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Nanny Baruch * 1865

Ulmenau 1–9 (Hamburg-Nord, Uhlenhorst)


HIER WOHNTE
NANNY BARUCH
JG. 1865
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 5.9.1942

Weitere Stolpersteine in Ulmenau 1–9:
Sarah Baruch

Nanny Baruch, geb. 15.7.1865 in Hamburg, deportiert 15.7.1942 nach Theresienstadt, Tod dort 5.9.1942
Sarah Baruch, geb. 9.10.1870 in Hamburg, deportiert 15.7.1942 nach Theresienstadt, Tod dort 29.7.1942

Ulmenau 1–9

Am 18. Februar 1941 schrieb Nanny Baruch, Lehrerin i. R., an den Jüdischen Religionsverband, Beneckestraße 2, in Hamburg:
"Durch Auflegung der neuen ‚Lohnsteuer von 15 % für sozialen Ausgleich’ wird meine Pension sich so verringern, dass ich mich gezwungen sehe, Sie zu bitten, mir die Zahlung einer besonderen jüdischen Steuer zu erlassen.
Meine Pension wird weniger als M 200,- betragen. Von dieser Summe muss ich die Wohnungsmiete von M 75,10 und die Lebenskosten für 2 Personen bestreiten, da ich, wie Ihnen bekannt ist, in meinem Haushalt meine 70jährige Schwester völlig erhalte. Außerdem unterstütze ich dauernd eine Schwester in Berlin, die auf ihre Auswanderung nach Palästina zu ihrem Sohn wartet.
Ich hoffe, dass Sie unter Berücksichtigung dieser Verhältnisse meiner Bitte nachgeben werden."
Ihr Schreiben hatte Erfolg, der monatliche Beitrag zur Jüdischen Gemeinde wurde auf 1,50 Reichsmark gesenkt.

Nanny Baruch stammte aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie. Sie war die zweitälteste von vier uns bekannten Töchtern, nach denen noch ein Sohn zur Welt kam. Die Schwestern Mathilde, Nanny, Anna und Sarah wurden zwischen 1864 und 1870, der Bruder Alphons 1873 geboren. Beide Eltern waren gebürtige Hamburger. Der Vater, der Kaufmann Baruch Abraham Baruch, war am 3.12.1832 geboren und 1868 eingebürgert worden, die Mutter Rosa, geb. 12.3.1835, war eine geborene Tachau. Ca. 1890 zog Baruch Abraham Baruch mit seiner Familie in den Grindelhof 90. Von dort arbeitete er als Makler.

Mathilde, Nanny und Anna besuchten nach Abschluss der Schule das Hamburger Lehrerinnen-Seminar in der Fuhlentwiete und wurden als Lehrerinnen tätig, Nanny trat als einzige von ihnen in den städtischen Schuldienst. Sarah erkrankte im Alter von 24 Jahren geistig-seelisch, welche Tätigkeit sie davor ausübte, ist nicht bekannt. Ihre Familie sorgte fortan für sie. Alphons ging nach Beendigung seines Schulbesuchs technischen Interessen nach und bildete sich praktisch und autodidaktisch in den USA und Frankreich fort. Auf der Internationalen Weltausstellung in Paris war er mit dem Metallstanzwerk in Romainville, dessen Produktionsmaschinen er als technischer Direktor entwickelt hatte, vertreten. Er erfand den Rotationsbuchdruck und ließ sich Maschinen für die Herstellung von Haushaltspapier wie Toilettenpapier patentieren. 1906 trat er als Geschäftsführer in die "Automat-Papier Fabrik" in der Marienthaler Straße 43 in Hamburg-Hamm ein, wobei sein Patent als ein Geschäftsanteil von M 60 000 M berechnet wurde.

Nanny Baruch begann 1884 ihre Lehrtätigkeit offenbar an einer Privatschule und trat am 1. April 1902 in den Hamburger Schuldienst ein. Sie unterrichtete ununterbrochen bis zu ihrer Pensionierung im Alter von 64 Jahren am 30. September 1929. Anna lebte zwischenzeitlich, von 1893 bis 1895, in Brüssel. Möglicherweise diente dieser Aufenthalt ihrer Ausbildung zur Sprachlehrerin. Während ihrer Abwesenheit hielt sich Baruch Abraham Baruch, der Familienvater und Haushaltungsvorstand, aus nicht bekannten Gründen vorübergehend von Anfang Dezember 1894 bis Anfang Februar 1895 in Wilhelmshaven auf.

Drei Jahre nach ihrer Rückkehr aus Brüssel heiratete Anna Baruch, am 30. Oktober 1898, Simon Ernst Fridberg, geb. 30.8.1867 in Berlin. Er war von Beruf Stenograph und hatte sich in Hamburg einbürgern lassen. Aus ihrer Ehe gingen drei Kinder hervor, Albert (geb. 3.9.1899), Walther Joseph (geb. 27.4.1902) und Anita Erna (geb. 15.2.1906), die mit sieben Jahren starb. 1916 verlegte die Familie ihren Wohnsitz nach Berlin.

Am 2. Oktober 1901 zogen Baruch Abraham und Rosa Baruch mit ihren inzwischen über dreißig Jahre alten Töchtern Mathilde, Nanny und Sarah in die Lappenbergsallee 15 in Eimsbüttel und im März des folgenden Jahres in die Marschnerstraße 19 in Barmbek Süd. Nanny Baruch unterrichtete an der Schule Bramfelder Straße 56, so dass der Umzug für sie einen erheblich kürzeren Dienstweg als zuvor bedeutete. Ca. 1905 wechselte sie an die Volksschule für Mädchen in der Schillerstraße 29 auf der Uhlenhorst. Berufsständisch schloss sie sich dem Verein Hamburgischer Volksschullehrerinnen an.

Alphons Baruch lebte nach seiner Rückkehr nach Hamburg wieder bei seiner Familie. Der Vater, Baruch Abraham Baruch, starb am 17. Mai 1907 im Alter von 75 Jahren. Ein halbes Jahr später zogen seine Witwe Rosa und die vier noch ledigen Kinder nach Hohenfelde in den Wandsbeker Stieg 24/26. Mathilde verließ 1911 die Familie. Sie war Sprachlehrerin für Spanisch geworden und nahm für wenige Wochen Logis bei einer Witwe in der Stadthausbrücke 24/26, in der Hamburger Neustadt. Von dort zog sie in die Admiralitätsstraße 3/4, wo sie offenbar zusammen mit dem Spanischlehrer und Übersetzer Emilio Peláez y Galleo das Büro "Vereinigte Übersetzer" eröffnete. Schon nach drei Monaten richteten sie sich dauerhaft in die Hermannstraße 7 in der Hamburger Altstadt ein.

Trotz seines Alters von über 40 Jahren diente Alphons Baruch im Ersten Weltkrieg beim Landsturm und wurde dafür mit dem Hindenburg-Ehrenkreuz als Kriegsteilnehmer ausgezeichnet. Nach seiner Entlassung wohnte er ein Jahr lang in Altona, bis er wieder zu seiner Familie nach Hamburg zurückkehrte. 1918 übernahm er die Firma "Automat-Papier" als Alleininhaber und führte nun die Berufsbezeichnung Fabrikant. Am 21. Juli 1921 heiratete er, 48 Jahre alt, eine Nichtjüdin. Seine Ehefrau, Erna geb. Schild, geb. 22.1.1894, war 20 Jahre jünger als er und stammte aus Höllrich in Unterfranken. Sie zog zu ihrem Ehemann und seiner Familie in den Wandsbeker Stieg 26. 1922 brachte sie eine Tochter zur Welt, 1925 einen Sohn.

Im April 1918 heiratete Mathilde Baruch, inzwischen 54 Jahre alt, ihren Kollegen, der zugleich Sekretär des spanischen Generalkonsulats war. Emilio Peláez y Gallego war katholisch, 51 Jahre alt und stammte aus Vitoria, einem kleinen Ort in der Provinz Alava in Spanien. Mathilde Baruch konvertierte zum Katholizismus. Niemand aus ihrer Familie trat bei der Eheschließung als Trauzeuge auf, sondern ein Kollege ihres Mannes und dessen Ehefrau.

Mit dem Schuljahr 1918/19 wechselte Nanny Baruch aus dem Volksschuldienst in den an Höheren Schulen und trat folgerichtig aus dem Verein Hamburgischer Volksschullehrerinnen aus. Sie schloss sich bis zu ihrer Pensionierung keiner weiteren berufsständischen Vertretung mehr an. Zunächst unterrichtete sie am Lyceum Lerchenfeld, die Höhere Schule für Mädchen, heute Gymnasium Lerchenfeld. Nach zwei Jahren wechselte sie an das Lyceum am Lübeckertorfeld und zog in die Böckmannstraße 7, ganz in die Nähe der Schule. 1919 registrierte die Deutsch-Israelitische Gemeinde in Hamburg sie offenbar als Haushaltungsvorstand, der für Sarah Baruch die Verantwortung mit trug. Alphons wurde als Dissident nie Mitglied der Jüdischen Gemeinde.
Bereits drei Jahre nach ihrer Heirat war Mathilde Witwe geworden, Emilio Peláez y Gallego starb am 7. August 1921. Sie blieb in der Hermannstraße 7 und führte offenbar die Sprachschule noch zehn Jahre lang bis zu ihrem eigenen Tod am 25. April 1931 weiter.

Rosa Baruch wurde 89 Jahre alt. Sie starb am 6. Januar 1924 im Kreis ihrer Familie. Als verantwortliches männliches Familienmitglied meldete Alphons Baruch ihren Tod wie schon den seines Vaters und seines Schwagers beim Standesamt.

Nach dem Tod der Mutter zogen Nanny und Sarah Baruch zu ihrer Schwester Mathilde in die Hermannstraße, während Alphons mit seiner Familie im Wandsbeker Stieg blieb. 1926 mietete Nanny Baruch eine Wohnung in der Ulmenau 9 auf der Uhlenhorst, wo sie mit ihrer Schwester bis zu ihrem erzwungenen Umzug in die Kielortallee 22 lebte. Alphons zog 1932 mit seiner Familie in die Ifflandstraße 8 in Hohenfelde.

Nach 45 Dienstjahren wurde Nanny Baruch pensioniert und schied am 30. September 1929 aus dem Schuldienst aus. Im selben Jahr verließ sie die Jüdische Gemeinde, wurde jedoch im Wählerverzeichnis von 1930 noch geführt. Erst am 25. Juli 1938 trat sie der Gemeinde wieder bei. 1935/1936 wurde Sarah Baruch als selbstständiges Mitglied der jüdischen Gemeinde geführt. Wegen ihrer Krankheit und Erwerbsunfähigkeit war sie von jeder Form von Steuern befreit. Sie wurde im Wesentlichen von ihrer Schwester Nanny unterhalten, ihr Bruder Alphons trug ca. 600 RM jährlich bei.

Bis zum April 1938 litten Nanny und Sarah Baruch und Alphons mit seiner Familie trotz mancher Einschränkungen und Veränderungen materiell keine Not. Zwar hatte Alphons Baruch durch den Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte und die Importbeschränkungen der Rohstoffe im Inlandsgeschäft Einbußen erlitten, aber das Auslandsgeschäft wog die Verluste auf. Seine Situation änderte sich schlagartig am 23. April mit seiner Inhaftierung. Eine Angestellte hatte ihn offenbar aus Rache für ihre Kündigung mit der Behauptung angezeigt, er beabsichtige auszuwandern und habe Devisen ins Ausland geschafft. Bis dahin hatte Alphons Baruch weder seine Auswanderung noch die Veräußerung seiner Firma betrieben. Die Ermittlungen erbrachten als einzigen Verstoß gegen die Devisenbestimmungen, dass er versäumt hatte, drei Ein-Dollar-Noten, die bei der Hausdurchsuchung zwischen Papieren seiner Tochter gefunden wurden, "nicht der Reichsbank angeboten" zu haben. Das Strafverfahren wurde eingestellt.
Alphons Baruch war nach einer Woche Polizeihaft entlassen worden und hatte umgehend die Auswanderung und den Verkauf der Firma eingeleitet. Sein Vermögen wurde einer "Sicherungsanordnung" unterworfen, alle beantragten Beträge im Zusammenhang mit der Auswanderung und für die Abgeltung der Unterhaltszahlung für die Schwester Sarah für die kommenden Jahre sowie für die Bar Mizwa-Feier seines Sohnes Ende September 1938 wurden frei gegeben. Alphons Baruch reiste noch im selben Jahr mit seiner Familie in die Niederlande aus und von dort weiter in die USA.
Der Schwager Simon Fridberg starb in Berlin, ein Neffe emigrierte nach Palästina.

1939 verlangte der Oberfinanzpräsident eine Vermögenserklärung von Nanny und Sarah Baruch. Sie besaßen jeweils ein Bankguthaben von ca. 200 RM und einige Wertpapiere. Sarah Baruchs Vermögen lag unter der Bemessungsgrenze für den Erlass einer "Sicherungsanordnung", Nannys Vermögen lag etwas darüber. Sie wurde zur Zahlung einer "Judenvermögensabgabe" von 1400 RM verpflichtet, die sie aus ihren Wertpapieren bestritt. Aus ihrer laufenden Pension kam sie nicht nur für den gemeinsamen Haushalt mit ihrer Schwester Sarah auf, sondern unterstützte auch ihre Schwester Anna Fridberg in Berlin. Anna kam Mitte September 1939 für drei Wochen zu Besuch in die Ulmenau 9.

Nanny und Sarah Baruch mussten verordnungsgemäß ihre Gold- und Silberwaren bei der öffentlichen Ankaufstelle am Bäckerbreitergang abliefern, erhielten aber die Genehmigung, zwei silberne Sabbatleuchter, einen Suppenlöffel ("Potagelöffel"), eine Geldtasche aus Silberdraht und zwei goldene Broschen mit je einer Barockperle für kurze Zeit zurück zu behalten. Sie lieferten sie im April 1939 zum Verkauf ein, doch blieb das Silbertäschchen unverkäuflich. Mit der Auflage, es in einem Bankdepot zu hinterlegen, erhielt Nanny es zurück, im Falle ihrer Auswanderung würde es frei gegeben. Der Wert wurde auf 5 Mark, entsprechend zwei US-Dollar, geschätzt.
Nanny Baruch, die gar nicht auswandern wollte, erwirkte hingegen die Genehmigung, das Täschchen ihrem Bruder in New York gegen die Zusendung von zwei US-Dollar als Geschenk schicken zu dürfen. Ein Sachbearbeiter der Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten regte daraufhin im Juli 1939 die Einleitung eines Strafverfahrens gegen sie wegen "Nichterfüllung der ihr wiederholt gemachten Auflagen" zur Deponierung des Täschchens bei der Bank an. Ende Juli kam sie der Auflage nach, bat jedoch erst am 9. September 1939 ihren Bruder um Zusendung des Geldes. Als die zwei US-Dollar zwei Monate später bei der Bank eintrafen, unterblieb die Versendung des Täschchens an Alphons Baruch wegen des Kriegsbeginns. Schließlich nahm eine Verwandte, Meta Stühler, die Geldtasche aus Silberdraht bei ihrer Auswanderung in die USA mit. Nanny Baruchs Unbotmäßigkeit wurde statt mit einem Strafverfahren mit einer Ermahnung durch einen anderen Sachbearbeiter geahndet.

Auf Weisung der Gestapo ließen Nanny und Sarah Baruch zur Vorbereitung ihres Umzugs in das Oppenheimer-Stift in der Kielortallee 22 ihre Wohnungseinrichtung versteigern. Der Erlös wurde zu gleichen Teilen auf ihre Bankkonten überwiesen. Am 2. Februar 1942 wurden sie von der Jüdischen Gemeinde in das Z.H. May und Frau Stift in der Bogenstraße 25, das nun als "Judenhaus" diente, umquartiert. Dort mussten sie sich für die Übersiedlung in das angebliche Altersgetto Theresienstadt vorbereiten. Ihr Vermögen wurde für den "Heimeinkauf" eingezogen. Der "Jüdische Religionsverband" Hamburg überwies insgesamt ca. 12 000 RM an die "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" zugunsten des "Heimeinkaufs" der beiden alten Damen.

Nanny und Sarah Baruch wurden mit dem ersten "Alterstransport" Hamburger Juden und Jüdinnen am 15. Juli 1942 in das völlig überfüllte Getto von Theresienstadt deportiert. Die Überlebenschancen der Frauen, die ein Heim, wie es ihnen versprochen worden war, erwarteten, statt dessen aber nicht einmal das Notwendigste an Unterbringung, Ernährung und medizinischer Versorgung vorfanden, war gering. Infektionskrankheiten grassierten. Sarah starb bereits vierzehn Tage nach ihrer Ankunft am 29. Juli 1942 im Alter von 72 Jahren. Die Todesursache ist nicht bekannt. Nanny Baruch starb am 5. September 1942 an einer Enterocolitis, einem Darmkatarrh. Sie wurde 77 Jahre alt.

Anna Fridberg gelangte nicht mehr zu ihrem Sohn nach Palästina. Über ihre Deportation aus Berlin und die Umstände ihres Todes ist nichts Näheres bekannt. Sie starb am 14. März 1943 an einem unbekannten Ort.

© Hildegard Thevs

Quellen: 1, 2 OFP FVg 7637; R 1938/594, R 1938/1835, R 1939/1154; 3; 4; 5; 7; 8; Hamburger Adressbücher; StaH A I e 40 Bd. 5 Bürgerverzeichnis; 332-5 Standesämter, 835-954/1921; 3313-132/1918; 6876 -527/1907; 7039-15/1924; 8590-467/1898; 332-8, Bd. 5 Hausmeldekartei, Meldewesen A 51/1, K 2424; 351-11 AfW, 2240; 355-8 Meldewesen, K 4200, 6711; 522-1 Jüdische Gemeinden, 930 Wählerliste; 992 d, Band 2 – Steuerakten; 992 e 2, Band 4; Hamburger Lehrerverzeichnisse; Gedenkbuch Berlins der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus; Adler, H. G., Theresienstadt.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

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