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Links: Margarethe (Greta) Pniower (verh. Herrmann), mit ihren Schwestern Franziska und Edith (Zuordnung der beiden Schwestern ist nicht bekannt)
Links: Margarethe (Greta) Pniower (verh. Herrmann), mit ihren Schwestern Franziska und Edith (Zuordnung der beiden Schwestern ist nicht bekannt)
© Privatbesitz

Margarethe Hermann / Herrmann (geborene Pniower) * 1892

Mittelweg 162 (Eimsbüttel, Rotherbaum)

1942 Theresienstadt
ermordet am 17.10.1942

Weitere Stolpersteine in Mittelweg 162:
Rosalie Pniower, Franziska Riess

Rosalie Pniower, geb. Wolff, geb. 10.1.1868 in Hamburg, deportiert nach Theresienstadt am 19.7.1942, dort gestorben am 26.1.1944
Franziska Dorothea Riess, geb. Pniower, geb. 16.5.1889 in Beuthen/Oberschlesien (heute Bytów/Polen), deportiert am 11.7.1942 nach Auschwitz, ermordet
Margarethe Adolfine Herrmann, geb. Pniower, geboren am 28.9.1892 in Beuthen/Oberschlesien (heute Bytów/Polen), deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, dort gestorben am 17.10.1942

Mittelweg 162, Rotherbaum

Rosalie Pniower, geborene Wolff, geboren am 10. Januar 1868, war das älteste von sechs Kindern von Levy und Hanna Wolff. Die Eltern, beide jüdischer Konfession, wohnten in der Eimsbüttelerstraße 53 im Stadtteil St. Pauli (heute Eimsbütteler Straße, Altona-Nord). Levy Wolff betrieb zu dieser Zeit die Zigarrenfabrik L. Wolff in der Alten Gröningerstraße 27 in der Hamburger Altstadt. Diese entwickelte sich zu einem sehr erfolgreichen Familienunternehmen.

Einer von Rosalies Brüdern, der am 5. Dezember 1870 geborene spätere Fabrikant und türkische Vizekonsul Eduard Wolff, führte die Zigarrenfirma seines Vaters zunächst mit mehreren Brüdern und dann allein sehr erfolgreich weiter. Im Jahr 1935 verkaufte er es unter großem Druck an einen langjährigen Mitarbeiter. Er befürchtete, dass ihm als Jude eines Tages sein Unternehmen oder sein Anteil daran weggenommen werden würde. Erniedrigt durch ständige antisemitische Demütigungen nahm er sich am 26. Februar 1938 das Leben. (Stolpersteine erinnern an ihn in der Straße Schöne Aussicht 22 und in der Spaldingstraße 160 in Hammerbrook (Biographie siehe www.stolpersteine-hamburg.de).

Von der Kindheit und Jugend Rosalie Pniowers, geborene Wolff, kennen wir nur ihre familiären Verhältnisse, die in Eduard Wolffs Biographie ausführlich beschrieben sind.

Am 28. Januar 1888 heiratete sie den am 27. März 1855 geborenen späteren Hausbesitzer und Restaurator Max Pniower, der aus Beuthen/Oberschlesien (heute Bytow, polnische Woiwodschaft Pommern) stammte und sich laut Heiratsregistereintrag als Jude begriff. Seine Mutter, die am 19. Juli 1823 geborene jüdische Hausangestellte Ernestine Roth, hatte ihn als ihren Sohn in das Geburtsregister für Juden des ehemaligen "Königlich Preußischen Landgerichts" in Beuthen eintragen lassen.

Zum Zeitpunkt der Eheschließung lebte Max Pniower in Beuthen, Rosalie Wolff bei ihren Eltern in der Eimsbüttelerstraße 53 in Hamburg. Das Paar ließ sich zunächst in Beuthen nieder. Dort wurden die drei Töchter geboren: Franziska Dorothea am 16. Mai 1889, Edith Maria am 21. März 1891 und Margarethe Adolfine am 28. September 1892. Kurze Zeit später verlegte die Familie ihren Wohnsitz nach Hamburg. Ab 1894 lebten sie in der Neuen Gröningerstraße 17 in der Altstadt. 1906 zogen sie in die Straße Alsterglacis 10 an der Südwestecke der Außenalster. Max Pniower war nun nicht mehr als Restaurator tätig, sondern betrieb eine Agentur, deren Tätigkeitsfeld wir nicht kennen, und bald darauf einen Export-Import-Handel mit einem Lager in der Straße Pickhuben 6 im Hamburger Freihafen. Scheinbar ermöglichte diese Geschäftstätigkeit einen gehobenen Lebensstandard.

Am 5. August 1911 reiste das Ehepaar Pniower zu einem Badeurlaub auf die Nordseeinsel Norderney. Es wohnte im Hotel Germania in der Kaiserstraße, wo zwei Tage zuvor schon die Töchter Edith und Margarethe Adolfine angekommen waren. Der Urlaub endete tragisch: Max Pniower starb dort am 14. August 1911 im Alter von 56 Jahren. Statt einer Religionszugehörigkeit wurde auf dem Totenschein nun "Dissident" vermerkt.

Seine Witwe Rosalie Pniower mietete kurz darauf mit ihren drei Töchtern eine Wohnung in Hamburg, Mittelweg 162 (erster Stock). Dort wohnte auch die unverheiratete Sophie Chr. Schildt, die bei Rosalie Pniower und nach deren Scheidung auch bei Margarethe Adolfine Herrmann, geborene Pniower als Hausangestellte arbeitete.

Franziska Dorothea, Rosalies älteste Tochter, hatte die Jüdische Gemeinde am 7. November 1911 verlassen. Am 29. Januar 1912 heiratete die nun konfessionslose junge Frau den ebenfalls konfessionslosen, am 30. Juni 1875 in Hamburg geborenen Max Carl Riess und zog zu ihm in die Straße Klein Fontenay 1 im Stadtteil Rotherbaum. Die Ehe blieb kinderlos. Franziska Dorothea Riess arbeitete von 1915 bis 1918 als Lehrerin an einer Schule in St. Georg. Max Carl Riess starb am 5. Januar 1929, und seine Witwe lebte weiter in Klein Fontenay 1, bis sie das Haus in der ersten Jahreshälfte 1939 auf Anordnung der nationalsozialistischen Behörden gemäß dem Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden vom 30. April 1939 räumen musste. Bis dahin hatte sie ihren Lebensunterhalt mit der meist möblierten Untervermietung des von ihr insgesamt gemieteten zweistöckigen Wohnhauses, verdient. Als Jüdin war es ihr nun untersagt, Untermietverträge mit Nicht-Juden abzuschließen. Deshalb zog sie zu ihrer Mutter in den Mittelweg 162. Ihre Kunstgegenstände und ihr Hausrat in der Fontenay wurden, so vermutete sie, nach ihrem Auszug "von Organen des Deutschen Reiches beschlagnahmt". Andere Gegenstände, die Franziska Riess im Lager von Keim & Kraut eingelagert hatte, wurden zugunsten des Deutschen Reiches versteigert.

Edith Maria Pniower, die zweite Tochter von Rosalie Pniower, heiratete am 10. Mai 1913 den Bankier Robert Guillaume Schriever aus Lüttich (Belgien), geboren am 29. September 1884, der der protestantischen Konfession angehörte. Edith Pniower war ebenfalls Protestantin, als sie heiratete. Das Paar bekam 1920 eine Tochter, die es ebenfalls Edith Maria nannte. Die Familie wanderte 1924 nach Südafrika aus.

Margarethe Adolfine Pniower, die dritte Tochter von Max und Rosalie Pniower, heiratete Ende September 1921 in standesamtlicher und kirchlicher Trauung den evangelischen Kaufmann Richard Ludwig Johannes Herrmann. Das Paar bekam am 9. März 1923 in Hamburg eine Tochter, Ellen Margarethe, genannt Elma. Nach der Trennung im Jahr 1924 wurde die Ehe Anfang 1926 formell geschieden. Richard Ludwig Johannes Herrmann, des Ehebruchs für schuldig befunden, war zum Zeitpunkt der Scheidung bereits nach Venezuela ausgewandert.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Deutschen Reich wurden die Lebensbedingungen für jüdische Menschen immer schwieriger. Diskriminiert, sehr bald aus ihren bisherigen Berufen verdrängt, sahen sie sich zunehmend ihrer wirtschaftlichen Grundlagen sowie ihrer Bürgerrechte beraubt. Juden, die in Mischehen lebten, waren etwas besser gestellt, Kinder aus Mischehen, die nachweislich nichtjüdisch erzogen wurden, wie Ellen Margarethe Herrmann, eingestuft als "Mischling 1. Grades", standen unter Sonderrecht. Ihr Schicksal wird weiter unten beschrieben.

Hier folgt zunächst das Schicksal ihrer Verwandten im Mittelweg 162.
Viele Jüdinnen und Juden hofften vergebens, durch den Hinweis auf ihre Konversion zum Christentum von der radikalen Rassendiskriminierung ausgenommen zu werden. Franziska Dorothea Riess und Margarethe Adolfine Herrmann gingen noch einen Schritt weiter: Das von den Nationalsozialisten geänderte Familienrecht ermöglichte eine sog. Statusklage, d.h. jemand konnte einen jüdischen Erzeuger "wegklagen". Üblicherweise betraf die Argumentation derjenigen, die einen solchen Weg einschlugen, den Vater. Die beiden Frauen versuchten mit Unterstützung ihrer Mutter Rosalie Pniower, eine nachträgliche Änderung des Status’ ihres Vaters, der folglich entgegen den Angaben in den Personenstandsurkunden der Familie kein Jude gewesen sei. Sie selbst müssten daher den Status "Mischling 1. Grades" und Ellen Margarethe, die Tochter von Margarethe Adolfine Hermann, den Status "Mischling 2" erhalten.

Diese Behauptung stützte sich auf die folgende Erzählung: Rosalie Pniower erinnerte sich angeblich an ein "Geheimnis" über die Herkunft ihres verstorbenen Mannes Max Pniower, das seine Mutter Ernestine Pniower ihrer Schwiegertochter auf dem Sterbebett 1894 anvertraut habe. Max Pniowers Eltern, die Jüdin Ernestine, geborene Roth, und Adolph (Abraham) Pniower, ebenfalls ein jüdischer Restaurator, hatten am 12. Juni 1855 in Beuthen geheiratet. Obwohl Adolph (Abraham) Pniower nicht der biologische Vater sei, habe er nach der Heirat die Vaterschaft für Max anerkannt. Ernestine und Adolph Pniower hätten Max im Juli 1855 zu ihrem leiblichen Sohn erklärt. Somit sei Max Pniower dann als das legitime Kind zweier jüdischer Eltern und vier jüdischer Großeltern betrachtet worden.

Nach dem Bericht ihrer Schwiegertochter war jedoch nicht sie, die damalige Ernestine Roth, die leibliche Mutter von Max Pniower, sondern eine nichtjüdische junge Frau aus einer "guten Familie", in der Ernestine als Hausangestellte beschäftigt gewesen war. Um der leiblichen Mutter die "Schande" eines unehelichen Kindes zu ersparen, sei Ernestine eine beträchtliche Geldsumme angeboten worden, wenn sie das Kind als ihr eigenes ausgeben würde. Ernestine, die inzwischen 32 Jahre alt war, habe dem "Geschäft" zugestimmt, da sie glaubte, in ihrem für damalige Verhältnisse fortgeschrittenen Alter keine eigenen Kinder mehr erwarten zu können. So sei Max Pniower zu einem jüdischen Kind geworden.

Entgegen ihren Erwartungen bekamen Ernestine und Adolph Pniower dann doch leibliche Kinder: Benno, geboren 1860, und Siegfried, geboren 1861.

Benno heiratete die jüdische Elsa Pniower, geborene Koch. Das Paar bekam eine Tochter, Alice Pniower. 1939 flohen Alice und ihr Mann Conrad nach Australien. Benno und Elsa Pniower wurden am 1. September 1942 aus Frankfurt/Main nach Theresienstadt deportiert. Sie kamen dort ums Leben.

Siegfried Pniower heiratete Paula Karl. Aus dieser Verbindung gingen die Kinder Hertha, geboren am 5. März 1894 in Berlin, und Hans Adolf, geboren am 16. Mai 1901 in Berlin, hervor. Ihr Schicksal ist nicht bekannt. Paula Pniower (geborene Karl) war bereits Witwe, als sie 1942 in Berlin starb.

In den Jahren 1941/1942 wurde also versucht, den Status von Max Pniower auf juristischem Weg zu klären. Dabei ging es darum, ob die Nachkommen von Max Pniower und seiner jüdischen, später konvertierten Frau Rosalie, geborenen Wolff, als "Volljuden", "Halbjuden" oder "Vierteljuden" im Sinne der Nürnberger Gesetze gelten würden.

Der Rechtsstreit hätte für das Schicksal von Rosalie und ihren Töchtern Franziska Dorothea und Margarethe Adolfine von potenziell lebensrettender Bedeutung sein können. Soweit aus den Akten hervorgeht, wurde jedoch keine Entscheidung über den Status von Max Pniower getroffen. Der Prozess vor dem Hamburger Landgericht dauerte bis Juli 1942. Er hatte keine aufschiebende Wirkung auf die drohende Deportation von Franziska Dorothea Riess und Margarethe Adolfine Herrmann, die beide mit ihrer Mutter im Mittelweg 162 lebten. Rosalie Pniower und ihre Tochter Franziska Riess wurden um 1941 aus dieser Wohnung in das "Judenhaus" in der Sonninstraße 14 (heute Biernatzkistraße) in Altona verlegt. Margarethe Adolfine Herrmann durfte bis zum Schluss im Mittelweg 162 bleiben.

Franziska Riess musste sich in der für die Deportation am 11. Juli 1942 bestimmten Sammelstelle, dem Jüdischen Gemeinschaftshaus in der Hartungstraße 11 (heute Hamburger Kammerspiele), melden. Sie wurde von dort über den damaligen Hannoverschen Bahnhof nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Sie wurde am 8. Mai 1945 für tot erklärt.

Rosalie Pniower und Margarethe Adolfine Herrmann wurden am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Ihr Sammelplatz war die Schule in der Schanzenstraße. (Im Eingangsbereich der heutigen Ganztagsgrundschule Sternschanze, Altonaer Str. 38, erinnern heute Namenstafeln an die Deportierten). Sie wurden in Lastwagen zum Hannoverschen Bahnhof transportiert und ebenfalls von dort aus deportiert. Der Transportzug verließ Hamburg am 19. Juli 1942. Im Getto Theresienstadt verstarb Margarethe Adolfine Herrmann am 17. Oktober 1942, Rosalie Pniower am 26. Januar 1944.

Der Mittelweg 162 war die letzte frei gewählte Adresse von Rosalie Pniower, Franziska Riess und Margarethe Adolfine Herrmann. Deshalb erinnern dort Stolpersteine an diese drei Frauen. (Der Nachname in der Inschrift des Stolpersteins, der an Margarethe Adolfine Herrmann erinnert, enthält nur ein "r". Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Name in den Akten mehrfach falsch geschrieben wurde.)

Die Verfolgung von Ellen Margarethe Herrmann, Tochter von Margarethe Adolfine Herrmann
Ellen Margarethe Herrmann war im Juni 1927 im Beisein ihres Großonkels, des erfolgreichen jüdischen Zigarrenfabrikanten Eduard Wolff, in der St. Johannis-Kirche in Harvestehude getauft worden. Aufgrund ihres nichtjüdischen Vaters, ihrer Mutter, die nach Ansicht der Nationalsozialisten Jüdin war, und ihrer protestantischen Zugehörigkeit galt sie als "Mischling ersten Grades". Zusammen mit ihrer Mutter lebte sie seit ihrer Geburt bei ihrer Großmutter Rosalie Pniower im Mittelweg 162. Ihre Einstufung als "Halbjüdin" wurde Ellen Margarethe erst mitgeteilt, als sie 1937 aus diesem Grund die Klosterschule verlassen musste. Sie war von der aufgelösten reformpädagogischen Lichtwarckschule dorthin umgeschult worden und besuchte schließlich ab Oktober 1937 die Emilie-Wüstenfeld-Schule in der Bundesstraße in Eimsbüttel. Mit dem Ende der Untersekunda im Herbst 1939 musste sie auch diese Schule verlassen (Hintergrund dieser Abschulung war, dass einzelne Schulen in Hamburg nicht mehr als 5% jüdische Schülerinnen/Schüler unterrichten durften).

Das Abgangszeugnis wurde von dem Klassenlehrer Krüger und dem Schulleiter Otto Hartleb unterzeichnet, der am 1. Mai 1933 in die NSDAP eingetreten war und ab August desselben Jahres die Emilie-Wüstenfeld-Schule leitete. Mehrere Versuche ihrer Mutter, Ellen Margarethe zu ermöglichen, ihr Abitur an einem anderen Ort abzulegen, blieben erfolglos.

Ellen Margarethe war von Kindesbeinen an eine Tier-, insbesondere eine Pferdeliebhaberin. Schon als Kind lernte sie das Dressurreiten in einer Reitschule in Rotherbaum. Dort verbrachte sie jede freie Minute damit, den Pferden zuzusehen oder in den Ställen zu lernen, wie man sie pflegt. Als Mischling "1. Grades" durfte sie jedoch nicht an Turnieren teilnehmen.

Der Berufswunsch, Tierärztin zu werden, blieb ihr u.a. wegen des fehlenden Schulabschlusses verschlossen. Auch das alternative Ziel, Werbezeichnerin zu werden, wurde ihr verwehrt. Der Besuch einer staatlichen Schule war ihr nicht gestattet. Für eine vierjährige Ausbildung an einer privaten Zeichenschule fehlte das Geld. Später besuchte sie notgedrungen einen Kursus an der Gewerbeschule Grone und fand danach eine Anstellung bei der Import- und Exportfirma Behr, Schultz & Co.

Ende Juli 1941 verbrachte Ellen Margarethe Herrmann vier Tage in Gestapo-Haft, weil sie grundlos verdächtigt wurde, mit dem wegen Spionageverdachts ausgewiesenen amerikanischen Vizekonsul Ralph C. Getsinger näher bekannt zu sein. Der Hintergrund findet sich in einem Artikel des NSDAP-Organs "Innsbrucker Nachrichten" vom 20. Juni 1941. Unter der Überschrift "Schließung der USA-Konsulate im Reich" heißt es dort: "Vizekonsul Ralph C. Getsinger am amerikanischen Generalkonsulat in Hamburg betrieb im Frühjahr 1941 Spionage gegen das Deutsche Reich, indem er Skizzen des Eisenbahnnetzes und der Hauptzufahrtsstraßen des Deutschen Reiches anfertigte." Nach stundenlangen Verhören wurde Ellen Margarethe Herrmann freigelassen.

Im September war sie als Sympathisantin der Hamburger "Swing-Jugend" aufgefallen. Diese Jugendlichen hörten verbotene Swing-Musik und pflegten, soweit es ihnen möglich war, einen britischen Kleidungsstil. Der Kriminalsekretär Hans Reinhardt verhörte sie im Stadthaus, der Hamburger Gestapo-Zentrale. Nach dreitägigem Verhör wurde sie zunächst freigelassen. Bei einer anschließenden Hausdurchsuchung wurden bei ihr Unterlagen gefunden, als deren Besitzer fälschlicherweise Getsinger vermutet wurde. Dieser Fund schien den Verdacht zu bestätigen, dass sie mit den Amerikanern sympathisierte. Sie wurde am 12. September 1941 im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel (bekannt als KolaFu) inhaftiert. Nach 28 Tagen voller Verhöre wurde sie mit der ironischen und bedauernswerten Erklärung entlassen, dass "weil sich ein ausländisches Schwein [gemeint war der schwedische Generalkonsul] über Kaufmanns Adjutanten für ihre Freilassung eingesetzt hatte, sie bis zum Ende des Krieges in einem 'Kurort' untergebracht würde - falls sie das Kriegsende dort erleben sollte."

Ellen Margarethe Herrmann wurde - nun unter Gestapo-Bewachung - als Hilfsarbeiterin nach den Schießpulverfabriken der Dynamit A.G. in Düneberg westlich von Geesthacht gebracht. Tausende von Zwangsarbeitern aus Frankreich, Italien, Belgien und den Niederlanden waren dort inhaftiert. Ellen Margarethe lebte in Baracken zusammen mit Hunderten von zwangsverpflichteten französischen Arbeiterinnen.

Dreimal erhielt sie die Erlaubnis zu einem Sonntagsausflug nach Hamburg. Während eines dieser Urlaube wurde sie von einem entfernten Bekannten auf der Straße angesprochen. Nachdem sie ihn über ihre Situation informiert hatte, sagte er, er werde sehen, was man für sie tun könne. Bald darauf fand ein Anwerbeversuch der Spionageabwehr in Düneberg statt, verbunden mit dem Angebot, dass sie nach Hamburg zurückkehren könne, wenn sie ausländische Konsuln aushorche und sich melde, wenn ein Diplomat "Interesse an militärischen Einrichtungen in Hamburg" habe. Angesichts des damit verbundenen Versprechens, in Zukunft von der Gestapo unbehelligt zu bleiben, willigte sie im April 1942 ein. Ellen Margarethe Herrmann wurde im April 1942 aus Düneberg entlassen. Die Familienangehörigen erfuhren davon nichts.

Zurück in Hamburg konnte Ellen Margarethe Herrmann nicht in der Wohnung ihrer Mutter oder Großmutter und Tante im ersten Stock wohnen, da inzwischen andere Mieter in die Wohnung eingezogen waren. Franziska Riess und Rosalie Pniower hatten – wie oben erwähnt - in der Zwischenzeit in das "Judenhaus" in der Sonninstraße 12/14 in Altona "umziehen" müssen. Ellen Margarethe "wohnte" nun in einem Kellerraum, den Sophie Schildt, die ehemalige Haushälterin der Familie, ihr überließ.

Ellen Margarethe Herrmann erhielt vom Verbindungsoffizier der Spionageabwehr den Auftrag, den dänischen Diplomaten Dr. Hans Bertelsen zu beobachten, der bald ein Zimmer bei Sophie Schildt mieten würde. Zwischen dem Dänen und Ellen Margarethe Herrmann entwickelten sich sehr enge freundschaftliche Beziehungen. Der Kontakt führte jedoch nicht zu den von der Abwehr erhofften Informationen. Ellen Margarethe Herrmanns Tätigkeit für die Abwehr endete Ende November 1942; ihre Beziehung zu Hans Bertelsen dauerte bis 1943.

Zu Beginn ihrer Bekanntschaft mit Hans Bertelsen war Ellen Margarethe Herrmann bereits im dritten Monat schwanger. Am 6. Mai 1943 brachte sie eine Tochter zur Welt, die aufgrund der Inhaftierung ihrer Mutter die folgenden Säuglings- und Kleinkindjahre größtenteils bei Verwandten aufwachsen musste.

Hans Bertelsen und seine dänische Sekretärin Edith Christensen wurden Ende April 1944 von der Gestapo in Kopenhagen unter dem Verdacht der Spionagetätigkeit verhaftet. Er wurde bis zum Ende des Krieges in Deutschland gefangen gehalten.

Da Ellen Margarethe Herrmann verdächtigt wurde, den dänischen Diplomaten über ihren Auftrag informiert zu haben, wurde sie am 9. Mai verhaftet, mehrere Wochen lang täglich verhört, die restliche Zeit im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel in Einzelhaft gehalten und schließlich am 29. Juli entlassen. Der Versuch, sie zu zwingen, gegen Hans Bertelsen auszusagen, war offenbar missglückt.

Ellen Margarethe Herrmann nahm keine Vergütung für ihre Arbeit an. Sie lebte von den Mitteln, die ihr ihre Mutter hinterlassen hatte. Diese Mittel stammten aus dem Nachlass von Eduard Wolff zugunsten von Rosalie Pniower, den Margarethe Adolfine Herrmann als Erbin erhalten hatte.

Ende August/Anfang September 1944 wurde Ellen Margarethe Herrmann über ein Durchgangsgefängnis in Berlin Alexanderplatz in das Frauengefängnis Cottbus gebracht. Der von der Gestapo geplante Prozess vor dem Volksgerichtshof wurde wegen Unzuständigkeit an das Reichskriegsgericht in Torgau abgegeben. Dorthin wurde Ellen Margarethe Herrmann im Oktober 1944 verlegt. Nach sechs Wochen in einer kleinen Zelle mit elf weiblichen Häftlingen mit fortgeschrittenen Infektionskrankheiten wie Lungentuberkulose, Syphilis, Hautkrankheiten im Gerichtsgefängnis wurde sie zum Arbeitsdienst in eine andere Zelle verlegt, weil sie noch nicht infiziert war. Kurze Zeit später begann das Verhör vor dem Reichskriegsgericht. Der Ankläger, Reichskriegsanwalt Oberstleutnant van de Loo, verdeutlichte Ellen Margarethe Herrmann, dass ihr Schicksal von der Entscheidung des Reichskriegsgerichts abhänge. Da der "Schutzhaftbefehl" noch gültig war, würde ein Freispruch die Auslieferung an die Gestapo, d.h. in ein Konzentrationslager bedeuten. Ellen Margarethe Herrmann verstand, dass im Falle eines Geständnisses und entsprechender Inhaftierung in einem Gerichtsgefängnis eine Überlebenschance bis zum Eintreffen der Alliierten bestehen würde.

Am 28. Februar 1945 fand der Prozess vor dem Reichskriegsgericht statt. Auf die Suggestivfrage eines Richters gab sie zu, dass Hans Bertelsen 1942 ihr gesagt habe, er habe Beweise für ihre Mitgliedschaft in der Abwehr. Sie habe dies nicht zugegeben und auch davon abgesehen, es der Abwehr zu melden. Diese Aussage - so Ellen Margarethe später im Wiedergutmachungsverfahren - sei eine reine Schutzbehauptung gewesen, die in keiner Weise der Wahrheit entsprochen habe. Das Gericht sah darin, wenn nicht einen beabsichtigten, so doch einen unbeabsichtigten Verstoß gegen die Schweigepflicht. Die Staatsanwältin forderte drei Jahre Haft unter Anrechnung ihrer bisherigen Haftzeit. Das Urteil lautete auf ein Jahr Haft. Das Gericht hielt eine Freiheitsstrafe von einem Jahr unter Berücksichtigung aller Umstände für eine notwendige, aber auch ausreichende Sühne. Da Ellen Margarethe Herrmann an der relativ langen Dauer der Untersuchungshaft kein Verschulden getroffen hatte, rechnete das Gericht neun Monate davon auf die Strafe an. Ellen Margarethe Herrmann war somit dem Zugriff der SS entzogen.

Als die Rote Armee das Elbufer erreichte und Torgau unter Beschuss nahm, wurde das Gefängnis evakuiert. Am 14. April 1945 erhielten die Häftlinge ihre wenigen zivilen Habseligkeiten zurück. Ellen Margarethe Herrmann und die anderen Gefangenen verließen gemeinsam das Gefängnis in Torgau durch das geöffnete Haupttor.

Nachdem Ellen Margarethe Herrmann weitere Gefahren und eine sechswöchige Einzelhaft in einem alliierten Gefängnis in Wiesbaden aufgrund einer Verwechslung mit dem ersten Sekretär des Reichskriegsgerichts überlebt hatte und dieser Irrtum aufgeklärt war, erreichte sie im November 1945 Hamburg.

Gemeinsam mit ihrer Tochter verließ Ellen Margarethe 1948 Deutschland. Sie führte in Australien ein neues, eigenständiges Leben. Ihre Enkel Sarah und Ben berichteten, dass ihre Großmutter durch die Verfolgung während der Nazizeit traumatisiert gewesen sei. Ihre Tochter Beatrice wurde größtenteils von Verwandten aufgezogen, die vor dem Krieg nach Australien ausgewandert waren. Beatrice soll in der Obhut ihrer Verwandten eine schöne Kindheit gehabt haben.

Stand: November 2023
© Ingo Wille

Quellen: 1, 3, 4, 5, 7, 9; Hamburger Adressbuch (diverse Jahrgänge); StaH 213-13 Landgericht Hamburg – Wiedergutmachung 6645 Edith Schriewer geb. Pniower, 6646 Pniover, Rosa geb. Wolff (geb. 10.01.1868, gest., 26.01.1944), Herrmann, Elma, Schriewer, Edith geb. Pniover (geb. 21.03.1891), 6647 Schriewer, Edith geb. Pniover (geb. 21.03.1891), Herrmann, Elma. Philipp, Alfred, 6648 Edith Schriewer geb. Pniower, 6648 Elma Herrmann, 6650 Riess, Franziska Dorothea geb. Pniower, 13372 Elma Herrmann, 13383 Pniower, geb. Wolff, Rosalie, 25349 Riess Franziska geb. Pniower, 231-3 Handelsregister B 17279; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 1199 Pniower Rosa, 621-1/84_96 "Status-Klage" von Franziska Dorothea Riess und Adolfine Herrmann gegen Rosalie Pniower wg. Abstammung ("Mischlingseigenschaft"), 45830 Ellen-Margarethe Herrmann; 332-5 Standesämter 2725 Heiratsregister Nr. 95/1888 Max Pniower/Rosalie Wolff; 8682 Heiratsregister Nr. 25/1912 Franziska Dorothea Pniower/Max Carl Riess; 621-1/84_96 "Status-Klage" von Franziska Dorothea Riess und Adolfine Herrmann gegen Rosalie Pniower wg. Abstammung ("Mischlingseigenschaft"); Arolsen Archives: Standesamt, Sterberegister Nr. 410/1956 Margarethe Adolfine Herrmann geb. Pniower; Standesamt Beuthen, Geburtsregister Nr. 594/1889 Franziska Dorothea Pniower, Geburtsregister Nr. 405/1891 Edith Pniower, Geburtsregister Nr. 1333/1892 Margarethe Adolfine Pniower, Sterberegister Nr. 623/1876 Adolph Pniower, Sterberegister Nr. 232/1894 Ernestine Pniower; Erinnerungsort Torgau, Auskunft über Inhaftierung von Ellen Margarethe Herrmann mit Verweis auf alte Signatur des Bundesarchivs BA ZA Dahlwitz-Hoppegarten M 1019 A 56 Eintrag 880; Gedenkstätte "Roter Ochse" Halle (Saale), Kriegsgerichtsurteil über Ellen Margarethe Herrmann, Verweis auf Originalquelle: Militärhistorisches Archiv der Tschechischen Republik, Prag, MHA Prag, Senatsakten, Karton 4:Akte 19. Strafsache 2. Senat ./. HERRMANN, Ellen, geb. 9.3.1923 in Hamburg, (gehört zur Sache Dr. BERTELSEN, Hans, Jg. 1906, Beamter in dän. Außenministerium; Anklageverfügung wg. Spionage, UHaft im WMG Torgau, Zeuge im Verfahren gg. Ellen Herrmann); Beate Meyer, "Jüdische Mischlinge" Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933-1945, Hamburg 1999, S. 113 ff.; Ancestry.de, Sammlung Polen: Index jüdischer Aufzeichnungen der Datenbank der Lebensdaten (Heiraten), Bytom 1855, page 29, Film 1271495, Zeile 21 Adolph Pniower/ Abraham Pniower/Ernestine (Esther) Roth; Institut Terezinské iniciativy, Todesfallanzeige Margarethe Adolfine Herrmann; Bundesarchiv Gedenkbuch Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945, Einträge: Herrmann Margarethe Adolfine Adolfina geb. Pniower, Pniower Rosalie geb. Wolff, Rieß Franziska geb. Pniower; Hans-Peter de Lorent, Täterprofile, Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz und die Kontinuität bis in die Zeit nach 1945, Band 3, Hamburg 2019, S. 416 ff.1; Innsbrucker Nachrichten, Parteiamtliches Organ der NSDAP. Gau Tirol-Vorarlberg, vom 20.6.1941 https://diglib.uibk.ac.at/download/pdf/3986391.pdf Zugriff am 2.10.2023; Zu Kriminalsekretär Hans Reinhardt,siehe: Datenbank online, Die Dabeigewesenen (Zugriff am 14.10.2023); www.gedenkstaetten -in-hamburg.de: Namenstafeln an der Ganztagsgrundschule Sternschanze für die Deportationen vom 15. und 19. Juli 1942.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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