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Adolf Theodor (Adolph Theodor) Meyer * 1891

Clemens-Schultz-Straße 43-45 (Altona, St. Pauli)


HIER WOHNTE
ADOLF THEODOR
MEYER
JG. 1891
EINGEWIESEN 1935
HEILANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
AKTION T4

Adolph (genannt Adolph Theodor) Meyer, geb. am 11.1.1891 in Hamburg, ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Stolperstein Hamburg-St. Pauli, Clemens-Schultz-Straße 43–45 (früher: Kielerstraße 44)

Am 11. Januar 1891 wurde Adolph Theodor Meyer als unehelicher Sohn der Jüdin Bertha (Betty) Bloch, geborene Meyer, in Hamburg geboren. Der Name Adolph entspricht dem Eintrag in seiner Geburtsurkunde. Später wurde er meistens Adolph Theodor genannt. Seinen Vater scheint er nie kennengelernt zu haben. Er wuchs in der Familie seiner Mutter und seines Stiefvaters Reinhold Bloch zusammen mit zwei älteren Halbgeschwistern auf, mit Pauline (Paula), geboren am 10. Mai 1881, und Theodor, geboren am 16. April 1864.

Adolph Theodor Meyer besuchte die Talmud Tora Schule und anschließend die Volksschule Papendamm 5 nur bis zur 5. Klasse (alter Zählung). 1905 veranlasste das jüdische Waisenhaus am Papendamm 3 Adolph Theodors Unterbringung in einer jüdischen Erziehungsanstalt, aus der er 1906 wieder entlassen wurde. Vor dem Ersten Weltkrieg absolvierte er eine Ausbildung zum Kellner und arbeitete auch in dem Beruf. Adolph Theodor gelang es aber nicht, in einer Anstellung länger Fuß zu fassen. In den vier Jahren bis 1910 soll es zu mindestens 20 Anstellungen gekommen sein, die Adolph Theodor Theodor jeweils nach kurzer Dauer wieder verlor.

Schon früh geriet er in die Zwänge staatlicher Aufsicht. Sein Leben blieb bis zu seiner Ermordung im September 1940 fremdbestimmt und lässt sich heute nur anhand seiner Kranken- und Strafakten rekonstruieren.

Er kam wiederholt mit dem Strafgesetz u.a. wegen Diebstahls in Konflikt. In jeweils mehrmonatigen Aufenthalten in der "Irrenanstalt Friedrichsberg” in den Jahren 1911 und 1912 sollte seine Schuldfähigkeit im Zusammenhang mit einem Strafverfahren geklärt werden. Weitere Straftaten in den Folgejahren schlossen sich an, so dass Adolph Theodor Meyer 1915 im Alter von 24 Jahren entmündigt wurde. In diesem Jahr, am 20. Juli 1915, starb Adolph Theodor Meyers Mutter. Er war nun ohne unmittelbare Verwandte und weitgehend auf sich allein gestellt.

Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete er bei unterschiedlichen Arbeitgebern als Bote, zuletzt bei einem Stoffhändler in Schnelsen, der im Juni 1935 den Verlust von zwei Stoffen zur Anzeige brachte. Als Adolph Theodor Meyer als dringend Tatverdächtiger vernommen wurde, gestand er den Diebstahl und erklärte nicht nur sein Motiv, sondern auch seine Zukunftspläne: "Frl. Will kenne ich seit einem Jahr. Wir sind verlobt und wohnen zusammen in der Wohnlaube in Schnelsen, Weidestraße 3 bei Schulz. Ich soll sterilisiert werden und sobald dieses erfolgt ist und meine Papiere zurück sind, will ich mich mit Frl. Will verheiraten. Den heute vorgekommenen Diebstahl gebe ich zu […], weil ich noch kleine Schulden zu zahlen habe und nur einen geringen Verdienst habe ..." Laut Erkennungsblatt der Polizeibehörde wurde seine Personenbeschreibung wie folgt festgehalten: "Größe 1,50 m – Gestalt schlank – Gesichtsform schmal – Haar dunkelblond – Augen grau – …".

Ab 1931/1932 gehörte Adolph Theodor Meyer der Jüdischen Gemeinde in Hamburg an. Nach den Angaben auf seiner Kultussteuerkarte wohnte er in den 1930er Jahren in der Kielerstraße 44 (heute Clemens-Schultz-Straße 43–45) in St. Pauli, in der Kolbergstraße 56 in St. Georg zur Untermiete bei Rückleben und in der Kastanienallee 38 in St. Pauli zur Untermiete bei Hildebrandt.

Mit der am 17. Oktober 1935 erfolgten Inhaftierung im Hamburger Untersuchungsgefängnis wurden nicht nur Adolph Theodor Meyers Heiratspläne zunichtegemacht; zu diesem Zeitpunkt endete sein selbstbestimmtes Leben. Bereits im September hatte die Oberstaatsanwaltschaft beim Landgericht beantragt, "die Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt anzuordnen, weil er eine mit Strafe bedrohte Handlung im Zustande der Zurechnungsunfähigkeit begangen hat". Adolph Theodor Meyers Anwalt beantragte Revision gegen diese Anordnung und plädierte für eine Haftstrafe.

Am 5. November 1935 – sechs Wochen bevor die Revision als unbegründet abgelehnt und die Anordnung zur Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt rechtskräftig wurde – wurde Adolph Theodor Meyer in die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn "ausgeliefert". Die ärztlichen Berichte, die in regelmäßigen Abständen über ihn angefertigt wurden, geben wenig Aufschluss über seine Person und sein tatsächliches Verhalten oder seinen Gesundheitszustand, zeigen aber umso deutlicher die rassenideologisch geprägte Denkweise dieser Beurteilungen: "Adolf Meyer hat sich während der 2 3/4-jährigen Anstaltsunterbringung im allgemeinen sichtlich Mühe gegeben, nicht durch eine undisziplinierte Handlung aufzufallen. Er hat bei regelmässiger Beschäftigung auch Brauchbares geleistet. Nach aussen hin zeigte er – seiner rassischen Eigenart entsprechend – stets ein augendienerisches Wesen. Er war aber keineswegs immer so harmlos und gesittet, wie er bei jeder Gelegenheit zu sein vorgab."

Mit Beschluss des Erbgesundheitsgerichtes Hamburg vom 15. Dezember 1939 wurde verfügt, dass Adolph Theodor Meyer, gegebenenfalls auch gegen seinen oder seines Vormundes Willen, unfruchtbar zu machen sei.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Am 30. August 1940 verfügte das Reichsministerium des Innern, alle psychisch kranken und geistig behinderten jüdische Menschen in öffentlichen und privaten Einrichtungen zu erfassen und in sogenannte Sammelanstalten verlegen zu lassen. Die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen. Nachdem alle jüdischen Patienten aus den norddeutschen Anstalten in Langenhorn eingetroffen waren, wurden sie gemeinsam mit den dort bereits länger lebenden jüdischen Patienten am 23. September 1940 nach Brandenburg an der Havel transportiert. Unter ihnen war Adolph Meyer. Noch am selben Tag wurden die Menschen in dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses mit Kohlenmonoxyd getötet. Nur eine Patientin, Ilse Herta Zachmann, entkam diesem Schicksal zunächst (siehe dort).

Es ist nicht bekannt, ob und ggf. wann Angehörige Kenntnis von Adolph Meyers Tod erhielten. In allen dokumentierten Mitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm oder Cholm verstorben sei. Adolph Meyers Geburtsregistereintrag enthält die ergänzende Notiz, "verstorben Nr. 433/41 St.A. Chelm II Gener. Gouvernement".

In einem Schreiben der angeblichen "Irrenanstalt Cholm, Post Lublin", Postschließfach 822" vom 8. Juli 1941 an das Landgericht Hamburg wurde mitgeteilt, dass "der seinerzeit auf Veranlassung des Herrn Reichsverteidigungskommissars in unsere Anstalt verlegte Patient Adolph Meyer, geb. 11.1.91 in Hamburg, am 2. Februar 1941 hier verstorben ist". Das Schreiben enthält das Geschäftszeichen X 1330 / LY. Die römische Ziffer X wurde für den Schriftverkehr mit Angehörigen jüdischer Patienten verwendet, während sonst die Tarnbuchstaben A, B, Be, C, D und E auf eine der sechs Tötungsanstalten hinwiesen.

Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch), einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten.

Mit dem für Adolph Theodor Meyer angegebenen falschen Todestag konnten unberechtigte Pflegekosten für etwa vier Monate für den längst Ermordeten eingefordert werden. Auf dem Schreiben der "Irrenanstalt Cholm" brachte die Hamburger Staatsanwaltschaft eine interne Verfügung mit vier Handlungsanweisungen an. Ziffer IV der Verfügung lautet: "Als Forschungssache weglegen." War sich die Justizverwaltung schon damals der tiefgreifenden Bedeutung des "Verwaltungsvorgangs" bewusst?

Auch Adolph Theodors Halbbruder Theodor Bloch und seine Halbschwester Pauline (Paula) Bloch, verwitwete Dratwa, kamen im Holocaust zu Tode. Theodor Bloch wurde nach Auschwitz deportiert und dort am 28. Januar 1943 ermordet. Pauline (Paula) Dratwa wurde am 25. Oktober 1941 in das Getto "Litzmannstadt" (Łódź) deportiert, am 10. Mai 1942 nach Kulmhof (Chełmno) weiterdeportiert und dort ermordet. Ihre Lebensgeschichten werden ausführlich in dem sich in Vorbereitung befindenden Band "Stolpersteine in Hamburg-Neustadt" beschrieben werden.

An Adolf Theodor Meyer erinnert ein Stolperstein in Hamburg-St. Pauli, Clemens-Schultz-Straße 43–45 (früher: Kielerstraße 44).

Stand: November 2017
© Gunhild Ohl-Hinz

Quellen: 1; 4; 5; 8; 9; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 935/36; 224-2 Erbgesundheitsgericht Beschlüsse 1939 Nr. 6 (Adolph Theodor Meyer); 332-5 Standesämter 723 Sterberegister Nr. 720/1915 Betty Meyer, 2253 Geburtsregister Nr. 928/1891 Adolph Theodor Meyer; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26. 8. 1939 bis 27. 1. 1941; UKE/IGEM, Archiv, Patienten-Karteikarte Adolph Theodor Meyer der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg. Staatsarchiv Hamburg (Hrsg.), Jüdische Opfer, 1965 (Gedenkbuch). Hinz-Wessels, Annette, Antisemitismus und Krankenmord. Zum Umgang mit jüdischen Anstaltspatienten im Nationalsozialismus, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ) (2013) 1, S. 65-92. Wunder, Michael/Genkel, Ingrid/Jenner, Harald, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr. Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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