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Wilhelm Marquard * 1905

Wattenbergstraße 11 (Harburg, Heimfeld)


HIER WOHNTE
WILHELM MARQUARD
JG 1905
IM WIDERSTAND / KPD
VERHAFTET 21.7.1934
1935 ZUCHTHAUS RENDSBURG
ENTLASSEN 1938
1943 "STRAFBATAILLON 999"
GRIECHENLAND
TOT 29.10.1943

Wilhelm Marquard, geb. am 12.3.1905 in Harburg, verurteilt wegen Vorbereitung zum Hochverrat am 17.3.1935, eingewiesen in das Zuchthaus Rendsburg am 18.3.1935, einberufen zum Bewährungsbataillon 999 im Frühjahr 1943, getötet am 29.10.1943 bei Rhodos

Wattenbergstraße 11, Stadtteil Heimfeld

Als Kaiser Wilhelm II. am Ende des Ersten Weltkriegs abdankte und nach Holland ins Exil ging, war Wilhelm Marquard 14 Jahre alt. Wie überall im Deutschen Reich hatte auch in Harburg ein Arbeiter- und Soldatenrat die Macht übernommen. Doch die Arbeiterbewegung, die jetzt das Sagen hatte, war sich über den weiteren Weg der Umgestaltung des Deutschen Reiches von Anfang an nicht einig, und diese Differenzen wurden in den folgenden Jahren nicht kleiner. Diejenigen, die mit den politischen Entscheidungen der Führung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) nicht einverstanden waren, gründeten am 31. Dezember 1918 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Dieser Partei trat auch der Bäcker Wilhelm Marquard in den 1920er Jahren bei.

Die führenden Vertreter von SPD und KPD hatten nicht nur unterschiedliche Vorstellungen über den Aufbau von Staat und Gesellschaft nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches, sondern auch über die richtige Politik im Kampf gegen die NSDAP. Während die Führung der KPD in Übereinstimmung mit der Kommunistischen Internationale die proletarische Revolution für die richtige Antwort auf die Wirtschaftskrise und ihre politischen Folgen hielt, versuchten die führenden Vertreter der SPD, das Massenelend durch Notverordnungen und die Kürzung von staatlichen Sozialleistungen in den Griff zu bekommen, um den Zulauf zur NSDAP zu stoppen. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler bewahrheiteten sich die schlimmsten Befürchtungen seiner Kritiker. Als am 27. Februar 1933 der Reichstag in Berlin brannte, nutzte die NSDAP die Gelegenheit, den Kommunisten diese Brandstiftung anzulasten. Auf Veranlassung der neuen Machthaber verkündete Reichspräsident Paul von Hindenburg einen Tag später die Notverordnung `zum Schutz von Volk und Staat´, mit der die Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt wurden. Schlagartig umstellten Polizei und SA landauf, landab alle Büros der KPD und verschafften sich kurzerhand Zugang zu allen Räumen, in denen sie belastendes Material vermuteten.

In Harburg drangen Polizei und SA in die beiden KPD-Gebäude in der Langen Straße (heute Goldschmidtstraße) und in der Knoopstraße ein, durchsuchten die Räume und beschlagnahmten Material – u. a. für die im März 1933 anstehenden Reichstags-, Provinziallandtags- und Bürgervorsteherwahlen. Bei Parteifunktionären, die der SA zumeist wohlbekannt waren, fanden Hausdurchsuchungen ohne richterliche Anordnung statt. Die Betroffenen wurden verprügelt, ihre Schränke und Schreibtische durchstöbert und alles beschlagnahmt, was verdächtig schien.
Eine andere Praxis der Harburger SA waren öffentliche "Putzaktionen", bei denen bekannte Nazigegner – vor allen aus der Arbeiterbewegung – aus ihren Wohnungen geholt und dazu gezwungen wurden, Hauswände und Litfaßsäulen am helllichten Tag von alten Parteiplakaten der KPD und der SPD und von antifaschistischen Parolen zu säubern.

Viele führende Vertreter der Arbeiterbewegung – vor allem der KPD – wurden bei solchen Aktionen und auch bei anderen Gelegenheiten festgenommen. Bei einer groß angelegten Polizeiaktion im Phoenixviertel, bei der mehr als 2000 Wohnungen unter Mithilfe der SA durchsucht wurden, gerieten mehrere Kommunisten in Haft. Sie verbrachten die nächsten Stunden und manchmal Tage in der lokalen Gestapoleitstelle in der Nöldekestraße. Viele kehrten nach einigen Tagen nicht wieder nach Hause zurück, sondern kamen in die neu errichteten Konzentrationslagern im Emsland.

Es folgte das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums", nach dem alle Beamten in den Ruhestand versetzt wurden, die nicht die Gewähr boten, "jederzeit für den nationalen Staat einzutreten." Sinngemäß galten diese Bestimmungen auch für Arbeiter und Angestellte in staatlichen Diensten. Der Harburger Magistrat entließ daraufhin alle städtischen Bediensteten, die marxistischen Parteien angehörten und nicht bereit waren, ihre Mitgliedschaft zu beenden. Viele Harburger Unternehmen und Vereine folgten dieser Praxis. Bald galt in allen Lebensbereichen das Führerprinzip. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften wurden zur Deutschen Arbeitsfront (DAF) zusammengefasst und von einem Führer auf Linie gebracht. Aus Arbeitgebern wurden Betriebsführer und aus Arbeitnehmern ihre Gefolgsleute. Schritt für Schritt setzten die Nationalsozialisten ihren Herrschaftsanspruch in allen staatlichen Institutionen und auch in immer mehr gesellschaftlichen Organisationen durch.

Nach der ersten Verhaftungswelle änderte auch die Harburger KPD ihre Struktur, um Widerstand zu leisten. Kleine Parteizellen mit in der Regel nicht mehr als fünf Mitgliedern, die sich genau kannten und einander vertrauten wussten nichts von der Existenz und der personellen Zusammensetzung anderer Parteizellen. Die Mitglieder einer Zellen trafen sich unregelmäßig an unterschiedlichen Orten oder zu vorgeblich unverfänglichen Freizeitaktivitäten. Dabei tauschten sie Informationen aus, verteilten Aufgaben, wie die Hilfe für Familien von verhafteten Genossen und die Planung kleinerer Aktionen, organisierten das Einsammeln der Mitgliedsbeiträge und Spenden und den Vertrieb illegaler Flugschriften, darunter das unter strengster Geheimhaltung hergestellte Nachrichtenorgan der Partei, das zunächst unter dem Namen "Norddeutsche Zeitung" und danach unter dem Namen "Arbeiter-Zeitung" erschien.

Die Herausgabe und Verbreitung dieser illegalen Parteizeitung gehört zu den großen Leistungen des umstrukturierten KPD-Unterbezirks Harburg-Wilhelmsburg und seiner neu besetzten Leitung, bei der vor Ort alle Fäden zusammenliefen. Sie wiederum war das Bindeglied zur geheimen Leitung des KPD-Bezirks Wasserkante, der weite Teile Norddeutschlands umfasste. Das illegale Parteiblatt erschien regelmäßig alle 14 Tage in großer Auflage. Ein Einzelexemplar bestand aus vier bis sechs Seiten und wurde zum Preis von fünf Reichspfennigen an zuverlässige Parteimitglieder und vertrauenswürdige Personen verkauft oder bei Nacht und Nebel an belebten Plätzen ausgelegt.

Die neuen Machthaber registrierten diese Aktivitäten der neu ausgerichteten KPD auch in Harburg mit großer Aufmerksamkeit. Polizei und SA versuchten mit allen Mitteln, die Drahtzieher aufzuspüren. Im Sommer 1934 gelang ihnen ein Zugriff auf dieses Netzwerk. Nach und nach wurden mehr als 25 Harburger Funktionäre der verbotenen KPD und über 100 einfache Harburger Mitglieder dieser Partei festgenommen. Einer von ihnen war Wilhelm Marquard, der am 21. Juli 1934 verhaftet und in das Polizeigefängnis in der Nöldekestraße eingeliefert wurde.

Am 8. August wurde er in das Harburger Untersuchungsgefängnis überstellt. Im Frühjahr 1935 verhandelte der Dritte Senat des Kammergerichts Berlin in elf Prozessen gegen die Betroffenen. Am 17. März 1935 wurde Wilhelm Marquard in einem dieser Gerichtsverfahren zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt, die er in der Strafanstalt Rendsburg verbüßte.

Aufgrund dieser Zuchthausstrafe war er nach den Bestimmungen des im gleichen Jahr erlassenen Gesetzes zur Wiedereinführung der Wehrpflicht "wehrunwürdig". D.h. hatte die "Ehre" verwirkt, zum Schutz des deutschen Volkes Waffen tragen zu dürfen. Wie alle anderen Ausgeschlossenen musste er sich allerdings regelmäßig beim zuständigen Wehramt melden. Diese Situation änderte sich nach den hohen Verlusten der Wehrmacht an der Ostfront im Winter 1941/42. Das Wehrgesetz wurde jetzt so geändert, dass den Vorbestraften die "Chance" geboten wurde, sich als Soldaten im Kampf gegen Deutschlands Feinde zu bewähren und ihre "verlorene Ehre" zurückzugewinnen.

Von den folgenden Zwangsrekrutierungen wurde im Frühjahr 1943 auch Wilhelm Marquard erfasst. Die militärische Grundausbildung erfolgte auf einem alten Truppenübungsplatz in Heuberg-Stetten im Südwesten des Deutschen Reichs. Dorthin gelangten die Hamburger 999er-Strafsoldaten auf fünf Massentransporten vom Hannoverschen Bahnhof im Hamburger Hafen aus nach Storzingen, einem kleinen Ort in der Nähe ihres ersten Etappenziels.

Der Ausbildungsplatz war von Stacheldraht umzäunt und von Wachtürmen umstellt. Schon diese Sicherheitsvorkehrungen erinnerten an ein Konzentrationslager, und auch, was in den Wochen danach folgte, kannten viele Rekruten, die bereits eine Zeit in einem KZ verbracht hatten, vor allem die Strafen und die konsequente Unterbindung fast aller Kontakte zur Außenwelt. Nach Beendigung einer kurzen Grundausbildung kamen die Bewährungseinheiten in Nordafrika, in den besetzten Gebieten Westeuropas und des Balkans, im Mittelmeer und an der Ostfront zum Einsatz. Das waren oft heiß umkämpfte Frontabschnitte bzw. Bereiche mit starker Partisanenpräsenz, und die Verluste waren dementsprechend hoch.

Zu denen, die nicht wieder zurückkehrten, gehörte auch Wilhelm Marquard. Er verlor sein Leben, als britische Flugzeuge am 29.10.1943 einen deutschen Truppentransporter auf der Überfahrt zur Insel Rhodos im Ägäischen Meer angriffen.


Stand: Juni 2019
© Klaus Möller

Quellen: Totenliste Hamburger Widerstandskämpfer und Verfolgter 1933–1945, VVN-BdA Hamburg (Hrsg.), Hamburg 1968; die anderen. Widerstand und Verfolgung in Harburg und Wilhelmsburg, VVN-BdA Harburg (Hrsg.) 6. Auflage, Harburg 2005; Harburger Opfer des Nationalsozialismus, Bezirksamt Harburg (Hrsg.), Hamburg-Harburg 2003; Digitales Archiv ITS Bad Arolsen, Teilbestand: 6.3.3.2, Dokument ID: 99037337 – Korrespondenzakte T/D 395 260; Ursula Suhling, Wer waren die 999er? – Strafsoldaten in Uniform – deportiert vom Hannoverschen Bahnhof, Willi-Bredel-Gesellschaft/Geschichtswerkstatt Fuhlsbüttel e.V. (Hrsg.), Hamnburh 2017; https://wikipedia.org/wiki/Strafdivision_999, eingesehen am 12.4.2018.

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