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Franz Lorenzen * 1885

Behnstraße 83 (Altona, Altona-Altstadt)


Alsterdorfer Anstalten
ermordet 13.11.1942

Franz Jürgen Ludwig Lorenzen, geb. am 19.4.1885, am 4.7.1900 eingewiesen in die damaligen Alsterdorfer Anstalten, dort gestorben am 13.11.1942

Behnstraße 83

Franz Lorenzen wurde am 19. April 1885 als erstes Kind des Buchhändlers Hermann Peter Friedrich Lorenzen und seiner Ehefrau Marie Christine Dorothea, geborene Hudemann, geboren. Hermann Lorenzen kaufte das um 1862 errichtete Haus Behnstraße 83 und zog 1911 mit seiner Schulbuchhandlung, die er 1885 in der Großen Bergstraße 174 gegründet hatte, dorthin. Sein Sohn Anton Hans, geb. 1890, führte später die elterliche Buchhandlung bis zu seinem Tode 1968 fort, sein jüngerer Sohn Hermann Ludwig, geb. 1894, kam 1917 im Ersten Weltkrieg in Belgien ums Leben.

Von Franz Lorenzens Kindheit ist in den Familienunterlagen nichts überliefert, außer, dass er an "Zahnkrämpfen” gelitten habe und geistig zurückgeblieben sei. Ob er gesund geboren wurde oder erst im Kindes- oder Schulalter erkrankte, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden.

Im Konfirmandenbuch der Altonaer St. Petri Kirche ist verzeichnet, dass er am 1. April 1900 vom Hauptpastor Schmidt konfirmiert wurde. Als Schule wurde "Hilfsschule" angegeben.

Im Alter von 15 Jahren kam Franz Lorenzen laut Stammkarte am 4. Juli 1900 als Patient in die damaligen Alsterdorfer Anstalten. Möglich ist, dass seine Eltern im Jahre 1900, konfrontiert mit der Pubertät ihres Sohnes und der durch die Behinderung beeinträchtigten Möglichkeit einer Berufsausbildung, keinen anderen Weg sahen, als ihn in kirchliche Obhut nach Alsterdorf zu geben.

In den damaligen Alsterdorfer Anstalten soll er mit leichten pflegerischen Tätigkeiten betraut gewesen sein. Mit einem Christian Brüggemann entstand in der Anstalt eine Freundschaft.

Ab und an besuchte Franz Lorenzen die Familie. Er konnte mit der Straßenbahn allein von Alsterdorf nach Altona fahren. Als höflicher, freundlicher, liebenswürdiger Mensch war er in die Familie einbezogen. Lediglich seinen Alltag konnte er offenbar nicht allein organisieren. Am Familienleben seines Bruders nahm er regen Anteil. Im Tagebuch seiner Schwägerin Frida Lorenzen fand sich ein von Franz handschriftlich verfasstes Gedicht zur Taufe ihres Sohnes Theo im Jahr 1930.

"Meinem lieben Neffen Theodor zum Tauffest 1930
Herr Storch sprach wieder bei uns vor und brachte uns den Theodor,
der Bub ist prachtvoll, gesund, denn sein Gewicht betrug acht Pfund.
Sein Bruder ernst im Gesicht und traute nur der Sache nicht,
dann aber ruft er: O wie fein! Das soll mein Lieblingsbruder sein!"
So lauteten die ersten zwei der sechs Strophen.

Franz Lorenzens Vater verstarb 1935, seine Mutter kam 1941 bei einem Unfall ums Leben. Aufgrund von Nachforschungen in der Familiengeschichte erhielt unsere Familie von der Evangelischen Stiftung Alsterdorf im Dezember 1987 eine Kopie der undatierten Epikrisenkarteikarte, wo der Krankheitsverlauf vonseiten des Arztes beurteilt wurde, mit der Diagnose "Imbezillität", im damaligen medizinischen Vokabular eine Bezeichnung für "Schwachsinn zweiten Grades", und eine Kopie der Stammkarte des Bewohners Franz Lorenzen. Der Anstaltsarzt Kreyenberg führte diese Karteikarten als "Erbgesundheitskartei" mit einem Auszug aus dem Stammbaum. Hier heißt es: "Patient litt an einem Schwachsinn mittelschweren Grades. Er wurde mit Hausarbeiten beschäftigt, die er ruhig, fleissig und zur Zufriedenheit ausführte. Kam zuweilen durch Geringfügigkeiten in heftige Erregungszustände und war dann nur schwer zu beruhigen. An den Tagesereignissen nahm er regen Anteil, Körper und Kleidung hielt er sauber.

Nachdem in letzter Zeit ein immer deutlicher werdender geistiger und körperlicher Verfall eintrat, erfolgte am 13.11.1942 um 18.15 Uhr Exitus letalis infolge Marasmus."

"Marasmus" beschreibt einen allgemeinen Verfall und Kräfteschwund durch hochgradige Abmagerung infolge von Unterernährung. In der Familie wurde überliefert, dass sein Bruder, mein Vater, ihn ein bis zwei Wochen vor seinem Tod in Alsterdorf besucht und gesund vorgefunden hatte.

Weitere Unterlagen über unseren Angehörigen wurden durch die Bombenschäden am Archivgebäude leider vernichtet.

Franz Lorenzen kam im Alter von 57 Jahren unter den widrigen Bedingungen in den damaligen Alsterdorfer Anstalten ums Leben. Todesursache waren vermutlich mangelhafte Ernährung, mangelnde Pflege und Fürsorge und medizinische Unterversorgung. Seine Urne wurde 1942 in der Familiengrabstelle auf dem Friedhof Diebsteich beigesetzt.

Stand September 2015

© Hans-Herbert Lorenzen, Neffe von Franz Lorenzen

Quellen: Dokumente im Familienbesitz: Taufverzeichnis St. Petri Altona, 1885 mit lfd. Nr. 151 (S. 284), Archiv der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, 746 (Epikrisenkarteikarte und Stammkarte Franz Jürgen Ludwig Lorenzen), 959 (Todesbescheinigung und Totenschein); Wunder, Auf diese schiefen Ebene, S. 97–125.

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