wohnung meiner Familie stattfanden, erzählt. Bei der Verhaftung waren seine beiden Kinder, sechs und 13 Jahre alt, anwesend. Die Wohnung wurde während der Verhaftung vollkommen verwüstet, die Betten aufgeschlitzt, Geschirr aus den Schränken gerissen usw. Für seine 6-jährige Tochter Elfriede war diese Verhaftung bis zu ihrem Tod ein immer wiederkehrender Albtraum. Karl Jonny Hagen wurde ins Untersuchungsgefängnis Holstenglacis gebracht und kam bis zur Überstellung in die Emslandlager ins KOLAFU.

Dort war er schweren Misshandlungen ausgesetzt, u.a. Fußtritte, Schläge mit dem Lederriemen und über mehrere Wochen lag er, Tag und Nacht in Eisenketten gefesselt, auf dem Fußboden. Die Unterbringung im Untersuchungsgefängnis wurde den Angehörigen mit 500 Reichsmark (RM) in Rechnung gestellt. Seine Ehefrau Martha Hagen besuchte ihn dort und brachte ihm ein Paket mit Lebensmitteln. Besuche der Angehörigen waren vierteijährlich nur ein Mal für 10 Minuten gestattet. Zwischen Karl Jonny Hagen und seiner Frau saß ein SS-Mann. Da alles heimlich geschehen musste, hatte sie eine Tomate ausgehöhlt, in der sie eine Rose ins Gefängnis schmuggelte. Daraufhin schrieb er ihr das oben zitierte Gedicht. Seine Familie packte ihm alle 10 Tage ein Paket und schickte es ins Gefängnis. Auch seine Wäsche musste sie waschen und ihm wieder zuschicken. Das Geld, was seine Familie ihm ins Paket legte, hat er nicht bekommen.

Die Verhöre fanden im berüchtigten "Stadthaus" an der Stadthausbrücke statt.

Am 5. Mai 1936 verurteilten die Richter Ewald, Dietrich, Hansen, Horstkotte und Prosiegel vom Hanseatischen Oberlandesgericht Karl Jonny Hagen – wegen Vorbereitung zum Hochverrat – zu fünf Jahren Zuchthaus. Mit ihm wurden seine Freunde und Weggefährten Hermann Jünemann (geb. 5.10.1902 in Bilshausen/Kreis Duderstadt), fünf Jahre Zuchthaus, Börgermoor und Esterwegen, anschließend BB 999 und in englischer Gefangenschaft, gest. am 14.5.1986 in Hamburg), Otto Schmahl (geb.17.6.1905 in Tarnowitz/Kreis Grevesmühlen, vier Jahre Zuchthaus Esterwegen, er hat nach der Zuchthausstrafe noch in Hamburg gelebt) und Josef Wieczorek (geb.1.10.1894 in Kuznia/Polen, fünfeinhalb Jahre Zuchthaus Vechta, gest. 4.3.1977 in Hamburg) verurteilt.

Sie wurden beschuldigt, am "illegalen" Wiederaufbau des Einheitsverbandes für das Baugewerbe mitgewirkt zu haben. Dieses beinhaltete, dass sie sich regelmäßig getroffen, Beiträge kassiert und die Zeitungen "Der Bauprolet" und "Der Klassengewerkschaftler" verbreitet hatten. Der Einheitsverband trug den Charakter einer Gewerkschaft.

Die Angeklagten mussten die Kosten des Verfahrens tragen. Die bürgerlichen Ehrenrechte wurden ihnen aberkannt, welches mit einem "e" auf den Personenkarteikarten vermerkt wurde. Karl Jonny Hagen verbüßte seine Zuchthausstrafe in den "Strafgefangenenlagern" Börgermoor und Brual-Rhede bis zum 14. Juli 1940. Zusammen mit Hermann Jünemann verrichtete er dort schwere Moorarbeiten. Nachts schliefen sie auf feuchten Strohsäcken.

Börgermoor ist bekannt geworden durch das Lied der Moorsoldaten. Mein Großvater hat gern und viel gesungen. In seinen Unterlagen steht, dass er eine schöne Stimme hatte. Er spielte gern Harmonium und Mundharmonika.

Am 14. Juli 1940 kam er nach Hamburg zurück. Seine Frau Martha hatte sich 1939 von ihm scheiden lassen. Als "Halbjüdin" und Ehefrau eines verurteilten politischen Häftlings lebte sie in ständiger Angst, von den Nationalsozialisten in ein Konzentrationslager deportiert zu werden. Ihr wurden ständig die Wohnungen gekündigt, sobald bekannt wurde, dass sie jüdischer Herkunft war. Während des Krieges musste sie schätzungsweise 15 Mal umziehen. Sie ging eine Beziehung mit Walter Sierau (geb.17.9.1901) ein und erwartete von ihm ihr drittes Kind, Karl-Heinz (geb. 25.2.1939). Die Ehe wurde von den Nationalsozialisten abgelehnt, um die "Reinhaltung der Rasse" nicht zu gefährden. Walter Sierau wurde 1943 zum Wehrdienst in Ostpreußen (Königsberg) eingesetzt und geriet dann wahrscheinlich in russische Kriegsgefangenschaft. Es ist nicht bekannt, wo er begraben liegt. Martha hat die Ehe nach Beendigung des Krieges anerkennen lassen.

Meine Urgroßmutter wurde von der Gestapo regelmäßig ins "Stadthaus" an der Stadthausbrücke vorgeladen. Sie befürchtete ab 1943, nach Theresienstadt deportiert zu werden. Als ihre Tochter Martha Hagen statt ihrer zu einer dieser Vorladungen ging, kehrte sie traumatisiert zurück. Sie muss dort Schreckliches erlebt haben, wie ihre Tochter später berichtete.

Der Name meiner Urgroßmutter Rosa Kallohn stand auf der Deportationsliste 1945 für das Konzentrationslager Theresienstadt. Meine Familie hat sie die letzten Monate versteckt. Deshalb hat sie den Nationalsozialismus überlebt.

Ich vermute, dass Karl Jonny Hagen nach seiner Entlassung aus den Emslandlagern weiter im Widerstand tätig war. Leider kann ich das nicht belegen. Aber sein engster Freund Josef Wieczorek wurde erneut am 2. Oktober 1941 verhaftet und verbüßte eine erneute Haftstrafe im KOLAFU.

Am 23. Januar 1943 wurde Karl Jonny Hagen, der bisher als Wehrunwürdiger nicht zum Kriegsdienst herangezogen worden war, nach den schweren Verlusten an der Ostfront wie andere politisch Verfolgte zum "Bewährungsbataillon 999" eingezogen. Dazu wurden sie für bedingt wehrwürdig erklärt und erhielten einen "blauen" Einberufungsschein.

Die Zusammenstellung der Züge erfolgte am Truppenübungsplatz Heuberg auf der Schwäbischen Alb. Mit der 3. Abteilung kam er nach Griechenland zur Partisanenbekämpfung. In Griechenland und in anderen Ländern, wo die politisch verfolgten Häftlinge eingesetzt wurden, waren einige weiter als Widerstandskämpfer u.a. in den Organisationen "AKFD" und "Verband deutscher Antifaschisten" auf dem Peloponnes aktiv. In Griechenland nahmen die Widerstandskämpfer Kontakt zur ELAS (griechische Kommunisten) auf und setzten die Bevölkerung von geplanten Anschlägen in Kenntnis. So konnte diese sich auf die Aktionen vorbereiten und die Ortschaften rechtzeitig verlassen. Die Widerstandskämpfer versuchten die Kriegsführung zu sabotieren, indem sie z.B. Munition unbrauchbar machten.

Wurde solche Sabotage bekannt, wurden die Widerstandskämpfer von den Nationalsozialisten hingerichtet, oft durch Erschießen.

Einen letzten Brief an seine Kinder Thea und Elfriede schrieb Karl Jonny Hagen am 3. September 1944. Seine Abteilung wurde am 21. September 1944 aus Griechenland abgezogen und in Bosnien bei Partisanenkämpfen eingesetzt. Im November 1944 wurde Karl Jonny Hagen nach einer Verwundung während des Rückmarsches in Bosnien in ein Lazarett eingeliefert. Seitdem gilt er als verschollen. Seine sterblichen Überreste wurden nie gefunden. Ein Grab für meinen Großvater Karl Jonny Hagen gibt es bis heute nicht.


Stand: September 2018
© Bärbel Klein

Quellen: Hagen R 3018 / 5521 und 3018 / 6820 Berlin, PST 3 / 30 Bl. 123 Berlin; StaH 351-11, 30319 und 49345 Hagen; StaH 241-1 Justiz 2911 Hamburg Hagen; Hagen Rep. 947 Lin I Nr. 439 Esterwegen; Notgemeinschaft der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen Nr. 5383; StaH 332-4-552; 424-111-5403 Sierau; StaH 351-11, 2337 Kallohn; StaH 351-11, 49346 und 45434 Dencker; StaH 351-11, 25698 Jünemann; StaH 351-11, 29832 Schmahl; StaH 351-11, 36968 und 351-11, 36185 Wieczorek; Deportationsliste F 18 – 110 / AG Hamburg IST Bad Arolsen.

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