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Herbert Becker, 1936
© Archiv Ev. Stiftung Alsterdorf

Herbert Becker * 1927

Seilerstraße 20 (Hamburg-Mitte, St. Pauli)


HIER WOHNTE
HERBERT BECKER
JG. 1927
EINGEWIESEN 1930
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 1943
HEILANSTALT MAINKOFEN
29.5.1945
TOT AN DEN FOLGEN

Herbert Becker, geb. am 22.9.1927 in Hamburg, aufgenommen in den damaligen Alsterdorfer Anstalten am 12.7.1930, "verlegt" am 11.8.1943 in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" in Deggendorf, ermordet am 29.5.1945

Seilerstraße 20 (St. Pauli)

Herbert Becker und sein Zwillingsbruder Werner kamen am 22.9.1927 in Hamburg in einem "Institut für Geburtshilfe" zur Welt. Ihre Mutter, die ledige Magdalena Frieda Emma Becker, geboren am 10.11.1893, gestorben am 20.7.1976 in Lübeck, arbeitete, wie in der Geburtsurkunde vermerkt, als "Mamsell" (für die Zubereitung und Ausgabe von Speisen in Gaststätten verantwortlich). Es ist gut möglich, dass sie im damals sehr bekannten Konzert- und Veranstaltungssaal Conventgarten tätig war, da sie diese Adresse, die Fuhlentwiete 29/33 als ihre Meldeadresse angab.

Emma Becker hatte bereits einen Sohn, den drei Jahre älteren Alfons Hans, geboren am 18.9.1924. Der Vater von Herbert und Werner hieß Felix Wenkel, geboren am 2.12.1894. Er war "nervenleidend" aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt und konnte keine Unterhaltsgelder zahlen.

Emma Becker konnte offensichtlich Herbert und Werner nicht versorgen, denn sie kamen im März 1928 in öffentliche Waisenpflege, zunächst in die "Tages- und Nachtkrippe" in der Moltkestraße, dann in das städtische Kleinkinderhaus der Hamburger Jugendbehörde am Winterhuder Weg 11. Emma Becker lebte mittlerweile im Stadtteil St. Pauli in der Seilerstraße 20 bei F. Henze und arbeitete als Hausangestellte, vermutlich im dortigen Fremdenheim.

In den Unterlagen des Kleinkinderhaus hieß es, Herbert sei ein zartes blasses Kind in etwas mangelhaftem Ernährungszustand mit Symptomen einer Rachitis (eine durch Vitamin D-Mangel hervorgerufene Erkrankung). Im Januar 1930 erkrankte er an Nasendiphtherie und kam für knapp zwei Monate in das Krankenhaus Barmbek.

Da Herbert den Betrieb im Kleinkinderhaus angeblich "in starker Weise belastete", strebte dessen Leitung seine Verlegung in die damaligen Alsterdorfer Anstalten an. Das Jugendamt veranlasste am 27. Mai 1930 ein psychiatrisches Gutachten, aufgrund dessen Herbert am 12. Juli 1930 in die damaligen Alsterdorfer Anstalten aufgenommen wurde. Das Gutachten beschrieb Herbert als "ein körperlich und geistig weit rückständiges, unruhiges, jeder Beeinflussung gegenüber bis jetzt ganz unzugängliches Kind".

Herbert gewöhnte sich nur schwer in Alsterdorf ein. Im Mai 1933 hieß es in seiner Patientenakte: "Er mag nicht auf sein, guckt sich ängstlich um und schreit. Im Bett ist er ruhig und vergnügt. Macht Schaukelbewegungen." Und im darauffolgenden Oktober: "Er kennt seine Umgebung jetzt besser, lacht, wenn etwas in der Abt.[eilung] passiert. Er ist anhänglich, will beachtet sein. Laufen kann er noch nicht, sitzt jetzt aber."

Herbert war gesundheitlich sehr anfällig. Er litt zudem unter einer starken Anämie (Blutarmut) und einem chronischen Ekzem. Er wurde oft auf Grund verschiedener Infektionskrankheiten in die Krankenabteilung der Anstalt oder in ein externes Krankenhaus verlegt. Angesichts des zeitweise ernsten Krankheitszustandes ihres Sohnes durfte Herberts Mutter ihn täglich besuchen.

Im September 1934 hielt Herberts Patientenakte fest: "Ist in der letzten Zeit den ganzen Nachmittag auf. Er beschäftigt sich mit einem Stück Papier oder mit einem Stücken Holz und ist ganz vergnügt dabei. Er versucht immer mehr seine Beine zu gebrauchen. Er geht, wenn man ihn anfasst, einige Schritte. In der letzten Zeit war er sehr viel lebhafter und konnte recht herzhaft lachen. Am Tage war er jetzt trocken zu halten." Er soll gelernt haben, alleine zu gehen, alleine zu essen und auch seinen Vornamen nachzusprechen.

Am 4. Juni 1935 wurde Herbert von der Kinderabteilung in das "männliche Gebiet" der Alsterdorfer Anstalten verlegt. Über seine Entwicklung in den nächsten sieben Jahren wissen wir nichts, bis im Juni 1942 ein dauernder Anstaltsaufenthalt für ihn für erforderlich gehalten wurde. Er lebte noch in den Alsterdorfer Anstalten, als diese im Juli/August 1943 von den schweren Luftangriffen auf Hamburg getroffen wurden. Zur Entlastung der Anstalt gingen am 11. August 1943 112 männliche Erwachsene und Jugendliche auf Transport in die "Heil- und Pflegeanstalt" Mainkofen bei Passau in Niederbayern. Von diesen Patienten, zu denen auch Herbert Becker gehörte, erlebten nur 39 Personen das Kriegsende. Die hohe Sterblichkeitsrate erreichte das Personal absichtlich durch Nahrungsentzug und pflegerische Vernachlässigung. In Mainkofen gab es sog. Hungerhäuser.

Herbert Beckers Alsterdorfer Krankenakte reiste mit ihm nach Mainkofen. Dort trugen die Verantwortlichen zweimal etwas ein. Unter dem 12. August 1943: "Geht heute aus den schwer bombengeschädigten Alsterdorfer Anstalten in die hiesige Anstalt zu." Und am 29. Dezember: "Psychisch seit der Herverlegung unverändert, wie bei der Art des Leidens nicht anders zu erwarten. Seit längerer Zeit Husten und auch Durchfall mit leichtem Fieber. Über der Lunge beiderseits verstreute bronchitische Geräusche. Der Ernährungszustand hat seit längerer Zeit erheblich nachgelassen, wobei die körperliche Erkrankung wesentlich mitgewirkt haben dürfte. Heute 11 Uhr gestorben."

Daraus könnte sich ergeben, dass Herbert Becker am 29. Dezember 1943 in der Anstalt in Mainkofen gestorben ist. Dazu steht im Widerspruch, dass der in der Krankenakte befindliche Leichenschau-Schein als Tag und Stunde des Todes den 29. Mai 1945, 11 Uhr angibt. Als Todesursache enthält der Leichenschau-Schein den Vermerk "Fieberhafte Bronchitis". Der Widerspruch zwischen beiden Sterbedaten ließ sich nicht auflösen. Für die Inschrift auf dem Stolperstein zur Erinnerung an Herbert Becker wurde als Sterbedatum der 29. Mai 1945 angenommen.

Einem anstaltsinternen Formular zufolge wurde die "Zentrale Verrechnungsstelle Heil- und Pflegeanstalten, z.Zt. Mühlhausen i/Thür. Postfach 168" von seinem Tod informiert. Angehörige seien nicht bekannt und könnten nicht verständigt werden.

Die Schicksale von Herbert Beckers Zwillingsbruder Werner, seinem Halbbruder Alfons Hans sowie der Eltern sind nicht bekannt.

Stand: April 2020
© Susanne Rosendahl

Quellen: Archiv der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, Sonderakte 439 Becker, Herbert; StaH 332-5 Standesämter 42308 u 2978/1893; Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr. Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, 2. Aufl. Hamburg 1988; http://www.mainkofen.de/209.html (Zugriff 28.8.2019).

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