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Minna Heilbut * 1894

Deichstraße / Ecke Kajen (Hamburg-Mitte, Hamburg-Altstadt)


HIER WOHNTE
MINNA HEILBUT
JG. 1894
DEPORTIERT 1941
RIGA
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Deichstraße / Ecke Kajen:
Julie Heilbut, Rosa Heilbut

Julie Heilbut, geb. am 12.8.1934 in Hamburg, deportiert am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof
Minna Heilbut, geb. Mendel, geb. am 20.1.1894 in Hamburg, deportiert am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof
Rosa Heilbut, geb. am 12.12.1925 in Hamburg, deportiert am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof

Deichstraße 48–50 (Deichstraße 52)

Minna Heilbut war am 20. Januar 1894, als Tochter von Nathan Seligmann Mendel (geb. 17.9.1853) und Julie, geb. Leers (geb. 8.8.1860), im Herrengraben 37–39 geboren worden. Ihr Vater, Sohn des Fellhändlers Moses Mendel und Hindel, geb. Seligmann, war dort Kohlenhändler mit Grundbesitz. Ihre Mutter war die Tochter von Simon Lipmann Leers und Rosalie, geb. Breslau. Die jüdischen Familien Mendel und Leers wohnten in Altona, wo Nathan Seligmann Mendel und Julie Leers am 27. März 1885 standesamtlich geheiratet hatten.

Minna besuchte die private höhere Töchterschule, das Lyzeum des Dr. Jakob Löwenberg in der Johnsallee 33, und erhielt im Anschluss, wie alle ihre zehn Geschwister, in der väterlichen Kohlenhandlung "N.S. Mendel" eine berufliche Ausbildung. Sie wurde im Kontor als Buchhalterin tätig. Nach dem plötzlichen Tod des Vaters, am 19. Februar 1911, erwarb ihre Mutter eines der alten Speicherhäuser am Nikolaifleet und verlegte die Kohlenhandlung sowie den Wohnsitz ihrer Familie in den Cremon 24 (das Haus existiert heute nicht mehr).

Julie Mendel wurde zehn Jahre später neben ihrem Ehemann auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel in Ohlsdorf beerdigt. Sie verstarb am 8. März 1921 in einem Sanatorium in Oberneuland bei Bremen.

Die "E. H. Werner Brennstoffvertrieb GmbH" übernahmen die Kohlenhandlung im Cremon, im folgenden Jahr auch den Grundbesitz.

Im September 1922 eröffnete Minna mit ihrer jüngeren Schwester Rosa (geb.12.2.1900, gest. 22.3.1978) ein Tabak- und Zigarrengeschäft im Erdgeschoss des Hauses Heußweg 36 im Stadtteil Eimsbüttel. Ihre Brüder, Harry (geb. 20.9.1898, gest.1982) und Philipp Mendel (geb. 1.6.1895) gründeten die Firma "Gebr. Mendel", eine Kohlenhandlung im Stadtteil St.Pauli, in der Fischerstraße 40/41 (die Straße gibt es nicht mehr) und dann in der Allee 207 (heute Max-Brauer-Allee) in Altona.

Am 2. Januar 1925 heiratete Minna den kaufmännischen Angestellten Jacob Gottschalk Simon Heilbut. Der Sohn des Kaufmanns Gottschalk Heilbut (geb. 27.3.1832, gest. 22.10.1905) und dessen zweiter Frau Rosa/Rosette, geb. Polack (geb. 21.7.1855 in Papenburg), war am 24. Januar 1896 in Hamburg geboren worden, wo seine Eltern auch am 4. Juni 1895 geheiratet hatten. Sein jüngerer Bruder Iwan Heilbut (geb.15.7.1898) lebte seit 1923 in Berlin und war dort als Journalist für verschiedene Tageszeitungen tätig.

Jacob Heilbut hatte gemeinsam mit seiner verwitweten Mutter bis zu ihrem Tod am 8. August 1924 in der Heinrich-Barth-Straße 15 gewohnt. Dort zog Minna nach der Eheschließung mit ein. Am 12. Dezember 1925 kam die älteste Tochter Rosa, Rosel genannt, zur Welt.

Infolge der Wirtschaftskrise stellte Minna Heilbut 1931 ihren Betrieb im Heußweg auf Back- und Konditorwaren um. Ihre Schwester schied aus dem Unternehmen aus (sie emigrierte später im Oktober 1935 in die USA).

Das Ehepaar Heilbut eröffnete 1932 eine Filiale in der Schwenckestraße 81, Ecke Stellingerweg 20. Am 12. August 1934 wurde ihre zweite Tochter Julie geboren. Aus finanziellen und wirtschaftlichen Gründen zog das Ehepaar Heilbut aus der Heinrich-Barth-Straße in die hintere Wohnung des Kellergeschäftes der Schwenckestraße 81. Das Geschäft im Heußweg gab es auf.

Im August 1935 entfernte Jacob Heilbut ein Plakat der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) mit dem Aufruf "Deutsches Volk horcht auf", das in den frühen Morgenstunden an ihre Hauswand rechts vor dem Eingang ihres Geschäftes geklebt worden war. Die Entfernung des Plakates mit Hilfe von Wasser und einem Spachtel beobachtete und meldete der Inhaber des gegenüberliegenden Brotgeschäftes im Stellingerweg 20 dem Ortsgruppenleiter der NSDAP Eimsbüttel-Nord, der wiederum Anzeige wegen "böswilliger und vorsätzlicher Beschädigung und Entfernung amtlicher Plakate der NSDAP" bei der Gestapo erstattete.

Am 23. August 1935 wurde Jacob Heilbut unter dem Vorwurf der Sabotage verhaftet und zunächst ins Polizeigefängnis Hütten überführt. Am 10. September 1935 verurteilte ihn das Amtsgericht Hamburg wegen Sachbeschädigung zu einer sechswöchigen Gefängnisstrafe. Zum Vorwurf der Sabotage erklärte Jacob Heilbut in einem Gnadengesuch im Oktober 1935: "Ich bin nicht im Brotgeschäft meiner Frau tätig, sondern durch wirtschaftliche Lage, die das Beschäftigen einer Hilfskraft nicht gestattet, durch Hausarbeit, Kinderversorgung, Schularbeiten, Hauswäsche usw. bei einem Geschäftshaushalt mit 2 unmündigen Kindern, eines 12 Monate alt, derart belastet, dass nicht ersichtlich ist, wo es da noch einen Spielraum für Gedanken an Sabotage geben kann." Sein Gesuch wurde abgelehnt, Jacob Heilbut musste seine Haftstrafe, wenn auch unter Anrechnung seiner Untersuchungshaft, antreten. Die letzten drei Wochen verbrachte er in der Haftanstalt Glasmoor.

Aufgrund zunehmender Anfeindungen und "Hetzereien der Konkurrenz" sah sich das Ehepaar Heilbut gezwungen, das Geschäft am 1. März 1937 aufzugeben. Mit ihrer Existenz verlor es auch sein Zuhause. Sie bezogen eine kleine "Speicherwohnung" mit Notküche in der Deichstraße 52 (das Haus existiert nicht mehr, es befand sich gegenüber des heutigen Hauses 47). Zwar hatte Jacob Heilbut nach seiner Haftentlassung eine Tätigkeit als Buchhalter in der Firma Glaser & Co., Neuer Wall 10 gefunden, war aber im Februar 1937 wegen Arbeitsmangel wieder entlassen worden. Als Unterstützungsempfänger wurde Jacob Heilbut dann zu schwerer Erdarbeit herangezogen, zunächst in Waltershof auf einem Schlickfeld, später in Tiefstaak (heute Tiefstack) im Straßenbau.

Am 14. Juni 1938 wurde Jacob Heilbut erneut verhaftet. Mit ihm gerieten etwa 700 Männer in Hamburg, davon 200 jüdische, in der sogenannten Juli-Aktion in "Schutzhaft". Seine Entlassung am 4. Januar 1939 aus dem KZ Sachsenhausen erfolgte unter der Auflage, sich täglich bei der Gestapo zu melden und bis Ende März Deutschland zu verlassen.

Jacob Heilbut fand kein Land, in das er umgehend hätte einreisen können. Zwar schickte seine Schwägerin Rosa Mendel Affidavits aus Cincinnati, aber nur ihre Brüder Harry und Philipp Mendel konnten im Sommer 1939 in die USA emigrieren. Nach einer Verlängerung seiner Aufenthaltsfrist gelang es Jacob Heilbut endlich, ein Visum für England zu erhalten. Nachdem er Deutschland im April 1939 verlassen hatte, sah er seine Familie nicht wieder. Die letzte Nachricht aus Hamburg erreichte ihn 1941.

Minna Heilbut hatte nach der Verhaftung ihres Mannes einen Nervenzusammenbruch erlitten, zudem konnte sie mit ihren Töchtern in der Deichstraße nicht bleiben. Sie mussten eine Teilwohnung bei Behrend in der Bornstraße 20, einem späteren "Judenhaus" beziehen. Auch die Hoffnung, Rosa und Julie mit einem Kindertransport in Sicherheit zu bringen, scheiterte. Die ältere Rosa besuchte seit Ostern 1932 die Israelitische Töchterschule in der Carolinenstraße. Die jüdische Mädchenschule wurde im April 1939 mit der Talmud Tora Schule zusammengelegt und musste sich im Dezember 1939 in "Volks- und Höhere Schule für Juden" umbenennen. Kurz zuvor war eine Rückverlegung der gesamten Schule in die Carolinenstraße erfolgt, da der Reichsstatthalter Karl Kaufmann beschlossen hatte, das Schulgebäude am Grindelhof der Hansischen Hochschule für Lehrerbildung zur Verfügung zu stellen. Rosa wurde Ostern 1940 aus der Schule entlassen. Ihr Klassenlehrer Ernst Streim (geb. 4.7.1893) schrieb in ihr Abgangszeugnis: "R. hat die oberste Volksschulklasse mit Erfolg besucht. Die Schule entlässt sie mit den besten Wünschen für die Zukunft."

Rosa erhielt als Jüdin keine Lehrstelle mehr. Laut Eintrag auf der späteren Deportationsliste arbeitete sie als Hausangestellte. Ihre Schwester Julie wurde im August 1941 eingeschult, sie konnte die Schule nur vier Monate besuchen. Am 6. Dezember 1941 wurde Minna Heilbut mit ihren Töchtern nach Riga deportiert. Auch Rosas Lehrer Ernst Streim wurde mit seiner Frau Erna, geb. Ullmann, (geb.1.9.1901) und den beiden Kindern Mirjam (geb. 24.6.1927) und Walter (geb. 23.12.1928) mit demselben Transport deportiert (Stolpersteine in der Grindelallee 184).

Da die Erschießungsaktion der einheimischen Jüdinnen und Juden im Getto Riga, um "Platz zu schaffen", noch nicht beendet war, wurde der Zug in das sechs Kilometer entfernte Gut Jungfernhof umgeleitet. Ob Minna Heilbut mit ihren Töchtern bereits im März 1942 in der "Aktion Dünamünde" erschossen wurde oder mit den Übrigen ins Getto Riga eingewiesen wurde, ist unbekannt.

Jacob Heilbut wurde in England von 1940 bis 1945 als Deutscher auf der Isle of Man interniert. Nach dem Krieg siedelte er zu seinem Bruder Iwan Heilbut nach New York über.

Iwan Heilbut und seiner Familie war die Flucht aus Frankreich über Portugal nach New York gelungen. Der tschechoslowakische Konsul in Marseille Vladimír Vochocˇ (geb.1894, gest. 1984) hatte ihnen mit gefälschten Pässen geholfen. Der Journalist, Schriftsteller und Dichter Iwan Heilbut starb am 15. April 1972 in Bonn.

Jacob Heilbut kehrte 1952 nach Hamburg zurück. Zwei Jahre vor seinem Tod am 19. September 1979 hinterlegte er in der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel Gedenkblätter für seine Frau und seine beiden Töchter.

Minna Heilbuts Schwester Clara Nathan, geb. Mendel (geb. 9.7.1887), wurde mit ihrem Ehemann, dem Möbelhändler Julius Nathan, und Sohn Henry im Oktober 1941 ins Getto "Litzmannstadt" nach Lodz deportiert. Henry Nathan überlebte als einziger seiner Familie (s. Rosa Weinberg).

An seine Eltern erinnern demnächst Stolpersteine in der Hammerbrookstraße 22.

Auch Minnas Schwester Gertha Seligsohn (s. dort), geb. Mendel (geb. 8.10.1890), wurde mit ihrer Familie ermordet. Sie wurden ins Getto Minsk deportiert, der Neffe Hermann Seligsohn in die Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel. Dort wurde auch Minnas jüngere Schwester Bertha Mendel (geb. 6.7.1903) ermordet (s. Bertha Mendel).

Die Schwester Franziska Rüdiger, geb. Mendel (geb.18.11.1885), lebte in sogenannter Misch-ehe, sie wurde kurz vor Kriegsende am 14. Februar 1945 nach Theresienstadt deportiert und erlebte dort ihre Befreiung.

Der Bruder Wolf Mendel (geb.16.3.1892) starb bereits am 24. April 1937 in Hamburg, der ältere Moses (geb. 31.8.1888) wurde schon im Ersten Weltkrieg, am 24. April 1915, als deutscher Soldat im französischen Saint Rémy getötet.


Stand: September 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: 1; 6; 8; StaH 332-5 Standesämter 2109 u 5614/1885; StaH 332-5 Standesämter 2154 u 3347/1887; StaH 332-5 Standesämter 2180 u 4109/1888; StaH 332-5 Standesämter 2231 u 4242/1890; StaH 332-5 Standesämter 2284 u 1082/1892; StaH 332-5 Standesämter 2340 u 390/1894; StaH 332-5 Standesämter 2405 u 3462/1896; StaH 332-5 Standesämter 2461 u 3063/1898; StaH 332-5 Standesämter 13401 u 492/1900; StaH 332-5 Standesämter 7982 u 438/1905; StaH 332-5 Standesämter 719 u 1521/1915; StaH 332-5 Standesämter 884 u 317/1924; StaH 332-5 Standesämter 8798 u 1/1925; StaH 332-5 Standesämter 1070 u 1800/1937; StaH 213-11 Amtsgericht Hamburg 0124/36; StaH 351-11 AfW 39436 (Heilbut, Jacob); StaH 351-11 AfW 19009 (Heilbut, Jacob); StaH 351-11 AfW 21181 (Mendel, Harry); StaH 351-11 AfW 16954 (Mendel, Philipp); StaH 351-11 AfW 8127 (Rüdiger, Franziska); StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 3; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 5; Auskunft von Fritz Neubauer, Universität Bielefeld, E-Mail vom 16.4.2014 und 18.4.2014; Yad Vashem, Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer Minna Heilbut (Gedenkblatt); Yad Vashem, Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer Julie Heilbut (Gedenkblatt); Yad Vashem, Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer Rosa Heilbut (Gedenkblatt); http://kuenste-im-exil.de/KIE/Content/DE/Objekte/erc-heilbut-pass.html?single=1 (Zugriff 6.9.2016); Stern: Werke, S. 164; Randt: Talmud Tora Schule, S. 169.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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