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Mathilde Hedewig, 1908
Mathilde Hedewig, 1908
© Archiv Ev. Stiftung Alsterdorf

Mathilde Caroline Hedewig * 1883

Spitalerstraße 8 (Hamburg-Mitte, Hamburg-Altstadt)


HIER WOHNTE
MATHILDE CAROLINE
HEDEWIG
JG. 1883
EINGEWIESEN 1899
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 1943
AM STEINHOF/WIEN
ERMORDET 5.10.1943

Mathilde Caroline Hedewig, geb. am 12.10.1883 in Hamburg, eingewiesen am 30.5.1900 in die damaligen Alsterdorfer Anstalten, verlegt am 16.8.1943 in die Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien, gestorben am 5.10.1943

Spitalerstraße 8 (Spitalerstraße 47)

Mathilde Hedewig war 15 Jahre alt, als sie am 4. Juli 1899 durch einen "Physikat", einen Amtsarzt der "Allgemeinen Armenanstalt", mit der Diagnose "Schwachsinn" in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) eingewiesen wurde. Nach einer kurzen Rückführung in ihre Familie, im selben Jahr, am 16. August, kam es zu einer zweiten und endgültigen Aufnahme am 30. Mai 1900. Ihr Vater war kurz zuvor am 17. Februar verstorben.

Die Eltern, der Küper (Speicherverwalter) Franz Martin Hermann Hedewig (geb. 20.11.1853) und Caroline Friedericke, geb. Brumm (geb.14.8.1858), hatten am 3. Juli 1881 in Hamburg geheiratet.

Mathilde war als zweites ihrer vier Kinder im Gängeviertel der Hamburger Altstadt in der Spitalerstraße 47, Haus 40 in der ehemaligen Steinstraßen-Passage zur Welt gekommen. Zum Zeitpunkt ihrer Geburt lebten in den ungesunden lichtarmen engen Buden- und Sahlhäusern der Passage 57 Familien. Die Wohnverhältnisse waren ärmlich und nicht selten waren die Kinder an Rachitis, Lungentuberkulose und Diphtherie erkrankt. Auch von Mathildes Geschwistern starb eines früh an Diphtherie.

Den Krankenberichten zufolge war Mathilde Hedewig gesundheitlich sehr anfällig. Zeitweise war sie auch unterernährt und musste deshalb mehrfach stationär behandelt werden. Sie litt an einer "Herzschwäche" und unter Ohnmachtsanfällen. Eine Pflegerin deutete das wie folgt: "Pat.[ient] [hat] ab und zu eigentümliche Zustände, bei denen sie sich schlapp fühlt und sich hinlegen muss, die aber nicht irgendwie auf Epilepsie verdächtigt sind. Pat.[ient] kündigt sie vorher an. Anscheinend handelt es sich um hysterische Zustände."

Die Beurteilung ihrer "Intelligenz" klang wie ein Vorwurf; "Sehr mangelhaftes Lesen, kann nicht einmal richtig ihren Namen schreiben. Rechnen kann sie gar nicht, Fertigkeiten keine."

Mathilde Hedewig wurde im Anstaltsbetrieb mit Kartoffelschälen beschäftigt und half am Morgen dem Pflegepersonal beim Versorgen und Anziehen "anderer Kinder". Sie wurde als ruhig, zufrieden und immer hilfsbereit beschrieben, aber auch, wie oft erwähnt, leicht empfindlich und sehr nervös. Mit dem Verdacht auf eine aktive Tuberkulose und in schlechtem Allgemeinzustand wurde sie Anfang 1932 auf die sogenannte TBC-Abteilung verlegt. Nach Liegekuren und einer Gewichtszunahme kam der Prozess ihrer Erkrankung zum Stillstand.

Im August 1935, zuvor schon als sehr schwächlich beschrieben, erlitt sie einen "Kollaps". Einige Wochen später wurde vermerkt: "Liegt gern in ihrem Liegestuhl oder geht spazieren, kann nicht mehr arbeiten." Sie wurde jedoch noch bis Ende 1942 mit Kartoffelschälen und kleinen Handreichungen beschäftigt.

In einer ihrer letzten Beurteilungen wurde sie nun sehr negativ, als streitsüchtig und sogar als unappetitlich bezeichnet.

Im Juli/August 1943, nach den schweren Luftangriffen auf Hamburg, wobei auch die Alsterdorfer Anstalten beschädigt wurden, nahm der damalige Leiter Pastor Friedrich Lensch mit Genehmigung der Gesundheitsbehörde die Möglichkeit wahr, arbeitsunfähige Patientinnen und Patienten in andere Einrichtungen abzutransportieren.

Zu den 228 Frauen und Mädchen, die am 16. August 1943 in die Wagner-von-Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien verlegt wurden, gehörte auch Mathilde Hedewig. Sie hatte 44 Jahre ihres Lebens in Alsterdorf verbracht.

Bei ihrer Ankunft in Wien war sie bereits so entkräftet, dass sie der pflegerischen Vernachlässigung, wie Nahrungsentzug und gezielte Unterkühlung, nicht lange standhalten konnte. Knapp zwei Monate später, am 5. Oktober 1943, verstarb Mathilde Hedewig in Wien, offiziell an einer Lungenentzündung.


Stand: September 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: StaH 332-5 Standesämter 2047 u 4321/1883; StaH 332-5 Standesämter 2628 u 751/1881; StaH 332-5 Standesämter 7932 u 445/1900; Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf, Patientenakten der Alsterdorfer Anstalten, V 320 Mathilde Hedewig; Wunder: Exodus, S. 213–219.

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