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Willi Hans Miersch * 1907

Unzerstraße 10 (Altona, Altona-Altstadt)


erschossen 18.7.1932

Willi Hans Miersch, geb. 26.2.1907, tödlich verletzt am 17.7.1932 während des "Altonaer Blutsonntags", gestorben am 18.7.1932

Im Alter von 25 Jahren wurde Willi Miersch während der Straßenkämpfe im Verlaufe des "Altonaer Blutsonntags" erschossen. Ein Werbeumzug uniformierter und bewaffneter SA- und SS-Leute durch das "Rote Altona" hatte sozialistische und kommunistische Gegendemonstrationen provoziert. Willi Miersch geriet zwischen die Fronten.

Geboren wurde Willi Hans Miersch in Magdeburg als Sohn des Bauunternehmers Robert Emil Miersch und Ida Marie Miersch, geborene Klösser. Willi Miersch hatte den Beruf des Melkers erlernt und lebte verheiratet mit Käthe Marie, geborene Bredow, in Altona. Das Ehepaar bekam zwei Söhne, 1929 wurde Günter geboren und ein Jahr später Werner. Willi Miersch arbeitete als "Schweizer" auf einem Gut bei Steilshoop, wo er die Kühe zur Weide trieb und auch Kühe und Pferde tierärztlich behandelte. Nur am Wochenende war er bei seiner Familie, die in der Holstpassage 12 wohnte, einer kleinen Straße, die durch einen Torbogen an der Großen Johannisstraße 73 zur Unzerstraße führte, mitten im Arbeiterviertel der Altonaer Altstadt.

Am Sonntag, dem 17. Juli 1932, kam Willi Miersch, von Bekannten über die Unruhen in Altona informiert, nach Hause. Am Samstag hatten Erntearbeiten ihn noch in Steilshoop aufgehalten. In unmittelbarer Nähe der Holstpassage waren die Auseinandersetzungen eskaliert, und die Polizei hatte Feuerbefehl gegeben. Miersch sah in der Unzerstraße Menschen vor Schüssen in Keller fliehen. Seine Frau und die Kinder hielten sich aus Angst vor den Schüssen im nach hinten gelegenen Teil der Wohnung auf. Als die Aufforderung der Polizei ertönte, die Fenster zu schließen, trat Willi Miersch laut Aussage seiner Frau ans offene Fenster seiner Wohnung im zweiten Stock und beugte sich hinaus, um die Fensterflügel zu schließen, da fielen schon Schüsse. Eine Polizeikugel traf ihn in den Kopf. Willi Miersch wurde schwerverletzt von einer Sanitätskolonne der Feuerwehr ins städtische Krankenhaus transportiert, wo er am folgenden Tag starb.

Seine 22-jährige Ehefrau berichtete auf einer Versammlung eines überparteilichen Untersuchungsausschusses im September 1932 im Altonaer Kaiserhof und bei einer Vorladung vor der Oberstaatsanwaltschaft im Oktober desselben Jahres, sie habe noch sehen können, dass Sicherheitspolizisten geschossen hätten. Weitere Augenzeugen gaben an, dass ein Polizeibeamter in Kniestellung auf Miersch gezielt habe. Auch eine Obduktion erbrachte den Befund, dass das Geschoss aus einem Militärgewehr stammen könnte.

Die Hamburger und Altonaer Polizei hatte in den engen Gassen des Viertels in unverantwortlicher Weise von Schusswaffen Gebrauch gemacht, sechzehn Menschen starben durch Schüsse aus Polizeiwaffen, offenbar teils gezielt, teils durch Querschläger. Zahlreiche Menschen wurden verletzt. Ob, wie behauptet, vorher kommunistische Schützen aus Fenstern oder von Dächern auf den nationalsozialistischen Propagandamarsch geschossen hatten, ließ sich nie klären. Auch behauptete die Polizei, aus der Holstpassage sei auf die nahegelegene Polizeiwache geschossen worden. Die Polizei fand bei einer Wohnungsdurchsuchung bei Familie Miersch keine Schusswaffe; sie stellte aber ein Messer sicher aus der Arbeitstasche von Willi Miersch, mit dem er die Stricke der Kühe durchzuschneiden pflegte, und deklarierte es als Waffe.

Die "Rote Hilfe", eine Hilfsorganisation der KPD, übernahm die Kosten für Mierschs Begräbnis, zu dem über 200 Menschen kamen. Käthe Miersch bekam keine staatliche Unterstützung, denn ihr Mann galt als Kommunist und ihr wurde ebenfalls staatsfeindliche Aktivität unterstellt. Lediglich für die beiden Kinder erhielt sie eine geringe Waisenrente. Der älteste Sohn Günter, damals drei Jahre alt, litt lebenslang unter den traumatischen Erinnerungen an den Todeskampf seines Vaters und versuchte nach dem Krieg erfolglos, die Erschießung seines Vaters aufzuklären.

© Birgit Gewehr

Quellen: Interview mit Günter Miersch von Astrid Matthiae und Stefan Lasch-Abendroth am 8.11.2002, im Bestand StO; Akten aus dem Landesarchiv Schleswig, Landesakten der Staatsanwaltschaft über Zeugenaussagen vom 6. Oktober 1932, als Kopie im Besitz von Günter Miersch; Leon Schirmann, Der Altonaer Blutsonntag 17. Juli 1932. Dichtungen und Wahrheit, Hamburg 1994; Leon Schirmann, Jus- tizmanipulationen, Der Altonaer Blutsonntag und die Altonaer bzw. Hamburger Justiz 1932–1994, Berlin 1995; Die Wahrheit über den Altonaer Blutsonntag in Altona. Tatsachenschilderungen von Augenzeugen und Verwundeten, hg. von der Roten Hilfe Deutschlands, Berlin o. J., im Bruno-Tesch-Archiv im StO; Gespräch mit Günter Miersch am 23.5.2007.

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