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Gertrud Monasch * 1878

Palmaille ggü. Nr. 56 vor Zebrastreifen (vormals Nr. 25) (Altona, Altona-Altstadt)

1941 Lodz
Weiterdeportiert 1942

Weitere Stolpersteine in Palmaille ggü. Nr. 56 vor Zebrastreifen (vormals Nr. 25):
Margarethe Lichtheim, Walter Lichtheim

Margarethe Lichtheim, geb. Monasch, geb. 15.1.1881, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, ermordet am 3.10.1942 in Chelmno
Walter Lichtheim, geb. 21.11.1919, deportiert am 25.10. 1941 nach Lodz, ermordet am 30.6.1944 in Chelmno
Gertrud Monasch, geb. 29.11.1878, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, ermordet am 15.9.1942 in Chelmno

Palmaille 25

Margarethe Lichtheim war jüdischer Herkunft und stammte aus Stettin. Ihre Eltern waren Julius und Fanny Monasch, geborene Sternberg. Margarethe Lichtheim erhielt eine Ausbildung als Pianistin. Sie heiratete den gebürtigen Stettiner Juden Dr. Georg Simon Lichtheim, der 16 Jahre älter war als sie. Er leitete als Direktor die Altonaer Gas- und Wasserwerke. Das Ehepaar bekam zwei Söhne. Am 21. November 1919 wurde Walter geboren, zwei Jahre später, am 26. Dezember 1921, kam Ludwig, genannt Lutz, zur Welt. Die Familie bewohnte in Hamburg-Altona den zweiten Stock des Hauses in der Palmaille 25, einer gutbürgerlichen Straße am Elbhang. Im Haus wurde viel musiziert. Walter spielte Geige, Lutz Flöte.

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde Georg Lichtheim im Juni 1933 fristlos entlassen. Eine Pensionszahlung konnte er offenbar in einem Prozess gegen die Stadt Altona noch durchsetzen.

Dokumentiert wurde die Geschichte der Familie Lichtheim von Werner Flocken, Jahrgang 1926, dessen Familie im selben Haus gewohnt hatte und der mit den Lichtheim-Söhnen befreundet war. In seinen Aufzeichnungen beschrieb er Frau Lichtheim als kultivierte und gebildete Frau, die ihn sehr beeindruckt habe. Sie sei das genaue Gegenteil dessen gewesen, was ihm bei der Hitlerjugend über Juden vermittelt worden sei. Er erinnerte sich, dass eines Tages Margarethe Lichtheim mit Lutz in die Wohnung seiner Eltern kam, damit dieser sich verabschiedete, denn er konnte mit einem jüdischen Kindertransport nach England ausreisen. Als Werner Flockens Mutter bedauerte, dass Margarethe Lichtheim ihren Sohn so früh allein in die Welt ziehen lassen müsse, erwiderte sie, sie sei im Gegenteil sehr froh, dass er Deutschland verlassen könne. Diese Worte vergaß Werner Flocken nicht.

Wie auch ihr Mann war Margarethe Lichtheim aktives Mitglied der Altonaer jüdischen Gemeinde, in der eine außerordentlich rege Organisationstätigkeit in Gemeindeeinrichtungen und privaten Vereinigungen herrschte. Sie amtierte als Vorstandsmitglied des Israelitisch-Humanitären Frauenvereins, der sich der jüdischen Wohlfahrtspflege widmete. Doch Anfang Januar 1939 musste dieser zwangsweise aufgelöst werden, und sie unterzeichnete die letzten Anordnungen, die vorsahen, das verbleibende Vermögen zur Unterstützung der Kindertransporte zu verwenden.

Georg Lichtheim war im 1. April 1933, dem Tag der Boykottaktion gegen jüdische Geschäfte und Firmen, als Direktor der Altonaer Gas- und Wasserwerke fristlos entlassen worden. Nach einem Rechtsstreit erhielt er eine Abfindung und eine gekürzte Pension. Er starb in den ersten Kriegstagen am 5. September 1939. Im Februar desselben Jahres nahm Margarethe Lichtheim ihre ältere Schwester Gertrud Monasch bei sich auf. Die ledige Frau stammte aus Stettin und hatte zuvor mittellos in Berlin-Schöneberg gelebt.

Als Witwe erbte Margarethe Lichtheim das Vermögen ihres Mannes, das jedoch im Februar 1940 unter "Sicherungsanordnung" gestellt wurde. Sie durfte über 410 Reichsmark monatlich für sich, ihren Sohn und ihre Schwester verfügen, später – nach einer Herabsetzung des "Frei"-Betrages – musste sie von 368 Reichsmark die Miete bezahlen und einen dreiköpfigen Haushalt führen.

Werner Flocken erinnerte sich, dass sein Vater, das NSDAP-Parteiabzeichen am Revers, und die beiden Damen, den "Judenstern" am Mantel, bei Bombenangriffen gemeinsam in den Luftschutzkeller flüchteten. Einmal zeigte Margarethe Lichtheim Fotos von ihrem Bruder, der im Ersten Weltkrieg als Marineoffizier mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden war, und sprach davon, dass sie sich immer als gute Deutsche gefühlt hatte wie alle anderen auch.

Ihr Sohn Walter besuchte das Altonaer Christianeum, ein angesehenes Gymnasium, und galt dort als ein besonders begabter Geigenspieler. Doch die Brüder Lutz und Walter wuchsen in einem schon vor 1933 zunehmend antisemitisch aufgeheizten Umfeld auf. So protokollierte der Klassenlehrer am 25. Juni 1932, dass Walter ihm einen in der Klasse kursierenden Zettel mit der Aufschrift "Juda verrecke! Deutschland erwache!" gezeigt habe. Die Anstifter erhielten eine Strafe vom Lehrer. Daraufhin wurde Walter nach der Schule von mehreren Mitschülern verfolgt und geschlagen. Auch wurden die Brüder Anwürfen ausgesetzt, ihr Vater, der Jude, vergifte das Altonaer Trinkwasser. Werner Flockens Eltern verboten ihrem Sohn 1935, mit den Lichtheim-Jungen zu spielen. Nicht nur in der Schule und im Wohnhaus, sondern auch auf der Straße drohten den jüdischen Jungen Gefahren: Die breit angelegte Straße Palmaille war nach 1933 ein beliebter Exerzierplatz für Aufmärsche der Hitlerjugend und der SS geworden. Jüdische Schulkinder, die in das neue Gebäude der Israelitischen Gemeindeschule der Palmaille 17 gingen, wurden oft bedroht und verhöhnt oder sogar mit Steinen beworfen. Walter und Lutz, die ganz in der Nähe der jüdischen Schule wohnten, mussten auf dem Heimweg an den dort lauernden HJ-Grüppchen vorbeigehen.

Von 1931 bis 1936 besuchte Walter Lichtheim das Christianeum und trat dann eine kaufmännische Lehre an. Sein Bruder Lutz musste als Unterprimaner im November 1938, als jüdischen Kindern der Zugang zu den staatlichen Schulen versperrt wurde, vom Christianeum abgehen. Als Lutz am 1. Dezember 1938, drei Wochen vor seinem 17. Geburtstag, mit einem jüdischen Kindertransport nach England entkommen konnte, reiste sein Bruder Walter, der schon über 18 Jahre alt war, als Begleitperson mit. Für den Fall, dass er nicht zurückkehren würde, wurde seiner Mutter Konzentrationslagerhaft angedroht. Er kam zurück.

Dann versuchte auch er aus der Heimat zu fliehen. 1940 absolvierte er eine Ausbildung in einer Schlossereiwerkstatt in der Weidenallee 8–10, einer der Lehrwerkstätten, die von der Deutsch-Israelitischen Gemeinde unterhalten wurden, um Jugendliche auf eine Auswanderung nach Palästina vorzubereiten. Am 9. Mai 1940 beantragte seine Mutter die Freigabe von 150 Reichsmark von ihrem Konto für "Auswanderungsbemühungen für meinen Sohn", sie wies Kabelkosten nach, die an die Hamburg-Amerika-Linie zu zahlen waren. Das Geld wurde bewilligt. Doch die Emigrationspläne schlugen aus unbekannten Gründen fehl. Im Oktober 1941 wurden dann Auswanderungen generell verboten.

Für den 25. Oktober 1941 erhielten Margarethe und Walter Lichtheim und Gertrud Monasch die Deportationsbefehle nach Lodz. Werner Flocken erinnerte sich an den Abschied:
"Es muss im Herbst 1942 gewesen sein, als sich im Hause und der Nachbarschaft die Nachricht verbreitete, dass Lichtheims einen ‚Aussiedlungsbescheid’ erhalten hätten. Schon am folgenden Morgen sollten sie sich mit Gepäck, soviel sie tragen könnten, auf der Moorweide einfinden. Den ganzen Tag war ein ständiges Kommen und Gehen von jüdischen Freunden Lichtheims. Am Abend kamen tatsächlich die beiden Damen und Walter zu uns herauf. Ich sehe sie noch bei uns im Wohnzimmer sitzen, wie Frau Lichtheim meiner Mutter, meiner Schwester und mir verkündete: ‚Wir müssen morgen das Haus verlassen. Wir wissen, was uns bevorsteht. Es geschieht zurzeit in Deutschland so ungeheures Unrecht, dass Sie es mir nicht glauben würden, wenn wir es Ihnen sagen würden. Wir vertrauen auf unseren Gott. Er wird dies Unrecht nicht ungestraft lassen. Es wird ein furchtbares Strafgericht über Deutschland hereinbrechen. Da Sie uns gute Nachbarn waren, wollten wir uns von Ihnen verabschieden und Ihnen wünschen, dass Sie persönlich heil diesen Krieg überstehen.’ Dann erfolgte ein stummer Abschied. Wir waren wie benommen.

Ich selbst war an diesem Vormittag in der Schule. Meine Mutter berichtete mir, dass Lichtheims gegen 10 Uhr das Haus verlassen hätten. Zuvor hätte sie aus der Lichtheimschen Wohnung noch geistlichen Gesang vom Harmonium begleitet gehört."

Die deutschen Besatzer hatten die polnische Industriestadt Lodz zu Ehren eines preußischen Generals in Litzmannstadt umbenannt. Ein Teil des Stadtgebietes wurde als Getto abgeriegelt. Die Häuser waren überfüllt; oft teilten sich zehn oder mehr Menschen ein Zimmer. Gertrud Monasch, Margarethe Lichtheim und der nun 22-jährige Sohn Walter lebten im Getto in der Hohensteinerstraße 43/45 zusammen.

Im Mai 1942 erhielt Gertrud Monasch eine "Ausreiseaufforderung". Inzwischen herrschten im Getto Zweifel, ob die "Ausgesiedelten" tatsächlich, wie offiziell verkündet, zu einem Arbeitsort außerhalb des Gettos transportiert wurden. Im Getto gab es zumindest Hoffnung auf ein Überleben. Wie Viele wollte auch Gertrud Monasch nicht an einen unbekannten Ort deportiert werden und richtete ein Gesuch an die Aussiedlungskommission, sie zurückzustellen. Sie wolle weiterhin den gemeinsamen Haushalt mit ihrer Schwester und ihrem Neffen führen und sei bereit, sich als ehrenamtliche Mitarbeiterin der Transportleitung zur Verfügung zu stellen. Auch Margarethe und Walter Lichtheim baten in einem Schreiben an das "Amt für die Eingesiedelten" darum, Gertrud Monasch von der Verlegung auszunehmen, um "die Auseinanderreißung unserer Wohngemeinschaft und Familie zu verhüten". Der Antrag wurde bewilligt. Doch bedeutete das nur einen Aufschub. Vier Monate später, am 15. September 1942, wurde Gertrud Monasch ins nahe gelegene Vernichtungslager Chelmno deportiert und ermordet. Inzwischen hatte sich im Getto der Verdacht einer Mordaktion herumgesprochen, auch weil Gepäckstücke der Ausgesiedelten zurückgekommen waren. In Chelmno wurden die Gettobewohner und -bewohnerinnen in umgerüsteten Lastwagen mit Gas getötet.

Auch Margarethe Lichtheim musste laut Abmeldungsnachweis am 3. Oktober 1942 die Fahrt dorthin antreten und wurde ermordet.

Walter Lichtheim war im Getto als Schlosser im Arbeitsressort "Bauabteilung" tätig. Im Mai 1944 schrieb er eine Postkarte an Harry Goldstein vom Jüdischen Religionsverband Hamburg – sein letztes Lebenszeichen. Es enthält verschlüsselte Hinweise auf den Tod der Angehörigen.
"Lieber Onkel Harry! Ich freue mich, dir endlich schreiben zu können, daß ich gesund bin und auch unverändert arbeite. Die Zeit vergeht so schnell, besonders, wo ich jetzt schon seit 1 1/2 Jahren mein Leben alleine führen muss, da Mutti und Tante fortgereist sind. Bitte laß recht bald – wenn möglich – von dir hören, deiner lieben Frau, allen Freunden und dir selbst herzlichste Grüße von Deinem Walter"

Für den 30. Juni 1944 erhielt er laut Abmeldungsdokument eine "Aufforderung zur Arbeit außerhalb des Gettos". Angesichts des Vormarsches der Roten Armee hatte Himmler die Räumung des Getto Lodz befohlen. Im Juni und Juli 1944 wurden etwa 7.200 Menschen von Lodz nach Chelmno transportiert und ermordet, unter ihnen Walter Lichtheim.

Im Laufe des August wurden rund 65.000 Überlebende des Gettos ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert.

Ludwig Lichtheim überlebte den Krieg. Er ging später nach Australien, studierte und arbeitete als leitender Ingenieur bei den Wasserwerken im Staat Viktoria. 1978 verstarb er. Seine traumatischen Erfahrungen konnte er nie überwinden, vor allem deprimierte ihn tief, dass er die Rückkehr seines Bruders nach Deutschland nicht hatte verhindern können.

Stand September 2015

© Birgit Gewehr

Quellen: 1; 4; 2 (R 1940/139); StaH 332-8 Meldewesen, A 50/1 (= 741-4 Fotoarchiv, K 5043); StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 44872 (Layton, Louis Simon, früher Lichtheim, Ludwig); StaH 522-1 Jüdische Gemeinden, 1035 (Postkarte Walter Lichtheim, Lodz, 16.5.44); Arbeitskreis der Seniorenakademie der Elbgemeinden, Jüdische Bürger; Goldberg, u. a., Die Verfolgung der Juden in Altona; Gillis-Carlebach, "… damit die Kinder in die Schule gehen", S. 127; Stadtteilarchiv Ottensen: Flocken, Werner, "Abgereist ohne Angabe der Adresse". Geschichte einer Spurensuche (Unveröffentlichtes Manuskript), Hamburg o. J.; Stadtteilarchiv Ottensen, Interview mit Werner Flocken, 12.12.1989; Informationen von Miriam Gillis-Carlebach, Joseph-Carlebach Institut der Bar-Ilan-Universität, Israel; Archiwum Panstwowe w Lodzi, Ankunfts- und Abgangsdokumente des Gettos Litzmannstadt; USHMM, RG 15.883, 302/ 122-126, Last Letters from Lodz, Lichtheim.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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