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Stolpertonstein

Erzähler: Thomas Karallus
Sprecher/in: Daniela Sting & Michael Latz
Biografie: Ulf Bollmann

August Haucke * 1890

Hansaplatz 13 (Hamburg-Mitte, St. Georg)


HIER WOHNTE
AUGUST HAUCKE
JG. 1890
VERHAFTET 1935
NEUENGAMME
KASTRIERT
TOT 3.5.1945

Otto August Kurt Haucke, geb. 19.12.1890, inhaftiert 1941, 1942, gestorben vermutlich 3.5.1945 Cap Arcona

Hansaplatz 13

Durch eine Denunziation des 15-jährigen Jürgen F., der sich für die Kriminalpolizei als Lockspitzel betätigte, war das Schicksal des aus Schraplau/Mansfelder Seekreis, heute Sachsen-Anhalt, stammenden August Haucke besiegelt – er sollte nie wieder in Freiheit gelangen.

August Haucke besuchte nach Abschluss der Volksschule für drei Jahre die Präparandenan-stalt (früher Unterstufe der Lehrerbildungsanstalt) in Eisleben und anschließend für drei Jahre das Lehrerseminar in Mühlhausen/Thüringen. Seit 1914 arbeitete er bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs als Volksschullehrer in Mühlhausen/Thüringen. Während des Krieges wurde er zweimal verwundet, nahm an der Schlacht um Verdun teil und geriet 1917 in französische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst 1921 entlassen wurde. Bis 1931 übte er erneut den Beruf des Volksschullehrers aus. 1932 erfolgte seine Pensionierung wegen eines Herzleidens. Fortan lebte er von monatlich 190 RM Pension. Zudem trat er bis 1936 als Sänger bei Singspielen und Konzerten auf. 1938/39 half er seinem Schwager in dessen Malergeschäft.

Erstmals musste sich August Haucke am 29. Januar 1935 vor einem Gericht wegen homosexueller Handlungen verantworten. Das Amtsgericht Erfurt verhängte neun Monate Gefängnis wegen "widernatürlicher Unzucht" nach § 175 RStGB. Am 21. Juli 1936 wurde er von demselben Gericht abermals wegen dieses Delikts verurteilt. Diesmal war das Strafmaß mit einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis doppelt so hoch. Am 21. November 1937 hatte Haucke die Strafe in Mühlhausen verbüßt.

Gut dreizehn Monate später, am 28. Dezember 1941, sprach er den Maschinenbaulehrling F. am Steindamm an und verabredete sich mit ihm für den 2. Januar 1941 Steindamm/Ecke Lindenstrasse. Haucke hatte das Alter von F. auf ca. 19 Jahre geschätzt. F.: "Ich hatte gleich das Empfinden, dass ich es mit einem Homosexuellen zu tun hatte … von diesem Vorfall machte ich am 31.12.40 dem 47. K. K. Mitteilung. Dort wurde mir gesagt, dass ich die Verabredung einhalten und sofort einen Pol. Beamten rufen sollte, wenn der Mann irgendwie aufdringlich würde. Meiner Mutter habe ich den Vorfall auch erzählt."

Nachdem sich die beiden getroffen hatten, besuchten sie einige Lokale in St. Georg und gingen in Hauckes Wohnung, wo es zur Anbahnung eines Sexualkontaktes kam. Daraufhin wollte F. August Haucke zum Polizeirevier bringen und bedrohte ihm mit einem "Totschläger". Haucke gelang die Flucht über einen Hinterhof.

Nach dem ersten Verhör im Stadthaus wurde August Haucke festgenommen und bis zum 17. Januar 1941 im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert. Im Laufe der Ermittlungen befragte die Kriminalpolizei auch seine Schwester Gertrud Stange, die in ihrem Schreiben an die Ermittlungshilfe der Strafrechtspflege um Verständnis für ihren Bruder warb. Hier ein Auszug aus dem Polizeibericht vom 7. Februar 1941:

"Bei einem kurzen Besuch m/Mannes in jener Zeit gestand m/Bruder seine Veranlagung. Erst nach Abbüssen der Strafhaft habe ich dann m/Bruder wiedergesehen. Nunmehr die verdeckende Maske abgerissen, konnte ich das tiefe Elend sehen, das m/Bruder bedrückte. Er hatte von jeher Sinn für Familienleben u. Familienglück, und konnte es durch diese Veranlagung nicht schaffen, weil er, wie er meinte, damit eine Frau in die Tragik eines solchen Lebens mit hineinziehen würde. Mein Bruder hat dann bei Besuchen, hauptsächlich nach der ersten Strafhaft, öfter mit m/Mann über diese Dinge in wissenschaftlicher Hinsicht gesprochen. Und es hat sich oft der Gedanke durchgedrückt, dass der Mediziner nötiger wäre, wie der Jurist. Ich weiss, wie man allgemein über die Leute urteilt, u. habe früher über solche Dinge, da sie mir fremd waren, nicht nachgedacht. Seitdem ich aber dieses Leiden in so naher verwandtschaftlicher Beziehung kennenlernte, überwiegt das Mitleid. Ich sehe ja m/Bruder anders, ich sehe ihn gewissermassen schwach, schnell Zuneigung fassend, harmlos, naiv, und das sind Dinge, die ihn mir jetzt umso bemitleidenswürdiger machen, da ich weiss, dass sich an solche Menschen immer wieder Erpresser aller Art heranmachen. Er ist ja eine sehr naive Natur, dass er nie in einem Menschen Schlechtigkeit sehen kann, er vertraut allen, blind gemacht, durch die widernatürliche Veranlagung, und nicht auf der Hut, wie der normale Mann, der sich ohne weiteres durch die im Unterbewusstsein ruhenden, tierischen Instinkte wehren würde, d. h. ich weiss nicht, wie weit m/Bruder der Verführte ist. Aber auch anders gesehen, soweit er als der aktive Teil anzusehen ist, ist es eben wieder die Anhäufung aller nicht männlichen Charaktereigenschaften, die den Menschen nicht die Fähigkeiten geben, das Unnatürliche von sich zu stossen. Es ist wohl für einen normal veranlagten Menschen sehr schwer Verstehen zu finden, denn es liegt auf einer anderen Ebene. Ins Verbrecherische wird es erst durch alle begleitenden Umstände hineingezogen."

Am 11. Juni 1941 wurde Haucke vom Landgericht Hamburg mit 15 Monaten Gefängnis nach §§ 175 und 175 a Ziffer 3 bestraft. Aus dem Urteil: "Der Zeuge hat in der Verhandlung zugegeben, daß es ihm von vornherein darauf angekommen sei, den Angeklagten hineinzulegen." Zudem bestätigte der Richter, dass man Jürgen F. "nach seinem äußeren Eindruck für wesentlich älter halten" konnte.

August Haucke verbüßte die Haft bis zum 9. April 1942 im Strafgefängnis Fuhlsbüttel und im Gerichtsgefängnis Harburg. Das Gnadengesuch seines Rechtsanwalts blieb erfolglos. Nach der Entlassung wurde Haucke in "Schutzhaft" genommen und zunächst im Polizeigefängnis Hütten, vom 10. bis 16. April 1942 im KZ Fuhlsbüttel und anschließend wieder im Polizeigefängnis Hütten inhaftiert. Am 3. Mai 1942 stellte er von dort aus einen Antrag auf "freiwillige Entmannung". Trotzdem erfolgte im Juni 1942 sein Zugang mit dem Hinweis "B. V." ("Befristeter Vorbeugungshäftling") ins KZ Neuengamme, wo er die Häftlingsnummer 7193 bekam.

Am 2. November 1942 stimmte Senator Dr. Friedrich Ofterdinger der Kastration zu, die am 3. Dezember 1942 im Hafenkrankenhaus durch Prof. Dr. Henning Brütt durchgeführt wurde. Am 16. Dezember 1942 erfolgte Hauckes Rücktransport nach Neuengamme. Am 10. Febru­ar 1943 forderte das Gesundheitsamt Hamburg die Kommandantur des KZ Neuengamme auf, ihn zum "Gerichtsärztlichen Dienst" des Hafenkrankenhauses zur Nachuntersuchung zuzuführen.

Eine weitere Nachuntersuchung konnte im Juni 1944 nicht im Hafenkrankenhaus durchgeführt werden, da Haucke zwischenzeitlich zur Zwangsarbeit ins Außenlager Hannover-Stö­cken verlegt worden war. Stattdessen wurde er am 23. Januar 1945 vom Lagerarzt des KZ Neuengamme untersucht. Dieser stellte in seinem Befund fest: "Durch die Operation ist der erwünschte Zweck erreicht. Die Gefahr eines Rückfalls scheint nicht gegeben. Es bestehen gegen die Entlassung aus dem Konzentrationslager ärztlicherseits keine Bedenken." Da seine Effekten aus dem KZ Neuengamme beim Internationalen Such­dienst in Arolsen aufbewahrt werden, ist davon auszugehen, dass August Haucke nicht entlassen wurde. Vermutlich kam er am 3. Mai 1945 beim Untergang der Cap Arcona zu Tode. Für eine weitere Nachuntersuchung wegen der Kastration fragte die Hamburger Gesundheitsverwaltung im April 1946 beim Einwohnermeldeamt nach Hauckes Verbleib, der von der Behörde nicht ermittelt werden konnte.

© Bernhard Rosenkranz/Ulf Bollmann

Quellen: StaHH, 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 6782/41; StaHH, 352-12, Gesundheitsbehörde – Sonderakten, Ablieferung 1999/1 Haucke; StaHH, 242-1II Gefängnisverwaltung II, Ablieferungen 13 und 16; StaHH, 331-1II Polizeibehörde II, Ablieferung 15 vom 18.9.84, Band 1 und Band 2; Bundesarchiv Berlin NS 3/1755, Hollerith-Vorkarteikarte des SS-Wirtschafts-Verwaltungs-Hauptamtes Amtsgruppe D. Konzentrationslager vom Sommer bis Herbst 1944.

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