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Porträt von Julius Heilbrunn
Julius Heilbrunn
© Stadtarchiv Kassel A 3.32

Julius Heilbrunn * 1906

Eppendorfer Baum 5 (Eimsbüttel, Harvestehude)

1941 Lodz
ermordet ???

Weitere Stolpersteine in Eppendorfer Baum 5:
Helene Heymann, Heyman Heymann, Lotte Heymann

Julius Heilbrunn, geb. 24.8.1906 in Abterode; KZ Sachsenhausen vom 10.11.1938–19.1.1939; am 25.10.1941 in das Getto Lodz deportiert; 28.6.1944 Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno), dort ermordet

Eppendorfer Baum 5

Julius Heilbrunn stammte aus dem hessischen Ort Abterode. Abterode liegt am Fuß des Berges "Hoher Meißner" in Nordhessen. Die Entstehung der jüdischen Gemeinde geht zurück in das 17. Jahrhundert, sie war seit dieser Zeit ein fester und anerkannter Teil des Ortes. Zeugnis davon legten der große jüdische Friedhof mit etwa 500 Grabstätten, die 1871 erbaute Synagoge und das Gebäude der ehemaligen Elementarschule ab.

Julius Heilbrunns Vater, der Buchbinder Isaak Heilbrunn, heiratete die aus dem Nachbarort Frankershausen stammende Ida Goldschmidt im Juli 1905.

Der gemeinsame Sohn Julius kam am 24.8.1906 zur Welt und blieb das einzige Kind der Familie. Von seiner Kinder- und Jugendzeit ließen sich keine Spuren mehr finden. Er trat nicht in die beruflichen Fußstapfen seines Vaters, sondern wurde kaufmännisch ausgebildet und arbeitete vorübergehend in Kassel.

In seinem Beruf konnte er in seinem Heimatort keine Anstellung finden. Seine Eltern, mittlerweile selbst unterstützungsbedürftige Kleinrentner, konnten ihm finanziell nicht helfen. So war er gezwungen, in seiner Heimatgemeinde Unterstützung zu beantragen, die ihm auch bis zu seinem Weggang aus Abterode am 22. Juli 1933 gewährt wurde. Vermutlich sah Julius Heilbrunn im Fortzug aus seiner Heimat eine bessere Chance auf eine Anstellung und so hielt er sich ab dem 23.Juli 1933 in Altona, Friedensstraße 18, wie es später hieß, "zu Besuch" auf.

Am 2. August 1933 endete der Besuch aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen im Gerichtsgefängnis Altona. Von dort aus wurde er in das Gefängnis nach Kassel überführt und am 9. September 1933 wieder entlassen. Weitere Recherchen zu dem Gefängnisaufenthalt sind wegen der durch Kriegseinwirkung zerstörten Unterlagen der Kasseler Justiz nicht mehr möglich. Nach einem kurzen Aufenthalt in seinem Heimatort fuhr Julius Heilbrunn nach Hamburg und wohnte ab Oktober 1933 in der Meissnerstraße 5 bei der Witwe Schwab.
Ab Juli 1934 fand er eine Erwerbsmöglichkeit als Kontorist und Kontorbote bei der Transithandelsfirma J. Jacobi & Co Neuer Wall 10. Diese jüdische Firma erhielt im Zuge der "Arisierung" der Hamburger Geschäfte und Betriebe ab Mitte 1938 einen Bücherrevisor als Treuhänder. Dieser liquidierte den Betrieb und überließ die Konkursmasse einem "arischen" Kaufmann. Julius Heilbrunn verlor dadurch seine Arbeitsstelle zum Ende Mai 1938. In "arisierten" Betrieben wurden keine jüdischen Beschäftigte mehr geduldet.

Nun war er erneut gezwungen, Arbeitslosengeld zu beantragen. Unterstützungsempfänger leisteten für die gewährte Hilfe unentgeltliche Arbeit. Oftmals wurden sie zu ungewohnter schwerer Arbeit herangezogen (z. B. im Straßenbau), bei der sie sich körperliche Schäden zuzogen, zumal wenn sie bereits älter waren.

Julius Heilbrunn leistete seine "Unterstützung" ab Anfang Oktober 1938 bei einer Baustelle in Hoisbüttel (Amtsbezirk Ahrensburg) an fünf Tagen in der Woche. Bei diesen Arbeitseinsätzen handelte es sich um geschlossene Einsätze "bei denen die Juden mit anderen Volksgenossen nicht in Berührung kommen", so die Vorgabe des "Präsidenten der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitsversicherung".

Am 9. November 1938 kam es zu pogromartigen Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung und jüdische Einrichtungen, die sich, von München aus organisiert, als "spontaner Volkszorn" nach dem Tod des von dem 17-jährigen Juden Herschel Grynspan in Paris erschossenen deutschen Diplomaten vom Rath über ganz Deutschland entluden. Reichsweit wurden ca. 30.000 jüdische Männer verhaftet und in den Konzentrationslagern Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen interniert. Ziel war, durch die Demütigung und Einschüchterung der jüdischen Bevölkerung ihre Auswanderung aus Deutschland zu bewirken.

Julius Heilbrunn wurde im Rahmen dieser Aktion am 11. November 1938, einen Tag nach den Ausschreitungen in Hamburg, verhaftet, in das Gefängnis Fuhlsbüttel gebracht und von dort in das KZ Sachsenhausen verschleppt.

Die Gefangenen wurden dort gedemütigt, geschlagen und anderen Schikanen ausgesetzt. Solchen Misshandlungen war Julius Heilbrunn bis zu seiner Entlassung am 18. Januar 1939 ausgesetzt. Die Freigelassenen durften nicht über ihre Erlebnisse sprechen, dazu wurden sie per Unterschrift verpflichtet. Einen Eindruck des Erlebten gibt das Foto von Julius Heilbrunn in seiner vom März 1939 datierten Kennkarte.
Seine bisherige Wirtsfamilie Goldberg, Rutschbahn 4, bei der er seit Mai 1937 wohnte, wurde Ende Oktober 1938 im Rahmen der "Polenaktion" abgeschoben. Julius Heilbrunn fand nach seiner Entlassung aus dem KZ Sachsenhausen eine neue Unterkunft in der Grindelallee 54 bei Cohn. In den folgenden Jahren war er "unständig" beschäftigt, wie auf seiner Kultussteuerkarte zu lesen ist.

Aus dem Gedenkbuch des Bundesarchivs und der Deportationsliste wissen wir, dass Julius Heilbrunn am 25. Oktober 1941 in das Getto Lodz deportiert wurde. Seine letzte Hamburger Adresse lautete Eppendorfer Baum 5, bei Familie Heymann.

Irritierend ist der Hinweis auf eine "Freiwillige Ausreise".

Julius Heilbrunns "neue Wirklichkeit" war nun das Getto Lodz, Hohensteiner Straße 53, Wohnung 23. Innerhalb des Gettos arbeitete er ab dem 26. November 1941 in der Getto-Versorgung als Schlossergehilfe in der Kolonialwaren- und Brotabteilung.

Bereits nach sechs Monaten, im Mai 1942, erhielt er eine "Ausreise-Aufforderung". Dieses bedeutete nichts anderes als die Weiterdeportation in das Vernichtungslager Chelmno, eine Todesstätte, bestehend aus Gaswagen und einigen Gebäuden. Zwischen Dezember 1941 und März 1943 und nochmals im Sommer 1944 wurden über 150.000 Menschen durch Autoabgase ermordet und in einem angrenzenden Wald in Massengräbern vergraben.

Um dieser "Ausreise-Aufforderung" zu entgehen wandte sich Julius Heilbrunn mit einem schriftlichen Gesuch an das "Amt für Eingesiedelte", Abteilung Ausreise, einen Bereich der Getto-Verwaltung. Er schilderte seine Tätigkeit im Getto und bat um Verschonung für sich und seine Frau Edith Heilbrunn, geb. Gerson und für seine Schwiegereltern Samuel und Johanna Gerson, die alle zusammen mit ihm an gleicher Adresse wohnten.

Er schilderte, wie nützlich alle Familienmitglieder waren, so arbeitete Johanna Gerson als Kürschnerin und Edith Heilbrunn als Schwesternpraktikantin im Krankenhaus VI, einem Kinderspital. Dieser Brief liefert auch eine mögliche Erklärung für Julius´ "freiwillige Ausreise": Er wollte anscheinend seine Familie nicht allein in das Getto Lodz gehen lassen.

Der Kultussteuerkarte nach war er ledig, was auch seine jeweilige Wohnsituation als Untermieter vermuten lässt. Anscheinend hatten sich Julius und Edith in Hamburg kennengelernt. Ob eine Trauung in Hamburg kurz vor der Deportation stattfand, war nicht in Erfahrung zu bringen. Im Getto Lodz konnten Ehen nach rituellem Zeremoniell geschlossen werden, ohne standesamtliche Gültigkeit. Auch für dieses Ritual hat sich kein Beleg gefunden. Julius Heilbrunn gab Edith Gerson bei der Ankunft im Getto Lodz als seine Ehefrau angegeben. Vermutlich konnte er so erreichen, dass sie als Familie in einer Wohnung zusammen bleiben konnten.

Edith Gersons Familie hatte aus insgesamt fünf Personen bestanden. Der Vater Samuel, Jahrgang 1881, hatte ursprünglich das Bäckerhandwerkerlernt. Er wechselte seine Tätigkeit, wurde Kaufmann, und eröffnete im Jahr 1911 ein Geschäft für Haus-und Küchengeräte in der Eimsbütteler Chaussee. Dieses Geschäft schloss 1936. In Folge der nationalsozialistischen Repressionen ging es in Konkurs. Samuel erkrankte so schwer an Asthma, dass sein Gesundheitszustand eine weitere Erwerbstätigkeit nicht zuließ. Seine Ehefrau Johanna, Jahrgang 1888, Tochter eines Kürschners, hatte Nähen gelernt. Sie erhielt Ende 1938 eine Berufserlaubnis und konnte mit Näharbeiten zum Lebensunterhalt beitragen.
Der Sohn Robert ergriff den ursprünglichen Beruf des Vaters und arbeitete in der Bäckerei Wolff, Rappstraße 7. Das Geschäft schloss Ende 1938, was für ihn den Verlust des Arbeitsplatzes bedeutete.
Sein Bruder Theodor war im Bekleidungshaus Hirschfeld (durch "Arisierung" Modehaus "Fahning") am Neuen Wall beschäftigt. Durch seinen Verdienst konnte er die Eltern unterstützen.
Beide Brüder entschlossen sich zur Ausreise nach Shanghai. Im März 1939 reisten sie per Zug zur norditalienischen Stadt Triest und von dort weiter mit dem Schiff nach Shanghai. Später fanden sie in den USA eine neue Heimat.
Samuel Gerson begleitete seine Söhne zum Altonaer Bahnhof. Zum Abschied sagte er ihnen noch: " Ich weiß gar nicht, das (warum) Ihr Jungs wegfahren wollt. Das wird doch alles vorbei sein in ein paar Monaten. Das kann doch nicht so schlimm bleiben."
Über das jüngste Familienmitglied Edith, Jahrgang 1921, ist nicht viel Persönliches bekannt. In der Deportationsliste ist ihr Beruf mit Krankenpflegerin angegeben. Sie erhielt ihren Deportationsbescheid an die Adresse "Grüne Straße 5" in Altona zugestellt. Das Haus befand sich im Besitz des Israelitischen Humanitären Frauenvereins, einer der ersten modernen sozialen Frauenorganisationen in Hamburg, und diente als Kindertagesheim und bis zur Schließung des Hauses im Jahr 1942 als Alten- und Pflegeheim. Möglicherweise hat Edith Gerson dort gewohnt und als Pflegekraft gearbeitet.
Die Eingabe von Julius Heilbrunn an die Getto-Verwaltung führte zu dem erhofften Ergebnis – sie wurde mit dem polnischen Wort "wzglednone" versehen, was so viel bedeutet wie "genehmigt".

Die gemeinsame Zeit endete jedoch bereits vier Monate später im September 1942. Edith Heilbrunn wurde in den sicheren Tod in das Vernichtungslager Chelmno verschleppt. Ihr Bruder Theodor Gerson berichtet in einem Interview im Jahr 1990 sie sei möglicherweise bei Ankunft im Getto schwanger gewesen: "Edith ist nicht aus dem KZ zurückgekommen und das Einzige, was wir gewusst haben, das Sie schwanger gewesen ist …"

Die Deportationen aus dem Lodzer Getto in der Zeit vom 5.–12.September 1942 wurden als "Aktion Gehsperre" bezeichnet. Dabei trieb man über 15.000 Menschen, vor allem Kinder unter 10 Jahren und ältere Menschen über 65 Jahren, in einer brutalen Polizeiaktion zusammen und verschleppte sie in das Vernichtungslager Chelmno. Das Ziel der Aktion war es, möglichst nur noch arbeitsfähige Gettobewohner am Leben zu lassen. Das Getto sollte in ein Arbeitslager umgewandelt werden.

Am 26. November 1942 verstarb Samuel Gerson. Seine Grabstelle liegt auf dem jüdischen Friedhof Lodz, eine von etwa 43.000 Verstorbenen aus dem Getto Lodz.
Julius Heilbrunn und seine Schwiegermutter Johanna Gerson lebten noch fast zwei Jahre im Getto und wurden, zusammen mit weiteren ca. 800 Juden, im Transport 78 am 28. Juni 1944 in das Vernichtungslager Chelmno verschleppt und getötet.

Unter dem Eindruck der vorrückenden sowjetischen Armee sollte das Getto Lodz schrittweise aufgelöst werden um die Spuren der Unmenschlichkeit zu beseitigen.
Ihre Befreiung durch die sowjetischen Truppen erlebten die verbliebenen Gettobewohner, weniger als 1000 Menschen, am 19. Januar 1945 – zu spät für Julius Heilbrunn und seine Familie. Sein Vater Isaak verstarb bereits im Jahr 1940, seine Mutter Ida musste am 9. Dezember 1941 von Kassel aus den Weg in das Getto Riga von Kassel aus antreten. Sie überlebte nicht.

Wie es bei Deportationen üblich war, wurde das Eigentum der Deportierten zugunsten des Deutschen Reiches beschlagnahmt. Beamte der "Vermögensverwertungsstelle" räumten die Unterkünfte und ließen den Besitz durch Speditionsfirmen abholen. Private Auktionatoren und das Amtsgericht Hamburg versteigerten das beschlagnahmte Hab und Gut öffentlich.

Die Versteigerungen wurden in den Tageszeitungen angekündigt, wie z. B. im "Hamburger Fremdendblatt", "Hamburger Anzeiger" und "Hamburger Tageblatt". Im Rahmen der "Freiwilligen Versteigerung" des Amtsgericht Hamburg vom 2.und 3. Januar 1942 wurde der restliche Besitz von Julius Heilbrunn versteigert: Eine Ledermappe, Bücher, Glassachen, Porzellan, Kleidungsstücke, Krawatten, Kleiderbügel und Schuhleisten bekamen neue Besitzer.

Abschließender Hinweis eines Justizinspektors zum Ergebnis der Versteigerung: "Es wurde alles verkauft". Der Erlös belief sich auf 6,40 RM zu Gunsten der Staatskasse.

An Julius Heilbrunn erinnert ein Stolperstein vor dem Haus Eppendorfer Baum 5.

© Christina Igla

Quellen: StaH: 1, 5, 8, StaH: 241-1 324 Versteigerung, 522-1 992e 2 Deportationsliste, 351-14 Fürsorgeakte; email von Karl Kollmann, Archiv- und Museumsleiter in Eschwege, vom 26.1.2012; E-Mail von Fritz Neubauer, Universität Bielefeld, vom 29.1.2012; Unterlagen aus Lodz; E-Mail von Beate Meyer, Institut für die Geschichte der Deutschen Juden, vom 5.2.2012; email von Ilona Plafki, Gemeinde Meissner, vom 8.2.2012; email von Heike Müller, IST Arolsen , 27.5.2012; email von Christian Lehmann, Stadtarchiv Kassel , vom 7.9.2012; E-Mail von Siegfried Butterweck, Sonderstandesamt Bad Arolsen, vom 7.12.2012; E-Mail von Ulf Bollmann, Staatsarchiv Hamburg, vom 11.2.2014; E-Mail von Hermann Wagner, Amtsgericht Kassel, vom 20.2.2014; Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen; Schreiben vom 28.6.2012; FHH, Standesamt Eimsbüttel, Telefonat v. 7.5.2012, email vom 24.10.2012; Datenbank Lodz Nr. 301/1219-1224 Familie Gerson; Klaus-Dieter Alicke: Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum, Gütersloh 2008; Frank Bajohr, "Arisierung" in Hamburg, Seiten 198ff., Hamburg 1997; Beate Meyer, Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933–1945, Seiten 45 und 60, Hamburg 2006; Alfred Gottwald, Diana Schulle, Die "Judendeportationen" aus dem Deutschen Reich 1941–1945, Seiten 126,127, 182, Wiesbaden 2005; Hamburger Adressbuch 1937–1941; Galerie Morgenland "Wo Wurzeln waren", Seiten 102ff., Artikel: "Familie Gerson-Jeder hat versucht raus zu kommen" von Astrid Louven, Hamburg 1993; Forschungsstelle für Zeitgeschichte, Werkstatt der Erinnerungen, Hamburger Lebensläufe ,Theodor Gerson, Interview vom 13.5.1990, Sybille Baumbach, Beate Meyer, Dagmar Wienrich; Joseph Walk, Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat, Seite 246, Heidelberg 2013; Stadtarchiv Kassel, A3.32, Kennkarte Julius Heilbrunn, http://www.jewishlodzcemetery.org/EN/CemeteryPlan/PersonId/3338/QuarterId/82/Default.aspx - Grabnachweis Samuel Gerson (angesehen am 29.1.2012); http://www.gemeinde-meissner.de (angesehen am 29.1.2012); FZF; 353-24, Band 2 Abrechnung Schutzhaftkosten.

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