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Registrierkarte Halvorsen des Polizeigefängnisses Møllergata 19
© Riksarkivet Oslo

Asbjørn Halvorsen * 1898

Hallerplatz 12 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
ASBJØRN HALVORSEN
JG. 1898
RÜCKKEHR 1933 NORWEGEN
IM WIDERSTAND
VERHAFTET 5.8.1942
SS-POLIZEILAGER GRINI
DEPORTIERT 1943
NATZWEILER
BEFREIT 5.4.1945
SCHWEDISCHES ROTES KREUZ

Asbjørn Halvorsen, geb. 3.12.1898 in Sarpsborg/Norwegen, als Widerstandskämpfer inhaftiert, am 16.1.1955 an den Folgen der KZ-Haft verstorben

Hallerplatz 12

Asbjørn Halvorsen wurde am 3.12.1898 in der östlich des Oslo-Fjords gelegenen aufstrebenden Industrie- und Hafenstadt Sarpsborg als fünftes von sieben Kindern des selbständigen Bäckermeisters Christian Halvorsen und dessen Frau Jacobine Dorthea geboren. Wie schon sein älterer Bruder Mathæus verbrachte bald auch Asbjørn einen großen Teil seiner freien Zeit auf dem Fußballplatz. Sein Talent war so außergewöhnlich, dass er bereits 1914 in einigen Spielen in der ersten Mannschaft des Sarpsborg FK eingesetzt und im folgenden Jahr – mitten in der Abschlussprüfung der Mittelschule steckend – als erst 16-Jähriger in deren festen Kader berufen wurde.

Als "Mittelläufer" war er im damaligen Spielsystem Spielgestalter seiner Mannschaft und wuchs schnell zu einem ihrer überragenden Spieler. 1918 war seine Leistung mitverantwortlich für den Gewinn der ersten norwegischen Meisterschaft für seinen Klub. Bereits im selben Jahr wurde er in die Nationalmannschaft berufen und zu einem der Protagonisten des ersten "Goldenen Zeitalters" des norwegischen Fußballs, in dem nicht nur nach 10 Jahren Länderspielgeschichte endlich der erste Sieg gelang, sondern 1920 in Antwerpen auch der britischen Olympiaauswahl, die bis dahin alle ernstzunehmenden olympischen Turniere gewonnen hatte, die erste Niederlage ihrer Geschichte zugefügt wurde. Bis 1923 bestritt Halvorsen 19 Länderspiele für sein Heimatland.

Im Herbst 1921 wandte Asbjørn Halvorsen seiner norwegischen Heimat den Rücken. Mit seinen schon in der Schulzeit angeeigneten guten Deutschkenntnissen und dem inzwischen erworbenen Abschluss des Handelsgymnasiums versehen, wollte er sich in der Hamburger Sloman-Reederei in der Schifffahrtsbranche fortbilden. Fußballerische Ambitionen hatte er zunächst nicht, wurde aber dennoch bald für den HSV entdeckt und trat noch im selben Jahr in dessen Ligamannschaft ein. Als Spielmacher wurde er neben dem Mittelstürmer Otto Harder – dem späteren KZ-Wächter in Neuengamme und Lagerkommandanten des Außenlagers Hannover Ahlem – schnell zum überragenden Spieler und einer echten Persönlichkeit, die durch Sportsgeist, Fairness und Kameradschaftlichkeit beeindruckte. So hatte Asbjørn Halvorsen einen bedeutenden Anteil am Gewinn der deutschen Meisterschaften1923 und 1928. Nachdem Harder den Verein 1931 verlassen hatte, wurde Halvorsen zum Mannschaftskapitän berufen und übernahm im Frühjahr 1933 auch das Traineramt.

Mitglieder und Freunde des Vereins halfen ihm bei der Sicherung eines auskömmlichen Lebensunterhalts, indem sie ihn an einem internationalen Speditionsunternehmen beteiligten, das den Namen Halvorsen & Koch GmbH erhielt und sein Kontor zunächst am Enckeplatz 4 in der Neustadt, später in der Gr. Reichenstraße 79 und am Katharinenkirchhof 2 unterhielt. Nachdem 1924 bereits zwei der Teilhaber ausgeschieden waren, wurde Halvorsen schließlich 1929 zum alleinigen Geschäftsführer bestellt. Als private Adresse ist zunächst das in den Bombennächten des 2. Weltkriegs zerstörte Wohnhaus Kiebitzstraße 66 in Eilbek feststellbar, das auch ein Lottogeschäft seines Geschäftspartners Hans Koch beherbergte. Ab 1928 verzeichnete ihn das Hamburgische Adressbuch am Hallerplatz 12 im 3. Stock. Aus dem Mitgliederverzeichnis des HSV erfahren wir, dass er bei der Postratswitwe Paplitz zur Untermiete wohnte.

Im September 1933 beendete Asbjørn Halvorsen seine Karriere als aktiver Fußballer und kehrte nach Sarpsborg zurück, weil ihm dort eine "Lebensstellung" als Geschäftsführer der lokalen staatlichen Krankenkasse angeboten worden war. Nachdem allerdings die folgende Abstimmung des Stadtrates gegen ihn ausgefallen war, hielt er im Winter 1934 Vorträge über den deutschen Fußball und seine Zeit in Hamburg und übernahm im folgenden Sommer das Training der Ligamannschaft des Sarpsborg FK, die er bis ins Endspiel der norwegischen Meisterschaft führte. Zudem konnte ihn der norwegische Fußballverband NFF für sich gewinnen, zunächst im Ehrenamt als Mitglied des Auswahlkomitees für die Nationalmannschaft und als Platzinspektor, ab 1935 dann als bezahlten Verbandstrainer, der sowohl in Verantwortung für das Nationalteam stand als auch als reisender Instrukteur die Ausbildung von Vereinstrainern leitete.1936 übernahm er als Sekretär des NFF zusätzlich die Geschäftsführung des Verbandes und vereinigte nun eine ungeheure Machtfülle in seinen Händen, die ihm schnell die Bezeichnung als Norwegens "Fußballgeneral" eintrug, obwohl das militärische Attribut in seiner Amtsbezeichnung erst nach dem 2. Weltkrieg hinzukommen sollte. Mit seiner fachlichen Kompetenz, der Überzeugungskraft seiner Persönlichkeit und seiner Fähigkeit zur Menschenführung schuf Asbjørn Halvorsen ein Nationalteam, das 1936 bei den Olympischen Spielen in Berlin im Viertelfinale die deutsche Mannschaft unter den Augen des "Führers" furios mit 2:0 besiegte und schließlich die Bronzemedaille gewann.

Als Gegner des Nationalsozialismus war Halvorsen bis dahin nicht in Erscheinung getreten. 1947 gab er zwar in einem Zeitungsinterview an, dass er 1933 Deutschland verlassen habe, weil er unter dem Nazi-Regime nicht habe leben können, und lieber sein Unternehmen aufgelöst habe, bevor er des Landes verwiesen werde. Tatsächliche Konflikte mit den Machthabern sind allerdings nicht feststellbar. Noch bei seiner Verabschiedung vom HSV war die ungetrübte Wertschätzung, die die nationalsozialistischen Sportfunktionäre ihm entgegenbrachten, ebenso deutlich wie seine Bereitschaft, an dem vom Regime geprägten Ritual mitzuwirken. Er erhob zwar als Geehrter nicht wie seine Mitspieler den Arm zum "Deutschen Gruß", forderte aber die Anwesenden in seinem Schlusswort zum dreifachen "Hipp-Hurra auf Deutschland und den HSV" auf. Kritik an der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ist weder in seinen Vorträgen im folgenden Winter noch anlässlich der Olympia-Teilnahme von 1936 überliefert.

Erst als Norwegen am 9. April 1940 Opfer der deutschen Kriegsmaschinerie geworden war, begann der glühende Nationalist sich zu widersetzen. Konsequent wehrte er nach der Kapitulation vom 10. Juni die Forderungen der Besatzungsmacht ab, ein Länderspiel zwischen beiden Nationen zu vereinbaren, das eine Normalisierung der Beziehungen propagandistisch zur Schau stellen sollte. Im Oktober 1940 verhinderte er die Inanspruchnahme des Pokalendspiels als nationalsozialistische Propagandaveranstaltung, als er drohte, das Spiel abzusagen.

Im Sommer aber war Halvorsens Haltung noch widersprüchlich. Er entschied sich, sich zur Durchsetzung der eigenen sportpolitischen Interessen der nationalsozialistischen Machthaber zu bedienen. Als am 15. Juli bürgerlicher Sportdachverband LI und Arbeitersportverband AIF ein Vereinigungsabkommen geschlossen hatten, das die Interessen der bürgerlichen Fachverbände nur ungenügend berücksichtigte, wandte er sich an das Reichskommissariat, die Machtzentrale der Besatzer, um diese vor der "marxistischen Verseuchung" der Sportverbände zu warnen und sie aufzufordern, Rolf Hofmo, den Vorsitzenden des AIF, der seinerzeit schon intensiv einen Boykott gegen die Berliner Spiele betrieben habe, an jeder weiteren Verbandsarbeit zu hindern.

In den folgenden Wochen wandelte sich allerdings seine Haltung. Gerade Halvorsen und Hofmo schufen in weiteren Verhandlungen eine neue Grundlage für die Vereinigung. Daraufhin wurde im September eine gemeinsame "Interimsleitung" beider Dachverbände gegründet, die deren Vollzug vorbereiten sollte. Als aber die Besatzer und ihre norwegischen Kollaborateure am 22. November die bestehenden Sportorganisationen auflösten und einen nach dem Führerprinzip organisierten Dachverband schufen, ging die Interimsleitung in die Illegalität, um mit ihrer Autorität den Widerstand gegen die Nazifizierung der Sportbewegung zu organisieren.

Am 16. Dezember wurde Asbjørn Halvorsen in die Interimsleitung berufen und erwies sich schnell als einer der bedeutendsten Organisatoren der von dieser ausgerufenen Verweigerung aller sportlichen Aktivitäten, mit der das unbeugsame Bestehen auf einer demokratischen Struktur der Sportverbände demonstriert werden sollte. Innerhalb der Sportbewegung war dieser Widerstand außerordentlich erfolgreich, Sportveranstaltungen wurden von Zuschauern und Sportlern boykottiert und sabotiert, Spitzensportler verweigerten das Training, eine große Anzahl von Vereinen löste sich auf. Darüber hinaus war dies auch der erste bedeutende zivile Widerstandsakt der norwegischen Bevölkerung, der Vorbildfunktion für den "Haltungskampf" der folgenden Jahre haben sollte, in dem Menschen aus verschiedenen Bevölkerungs- und Berufsgruppen und Institutionen – Künstler, Studenten, Lehrer und Eltern der Schulkinder, kirchliche Amtsträger und viele mehr – sich der Zusammenarbeit mit dem Regime widersetzten und die Erfüllung von dessen Forderungen verweigerten.

Neben der Organisation des Sportwiderstands war Asbjørn Halvorsen auch an der Herausgabe und Verteilung illegaler Zeitungen beteiligt. Diese Tätigkeit wurde ihm zum Verhängnis. Am 5. August 1942 wurde er in seiner Wohnung verhaftet und in nächtelangen Gestapoverhören schwer gefoltert. Obwohl er keinen Kameraden des Widerstands verraten hatte, ließ man – möglicherweise nach einer Intervention aus dem Reichskommissariat zugunsten des in Deutschland noch immer populären Fußballers – nach drei Nächten ab von dem bereits am ganzen Körper blutig Geschlagenen und überführte ihn in das Polizei-Häftlingslager Grini am Rande von Oslo. Hier verbrachte er mehr als sieben Monate in Einzelhaft, bevor ihm der junge Kristian Ottosen, der spätere Historiker der norwegischen KZ-Gefangenen, als Zellengenosse zugewiesen wurde.

Als nach dem Krieg Halvorsens Peiniger zur Verantwortung gezogen wurden, musste er durch deren Aussagen für ihn Niederschmetterndes erfahren: Es soll seine Ehefrau Minna gewesen sein, die ihn bei der Gestapo denunziert hatte. Minna war Hamburgerin und Witwe eines engen Geschäftsfreundes von Asbjørn. Im Winter 1936 war sie ihm mit ihrem Sohn Felix Achim nach Oslo gefolgt. Mit der Heirat im Juni 1936 hatte sie zugleich die norwegische Staatsbürgerschaft erhalten. Die Ehe aber verlief nicht glücklich, im Frühjahr 1942 leiteten die Eheleute die Scheidung ein, die im Januar 1943 während Asbjørns Haftzeit in Grini in offensichtlich gegenseitigem Respekt vollzogen wurde. Obwohl Minna im März 1946 von dem sehr schwerwiegenden Anklagepunkt der Denunziation ihres Ehemannes freigesprochen wurde und möglicherweise die Gestapo-Büttel nicht wahrheitsgemäß ausgesagt hatten, um die moralische Verantwortung für ihre Taten von sich abzuwälzen oder ihre wahre Quelle zu schützen, kam es nie mehr zu einer Versöhnung der früheren Eheleute. Während Asbjørn im Dezember 1951 ein zweites Mal heiratete, blieb Minna für den Rest ihres Lebens isoliert in Oslo und verdiente ihren Lebensunterhalt mit schwerer Arbeit in der Küche des Pflegeheims der katholischen St. Elisabeth Schwestern.

Am 29. Juli 1943 wurde Asbjørn Halvorsen, wahrscheinlich auf persönlichen Befehl des Osloer Gestapo-Chefs Reinhard, als sogenannter NN-Gefangener aus Norwegen deportiert. Ein Führererlass vom 7. Dezember 1941 hatte bestimmt, bei "Straftaten gegen das Reich oder die Besatzungsmacht", die nicht unmittelbar mit der Todesstrafe geahndet werden konnten, Angehörige und Öffentlichkeit über das Schicksal der Delinquenten im Ungewissen zu halten. Sie sollten zum Zwecke der Abschreckung spurlos verschwinden in "Nacht und Nebel" (=NN). Das wichtigste Aufnahmelager für norwegische NN-Häftlinge war das KZ Natzweiler, das nach dem Sieg der Wehrmacht über Frankreich in mehr als 700 m Höhe auf einem Bergrücken in den Vogesen errichtet worden war.

Asbjørn Halvorsen erreichte das Lager gemeinsam mit 33 Kameraden am 6. August. Bei seiner Aufnahme konnte er keine berufliche Qualifikation angeben, die ihn für einen seine Kräfte schonenden Arbeitseinsatz tauglich gemacht hätte. Das auf seiner Häftlingskarte vermerkte Verdikt "Einsatz als Hilfsarbeiter" bedeutete für ihn die Zuteilung zur Arbeit im Steinbruch, in dem der rote Granit für die größenwahnsinnigen Bauten der zukünftigen "Reichshauptstadt Germania" gewonnen werden sollte. Es war eines der tödlichsten Arbeitskommandos des Lagers, denn hier waren die Gefangenen durch schwerste Arbeit dem besonders schnellen Raubbau ihrer Kräfte ausgesetzt. Wenn er auch über einige Wochen versteckte Vergünstigungen durch einen der Kapos erhielt, der sein einstiges Fußball-Idol wiedererkannt hatte, so war es für ihn doch eine Erleichterung, dass er im Januar 1944 zum Arbeitskommando im "Bad" versetzt wurde – in die neue Krematoriumsbaracke, die neben den Verbrennungsöfen auch die Duschräume für die neu angekommenen Gefangenen aufnahm.

Doch die Feuchtigkeit, der er im "Bad" ausgesetzt war, forderte im Verein mit der Kälte des Winters ihren Tribut: Am 21. März 1944 wurde er mit hohem Fieber und der Diagnose Gelenkrheumatismus ins Krankenrevier eingeliefert. Erst am 21. Juni wurde er gesundgeschrieben mit dem einschränkenden Vermerk "Zur leichten Arbeit im Revier entlassen". Damit hatte er zwar eine relativ geschützte Position erreicht, war aber noch keineswegs ein von der Lagerleitung anerkannter Vorzugshäftling. In einer entsprechenden Liste des Kommandanten Hartjenstein aus dem August 1944, die auch die Namen einiger Norweger enthielt, war er nicht verzeichnet.

Große Achtung genoss der in vielen Ländern bekannte Fußballstar dagegen unter seinen Mitgefangenen, darunter wichtigen Funktionshäftlingen. So konnte er sich ein Kontaktnetz aufbauen, durch das er wertvolle Informationen über die Welt außerhalb des Stacheldrahts, insbesondere die Kriegsereignisse erhielt, die er in immer optimistisch gestimmten abendlichen Vorträgen an seine norwegischen Kameraden weitergab. Schon dadurch wurde er zu einer ganz wichtigen Stütze für die Gruppe der Norweger in Natzweiler. Er konnte Einzelnen in kritischen Situationen aber gelegentlich auch persönlich helfen. Als etwa Trygve Bratteli, der Arbeiterpartei-Politiker und spätere Regierungschef Norwegens der frühen 70er-Jahre, als Folge der Arbeit im Steinbruch seinem körperlichen Zusammenbruch nahe war, erreichte Asbjørn Halvorsen für ihn die Zuweisung zu einer weniger zehrenden Arbeit.

Da die Offensive der alliierten Invasionsstreitkräfte im Sommer 1944 eine baldige Befreiung des linksrheinisch gelegenen Stammlagers Natzweiler erwarten ließ, erging am 1. September der Evakuierungsbefehl durch die SS-Führung. Während die große Mehrzahl der Gefangenen ins KZ Dachau überstellt wurde, verblieb Asbjørn Halvorsen mit zwei Ärzten, dem Norweger Leif Poulsson und dem Belgier Georges Boogaerts, sowie fünf weiteren im Krankenrevier beschäftigten Häftlingen im Natzweiler-Komplex. Sie wurden am 20. September dem Nebenlager Neckarelz in Nordbaden zugewiesen, um dort und in den übrigen Neckarlagern die medizinische Versorgung zu unterstützen. Wir wissen nicht, welche Tätigkeit Asbjørn Halvorsen in Neckarelz genau ausführte. Seiner eigenen Schilderung zufolge war er aber über zweieinhalb Monate selbst Patient im Revier, da er sich eine beidseitige Lungenentzündung zugezogen hatte.

Anfang 1945 wurden Halvorsen und Leif Poulsson in das 30 km nordwestlich von Stuttgart gelegene KZ Vaihingen überstellt, wo sie am 5. Januar eintrafen. Georges Boogaerts folgte ihnen wenige Tage später. Vaihingen war als "Kranken- und Erholungslager" ausersehen, in dem die arbeitsunfähigen Häftlinge im Natzweiler-Komplex konzentriert werden sollten, um sie für eine spätere erneute Verwendung zur Arbeit tauglich zu machen. Tatsächlich war es aber aufgrund völlig unzureichender baulicher und hygienischer Zustände und einem gravierenden Mangel in der Grundversorgung der Häftlinge zu einem reinen Sterbelager geworden. Leif Poulsson als leitender Häftlingsarzt und Asbjørn Halvorsen als Revierältester sollten im Auftrag der SS-Kommandantur des KZ Natzweiler eine Besserung der Verhältnisse herbeiführen. Sie scheiterten jedoch an den kriminellen Strukturen, die korrupte SS-Chargen und eine Clique von Funktionshäftlingen in Vaihingen errichtet hatten. Da Asbjørn Halvorsen sich weigerte, seine Autorität durch Einsatz von Gewalt durchzusetzen, wurde er vom SS-Lagerarzt schon bald nach seiner Ankunft von seiner Funktion entbunden und zum Revierschreiber degradiert.

Das Sterben im KZ Vaihingen erreichte einen entsetzlichen Höhepunkt, als durch einen Häftlingstransport Mitte Februar das Fleckfieber in das Lager eingeschleppt wurde. Fast die Hälfte aller Gefangenen fiel ihm bis zur Befreiung zum Opfer. Spät noch – am 20. März – ergriff die Seuche auch Asbjørn Halvorsen. Er überstand die Fieberkrise mit äußerster Not, abgemagert auf ein Gewicht von nur noch 48 kg und mit schwer geschädigtem Herz. Als die noch lebenden 16 Norweger am Morgen des 5. April durch einen Weißen Bus des schwedischen Roten Kreuzes aus dem Inferno gerettet und in den folgenden zwei Tagen ins KZ Neuengamme überführt wurden, war er kaum transportfähig.

Die Rot-Kreuz-Ärzte beschlossen, dass die Vaihinger Gefangenen wegen ihres erbärmlichen Zustandes als erste Häftlinge bereits am 9. April in die Freiheit nach Schweden weiterreisen durften, um sich dort zu erholen. Ausgenommen davon war Asbjørn Halvorsen, der so geschwächt war, dass man seinen Transport nicht verantworten wollte. Erst am 12. April wagte man, ihn im Weißen Bus nach Helsingborg zu bringen. Nach seiner Ankunft zwei Tage später wurde er dort zunächst in das Seuchenhospital aufgenommen und nach einiger Zeit in das Sanatorium Ramlösa verlegt. Hier erholte er sich zusehends und konnte am Abend des 7. Mai – in der Hochstimmung, die die Nachricht von der deutschen Kapitulation und dem für den Abend des folgenden Tages vereinbarten Waffenstillstand ausgelöst hatte – nach Stockholm aufbrechen, wo er bis zu seiner vollständigen Genesung Gast des schwedischen Fußballverbandes bleiben sollte. Indes war seine Ungeduld, nach fast drei langen Jahren endlich in Freiheit die Heimat wiederzusehen, so groß, dass er entgegen aller ärztlichen Ratschläge bereits am Morgen des 30. Mai die Heimreise nach Oslo antrat, wo er in der Mittagszeit am Ostbahnhof von einer kleinen Gruppe von Freunden freudig begrüßt wurde.

Es war auch das Verlangen, endlich wieder an die Arbeit zu gehen für den Fußball, das Asbjørn Halvorsen so früh nach Hause trieb. Es warteten bedeutende Aufgaben auf ihn: Die in der Okkupationszeit zerstörte Infrastruktur des Fußballs musste wieder aufgebaut, der nazistische Sportverband abgewickelt und die 1940 begonnene demokratische Vereinigung der Dachverbände vollendet werden. Zudem hungerten Tausende von Fußballern nach den Jahren des Sportboykotts danach, sich wieder sportlich zu messen. So organisierte Halvorsen noch im Sommer einen "Befreiungspokal", zu dem auch die Zuschauer in nie gekannten Massen strömten. Erste Länderspiele gegen die skandinavischen Nachbarn zeigten aber, dass der norwegische Fußball nach den Jahren der selbstgewählten Passivität leistungsmäßig am Boden lag, so dass zusätzlich Maßnahmen ergriffen werden mussten, dessen Niveau wieder zu heben. Neben diesen Aufgaben übernahm Halvorsen im Sommer für eine Übergangszeit noch das Amt des Generalsekretärs für die wieder legal arbeitende Interimsleitung der Dachverbände.

Im Juni 1945 schloss sich Asbjørn Halvorsen dem Gründungsaufruf der "Norwegisch-sowjetrussischen Verbindung" (Norsk-Sovjetrussisk Samband) an, die sich in Dankbarkeit für den Kriegseinsatz der Roten Armee, die im Herbst 1944 auch Teile der norwegischen Finnmark befreit hatte, für die Stärkung von Freundschaft und kulturellem Austausch zwischen den beiden Völkern einsetzte. Dies wirft ein Licht auf die Veränderung seines politischen Standpunkts seit dem Sommer 1940. Bereits in den Verhandlungen mit Rolf Hofmo und der Zusammenarbeit mit den Vertretern des AIF in der illegalen Interimsleitung der Dachverbände hatten die Beteiligten gegenseitiges Vertrauen und Respekt für abweichende Überzeugungen der anderen aufgebaut, zumal sie nun vereint waren im Streben nach Wiederherstellung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in einem freien Norwegen. Im Überlebenskampf im Lager schließlich hatte auch für Asbjørn Halvorsen jeder ideologische Streit sein Recht verloren. So konnte er den Sozialisten Trygve Bratteli in Vaihingen veranlassen, vor den norwegischen Gefangenen eine Reihe von Vorträgen über die Zukunft des Landes nach dem Krieg zu halten, damit durch den Blick nach vorn auf die nahe Zeit der wiedererlangten Freiheit der verbliebene Rest ihres Lebenswillens mobilisiert werde. Eine persönliche Freundschaft, die die Zeit der Gefangenschaft überdauerte, schlossen Asbjørn Halvorsen und der Kommunist Léon Thurm, ein Vorstandsmitglied des Luxemburger Fußballverbandes, der mit zwei weiteren Kollegen der Verbandsleitung in Natzweiler inhaftiert war. Man versprach sich, nach dem Krieg endlich das erste Länderspiel zwischen den beiden Nationen zu organisieren. Als der erste Nachkriegskongress der FIFA im Juli 1946 in Luxemburg tagte, war die Gelegenheit gekommen. Das Spiel – "geboren im Leid, aus der Taufe gehoben in überschäumender Freude" – wurde nicht nur ein würdiger Abschluss des Kongresses, sondern für die Lagerkameraden auch ein ganz persönliches "Freudenfest in der wiedergefundenen Freiheit".

Die Nachkriegszeit war in Norwegen gekennzeichnet durch einen Willen zur "großen Versöhnung" von Bürgertum und Arbeiterbewegung, der über ein unbestimmtes Gefühl nationaler Zusammengehörigkeit hinausging. Die Widerstandskämpfer der Heimatfront und die aus Gefangenschaft, Exil und Kriegseinsatz Heimgekehrten einte der Gedanke, dass man nicht "Schulter an Schulter gekämpft" habe, um zu den Verhältnissen der Vorkriegszeit zurückzukehren, "zu ungehemmter freier Konkurrenz, zu Krisen und sozialer Not". Ein neuer nationaler Konsens bildete sich unter Führung der Arbeiterpartei: "Die Vision war ein geeintes Volk und eine bessere Gesellschaft – der neue Wohlfahrtsstaat." Dessen tragende Ideen von Solidarität, Gerechtigkeit und ökonomischer Sicherheit verwirklichte Asbjørn Halvorsen in der "Fußballgesellschaft" in einer Ligareform, die die Durchlässigkeit zwischen den Spielklassen erhöhte und mit ihrer Abgabeordnung die reichen Traditionsvereine ein Stück weit stärker zur Finanzierung der kleinen Klubs heranzog. Ihre Durchsetzung gegen alle Partialinteressen, die sich dem Zeitgeist entgegenstellten, galt vielen seiner Zeitgenossen als sein größtes Werk für die Zukunft des norwegischen Fußballs.

In den Jahren nach dem Weltkrieg übernahm Asbjørn Halvorsen für den Fußballverband eine Reihe weiterer Aufgaben. Er war als Leitungsmitglied beteiligt an Gründung und Aufbau einer staatlichen Toto-Gesellschaft, die die Finanzierung des norwegischen Sports in einem beträchtlichen Umfang sichern sollte, und wurde vom NFF in das norwegische Olympische Komitee delegiert. Hier setzte er sich im September 1951 mit seiner persönlichen Autorität als ehemaliger KZ-Häftling gegen heftigen Widerstand erfolgreich ein für die Einladung westdeutscher Athleten zu den Olympischen Winterspielen, die im kommenden Februar in Oslo stattfinden sollten. Er wollte einen Neuanfang im Interesse einer Jugend, die nicht mehr verantwortlich war für die Schrecken der Naziherrschaft. Noch im selben Jahr sprach er sich für die baldige Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen beiden Staaten im Fußball auf und traf mit dem früheren "Reichstrainer" Herberger und Generalsekretär Xandry führende nationalsozialistisch belastete Funktionäre des DFB, um das Verhältnis zu normalisieren.

Erst deutlich später nahm er seine Beziehungen zu den alten Freunden beim HSV wieder auf. Womöglich hatte er darauf gewartet, dass die Kameraden ihrerseits die Initiative ergriffen, dass er ein Signal erhielte, das Interesse an seinem Schicksal verriet, Versäumnisse oder Irrtümer eingestand. Ganz offenbar geschah das nicht. In der Mitgliedschaft des HSV herrschte kein anderer Geist als unter der großen Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung. Anstelle des Versuchs, sich Rechenschaft abzulegen über Ursachen, Bedingungen und Ausmaß der Beteiligung am nationalsozialistischen Unrecht, und die eigene Schuld daran aufzuarbeiten, wählte sie den Weg der fortgesetzten Verdrängung und Verleugnung. Man empfand sich selbst als Opfer von Diktatur und Krieg, für die man keine Verantwortung trug. In diesem Selbstbild der einstigen Täter und Mitläufer hatte Interesse und Mitgefühl für die Überlebenden der Verbrechen keinen Platz.

1953 aber führte das Los Norwegen und Deutschland in der Qualifikation für die Fußball-Weltmeisterschaft 1954 zusammen. Das Rückspiel wurde vom DFB in das neue Hamburger Volksparkstadion vergeben. Asbjørn Halvorsen wird sich bewusst gewesen sein, dass der Bruch wohl endgültig wäre, wenn diese Gelegenheit nicht genützt würde, um wieder aufeinander zuzugehen. Die Erinnerung an die schönsten Jahre seines aktiven Fußballer-Lebens hätte er dann nicht mehr leben können im stimmungsvollen Austausch mit denen, die mit ihm dabei gewesen waren, an den Stätten, die die alten Emotionen wachriefen. Es würde für immer ein dunkler Schatten liegen auf den Bildern der großen Kämpfe und Siege. Asbjørn Halvorsen meinte genau dies, als er bekannte: "Trotz allem, was später gewesen ist, ich möchte die Hamburger Jahre und die Spiele im HSV und gegen die vielen deutschen Vereine nicht in meinem Leben streichen." So wandte er sich den alten Freunden wieder zu, traf sie noch einige Male wieder in den letzten beiden Jahren seines Lebens. Um den Verlust eines so bedeutenden Abschnitts des eigenen Lebens abzuwenden, war er bereit den zur Einsicht Unwilligen das Vergangene nicht mehr anzurechnen, ihnen das Geschehene zu vergessen – in einem Wortsinn, der dem des Vergebens nahekommt.

Es scheint, dass Asbjørn Halvorsen – ebenso wie viele andere ehemalige Gefangene – mit aller Konsequenz auch versucht hat, seine Erinnerung an die Schrecken des KZs zu löschen, also zu vergessen in dieser gewohnten Bedeutung des Wortes. Um überhaupt weiterleben zu können, musste er den Schatten des Grauens des KZs, der fortwährenden inneren Gegenwart von Gewalt und Tod, von äußerster Erniedrigung und Entwürdigung entkommen. Seine Schilderungen und Aussagen über das Leben und Sterben im Lager erschienen in den ersten Nachkriegsmonaten nüchtern und leidenschaftslos referierend, gaben kaum etwas von seinen Empfindungen preis. In der Folgezeit wurden sie seltener, der Familie und Freunden gegenüber schwieg er, in richterlichen Zeugenvernehmungen verweigerte er sich konkreten Angaben.

Doch zuletzt war es nicht die seelische, sondern die körperliche Schädigung durch das KZ, die zu seinem frühen Tod führte. Am 16. Januar 1955 fand man den erst 56jährigen leblos in seinem Hotelzimmer in Narvik. Während einer Dienstreise für den Fußballverband hatte sein Herz aufgehört zu schlagen. Mit ihm verlor der Fußball früh eine Persönlichkeit, deren Größe weit über den inneren Wirkungskreis des norwegischen Verbandes hinausragte, vielmehr eine vorbildhafte Bedeutung bezog aus ihrer glaubwürdigen und konsequenten Wahrnehmung der gesellschaftlichen Verantwortung des Sports, aus ihrer unverbrüchlichen Menschlichkeit in einer Zeit der Bedrohung und Vernichtung aller humanen Werte.

Stand: Januar 2020
© Jürgen Kowalewski

Literatur: Kowalewski, Jürgen, Asbjørn Halvorsen – Fußballstar, Widerstandskämpfer und NS-Opfer. In: Verband Odenwälder Museen e.V. (Hg.), Vergessene und verdrängte Geschichte(n). Kolloquium anlässlich des Internationalen Museumstages am 21. Mai 2017 in der Gedenkstätte Neckarelz, S.32 - 61. Osterburken 2019; Asbjørn Halvorsen. In: Die Raute unter dem Hakenkreuz (Arbeitstitel). Das Buch erscheint im Herbst 2020 im Verlag "Die Werkstatt" in Göttingen.

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