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Erwin Klein
Erwin Klein
© Bundesarchiv Berlin

Erwin Klein * 1919

Luruper Chaussee 115 (Altona, Bahrenfeld)


HIER WOHNTE
ERWIN KLEIN
JG. 1919
DESERTIERT 22.2.1943
VERHAFTET 17.3.1944
INHAFTIERT FUHLSBÜTTEL
KRIEGSGERICHT 2.5.1944
RAHLSTEDT-HÖLTIGBAUM
HINGERICHTET 17.7.1944

Erwin Erich Klein, geb. 29.9.1919 in Altona, am 22.2.1943 desertiert, am 17.3.1944 verhaftet, vom Kriegsgericht am 2.5.1944 verurteilt, am 17.7.1944 im Untersuchungsgefängnis Holstenglacis enthauptet

Luruper Chaussee 115, Lurup

Erwin Erich Klein wurde am 29. September 1919 als Sohn des kaufmännischen Angestellten Erich Klein und der Krankenpflegerin Bertha Klein, geborene Ludwig, in Altona geboren. Seine Eltern hatten sich kurz nach seiner Geburt getrennt, geschieden wurde die Ehe zwei Jahre später am 9. Juli 1921.

Die alleinerziehende Bertha Klein arbeitete als Krankenschwester im Schichtdienst. Sie hatte – bedingt durch die Schichtarbeit – für ihren Sohn nur wenig Zeit. 1919 gab es wenig Kindergärten im Hamburger Stadtgebiet, Bertha Klein musste ihren Sohn in Pflege geben. Das Jugendamt vermittelte ihr die Familie von Wachtmeister Ernst August Kock, geboren am 13. September 1907, die in der Rellinger Straße 59 in Eimsbüttel wohnte. Der Familienvater war Alkoholiker. Streit war in der Familie an der Tagesordnung. Ob es dort noch weitere Kinder gab, wissen wir nicht.

Bertha Klein heiratete am 25. Oktober 1928 im Altonaer Standesamt den Maschinenbauer Otto Jeß. 1929 nahm sie ihren mittlerweile 10jährigen Sohn wieder zu sich. Ihr fiel auf, dass Erwin sehr verschlossen war, zu starken Erregungszuständen und Wutanfällen neigte, in die er sich teilweise bis zur Raserei hineinsteigerte. Probleme mit seiner Umwelt waren vorprogrammiert. Einige Wochen wurde er in der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg stationär behandelt. 1933 wurde er aus der Hitler-Jugend ausgeschlossen.

Erwin Klein beendete im Anschluss an die Zeit in Friedrichsberg die Volks- und Mittelschule und begann 1933 eine Schlosserlehre in Altona, die er nach einem halben Jahr vorzeitig abbrach.

1934 zog er von zu Hause aus, weil seine Mutter ihn schlug. Kurzzeitig fand er Arbeit als Hilfsschlosser bei der Firma Essmann in der Barnerstraße in Altona, wechselte dann erneut den Arbeitsplatz und arbeitete als Vertreter für Bohnerwachs. Die Vertretertätigkeit erstreckte sich bis nach Hannover. Und er kam erstmals wegen eines in Hamburg verübten Autodiebstahls in Untersuchungshaft, für die er eine Strafe von vier Wochen Gefängnis erhielt.

Er wurde am 27. Juli 1939 durch ein Schöffengericht wegen Diebstahls mit einem Monat Gefängnis bestraft. Am 21. Dezember 1939 wurde er durch das Amtsgericht Hamburg, wieder wegen Diebstahls, mit sechs Monaten Gefängnis bestraft, die er bis zum 19. Juni 1940 verbüßte.
Am 6. Februar 1941 erhielt er den Einberufungsbefehl zur Wehrmacht. Ausgebildet wurde er beim 1. Infanterie Ersatz Bataillon 90 in Hamburg-Rahlstedt. Acht Wochen später folgte eine weitere Ausbildung in Frankreich beim Infanterie-Regiment Bataillon 333.

Im Winter 1941/1942 wurde sein Truppenteil zum Fronteinsatz nach Russland an den Wolchow (Fluss) beordert. Er kämpfte als Grenadier an vorderster Front. Die Grenadiere bildeten eine militärische Elite und wurden bei Belagerungen an besonders gefährlichen Stellen eingesetzt. Dabei erlitt er eine Erfrierung an der linken Hand, die ihn den kleinen Finger kostete. Nach einem kurzen Lazarettaufenthalt in Narwa in Estland wegen Sumpffiebers kam er zu seinem Truppenteil nach Wolchow zurück und erlitt eine weitere Verletzung durch einen Splitter in der Leistengegend, die wiederum im Lazarett in Narwa behandelt wurde. Er erhielt anschließend drei Wochen Genesungsurlaub, den er in Hamburg bei seinen Eltern verbrachte. Am 3. November 1942 kehrte er zur ersten Marschkompanie Ersatzbataillon 333 in Rendsburg zurück.

Weihnachten 1942 reiste er trotz eines abgelehnten Urlaubsantrags zu seinen Eltern nach Hamburg. Ein Kriminalbeamter spürte ihn dort auf und brachte ihn zu seiner Truppe zurück. Wegen dieser Verfehlung wurde er durch das Divisionsgericht zu einem Jahr Gefängnis verurteilt und vom Obergrenadier zum Grenadier degradiert. Nachdem er sechs Wochen "geschärften Arrest" verbüßt hatte, erhielt er Strafaussetzung zwecks Frontbewährung.

Am 19. Februar 1943 wurde er wiederum mit "geschärften Arrest" von fünf Tagen bestraft, weil er den Zapfenstreich missachtet und den Hauptfeldwebel belogen hatte. Es sollte ein weiterer Arrest für sieben Tage folgen, weil er den Dienst versäumt hatte. Beide Strafen wurden nicht vollstreckt, weil er vor Antritt seiner Strafe am 21. Februar 1943 geflohen war.

Erwin Klein hatte zwar die Ostmedaille (eine Auszeichnung "für Bewährung im Kampf gegen den bolschewistischen Feind und den russischen Winter 1941/1942") und das Verwundetenabzeichen in schwarz verliehen bekommen, wurde aber dennoch schlecht beurteilt: "Schlechter Charakter, weich, überhaupt keine soldatische Haltung, unterweltlerisch veranlagt, inniger Verkehr mit Dirnen. Seine Führung ist ungenügend."

Seine Flucht führte ihn zurück nach Hamburg. Der Fahndungsapparat von Wehrmacht und Kriminalpolizei funktionierte seit den alliierten Luftangriffen auf die Stadt im Sommer 1943 nur noch eingeschränkt. So konnte sich Erwin Klein ein Jahr in der Wohnung von Emma Berta genannt Betty Baumgarten, geborene Krause, geboren am 28. Februar 1914, verstecken. Sie wohnte in der Norderstraße 40 in St. Georg.
Erwin Klein organisierte sich falsche Ausweispapiere auf die Namen Amandus Rickel und Erwin Erich Lampel. So konnte er kleinere illegale Geschäfte abwickeln, Lebensmittel kaufen und sich auf dem Schwarzmarkt eine Pistole Kaliber 7,65 nebst Munition besorgen.

Mit einer Betreuungskarte auf den Namen Siegfried Stachel, die er gefunden hatte, gab er sich als Bombengeschädigter aus und erschwindelte beim Kriegsschädenamt nach und nach 8.563 RM. Er pendelte sogar mit der Bahn mehrere Wochen zwischen Hamburg, Berlin und Dresden und trieb Schwarzhandel mit Stoffen, die er "verhökerte". Auf einer Bahnfahrt wurde er aufgegriffen, konnte aber wieder fliehen.

Der Polizist Alwin Gustmann stellte Erwin Klein am 16. März 1944 auf dem Hinterhof in der Winckelstraße 8 in der Neustadt (die Straße gibt es nicht mehr). Er verletzte Erwin Klein mit seiner Pistole und durchschoss dessen rechte Schulter. Erwin Klein schoss zurück, traf den Polizisten und flüchtete durch ein Fenster. Der Polizeibeamte starb auf dem Weg ins Hafenkrankenhaus.

Die Polizei konnte Anhand der Blutspuren und hängengebliebener Stoffreste den Fluchtweg von Erwin Klein rekonstruieren. Sie fasste ihn am nächsten Tag, den 17. März 1944, in den frühen Morgenstunden in der Gartenlaube seiner Mutter in Bahrenfeld.

Die Obduktion von Alwin Gustmann ergab, dass Erwin Klein zwei Steckschüsse auf ihn abgeben hatte, die in die Lunge eingedrungen waren und zu einem Lungenemphysem geführt hatten.

Erwin Klein gab später zu Protokoll, dass er seine Pistole an seinen Mund habe führen wollte, um Selbstmord zu begehen. Das habe der Polizeibeamte gesehen, zwei Schüsse auf ihn abgefeuert und ihn dabei an der Schulter verletzt. Daraufhin hatte Erwin Klein Schüsse auf ihn abgegeben und ihn dabei tödlich getroffen.

Erwin Klein gab am 18. April 1944 zu Protokoll:
"Ich bekenne mich der Fahnenflucht für schuldig. Nicht schuldig bekenne ich mich der Gewaltverbrecherverordnung, weil ich nicht geschossen habe. Ich wollte meinen Bekannten ‚Werner Arnold‘ schützen, weil er verheiratet war und vier Kinder hatte. Die Pistole gehört mir. Die Schüsse sind aus meiner Pistole von meinem Bekannten ‚Arnold‘ abgegeben worden. Ich hatte mir Zigaretten besorgt und ging in das Haus Winckelstraße 8. Dann bemerkten ‚Arnold‘ und ich dass eine Polizeistreife die Bewohner in dem Haus überprüfte. Ich versteckte mich hinter der Tür im Keller. Der Beamte kam rein und ich wollte mich auf ihn stürzen. ‚Arnold‘ riss mich weg und gab zwei Schüsse auf den Beamten ab. Dass ‚Arnold‘ bei mir war, hat keiner bemerkt."

Bei der nachfolgenden Flucht über die Dächer des Gängeviertels habe er Hilfe durch die in dem Haus Winckelstraße 8 wohnende Zimmervermieterin Therese Gerbeth und den "Damen des leichten Gewerbes" Anna Czarnetzki, Magdalene Brendemühl, Alwine Gerbeth und Auguste Neumann erhalten.

Die Polizei überprüfte die Aussagen von Erwin Klein. Sie konnte einen "Werner Arnold" nicht ermitteln und wertete die Aussage von Erwin Klein als Ablenkungsmanöver.

Die Winckelstraße gehörte zum "Gängeviertel" in der Hamburger Neustadt. In den kleinen, vielfach maroden Wohnungen des Viertels, in engen, verwinkelten Gassen lebten Arbeiterfamilien mit geringem Einkommen. Ein Teil der Bevölkerung war traditionell politisch links bzw. antinazistisch orientiert. Seit 1934 waren die Zugänge der Winckelstraße, in der sich mehrere kleine Bordelle befanden, mit Sperrtoren versehen worden. (Das Quartier verschwand Anfang der 1960er Jahre mit dem Neubau des Unilever-Hauses.)
Das Gericht der Division Nr. 190 sprach Erwin Klein wegen Fahnenflucht und Totschlags schuldig. Sie wandte dabei die Gewaltverbrecherverordnung § 1 Absatz 2 vom 5. Dezember 1939 an. In der Hauptverhandlung des Kriegsgerichts erging am 29. April 1944 folgendes Urteil: "Verurteilung zur Wehrunwürdigkeit, Fahnenflucht und Totschlag, der mit dem Tod zu bestrafen ist. Des Weiteren werden Ihm die bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit aberkannt".

Erwin Kleins Mutter reichte Anfang Mai 1944 beim Gericht der Division ein Gnadengesuch ein und bat darum, das Todesurteil in eine lebenslängliche Zuchthausstrafe umzuwandeln. Ihr Ansinnen wurde jedoch durch den Kriegsgerichtsrat am 3. Mai 1944 abgewiesen: "Für eine Verbrechernatur nach Art des Angeklagten kommt nur die Todesstrafe in Frage."

Bertha Jeß durfte in den nächsten Wochen einige Male vom Gericht mit ihrem Sohn sprechen.

Am 11. Mai 1944 wurde das Todesurteil vorübergehend ausgesetzt, da Erwin Klein in einem anderen Verfahren noch als Hauptbelastungszeuge gegen den Scharführer Kriminaloberassistent Werner Langfeldt, geboren am 4. September 1925, benötigt würde. Dieser wurde verdächtigt, Erwin Klein zur Fahnenflucht verholfen zu haben. Das Feldgericht setzte die Todesstrafe gegen Erwin Klein so lange aus, bis er seine Aussage gemacht hatte. (Über das weitere Schicksal von Werner Langfeldt haben wir keine Kenntnis.)
Am 28. Mai 1944 unternahm Erwin Klein mit einem anderen Häftling, Herbert Bening, einen Ausbruchsversuch. Sie wurden dabei von dem Feldwebel Frehse überrascht, der daraufhin veranlasste, dass sie mit Rückenfesselung im Keller eingeschlossen wurden.

Nun wurde das Todesurteil vollstreckt: Erwin Klein starb am 17. Juli 1944 im Hamburger Untersuchungsgefängnis durch den Scharfrichter Friedrich Hehr unter dem Fallbeil.
Sein Leichnam wurde am 22. Juli 1944 in Ohlsdorf verbrannt.
Die Beisetzung der Urne erfolgte erst am 15. Dezember 1945 in der Grabstätte 28.IV.27-29 auf dem staatlichen Hauptfriedhof Altona, Stadionstraße 5 in Lurup.

Auf dem Stolperstein wurde als Hinrichtungsort irrtümlich "Höltigbaum" angegeben, wo andere Deserteure erschossen wurden, nicht aber Erwin Klein.

Stand: April 2023
© Bärbel Klein

Quellen: StaH, 242-1 II Strafvollzug Gefangenenpersonalakten 4881 Erwin Erich Klein; 221-11 Entnazifizierungsakte 271 Ernst August Kock; 332-5 Heiratsregister 5821 Nr. 6/1918 Ludwig/Klein; 332-5 Sterberegister 1200 Nr. 205/1944 Alwin Carl Wilhelm Gustmann, 5118 Nr. 864/1945 Erwin Klein; 4834 Nr. 36/1958 Otto Reinhold Erich Jeß; Fotoarchiv 741-4_K 4469 (Klein), K4506 (Müller), K 2324 (Baumgarten), K 4461 (Jeß), A 256 (Klein); Bundesarchiv Berlin pers 15-113473 und Karteikarte B563-1 Kartei (Klein); Standesamt Berlin 1091/1896 (Erich Klein); Beisetzungsunterlagen Hauptfriedhof Altona; www.wikipedia.de (Einsicht am 6.1.2021).

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