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Gustav Mösing * 1904

Bernstorffstraße 155 (Altona, Altona-Altstadt)


HIER WOHNTE
GUSTAV MÖSING
JG. 1904
MEHRMALS VERHAFTET
ZULETZT 1941
WEHRMACHTSGEFÄNGNISSE
"FRONTBEWÄHRUNG"
TOT 6.10.1942
ISOKUMPU / FINNLAND

Gustav Karl Ernst Mösing, geb. am 23.5.1904 in Hamburg, gestorben am 6.10.1942 in Isokumpu bei Taivalkoski/Finnland

Bernstorffstraße 155

Gustav Mösing kam 1904 als unehelicher Sohn des Klempners Jacob Mösing und seiner Frau Bertha Boye in Hamburg zur Welt und wurde evangelisch-lutherisch getauft. Die Mutter starb an den Folgen der Geburt, bevor die beabsichtigte Eheschließung vollzogen werden konnte. Sein Vater starb 1916 im Ersten Weltkrieg, sodass Gustav Mösing bei seinen Großeltern väterlicherseits aufwuchs. Nach dem Besuch der Volksschule lernte er drei Jahre lang den Beruf des Schmieds. Da er in diesem Beruf keine Arbeit fand, war er in Hamburg als Bote tätig, bevor er zur See fuhr. 1924 zunächst als Telegraphenjunge, dann als Messesteward und zuletzt als Steward heuerte er auf verschiedenen Passagierschiffen der Reedereien Kosmos und HAPAG an. 1925 und 1926 pflegte er geschlechtliche Beziehungen zu Frauen, verkehrte danach aber nur noch mit Männern. Seine Partner fand er unter Passagieren oder Kollegen auf den Schiffen, in ausländischen Häfen und in Lokalen auf St. Pauli.

Im Januar 1936 heiratete er die 1909 in Prag geborene Irmgard, geb. Zobal, die er seit 1931 kannte. Da er mit ihr keinen Geschlechtsverkehr ausübte, hielt seine Ehefrau ihn für "schwul", was er ihr gegenüber jedoch bestritt. Sein Schwiegervater richtete seiner Frau ein Schuhwarengeschäft ein, das sie während seiner Abwesenheit auf See selbstständig führte. Sie wohnten am Semperplatz 2 in Winterhude.

Nachdem sich am 23. April 1938 ein 17-jähriger Lehrling gegenüber der Polizei beklagt hatte, am Abend auf dem Pferdemarkt beim Verkaufsstand von "Oskar", gemeint war damit der als Homosexuellentreffpunkt bekannte Marktstand von Oskar Kertscher (geb. 1893, gest. 1956, Überlebender des KZ Neuengamme und einer der erfolglosen Kläger der 1950er Jahre vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den § 175), von Gustav Mösing unsittlich berührt und zu homosexuellen Handlungen aufgefordert worden zu sein, wurde dieser nach Verhören am 24. April 1938 um 0.30 Uhr in Polizeihaft genommen. Aufgrund seines umfangreichen Geständnisses blieb ihm eine Haft im KZ Fuhlsbüttel erspart und er kam ab 26. April ins Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis. Die während seines Verfahrens vor dem Landgericht Hamburg von der "Ermittlungshilfe der Strafrechtspflege" eingeholten Erkundigungen aus dem privaten Umfeld zeichneten ein ungünstiges Bild von Gustav Mösing: Seine Ehefrau wollte sich von ihm scheiden lassen, seine Verwandten väterlicherseits, die ihn in früheren Jahren unterstützt und die Arbeit als Steward vermittelt hätten, mieden den Umgang mit ihm wegen seiner Alkoholabhängigkeit. Sie charakterisierten ihn als "von Jugend auf verlogen und unzuverlässig". Seiner homosexuelle Veranlagung wegen wurde er als "weicher, haltloser Mensch und in seinem anormalen Sexualtrieben so verwurzelt, dass mit Rückfällen bestimmt zu rechnen ist" beschrieben. Die Ehefrau übergab den Ermittlern zudem "verschiedene Zettel", von denen sie annahm, "dass es sich um Partner-Anschriften" handelte. In dem Urteil vom 14. Juli 1938 wurde Gustav Mösing nach §§ 175 und 175 a Ziffer 3 zu einer Gesamtstrafe von einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Weil die Handlungen als fortgesetzt galten, wurde auch für die Zeit vor der Strafrechtsverschärfung 1935 nach dem verschärften Gesetz geurteilt. Die unsittliche Berührung des 17-Jährigen wurde nicht nach § 185 als tätliche Beleidigung, sondern als "versuchtes Verbrechen" nach § 175 a Ziffer 3 bestraft. Sein im April 1939 gestelltes Gnadengesuch auf Bewährung der Reststrafe wurde abgelehnt, weil er seit dem 25. Oktober 1938 von seiner Ehefrau geschieden war, "völlig allein" stand und darin eine Rückfallgefahr gesehen wurde. Die Strafe verbüßte er daher vollständig bis zum 24. Oktober 1939 in den Gefängnissen Fuhlsbüttel und Altona.

Am 15. April 1940 wurde er zur Luftwaffe eingezogen und als Flieger ausgebildet. Bereits im November 1940 war erneut ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen des § 175 anhängig, für das zunächst das Feldgericht des Höheren Fliegerausbildungskommandeurs 2 in Rostock zuständig war. Ein Urteil wurde am 26. August 1941 vom Feldgericht des Kommandierenden Generals und Befehlshabers im Luftgau II in Radom gefällt. Wegen "widernatürlicher Unzucht und Bedrohung" erhielt er eine Gefängnisstrafe von drei Jahren und neun Monaten, die er ab dem Urteilstag in der Pilsudskikaserne in Radom verbüßte. Am 15. November ins Wehrmachtsgefängnis Graudenz überführt, gelangte er am 15. Mai 1942 nach Torgau. Für den 20. Juli 1942 ist seine Einlieferung in ein Lazarett vermerkt. Am 6. Oktober 1942 soll er dann an einer "Herzlähmung" im finnischen Isokumpu in der Nähe des Polarkreises verstorben sein. Warum er dorthin kam, konnte bisher nicht geklärt werden. Möglicherweise wurde seine Haftstrafe zur Bewährung ausgesetzt und er leistete wieder Dienst als Flieger beim dortigen Flugplatz oder wurde zur Errichtung einer Bahnlinie herangezogen, die die Deutschen dort während des Zweiten Weltkriegs auf einer Länge von 178 Kilometern von Hyrynsalmi nach Kuusamo bauten. Die Arbeitskräfte rekrutierten sich hauptsächlich aus russischen und polnischen Kriegsgefangenen sowie deutschen politischen Häftlingen. An den dort herrschenden unmenschlichen Haftbedingungen starben viele Gefangene. Gustav Mösings Beisetzung erfolgte auf dem Ortsfriedhof von Taivalkoski, heute befinden sich seine sterblichen Überreste auf der Kriegsgräberstätte in Rovaniemi-Norvajärvi.

Stand September 2015

© Ulf Bollmann

Quellen: StaH, 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 7891/38; StaH 242-1 II Gefängnisverwaltung II, 22043 und Ablieferungen 13; StaH 332-5 Standesämter, 5431 (Eintrag Nr. 634); StaH 332-8 Meldewesen, A 34/1 (= 741-4 Fotoarchiv, K 4501); Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., Internetseite http://www.volksbund.de/graebersuche.html, abgerufen am 19.8.2014; Mit Dank an Rainer Hoffschildt und William Schaefer, Hannover, für Hinweise aus dem Bundesarchiv, Militärarchiv Freiburg, Bestand I 10 Ost Spezial, 2011; Hinweise zu Taivalkoski unter http://www.visittaivalkoski.fi/de/historisches-kulturelles/kenttarata-bahnlinie-des-2-weltkrieges, und zur Bahnstrecke Hyrynsalmi nach Kuusamo unter http://de.wikipedia.org/wiki/Bahnstrecke_Hyrynsalmi%E2%80%93Kuusamo, jeweils zuletzt abgerufen im Oktober 2014.

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