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Arno Kubig * 1880

Gilbertstraße 82 / Ecke Scheplerstraße (Altona, Altona-Altstadt)


HIER WOHNTE
ARNO KUBIG
JG. 1880
VERHAFTET 1937/39/41
KZ FUHLSBÜTTEL
NEUENGAMME
ERMORDET 9.5.1942

Ehregott Arno Kubig, geb. am 15.1.1880 in Dresden, gestorben am 9.5.1942 wahrscheinlich im KZ Neuengamme

Gilbertstraße/Ecke Scheplerstraße (Gustavstraße 82)

Arno Kubig wurde 1880 in Dresden als Sohn des Expedienten bei der Deutschen Gerichtszeitung Robert Kubig und dessen Frau Marie, geb. Nake, geboren und evangelisch-lutherisch getauft. Er hatte drei Geschwister, darunter eine Schwester Elisabeth Kubig, die 1934 unverheiratet in seiner Heimatstadt lebte. Er war ein lediglich 1,65 Meter großer, schlanker Mann mit früher Glatzenbildung. Nach dem Besuch der Volksschule erlernte er den Beruf des Kaufmanns auf einer Handelsakademie, wechselte aber nach der Ausbildung zum Varieté und arbeitete als Verwandlungssänger bzw. Damenimitator. Als Begründung gab er in einem späteren Lebenslauf zu Protokoll, er habe "eine außergewöhnlich gute Sopranstimme" gehabt. Diese Stimmbegabung verlor er jedoch im Ersten Weltkrieg, sodass er danach als Lohnbuchhalter und Kellner in einem Café arbeitete. Ab 1927 war er Besitzer eines Eisgeschäftes, das er 1931 wegen der schlechten Wirtschaftslage aufgab. Vor 1927 war er, als Folge seiner Kriegsteilnahme, zwei Jahre nervenkrank und ohne Beschäftigung gewesen und auch von 1931 bis 1935 lebte er von einer Wohlfahrtsunterstützung in Höhe von wöchentlich 15 RM. Außerdem versuchte er selbst gemalte Postkarten zu verkaufen. 1935 fand er Arbeit in verschiedenen Lokalen auf St. Pauli. Von 1937 bis 1940 arbeitete er dann in Fabriken und kam ab 1940 wieder als Gastwirtsgehilfe in St. Pauli und Altona unter, zuletzt in dem auch von Homosexuellen frequentierten Lokal "Grenzfass" am Nobistor.

Arno Kubigs Vorstrafenregister wies mehrere Verurteilungen wegen Gewerbevergehens aus, hinsichtlich seiner homosexuellen Veranlagung kam er im Mai 1937 erstmals mit der Kriminalpolizei in Konflikt. Vom 8. bis 31. Mai wurde er deshalb im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert, woran sich bis zum 4. Juni eine Untersuchungshaft wegen "wid[ernatürlicher]. Unzucht" anschloss, dem Tag seiner Verurteilung vom Amtsgericht Hamburg wegen dreier Vergehen gegen § 175 zu vier Monaten Gefängnis. Nach kurzzeitiger Entlassung trat er am 18. Juni seine Haftstrafe an und wurde am 19. September 1937 entlassen. Doch bereits ein knappes Jahr später wurde er vom 21. bis 26. Juli 1938 erneut im KZ Fuhlsbüttel eingesperrt. Anscheinend konnte ihm in diesem Fall nichts nachgewiesen werden, denn es folgten keine weiteren Haftzeiten in regulären Gefangenenanstalten oder gar eine Verurteilung. Das änderte sich jedoch nach einer am 20. Februar 1939 gegenüber dem 24. Kriminalkommissariats gemachten Aussage des Strichjungen Adalbert Wolf (geb. 1917). Nach Wolfs Angaben hatten sich die beiden 1937 im Homosexuellenlokal "Monte Carlo" an der Reeperbahn kennengelernt. In einem Verhör räumte Arno Kubig die zwei Jahre zurückliegende Sache ein, betonte aber im Polizeiprotokoll: "Wenn er mit Wolf ‚geschmust‘ habe, dann nur aus seinem ‚guten Herzen‘ heraus." Derlei Details waren den oft mit Leidenschaft bei der Homosexuellenverfolgung engagierten Kripobeamten egal. Kubig wurde zum dritten Mal vom 1. bis 3. März 1939 im KZ Fuhlsbüttel und anschließend bis 5. April im Untersuchungsgefängnis inhaftiert. Er hatte Glück, bei dem am 1. April 1939 vor dem Amtsgericht Hamburg stattfindenden Prozess auf den für seine im Ton scharfen aber in der Strafhöhe gelegentlich milden Urteile bekannten Amtsgerichtsrat Friedrich Bertram zu treffen. Arno Kubig wurde lediglich zu einer zweimonatigen Haftstrafe verurteilt, die er bis Ende April im Gefängnis Harburg absaß.

Vom 8. bis 27. Januar 1940 kam eine weitere Untersuchungshaft wegen des Verdachts "widernatürlicher Unzucht" hinzu, die abermals unbewiesen blieb und mit Kubigs Entlassung endete. Endgültig zum Verhängnis wurde Arno Kubig eine Identifikation anhand einer "Lichtbildspezialkartei" über Homosexuelle bei der Kripo durch einen bereits wegen homosexueller Betätigung in "Schutzhaft" einsitzenden Strichjungen am 9. Juli 1941. Erneute Ermittlungen gegen Arno Kubig endeten mit seiner vierten Inhaftierung im KZ Fuhlsbüttel vom 16. bis 18. Juli 1941 und anschließender Untersuchungshaft am Holstenglacis 3. Seinen Partner hatte er erst Mitte Juni 1941 auf seiner letzten Arbeitsstelle im "Grenzfass" kennengelernt und mit in seine Wohnung genommen. Trotz des jugendlichen Alters des Partners, der zur Tatzeit erst 17 Jahre alt war, sahen die Richter in der am 13. Oktober 1941 vor dem Landgericht Hamburg stattfindenden Verhandlung bei dem Kontakt mit dem Strichjungen keinen Verführungstatbestand erfüllt und verhängten in dem am 13. Oktober 1941 ausgesprochenen Urteil gegen Kubig als Wiederholungstäter eine Gefängnisstrafe von neun Monaten nach § 175. Die Haft verbüßte dieser ab 22. Oktober im Männergefängnis Fuhlsbüttel. Er sollte am 14. April 1942 entlassen werden. Als er nicht wie erhofft entlassen, sondern ins innerstädtische Polizeigefängnis Hütten in der Straße Hütten 40 überstellt wurde, war ihm vermutlich klar, dass sich für ihn als homosexueller Wiederholungstäter während der Zeit des Krieges die Situation dramatisch verschärft hatte. Die Frage war nicht länger ob, sondern nur noch wann eine Überstellung in ein Konzentrationslager erfolgte. In seiner Not richtete er am 23. April 1942 einen Antrag auf "freiwillige Entmannung" an die zuständige Gesundheitsverwaltung. Aus dem Schreiben von Arno Kubig:

"... ich bin voriges Jahr, ohne mich hiermit von meiner Schuld freisprechen zu wollen, nur durch die Rafinesse und Aufdringlichkeit dieses betreffenden Menschen rückfällig geworden. Mein Leid und meine Verzweiflung darüber ist noch heute grenzenlos. Um jede Möglichkeit auszuschließen, daß mich ein einziger Umstand jemals wieder in Konflikt bringen könnte, und damit ich nicht länger aus einem Grunde, der mir in Wirklichkeit nichts bedeutet, wie nie die Art meiner sexuellen Betätigung schwererer Natur war, so will ich mich bereit erklären, die Entmannung vornehmen zu lassen. Mein Wunsch, recht bald der Arbeit und einem anständigen Leben wieder zurückgegeben zu werden, lassen mich noch die ergebenste Bitte aussprechen, meinen Angelegenheit gütigst möglichst schnell zu bearbeiten.
Ehrerbietigst
Arno Kubig
z. Zt. Hamburg, Hütten 40 (Stat. III/91)"

Während sein Antrag Anfang Mai 1942 bearbeitet wurde und innerhalb der Gesundheitsverwaltung ärztliche Berichte und Lichtbilder angefordert wurden, scheint Arno Kubig bereits in ein Konzentrationslager, vermutlich das KZ Neuengamme, überstellt worden zu sein, wie es auch in vergleichbaren Fällen geschah. Jedenfalls notierte Obermedizinalrat Hans Koopmann am 14. August 1942, dass "Kubig inzwischen verstorben sein soll". Eine weitere Aktennotiz konkretisiert diesen Umstand: "Lt. Mitteilung der Kripo ist K. am 9.5.42 verstorben". Da es keine standesamtliche Eintragung über seinen Tod gibt, ist nicht von einem Ableben im Polizeigefängnis Hütten, sondern möglicherweise im KZ Neuengamme auszugehen.
Da sich der letzte frei gewählte Wohnsitz von Arno Kubig im Keller des Wohnhauses Gustavstraße 82 (heute Gilbertstraße) in Altona befand, erinnert dort ein Stolperstein an sein Schicksal.


Stand: September 2015
© Bernhard Rosenkranz (†) / Ulf Bollmann

Quellen: StaH, 213-8 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Verwaltung, Ablieferung 2, 451 a E 1, 1 b, Ablieferung 2, 451 a E 1, 1 c und Ablieferung 2, 451 a E 1, 1 d; StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 2906/39 und 7593/41; StaH 242-1 II Gefängnisverwaltung II, 19763 und Ablieferungen 13 und 1998/1; StaH 331-1 II Polizeibehörde II, Ablieferung 15, Band 1; StaH 332-8 Meldewesen, A 49 Band 1 (= 741-4 Fotoarchiv, K 4777) und A 51/1 (= 741-4 Fotoarchiv, K 2387); StaH 352-12 Gesundheitsbehörde – Sonderakten, Ablieferung 1999/1 Kubig; Auskunft der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Dr. Reimer Möller vom November 2008, dass in den lückenhaft überlieferten Unterlagen der Name Kubig nicht ermittelt werden kann; Müller/ Sternweiler, Homosexuelle Männer im KZ Sachsenhausen, S. 21; Rosenkranz/ Bollmann/ Lorenz, Homosexuellen-Verfolgung, S. 228.

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