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Moritz Joseph Meiseles * 1897

Juliusstraße 12 (Altona, Sternschanze)


HIER WOHNTE
MORITZ JOSEPH
MEISELES
JG. 1897
FLUCHT BELGIEN
LAGER MECHELEN
DEPORTIERT 1943
AUSCHWITZ
ERMORDET

Moritz Joseph Meiseles, geb. am 12.10.1897, abgeschoben nach Polen am 28.10.1938, Flucht nach Belgien im Februar 1939, von dort deportiert nach Auschwitz am 31.7.1943, ermordet

Juliusstraße 12

Der jüdischen Familie Meiseles gelang trotz vieler Hindernisse und Fahndungsmaßnahmen von Seiten der deutschen Finanz- und Zollbehörden die Flucht nach Belgien. Während der deutschen Besetzung Belgiens wurden die Eheleute nach Auschwitz deportiert. Moritz Meiseles wurde ermordet. Estera Meiseles gelang es, ihre Kinder in Sicherheit zu bringen und selbst das Vernichtungslager zu überstehen. Nach dem Krieg legte sie Zeugnis ab von der Zeit der Verfolgung und dem Kampf ums Überleben.

Moritz Joseph Meiseles kam am 12. Oktober 1897 als Sohn von Salomon Meiseles und Priwa, geb. Jekel, in der Stadt Sosnowiec (Sosnowitz) im heutigen Polen zur Welt. Seine Ehefrau Estera Itta, geb. Karafiol-Dörfler, stammte aus Lancut (Landshut) im polnischen Galizien, wo sie am 20. Juni 1895 geboren war. Beide waren von Geburt an österreichische Staatsbürger. Nach dem Ersten Weltkrieg erhielten sie die polnische Staatsbürgerschaft, weil sie aus dem Teil Galiziens stammten, der zu Polen kam.

Nach dem frühen Tod des Vaters kam Estera mit ihrer Mutter Ch. Dörfler und den zwei Schwestern Anna und Eva 1910 nach Altona. In der Friedenstraße 51 (heute Lippmannstraße) gründete die Mutter ein Textil-Einzelhandelsgeschäft und betrieb dort einen gut gehenden Verkauf von "Weißwaren", von Wäschetextilien. Ausgebildet als Weißnäherin übernahm Estera im Geschäft ihrer Mutter Ein- und Verkauf und fertigte selbst Wäschestücke. Ihre Mutter kaufte schließlich das Grundstück Juliusstraße 12–14, Ecke Friedenstraße 51, ein Doppelhaus mit zwei Eingängen.

Moritz Meiseles hatte eine höhere Schulbildung genossen und beherrschte mehrere Sprachen, u. a. Französisch und Englisch. Er hatte eine Handelsschule absolviert und war bilanzsicherer Buchhalter. Vor dem Ersten Weltkrieg arbeitete er bei der Generalvertretung der Osram-Glühlampen-Gesellschaft und einer Leder-Großhandlung und übernahm dann die Leitung der Pantoffelfabrik seines Vaters, der in Wattenscheid und Gelsenkirchen wohnte. Auch war er Teilhaber im Schuhwaren- und Textilgeschäft seines zwei Jahre jüngeren Bruders Oscar Jescheskiel Meiseles in Wattenscheid. Während des Ersten Weltkrieges leistete er Militärdienst.

Als Moritz Meiseles 1927 Estera Karafiol-Dörfler geheiratet hatte, brachte er eigenes Kapital ein und übernahm das Geschäft seiner Schwiegermutter. Im selben Jahr gründete er eine zweite Firma mit Sitz in der Juliusstraße 12–14, die "Textilia Webwarengroßhandlung". Estera Meiseles organisierte weiterhin den Einkauf der Textilien, kümmerte sich zusammen mit vier Angestellten um den Verkauf und überwachte die Herstellung der Bettwäsche.

Nachdem die Eheleute anfangs in der Mietwohnung von Esteras Mutter in der Friedenstraße 62 gewohnt hatten, zogen sie 1930 ins Erdgeschoss des Hauses Juliusstraße 12–14. Sie bekamen drei Söhne. Am 12. Januar 1930 kam Arie Jakob zur Welt, es folgten am 1. März 1931 Oscar Falk und am 18. Februar 1934 Kuno. Ein Haus- und ein Kindermädchen waren Angestellte der Familie.

Seit 1928 war Moritz Meiseles Mitglied der Altonaer Jüdischen Gemeinde und zahlte Steuern. Zunächst florierte das Textilwarengeschäft. Doch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 gingen die Umsätze auf Grund des Boykotts jüdischer Firmen erheblich zurück. Estera Meiseles erinnerte sich: "Wir erhielten einen SA-Posten vor die Tür gestellt. Der Umsatz nahm rapide ab. Auch stellten unsere Lieferanten die Lieferungen zwangsweise ein, ungeachtet der uns zustehenden großen Kontingente."

1937 zog die Familie in eine Fünfzimmerwohnung in der Adolphstraße 155 (heute Bernstorffstraße). 1938 mussten die Meiseles aufgrund der Maßnahmen zur Ausschaltung der Juden aus der Wirtschaft damit beginnen, die Warenbestände zu verschleudern, um beide Firmen langsam aufzulösen. Sie hatten vor, auszuwandern und im Ausland eine neue Existenz zu gründen.

Im Oktober 1938 beauftragte das deutsche Auswärtige Amt die Polizei, Juden und Jüdinnen polnischer Herkunft aus dem gesamten Reichsgebiet nach Polen abzuschieben. Mit einem Zug, der vom Bahnhof Altona abfuhr, wurden mehr als tausend jüdische Menschen aus Hamburg am 28. Oktober ins Grenzgebiet bei der polnischen Stadt Zbaszyn (Bentschen) gebracht.

Auch Familie Meiseles bekam im Rahmen der "Polenaktion" von heute auf morgen den Ausweisungsbefehl. "Wir mussten alles stehen und liegen lassen. Wir haben einfach alles abgeschlossen und sind weggefahren. Wir hatten eben resigniert und nahmen an, dass unser Vermögen ohnehin beschlagnahmt werden würde. Am nächsten Tag durften wir aber dann von Bentschen wieder zurückfahren, weil inzwischen andere Vereinbarungen zwischen Deutschland und Polen getroffen worden waren. Von diesem Zeitpunkt an haben wir unsere Auswanderung in die USA betrieben."

Moritz Meiseles bat eine Kusine in den USA um ein Affidavit. Sein Bruder Max lebte in Brooklyn. Die Meiseles beantragten beim Finanzamt Hamburg-Altona eine "Unbedenklichkeitsbescheinigung", den für die Emigration unabdingbaren Beleg, dass keine Steuerschulden vorlagen. Doch bevor das Zertifikat für die Auswanderung nach Amerika eintraf, gab es Probleme mit der Zollfahndung. Moritz Meiseles hatte ordnungsgemäß mit am Bahnhof Altona abgegebener Zollerklärung eine Kiste mit Haushaltsgegenständen, seiner Bibliothek und Wäsche nach Antwerpen geschickt, wo seine Schwägerin Anna Ostersetzer mit ihrem Mann wohnte.

Im Hauptzollamt war inzwischen ein Brief aus Antwerpen in jiddischer Sprache mit hebräischen Buchstaben abgefangen worden, adressiert an Eva und Bernard Zamojre, Schwester und Schwager von Estera Meiseles. Dem Brief war zu entnehmen, dass das Ehepaar nach Belgien auswandern wollte. Bei der Zollbehörde entstand der Verdacht der illegalen Ausreise. Die Oberfinanzbehörde, die Maßnahmen ergriff, um wohlhabende jüdische Auswanderer vor der Emigration vollständig auszuplündern, wurde informiert. Gegen Eva Zamojre lief bereits ein Ermittlungsverfahren der Zollfahndungsstelle. Sie hatte kurz nach der "Polenaktion" am Hamburger Hauptbahnhof eine Sendung an eine ausgewiesene verwandte polnische Jüdin aufgegeben. Bei der Devisennachschau war, versteckt in einer Schreibmaschine, ein Geldschein im Wert von 100 Reichsmark (RM) gefunden worden. Am 13. Januar 1939 veranlasste die Gestapo eine Hausdurchsuchung in der Wohnung des Ehepaares Zamojre in der Rappstraße 15. Weil Moritz Meiseles dort gerade zu Besuch war, notierte die Gestapo seinen Namen.

Estera und Moritz Meiseles handelten sofort. Ihre Söhne Arie und Oscar Falk ließen sie bei der jüdischen Familie Hillelsohn (s. dieselbe, S. 73 ff.) in der Wohlersallee 58 zurück, der jüngste Sohn Kuno wurde im Kindertagesheim der Jüdischen Gemeinde, Jungfrauenthal 37, untergebracht. Am folgenden Tag, dem 14. Januar 1939, flohen die Eheleute Meiseles ins Rheinland, nach Düsseldorf. Die Behörden mussten feststellen: "Beide Ehepaare sind seit dem 14.1.39 flüchtig."

Am 16. Januar 1939 erließ der Oberfinanzpräsident gegen die Eheleute Meiseles eine "Sicherungsanordnung"; ihre Konten wurden gesperrt. Eine Woche später, am 23. Januar, stellte die Zollfahndungsstelle Hamburg einen Haftbefehl gegen Meiseles und Zamojres wegen Vergehens gegen das Devisengesetz aus. Ermittlungen bei einer Nachbarin der Meiseles im Haus Adolphstraße 155 ergaben, dass schon drei Wochen zuvor sieben schwere Kisten mit einem Transportauto abgeholt und Ende Dezember 1938 als Umzugsgut nach Belgien gesandt worden seien. Die Behörde hegte Verdacht auf illegale Auswanderung und "gemeinsame Fluchtplanung" der Ehepaare. Unterstellt wurde, Meiseles hätten kein Umzugsgut, sondern Handelsware ohne Exportvalutaerklärung ins Ausland versandt. Das Geschäft in der Juliusstraße war geräumt, sodass die Behörde schlussfolgerte, Meiseles hätten einen unangemeldeten Ausverkauf betrieben. Ihre Wohnung wurde zwangsgeräumt.

Ein Anwalt riet den Meiseles, um ihre Rechte zu kämpfen. Moritz Meiseles wartete im Rheinland, während seine Frau Anfang Februar 1939 nach Altona zurückkehrte, um dort feststellen zu müssen, dass der gesamte Hausrat vom Gerichtsvollzieher abgeholt worden war. Am 2. Februar 1939 beschwerte sie sich bei der Devisenstelle, sie komme aus dem Rheinland zurück und habe ihre Wohnung verschlossen und versiegelt vorgefunden. Den Aufenthalt ihres Ehemannes gab sie nicht preis. Die Gestapo verhaftete sie umgehend wegen Devisenvergehens und lieferte sie ins Untersuchungsgefängnis Hamburg ein. Eine Meldung ging an die Behörde des Oberfinanzpräsidenten: "Moritz Meiseles ist laut tel. Auskunft vor der Zollfahndungsstelle geflüchtet. Frau Meiseles ist in Haft genommen."

Das Finanzamt Hamburg-Altona legte eine Vermögensaufstellung der Meiseles vor. Das Ehepaar besaß je ein Drittel Anteil an den Mietwohngrundstücken Juliusstraße 12–14 und Friedensstraße 51, die Ware aus der Textilgroßhandlung, eine goldene Uhr und Schmuck sowie Barvermögen.

Da seine Frau ihn nicht wie verabredet anrief, floh Moritz Meiseles illegal über die Grenze nach Belgien zu seiner Schwägerin Anna Ostersetzer, die in Antwerpen in der Minervastraße 1a wohnte. Um seine Frau freizubekommen, setzte er sich von dort aus mit einem Hamburger Rechtsanwalt in Verbindung. Bedingung für ihre Freilassung war die Zahlung einer Lösegeldsumme in Höhe von 1.000 holländischen Gulden an die Hamburger Zollfahndungsstelle. Es gelang ihm, das Geld von Verwandten in Belgien und Luxemburg zu besorgen. Am 5. Mai 1939 wurde Estera Meiseles aus der Haft unter der Auflage entlassen, Deutschland bis zum 15. Juli zu verlassen.

Zunächst fand sie Unterkunft in der Kielortallee 13, bei Goldberg. Während ihrer U-Haft war das Vermögen der Familie beschlagnahmt, das Textilwarengeschäft entzogen und zwangsweise liquidiert, das Warenlager verschleudert worden. Estera Meiseles gelang es, ihren Hausrat beim Gerichtsvollzieheramt auszulösen und gegen Zahlung der Transportkosten zurück in die Wohnung schaffen zu lassen. Ihr Steuerberater Kurt Löhmann beantragte bei der Behörde des Oberfinanzpräsidenten, für Fracht und Spedition nach Antwerpen 500 RM aus dem gesperrten Konto "CH, Dörfler Erben" bei der Westholsteinischen Bank Altona freizustellen.

Am 15. Juli lief der Ausweisungsbefehl der Fremdenpolizei gegen Estera Meiseles ab. Zehn Tage später, am 25. Juli 1939, meldete sie sich unter Vorlage und Abstempelung ihres polnischen Reisepasses zur Auswanderung am folgenden Tage ab. Am Tag zuvor hatte sie sich bei der Finanzkasse Altona 700 RM Steuerrückzahlung aus dem Geschäftsvermögen auszahlen lassen. Nach einer Anzeige des Vermögensverwalters schlug die Devisenstelle Alarm, Estera Meiseles habe das Geld unbefugt an sich genommen, es habe an den Treuhänder, der mit der Abwicklung der Geschäfte betraut worden sei, ausgezahlt werden sollen.

Eine Fahndung wurde ausgelöst. Im Einvernehmen mit der Zollfahndungsstelle ließ die Devisenstelle einen Funkspruch durch den Bereitschaftsdienst der Kriminalpolizei Hamburg an alle Grenzstellen durchgeben: Estera Meiseles solle festgenommen werden.

Die Wohnungen Kielortallee, Juliusstraße und Adolphstraße wurden observiert, auch in der Wohlersallee bei Hillelsohn wurde nach ihr gefahndet. Bei ihrem Grundstücksverwalter Löhmann in der Großen Bergstraße 266 spürte die Polizei sie schließlich auf und stellte die 700 RM und zwei Wertpakete mit ihrem Schmuck, den sie nach der Beschlagnahmung bei der Zollfahndungsstelle eingelöst hatte, sicher. Estera Meiseles wurde am 26. Juli 1939 zur Zollfahndungsstelle zur Vernehmung gebracht.

Sie erklärte, sie habe noch auf die Packgenehmigung gewartet und Deutschland dann mit ihren Kindern verlassen wollen, die die Jüdische Gemeinde fast ein halbes Jahr lang während ihrer Untersuchungshaft aufgenommen habe.
"Ich habe beim Hilfsverein eingereicht um ein Dienstbotenpermit nach England und als ich sah, daß das nicht rechtzeitig eintraf, habe ich mich entschlossen nach Polen zu gehen." Doch Polen verweigere die Einreise, die Grenze sei militärisch gesichert. Am kommenden Tag habe sie ins Rheinland fahren und dort versuchen wollen, illegal über die grüne Grenze nach Holland oder Belgien zu gelangen. Fahrkarten nach Düsseldorf besäße sie schon. Sie wolle sich noch beim Jüdischen Hilfsverein Geld und Ratschläge geben lassen, ihren jüngsten Sohn nach Luxemburg bringen und mit den beiden anderen Kindern die luxemburgische oder belgische Grenze überschreiten.

Die Zollfahndungsstelle beschlagnahmte die noch vorhandenen 700 RM aus der Rückerstattung und die zwei versiegelten Schmuckpakete. Estera Meiseles wurde zur Gestapo ins Stadthaus vorgeladen, wo man ihr sagte, "sie solle schleunigst bei Nacht und Nebel über die grüne Grenze verschwinden". Ihr wurde ein Tag Zeit gegeben. "Sie wird angewiesen, das Deutsche Reichsgebiet bis zum 27. Juli 1939 24 Uhr mit ihren drei Kindern zu verlassen." Vermerkt wurde: "Frau Meiseles selbst hatte nach der Verhandlung außer den Fahrkarten und ihrem Trauring nur noch rund RM 30 bei sich."

Wahrscheinlich am 27. Juli reiste Estera Meiseles illegal nach Lodz in Polen. Als im September 1939 deutsche Truppen einrückten, flüchtete sie mit einem Pass auf den Namen einer polnischen Nichtjüdin nach Deutschland. Moritz Meiseles schickte einen Schlepper, der sie und die drei Kinder – den neunjährigen Arie, den achtjährigen Oscar Falk und den fünfjährigen Kuno – gegen Zahlung von "Schmuggelgeld" über die grüne Grenze nach Belgien brachte. Endlich war die Familie in Antwerpen vereint, wo sie in der L. v. Ruusbroekstraat 20 Unterkunft fand.

Währenddessen wurde der auf dem Abtransport befindliche Hausrat in Hamburg erneut beschlagnahmt, obgleich für Transport zum Freihafen und Fracht nach Antwerpen bereits gezahlt worden war. Der Spediteur stellte eine Nachforderung von 151 RM.

Steuerberater Löhmann bat bei der Behörde des Oberfinanzpräsidenten um Genehmigung, 200 RM von dem gesperrten Konto "Dörfler und Erben" abheben zu dürfen. "Die Dringlichkeit des Antrages ergibt sich aus der Tatsache, dass das Ehepaar Meiseles in Antwerpen in einer leeren Wohnung sitzt und für sich und ihre drei Kinder keine Betten hat. Ihre Leibwäsche können sie nicht wechseln, da sie zur Zeit nur das besitzen, was sie auf dem Leibe tragen."

Die betagten Eltern von Moritz Meiseles lebten in Gelsenkirchen. Er bat über Löhmann darum, dass seine 74 Jahre alte Mutter Priwa Meiseles über einen Geldbetrag aus seinem gesperrten Girokonto verfügen könne. Sie sei "seit vielen Jahren krank, gänzlich vermögenslos und in großer Not, zumal ihre einzige Hilfe, mein 72-jähriger Vater, seit Kriegsausbruch als polnischer Staatsangehöriger interniert ist."

Doch ab 21. September 1939 unterlag das Vermögen den für Auswanderer geltenden Sperrvorschriften des Devisengesetzes und fiel an das Deutsche Reich. Salomon Meiseles, der Vater von Moritz Meiseles, kam am 19. Januar 1940 im KZ Sachsenhausen ums Leben. Er war im November 1939 als "polnischer Jude" dorthin deportiert worden. Seine Ehefrau Priwa Meiseles lebte nach dem Tod Ihres Mannes in verschiedenen "Judenhäusern" in Gelsenkirchen. Am 8. Dezember 1940 verstarb sie im Alter von 75 Jahren laut Todesurkunde an einem "Gehirnschlag".

Im Mai 1940 bombardierte die deutsche Luftwaffe Antwerpen, die Wehrmacht rückte in Belgien ein. Familie Meiseles floh an die französische Grenze, konnte aber nicht nach Frankreich einreisen und kehrte nach Antwerpen zurück.

Estera Meiseles berichtete über die folgende schwere Zeit in Brüssel, in der sie ganz auf die Unterstützung des belgischen Flüchtlingskomitees angewiesen waren:
"Als die Deutschen Belgien besetzten, bekam mein Mann am 9. Oktober 1940 eine Vorladung der Gestapo. Da ein Bekannter von uns eine Vorladung erhielt und ihr Folge leistete und nicht wiederkam, […] flüchteten wir und versteckten uns in Brüssel. Wir gingen nicht auf die Straße aus Angst erkannt zu werden. Unser Wirt hat ein Colonialwarengeschäft und auch Obst, Gemüse, Brot und Flaschenmilch, sodass wir alles von ihm konnten geliefert bekommen. Wir lebten vom Verkauf unserer Sachen und dem Schmuck meines Mannes, Radio, Photoapparat, Fahrrad, Cristall, Porzellan, Kleidung etc. Später hat uns die Widerstandsbewegung und der Judenrat unterstützt. Die Kinder sind manchmal in den Park gegangen. Mein Mann, der französisch und englisch konnte, lernte mit den Kindern und spielte Schach mit ihnen. Später wurden die Kinder durch die Widerstandsbewegung versteckt auf christliche Namen bei Katholiken, wo sie zur Kirche gehen mussten."

Ihr Wirt Achille Canzali bestätigte vor dem Amt für Wiedergutmachung, dass er Frau Meiseles und ihre drei Kinder seit dem 10. Oktober 1940 bis zu ihrer Deportation in der Rue des Glands 20 bei sich versteckt hatte und dass sie Angst hatten, als Juden aufzufallen.

Estera Meiseles wagte nicht, das Haus zu verlassen. "Ich habe während der ganzen Zeit in Ängsten in der Wohnung Canzalis gesessen (ich hauste mit meinem Mann und meinen drei Kindern in zwei kleinen Zimmern, von denen ein Zimmer als Notküche eingerichtet worden war). Schließlich bin ich verhaftet worden, […] mein Mann ist schon ein halbes Jahr vorher verhaftet worden, ich nehme an auf Grund einer Denunziation von Nachbarsleuten."
Später ergänzte sie, ein Belgier namens Huybrechts habe sie angezeigt.

Im Juli 1942 begann die Konzentration belgischer und nach Belgien eingereister Juden und Jüdinnen im von der SS eingerichteten Durchgangslager Mechelen (Malines) in der Dossin-Kaserne. Nachdem zwischen August und Oktober 1942 von dort circa 17.000 Menschen ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert worden waren, tauchten die meisten Juden und Jüdinnen in Belgien unter, um den Razzien und Kontrollen zu entgehen. Bis zur Befreiung Belgiens im September 1944 wurden weitere 8.000 Menschen jüdischer Herkunft über Mechelen in den Tod geschickt.

Am 6. Juli 1943 wurde Moritz Meiseles festgenommen und am folgenden Tag in Mechelen interniert. Am 29. Juli 1943 erhielt Estera Meiseles eine letzte Nachricht von ihm. Zwei Tage später, am 31. Juli, wurde er mit dem Transport Nr. 21, der insgesamt 1563 Menschen umfasste, nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Der Zug kam dort am 2. August an. Moritz Meiseles wurde in Auschwitz ermordet.

Auch sein Bruder Oskar-Jecheskiel Meiseles, der ebenfalls am 25. Juli 1939 nach Belgien entkommen war, war am 15. August 1942 von Mechelen nach Auschwitz deportiert worden und kehrte nie zurück.

Estera Meiseles lebte noch ein weiteres halbes Jahr versteckt in Brüssel. Am 22. Januar 1944 wurde auch sie verhaftet und nach Mechelen verbracht, wo ihre Ankunft am 25. Januar 1944 belegt ist. Knapp berichtete sie vor dem Amt für Wiedergutmachung von Misshandlungen, die an der Tagesordnung waren: "Schläge, schwere Arbeit, Hunger, Angst einjagen."

Am 4. April 1944 wurde sie mit dem Transport Nr. 24 ins KZ Auschwitz deportiert. Ihre Odyssee nach der Auflösung des KZ Auschwitz bis zu ihrer Befreiung durch die Rote Armee am 8. Mai 1945 beschrieb sie.

"Am 18. Januar 1945 erfolgte die Evakuierung von Auschwitz und begann für uns der Todesmarsch zu Fuss. Wer nicht weiterkonnte wurde erschossen. Dann landete ich in Ravensbrück. Von dort wurde ich weitertransportiert nach Retzow bei Rechlin i. M. und zuletzt nach Malchow in M. zu Fuss. Wie ich das alles durchgehalten habe, ist mir heute noch ein Rätsel. Gott wollte den Kindern doch wenigstens die Mutter erhalten."

Auch ihre Söhne überlebten. Jedoch litt Kuno Meiseles unter einer Nervenerkrankung, diagnostiziert als Schizophrenie infolge seiner traumatischen Erfahrungen, und verstarb 1955 im Alter von 20 Jahren.

Mutter und Söhne blieben zunächst in Brüssel, bis Oskar Falk und Arie Meiseles in den 1960er Jahren nach Israel auswanderten. Estera Meiseles zog zu ihrer Schwester in Antwerpen. Sie starb 1965.

Stand Juli 2016

© Birgit Gewehr

Quellen: 4; 5; 8; 2 (R 1939/349 Eheleute Zamorje, Eheleute Meiseles und F1681 Meiseles, Estera Itta) AB Altona; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 19861 (Meiseles, Moritz) und 17841 (Meiseles, Estera); StaH 351-14 Arbeits- und Sozialfürsorge – Sonderakten, 1575 (Meiseles, Moritz); Jüdisches Deportations- und Widerstandsmuseum Mechelen, Dossin-Kaserne, Belgien, Auskunft zu Meiseles, 22. und 27.5.2013; Auskünfte zu Priwa Meiseles von Jürgen Hoffmann, Bochum, Juli 2016.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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