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Stolpersteine in Hamburg
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Johanna Maass * 1886

Oberstraße 95 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
JOHANNA MAASS
JG. 1886
DEPORTIERT 1941
ERMORDET IN
MINSK

Johanna Maass, geb. 21.7.1886 in Hamburg, deportiert am 18.11.1941 nach Minsk

Oberstraße 95

Johanna Maass gehörte einer jüdischen Familie an, die eine für Hamburgs Wirtschaftsleben bedeutende Rolle gespielt hat. Unter ihren Großvätern entstand die Norddeutsche Affinerie, heute der Kupferkonzern "Aurubis". Ihr Großvater väterlicherseits, Louis Maass, war Direktor der Norddeutschen Bank, die am 28. April 1866 aus Vorläuferunternehmen, die sich bis 1783 nachweisen lassen, den Kupferproduzenten machte. Der andere Großvater, Marco Salomon, "wegen zu kleinen Maßes für den Militärdienst untauglich", stieg vom Chemiker in der "Gold- und Silberaffinerie des L.R. Beit" zum Direktor der Norddeutschen Affinerie auf. Ihre Söhne gingen als Kaufleute beruflich andere Wege.

Bis zu ihrer Verlegung auf die Veddel im Jahre 1913 hatte die Norddeutsche Affinerie ihren Sitz in der 1. Elbstraße 31 (heute: Neanderstraße), zugleich Wohnadresse der Familie Salomon. Marco Salomons Ehefrau Nannette, genannt Nanny, eine geborene Salomon, stammte ebenfalls aus einer Kaufmannsfamilie. Am 9.12.1858 wurde ihr Sohn Julius, am 20.7.1860 ihre Tochter Mathilde geboren.

Johannas Großvater Louis Maass war mit der Kaufmannstochter Friederica, geb. Windmüller, verheiratet. Sie wohnten zunächst Bleichenbrücke 2, wo ihr Sohn Ernst am 7.10.1851 geboren wurde. Er blieb ihr einziges Kind. Mit Louis Maass’ Tätigkeit als Direktor der Norddeutschen Bank war ihr Umzug zum Sitz der Bank, Alterwall 16, verbunden.

Ernst Maass war noch nicht mündig, als er sich mit einem Wäschehandel in der Fischertwiete in der Hamburger Altstadt selbstständig machte. Zusammen mit seinem Mitinhaber F.H.E. Martens eröffnete er ein zweites Geschäft in der Hamburger Straße 13 auf der Uhlenhorst. Als sein Vater am 2. September 1871 starb, übernahm seine Mutter die Vormundschaft und teilte mit ihm das Erbe. Am 25. November 1881 erwarb er den Hamburger Bürgerbrief.

Neben seinem Wäschegeschäft übernahm Ernst Maass am 1. Januar 1882 den Verlag Leopold Voss, der aus dem 1791 in Leipzig gegründeten Verlag Voß & Leo hervorgegangen war. Der Verlag gab wissenschaftliche Werke heraus. Ernst Maass wurde auch Schatzmeister im Naturwissenschaftlichen Verein und Verein für Hamburgische Geschichte und Vorsitzender der literarischen Sachverständigenkommission. Am 17. Dezember 1882 heiratete er Mathilde Salomon. Sie war neun Jahre jünger als er und wohnte noch in der 1. Elbstraße, wo sie geboren worden war. Ihr Vater Marco vertrat ihre Familie bei der Eheschließung, Ernst Maass’ Familie wurde von seinem Onkel, Dr. med. Hermann Henry Windmüller, Friederica Maass’ Bruder, vertreten.

Ernst Maass hatte zeitweise zwei oder mehr Geschäftsadressen und auch mehrere Privatadressen, 1885 kam Bornstraße 1 hinzu, wo Mathilde Maass die beiden älteren Töchter zur Welt brachte, Luise (12.6.1885) und ein Jahr später Johanna (21.7.1886). Im April 1889 beantragte Ernst Maass den ersten und einzigen Reisepass seines Lebens, ein Jahr lang gültig für England und Frankreich. Aus ihm geht hervor, dass er mittelgroß war, schwarze Haare und braungraue Augen, ein ovales Gesicht, aber keine besonderen Kennzeichen hatte.
1889 legte er sich einen Telefonanschluss zu, und hinfort gehörte der zum Leben jedes Familienmitglieds, auch dem der ledigen Töchter. 1891 übergab Ernst Maass seinen Anteil an der Wäschehandelsfirma an seinen Mitinhaber F.H.E. Martens, der mit einem neuen Compagnon das Geschäft unter dem traditionellen Namen fortführte, behielt aber als Wohnadresse Hamburger Straße 13 bei. Seinen Verlag meldete Ernst Maass in der Rothenbaumchaussee 62 unter seiner Wohnadresse an, der Adresse seines Onkels Hermann Windmüller. Dort wurde am 11.3.1892 Margarete, die Jüngste, geboren. Es folgten 15 Jahre, in denen die Häuser in der Rothenbaumchaussee 67 und 71 der Lebensmittelpunkt der Familie wurden.

Ab 1894 lebte die Großmutter Friederica Maass mit im Haushalt ihres Sohnes Ernst. Sie zog am 20. April 1894 zu ihm und starb bereits drei Monate später im Alter von 67 Jahren am 29. Juli 1894. Ab April 1897 lebten die Großeltern Salomon zusammen mit ihrer Tochter Mathilde Maass und deren Familie in der Rothenbaumchaussee 67. Dort starb Marco Salomon am 24. Januar 1900 im Alter von beinahe 83 Jahren. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf in einem Doppelgrab beerdigt. Seine Witwe Nanette verließ im Oktober 1901 die Wohnung und zog in die Rothenbaumchaussee 71. Ihr Sohn Julius wohnte im Nebenhaus, bis er 1904 zum Schlump zog. Nannette Nanny Salomon starb als 71-Jährige am 14. September 1907 und wurde neben ihrem Ehemann auf dem Friedhof in Ohlsdorf beigesetzt. Die standesamtlichen Anzeigen für beide erstattete der Sohn Julius. Er hatte am 3. März 1891 die Breslauerin Agnes Lipmann (geb. 8.7.1870 in Breslau) geheiratet. Bald nach Nannette Salomons Tod verzogen sie (am 9.11.1909) nach Wiesbaden. Ihre Ehe blieb kinderlos.

Am 9. März 1907 hatte Ernst Maass mit seiner Familie den Wohnsitz in die Hartungstraße 12 verlegt. Die Töchter Luise, Johanna und Margarete genossen offenbar eine standesgemäße Schulbildung und Erziehung in privaten Höheren Schulen. Von Margarete ist bekannt, dass sie die Elisabeth Goethe-Textor-Schule besuchte, Dr. Johannes Moltmanns Höhere Töchterschule in der Hansastraße 3, und einen Sprachaufenthalt in England anschloss. Da sie noch nicht mündig war, unterschrieb ihr Vater den Antrag für den Reisepass, gültig für das Jahr 1909/1910 für England. Nach ihrer Rückkehr arbeitete sie als Schülerin in der Kinderabteilung des Hamburger Waisenhauses, eine Vorbereitung für die Ausbildung zur Säuglingsschwester. Vermutlich erhielt Johanna eine Ausbildung als Kontoristin.

Am späten Nachmittag des 20. April 1911 beendete Ernst Maass in einem Hotel in Kiel sein Leben. Aus seiner Abschiedsnachricht ging hervor, dass er sich in geschäftlichen Schwierigkeiten befand und nicht mehr nach Hamburg zurückkehren werde. Seine Leiche wurde nach Hamburg überführt und auf dem jüdischen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf beigesetzt. (An der Trauerfeier nahmen zahlreiche Vertreter der Vereine und Geschäftsfreunde teil, die Tageszeitungen brachten zahlreiche Würdigungen.)

Nach Ernst Maass’ Tod zog seine Witwe Mathilde mit ihrer Tochter Johanna in den Eppendorfer Baum 4. Margarete schloss 1912 ihre Ausbildung als Säuglingsschwester ab und wohnte an ihrem jeweiligen Arbeitsplatz. Luise wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt Hausdame bei dem Arzt Siegmund Meyer in der Welckerstraße 5. Als einzige der drei Schwestern heiratete sie. Am 14. Juni 1917 ging sie die Ehe mit Max Moritz Stavenhagen, einem erfolgreichen Wollimporteur, ein. Er war in erster Ehe mit Erna Simon (s. dieselbe) verheiratet gewesen und brachte die gemeinsame Tochter Rita mit in die Ehe. Am 10.5.1918 wurde Luises einziges Kind geboren, der nach seinem Großvater und Vater benannte Sohn Ernst Max.

Mathilde Maass zahlte ab dem 25. April 1918 der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg bis 1923 einen regelmäßigen Beitrag. Die Quelle ihrer Einkünfte ist nicht bekannt. Sie hatte offenbar gesundheitliche Probleme. Unter Vorlage eines ärztlichen Attests beantragte sie im Sommer 1919 einen Reisepass, gleichzeitig mit ihrer Tochter Margarete statt mit Johanna, mit der sie im gemeinsamen Haushalt lebte, gültig für ein Jahr für Dänemark.

1920 wurde Johanna Maass ebenfalls als Steuern zahlendes Mitglied der jüdischen Gemeinde in Hamburg registriert. In der Inflationszeit war sie von 1920 bis 1923 als "Hilfsarbeiterin am Hygieneinstitut" beschäftigt. Welcher Art diese Tätigkeit war und warum es sich lediglich um eine Hilfstätigkeit handelte, ist nicht bekannt. Währenddessen arbeitete ihre Schwester Margarete im Säuglingsheim in der Hochallee und wurde als Oberschwester beim "Ausschuss für Kinderanstalten", 1933 umbenannt in "Vereinigung städtischer Kinder- und Jugendheime der Hansestadt Hamburg”, fest angestellt.

Ab 1925 lebte Johanna Maass von der Unterstützung durch die Geschwister, insbesondere durch den Schwager Max Stavenhagen. Sie erhielt erstmals am 7. Mai 1925 einen Reisepass, gültig für die Schweiz, der zweimal bis 1929 verlängert wurde. Bei der Antragstellung gab sie als Beruf "Privatsekretärin" an. Wozu sie den Ausweis nutzte, ist nicht bekannt. Sie wurde darin als von mittlerer Gestalt mit ovalem Gesicht, braunen Augen und dunklem Haar beschrieben, genau wie Margarete, ihre Schwester Luise hingegen war blond und blauäugig. Ihre Mutter war nach den Reisepassangaben "untermittelgroß" und hatte blaugraue Augen, keine von ihnen hatte besondere Kennzeichen.

Die Machtübergabe an Hitler am 30. Januar 1933 wirkte sich noch im selben Jahr direkt auf die Familien Maass und Stavenhagen aus, doch zunächst waren sie durch den Tod von Mathilde Maass am 3. Februar 1933 betroffen. Sie wurde neben ihrem Ehemann Ernst auf dem jüdischen Friedhof in Ohlsdorf beigesetzt. Die Anzeige beim Standesamt nahm ihr Schwiegersohn Max Stavenhagen vor. Ihr letzter Reisepass für das In- und Ausland war noch bis zum 1. April 1933 gültig.

Margarete Maass wurde als jüdische städtische Angestellte am 30. Juni 1933 aufgrund des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" ohne jedwede Versorgung entlassen. Sie eröffnete dann ein eigenes jüdisches Kinderheim, wovon sie jedoch nicht leben konnte. Luise und Max Stavenhagen traf 1934 ein schwerer Verlust, der Tod ihres 16-jährigen Sohnes Ernst. Er starb am 15. August 1934 im Krankenhaus Bethanien in Eppendorf infolge von Kinderlähmung. Seine Tante Margarete Maass meldete seinen Tod beim Standesamt. Ernst wurde im Grab der Familie Stavenhagen auf dem jüdischen Friedhof in Ohlsdorf beigesetzt. Im selben Jahr verließ seine Halbschwester Rita Stavenhagen Deutschland, um als Säuglingsschwester in der Schweiz oder in Italien eine Stellung zu finden. Schließlich gelangte sie nach Palästina.

Dass Max Stavenhagen in der Schwiegerfamilie eine große Rolle spielte, wird auch dadurch deutlich, dass er seiner Schwägerin Margarete Maass zur Auswanderung verhalf. Als sie 1936 nach Palästina emigrierte, schenkte er ihr für den Aufbau einer neuen Existenz 1250 RM. Er selbst zog 1938 mit seiner Frau Luise in die Schweiz. Es gibt keine Hinweise auf Auswanderungspläne von Johanna Maass.

Nach dem Tod ihrer Mutter gab Johanna Maass die Wohnung Eppendorfer Baum 4 auf, wo sie über 20 Jahre zusammen gelebt hatten, und zog in die Loogestraße 26. Sie verließ 1936 Eppendorf und wechselte nach Harvestehude, zunächst in die Oberstraße 95, von dort in die Hallerstraße 72 und lebte ab Januar 1939 als Untermieterin bei Ehrlich in der Klosterallee 51.

1938 erhielt Johanna Maass noch einmal eine Anstellung, und zwar in der jüdischen Gemeinde als Kontoristin im Sekretariat der "Abteilung für Sprach- und Handelskurse für jüdische Auswanderer". Ihr Einkommen war steuerpflichtig, und sie entrichtete auch wieder Beiträge an die Gemeinde. Als 1939 Vermögenserklärungen von Juden gefordert wurden, gab sie als aktives Vermögen 1000 RM an, ihre monatlichen Ausgaben betrugen 282 RM. Dieser Betrag lag unter der Bemessungsgrenze für die Verhängung einer "Sicherungsanordnung" durch den Oberfinanzpräsidenten.

Als im Oktober 1941 die Transporte zum angeblichen Aufbau im Osten erfolgten, waren von Anfang an Verwandte von Johanna Maass betroffen. Lilly und Denny Windmüller kamen am 25. Oktober 1941 in das Getto von Lodz, Julie Egele Windmüller entzog sich diesem Aufruf durch Selbsttötung. Diesem Transport gehörte auch Emmy Ehrlich an, bei der Johanna Maass gewohnt hatte (s. dieselben).
Johanna Maass selbst erhielt in der Klosterallee 51 die Aufforderung zur Deportation am 18. November 1941.
Was mit ihrem Hausrat geschah, ist nicht bekannt.
Johannas Maass’ Transport führte in das Getto von Minsk. Dort verliert sich ihre Lebensspur.

Stand: Februar 2017
© Hildegard Thevs

Quellen: 1; 2 F 1591 (Margarete Maass), R 1940/819 (Johanna Maass); 4; 5; 9; Hamburger Adressbücher; JFHH B10 – 316/17 (Maass), C10 - 18/19 (Salomon), M2 – 31 (Stavenhagen); StaH, 232-1 Vormundschaft, Serie II Nr. 3828; 332-5 Standesämter, 2638-1379/1882; 7886-1207/1894 StA 3; 7932-193/1817 StA 3; 7988-406/1907 StA3; 8119-10/1933; 8716-135/1917 StA 3; 8998-2457/1885; 9012-3248/1886; 9074-418/1892; 9872-527/1934 StA 3a; 332-7, Staatsangehörigkeitsaufsicht, B I a, 1849 Nr. 403, 1856 Nr. 704, 1860 Nr. 25; 332-8 Melderegister, K 6548, K 6849; A 24 Reisepassprotokolle, Bde 59/502/1889, 105/2950/1909, 108/2837/1910, 139/9450/1916, 142/12248/1916, 191/8649 u. 8650/1919, 250/18598/1921, 294/28166/1923, 296/31910/1923, 322/5687/1925, 329/18616/1925; 351-11 AfW, 7861; 13886; 352-5, 1934 StA 3a, Nr. 527; 552-1 Jüdische Gemeinden, 992 e 2 Band 1, 3; 731-8 (Zeitungsausschnittsammlung), A 762; StaBreslau II, Krs. Breslau, 3.3.1891, Nr. 251 (Ancestry); Stadtarchiv Kiel, StA I Kiel, 435/1911; www.stolpersteine-hamburg.de, Erna Simon; http://www.zeno.org/Schmidt-1902/A/Vo%C3%9F,+Familie, Zugriff 5.1.2017; https://de.wikipedia.org/wiki/Catharina_Elisabeth_Goethe; https://portal.dnb.de/opac.htm?method=showPreviousRecord¤tResultId=%22johannes%22+and+%22moltmann%22%26any¤tPosition=15, Zugriff 16.1.17; Aurubis AG (Hrsg.): Cu 150.0 Tradition · Kompetenz · Innovation. 1866–2016. Die Geschichte des Kupferkonzerns. München, 2016.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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Stand: © 07.05.2024 04:43:25