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Otto Rappolt * 1872

Grottenstraße 25 (Altona, Othmarschen)

Flucht in den Tod 25.10.1941

Otto Rappolt, geb. am 18.1.1872 in Hamburg, Suizid am 25.10.1941 in Berlin

Grottenstraße 25

Otto Walter Rappolt wurde als fünfter und jüngster Sohn des aus Hessen stammenden Kaufmanns Joseph Rappolt (1835–1907), seit 1862 Hamburger Bürger, und der aus Breslau gebürtigen Louise, geb. Hertz (1839–1911), in Hamburg-St. Georg in der Kirchenallee 26 geboren. Hier lebte die Familie von 1872 bis 1874, davor lautete die Wohnadresse seit 1867 Neuer Wall 69. Anwesend bei der Hausgeburt waren der Altonaer Wundarzt und Geburtshelfer Heinrich Goldstücker aus der Behnstraße 15 sowie die Hebamme Sara Rintel aus der Holstenstraße 3, die bereits bei den Entbindungen der Brüder Ernst und Franz Rappolt geholfen hatte. Familie Rappolt wohnte 1875/76 am Holzdamm 19 in St. Georg, anschließend bis 1885 in der Bundesstraße 18 in Rotherbaum und von 1886 bis 1895 in der Magdalenenstraße 35 in Rotherbaum. Wie seine älteren Brüder Paul Rappolt (1863–1940), Arthur Rappolt (1864–1918) und Franz Rappolt (1870–1943) arbeitete er in der expandierenden väterlichen Textilfabrik Rappolt & Söhne, die 1897 aus der Firma Oppenheim & Rappolt hervorgegangen war. Kurz nach seinem 21. Geburtstag reiste er für zweieinhalb Jahre nach London, wo er vermutlich bei einem Geschäftspartner in der Textilbranche tätig war. Nach seiner Rückkehr im Oktober 1895 leistete Otto Rappolt seinen Militärdienst ab und wohnte bei seinen Eltern im Mittelweg 143 am Rotherbaum. Im Mai 1903 wechselte er nach Berlin zur Dependence von Rappolt & Söhne in die Kurstraße 38 in Berlin-Mitte. Ein halbes Jahr wurde er dort vom Bruder Franz eingearbeitet, der anschließend Berlin nach rund fünf Jahren verließ und an den Hamburger Hauptsitz wechselte. Im Berliner Adressbuch von 1905 wurde das Sortiment der Firma ausführlich beschrieben: "Fabrik von Reisedecken, Gummimänteln für Herren und Damen, Herrengarderobe für Jagd und Zivil, Regenschirme – Import von englischen Modeartikeln für Herren, desgl. von Angorafellen. Vertretung von Fowners Brothers & Co., London (Handschuhe) und F. H. Ayres, London (Lawn tennis Rackets)”. 1907 wurde Otto Rappolt im Berliner Adressbuch kurzzeitig als Prokurist genannt. Seine Berliner Wohnadressen lagen von 1904 bis 1907 im Bezirk Tiergarten in der Lützowstraße 31 und 1909/10 in der Corneliusstraße 5 direkt am Landwehrkanal; zuletzt wohnte er von 1911–1914 in Berlin-Schöneberg in der Landshuter Straße 26. Während des Ersten Weltkrieges wurde Otto Rappolt dem Bezirks-Kommando III in Hamburg zugeteilt, sodass er ab Oktober 1915 bei seinem Bruder Paul in dessen Villa am Rondeel 37 in Winterhude wohnen konnte. Über Fronteinsätze ist nichts bekannt. Der Krieg scheint die erste große Zäsur in Otto Rappolts Leben gewesen zu sein und hatte Auswirkungen auf Beruf und Wohnort. In die Berliner Filiale von Rappolt & Söhne kehrte er nicht wieder zurück. Anders als seine älteren Brüder rückte er nicht als Mitinhaber in die Leitung des Familienunternehmens auf. Auch nicht im Dezember 1918, als sich sein zweitältester Bruder Arthur das Leben nahm. Seit Ende 1918 wohnte der unverheiratete Kaufmann Otto Rappolt bei seinem drittältesten Bruder, dem praktischen Arzt Ernst Rappolt (1868–1942), in dessen Haus in der Grottenstraße 25 in Groß Flottbek, das außerhalb der Stadtgrenze auf preußischem Gebiet lag und 1927 nach Altona eingemeindet wurde. Die anderen drei Brüder besaßen zu diesem Zeitpunkt schon länger Stadtvillen in respektabler Kanallage in Hamburg-Winterhude. Über Otto Rappolts berufliche Situation von 1918 bis 1930 liegen keine Informationen vor. Möglicherweise hatte er sich schon frühzeitig aus dem Familienunternehmen auszahlen lassen und lebte als Privatier vom eigenen Vermögen oder als stiller Teilhaber einer Firma. Seine Reisepass-Ausstellungen der Jahre 1918, 1921, 1923 und 1926 belegen für diesen Zeitraum Fahrten ins Ausland, die jeweiligen Reiseziele sind nicht bekannt. 1923 scheint er gemeinsam mit seinem Neffen Fritz Rappolt und seiner Schwägerin Charlotte Rappolt gereist zu sein, da die vergebenen Reisepassnummern nur wenige Ziffern auseinander lagen.

Die Mitglieder der Familie Rappolt waren assimilierte Juden. Joseph Rappolt, der 1861 als Kaufmann mosaischer Konfession nach Hamburg gekommen war, hatte am 10. Juli 1906 auf dem christlichen Teil des Ohlsdorfer Friedhofs eine große Grabstelle erworben und darauf vom Hamburger Architekten Alfred Martin ein Grabmonument mit Sitzbänken und Eckpostamenten errichten lassen. Sein Sohn Franz ließ zwei Tage später seine drei Söhne in der evangelischen Hauptkirche St. Catharinen taufen. Paul Rappolt, seit 1891 Mitglied einer Hamburger Freimaurerloge, hatte bereits im Mai 1900 seine Tochter Lilly Rappolt (1899–1981) in der Kirche St. Johannis in Harvestehude taufen lassen. Einige Mitglieder der Familie Rappolt traten in den 1920er Jahren in die Deutsch-Israelitische Gemeinde Hamburg ein, so Franz Rappolt 1925, Otto Rappolt 1927 und Paul Rappolt 1929. Allerdings endete Ottos Mitgliedschaft bereits nach zweieinhalbjähriger Zugehörigkeit im Dezember 1929. Er verzog, laut Eintrag auf der Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg, im Oktober 1930 ins Ausland; der Bruder Ernst Rappolt zog nun in die Rissener Landstraße 24 in Blankenese. Ob es sich um eine private oder geschäftliche Reise handelte und wohin sich Otto Rappolt im Ausland begab, ist nicht bekannt. Unbekannt ist auch, wann und warum er nach Deutschland zurückkehrte.

Seit frühestens September 1933 lebte er in Berlin, wo bis Sommer 1938 auch die Niederlassung von Rappolt & Söhne bestand. Am 8. Dezember 1938 wurde ihm vom Landrat des nordwestlich an Berlin grenzenden Kreises Ost-Havelland eine Kennkarte ausgestellt, die Juden ab dem 1. Januar 1939 ständig bei sich zu führen hatten. Otto Rappolt scheint zu diesem Zeitpunkt außerhalb von Berlin gelebt zu haben. Bis 1941 sind für ihn sieben verschiedene Unterkünfte – allesamt Untermietverhältnisse – in der Reichshauptstadt Berlin dokumentiert. Sie sind auch Indiz für die zunehmende Rechtlosigkeit der jüdischen Menschen im Deutschen Reich, denen u. a. ab dem 30. April 1939 der Mieterschutz entzogen wurde. Ab 1939 gehörte Otto Rappolt zwangsweise der neu gebildeten "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" an, die von der Gestapo kontrolliert wurde und deren antisemitischen Anweisungen alle "Volljuden" Folge zu leisten hatte. An "Judenvermögensabgabe" musste Otto Rappolt in fünf Raten insgesamt 60.000 Reichsmark (RM) an den nationalsozialistischen Staat zahlen. Zuletzt wohnte er im Familienheim von Emmy Berliner in der Brandenburgischen Straße 46 in Berlin-Wilmersdorf in einem Zimmer im 1. Stock, vermutlich ein zum "Judenhaus" erklärtes Gebäude. In Berlin gab es rund 3.000 sogenannte Judenhäuser, in die jüdische Einwohner der Hauptstadt eingewiesen und von dort später deportiert wurden. Seine nicht in den wechselnden Untermietzimmern unterzubringenden Möbel hatte er bei der Speditionsfima Brasch & Rothenstein eingelagert, die 1936 "arisiert" und unter "Harry W. Hamacher" weitergeführt wurde.

Am 1. September 1941 erging eine Polizeiverordnung, dass alle Juden ab dem 19. September deutlich sichtbar einen gelben "Judenstern" auf der linken Brustseite ihrer Kleidung zu tragen hätten. Ohne Hoffnung auf eine Lebensperspektive in der "arischen Volksgemeinschaft" des nationalsozialistischen Deutschland begann sich der 69-jährige Otto Rappolt anscheinend mit einem Suizid als letzter eigener Entscheidung zu beschäftigen. Am 4. September 1941 hinterlegte er in einem verschlossenen Umschlag bei einem Notar in Berlin-Wilmersdorf ein detailliertes Testament für sein rund 150.000 RM umfassendes Vermögen. Mit Bedacht teilte er darin Sach- und Geldwerte auf und gewährte seinem Bruder Ernst Rappolt eine Jahresrente. Aus den Namen der Begünstigten lässt sich auf Otto Rappolts Freundeskreis schließen, auch wenn die genauen Verbindungen zu den einzelnen Personen sich nicht rekon-struieren lassen. Von der Familie scheint er das innigste Verhältnis zu seinem entmündigten Neffen Fritz Rappolt (1900–1942) gehabt zu haben. Dieser wurde im Testament nicht nur am häufigsten genannt, er wurde auch als Nacherbe für Otto Rappolts Bruder Ernst eingesetzt sowie als Nacherbe für die emigrierten Neffen und Nichten, wenn an diese nicht innerhalb von drei Jahren eine Auszahlung oder ein Transfer möglich sei. Daneben wurden im Testament die folgenden in Berlin lebenden Personen mit sogenannten Vermächtnissen bedacht: seine unverheiratete Cousine Vally Guttmann, geboren am 14. Dezember 1874 in Berlin, die im Juli 1942 ins Getto Theresienstadt und im September 1942 ins Vernichtungslager Treblinka deportiert wurde; Hugo Goldschmidt, geboren am 3. Mai 1869 in Hamburg, der am 18. Ok-tober 1941 ins Getto Lodz deportiert wurde, wo er ein Vierteljahr später starb; der Jurist Ernst Ransohoff, der anscheinend in den 1950er Jahren als Oberlandesgerichtsrat in Berlin tätig war, sowie die unverheiratete Marie Rühle. Aus Hannover wurden Frau Ida Danziger und die junge Grafikerin Gisela Falke, Jahrgang 1920, bedacht. Zusätzlich waren zehn Prozent für wohltätige jüdische Zwecke festgelegt. Das Testament endete mit den Worten: "Zum Schluß möchte ich allen meinen Freunden und Verwandten auf diese Weise ein herzliches Lebewohl zurufen und ihnen auf ihrem ferneren Lebensweg alles Gute, das Allerbeste wünschen."

In dem Familienheim von Emmy Berliner in der Brandenburgischen Straße 46 nahmen sich am 24. Oktober 1941 Otto Rappolt, die 58-jährige Gertrud Fleischer, geb. Herrmann, geboren am 14. Februar 1887 in Berlin, und deren Schwester gemeinsam das Leben; sie wurden noch ins Jüdische Krankenhaus transportiert, wo sie verstarben. Am 27. Oktober 1941 verließ ein Deportationszug mit Berliner Jüdinnen und Juden die Reichshauptstadt Richtung Lodz, darunter auch eine Bewohnerin der Brandenburgischen Straße 46, an die dort ein Stolperstein erinnert. Otto Rappolts Nachlass wurde umgehend von der Geheimen Staatspolizei beschlagnahmt. Dem im Testament benannten Hamburger Testamentsvollstrecker Morris Alexander Samson wurde von staatlicher Seite die Aufnahme des Zimmerinventars verweigert. Die Erbin der Wohnungseinrichtung, Gisela Falke, schrieb 1954 in einem Brief an das Entschädigungsamt in Berlin: "Die zuständige nationalsozialistische Amtsstelle verweigerte mir (1941) die Herausgabe der ererbten Gegenstände mit der Begründung, daß Herr Rappolt als Jude kein Recht hätte über sein Eigentum zu verfügen oder an mich als Mischling 1. Grades zu vererben."

In seinem Testament hatte Otto Rappolt verfügt, er wolle in aller Stille eingeäschert werden. Im Hamburger Familiengrab der Rappolts auf dem evangelischen Ohlsdorfer Friedhof wurde seine Urne laut Unterlagen der Friedhofsverwaltung erst am 29. Juli 1942 beigesetzt. Zu diesem Zeitpunkt waren die Angehörigen der Familie Rappolt bereits verstorben, deportiert oder ins Ausland emigriert, sodass niemand mehr da war, um einen Grabstein für ihn setzen zu lassen.

Für seinen Bruder Franz Rappolt wurde ein Stolperstein vor dessen Wohnhaus Leinpfad 58 in Winterhude und vor dem Firmensitz Rappolt-Haus 1 in der Mönckebergstraße 11 in der Hamburger Altstadt verlegt. An den Bruder Ernst Rappolt erinnert ein Stolperstein in der Rissener Landstraße 24 in Blankenese. Für die Schwägerin Charlotte Rappolt, geb. Ehrlich, sowie den Neffen Fritz Rappolt wurden am Leinpfad 58 Stolpersteine verlegt, für die Schwägerin Johanna Rappolt, geb. Oppenheim, am Rondeel 37. (Siehe deren Biographien unter www.stolpersteine-hamburg.de)

Stand September 2015

© Björn Eggert

Quellen: 1; 4; 5; 8; StaH 332-3 (Zivilstandsaufsicht), A Nr. 49 (2677/1868, Geburt Ernst Rappolt), A Nr. 92 (4124/1870, Geburt Franz Rappolt) und A Nr. 123 (377/1872, Geburt Otto Rappolt); StaH 332-5 (Standesämter), 8560 u. 52/1893 (Eintrag Heirat von Helene Rappolt mit Israel Alfred Elias 1893) und 9769 u. 4078/1918 (Sterberegister 1918, Arthur Rappolt); StaH 332-8 Meldewesen Band 1, A 24 Band 393 (Passwesen 1851–1929, Buchstabe R); StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 1588 (Franz Rappolt); StaH 741-4 Fotoarchiv (Mikrofilm Alte Einwohnermeldekartei 1892–1925), Otto Rappolt; Stadtarchiv Friedberg (Hessen), XVIII, Ortsliste über die in der Stadt Friedberg Ausgewanderten 1856-1919 (1861, Nr. 6, Joseph Rappolt); Landesamt für Bürger- und Ordnungsaufgaben in Berlin (Abt. I A, Entschädigungsbehörde), Akte 221.908 (Otto Rappolt); AB Hamburg 1866–1867, 1869, 1871, 1874–1877, 1881, 1883, 1885–1886, 1888, 1891, 1893–1895; AB Altona 1920, Straßenverzeichnis Villenanlage Großflottbek (Grottenstraße 25); AB Hamburg u. Altona 1919, 1925, 1929, 1930; AB Berlin 1898, 1904–1912, 1914; Friedhof Hamburg-Ohlsdorf, Alte Gräberkartei, Kapelle 6, AA 24, Nr. 333-340 (Familiengrab Rappolt, Hinweis auf die beigesetzte Urne von Otto Rappolt); Auskunft Dr. Diana Schulle, 15.3.2014.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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