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Rudolf Meyer
Rudolf Meyer
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Rudolf Meyer * 1939

Ausschläger Allee 16 (Hamburg-Mitte, Rothenburgsort)


HIER WOHNTE
RUDOLF MEYER
JG. 1939
EINGEWIESEN 1942
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 1943
HEILANSTALT KALMENHOF
ERMORDET 9.9.1943

Rudolf Meyer, geb. 31.3.1939 in Hamburg, ermordet am 9.9.1943 in der "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" in Idstein

Ausschläger Allee 16 (Ausschläger Allee 32)

"Im Wesen ist er ruhig, liegt meistens still im Bett. Will sich jemand mit ihm beschäftigen, schreit er leicht. Am liebsten hält er beide Hände vor die Augen oder spielt selbst mit einem Gegenstand. Er kann sitzen, aber nicht stehen." Die obigen Sätze beschreiben die Entwicklungshemmung des fast drei Jahre alten Rudolf Meyer nach einem Aufenthalt von drei Monaten in den damaligen Alsterdorfer Anstalten. Danach hatte er nur noch eineinhalb Jahre zu leben.

Rudolf kam als jüngstes von fünf Kindern des Ehepaars Max und Erika Meyer, geb. Buse, in Hamburg zur Welt. Die beiden älteren Schwestern waren sechs und acht Jahre alt. Einer seiner beiden Brüder starb kurz vor Rudolfs Geburt, der andere bald danach. Rudolfs Geburt verlief ohne Komplikationen, und seine früheste Entwicklung glich der seiner gesunden Ge­schwister. Er trank gut, saß mit sieben Monaten, konnte mit zwei Jahren laufen, sprach aber nicht. Als er im Alter von eineinhalb Jahren begann, alle Nahrung außer Süßigkeiten zu verweigern, kamen seiner Mutter Zweifel an seiner Gesundheit. Sie führte seine Schwächen auf eigene vorübergehende Lähmungserscheinungen während ihrer Schwangerschaft zurück. Wann Rudolfs Odyssee durch Krankenhäuser und Anstalten begann, lässt sich nicht feststellen, denn die Krankenakten fehlen. Im Sommer 1941 jedenfalls befand er sich im Kinderkrankenhaus Rothenburgsort. Als dort am 30. Juni eine Sprengbombe auf das Gebäude fiel und der Betrieb eingestellt werden musste, wurde er zusammen mit 80 anderen Kindern in das Altonaer Kinderkrankenhaus verlegt. Damals lautete die Diagnose "Debilität", ein leichter Grad von Schwachsinn. Nach zehn Tagen wurde er entlassen, vermutlich nach Hause.

Vier Monate später brachte Erika Meyer ihren Sohn in die "Psychiatrische und Nervenklinik der Hansischen Universität Hamburg" in Friedrichsberg. Ihr Mann "diente" inzwischen bei der Marine. Die NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) "verschickte" Erika Meyer mit den beiden Töchtern aus dem bombengefährdeten Hamburg, wohin, ist uns nicht bekannt.

Wenn sich jemand intensiv mit Rudolf beschäftigte, lachte er. Seine Essgewohnten hatten sich noch nicht geändert. Er aß nur Zwieback mit Zucker und spuckte Obst und Gemüse aus. Gegen Untersuchungen wehrte er sich so heftig, dass keine nicht durchgeführt werden konnte. Mit der Diagnose "Imbezillität", Intelligenzdefekt mittleren Grades, wurde er am 12. November 1941 in den damaligen Alsterdorfer Anstalten aufgenommen. Dort bestätigte sich, dass er keine körperlichen Behinderungen aufwies, sich aber psychisch nicht seinem Alter entsprechend entwickelte. Auf Veranlassung des Gesundheitsamtes Hamburg und mit Zustimmung der Mutter wurde Rudolf Meyer zur Beobachtung in die "Kinderfachabteilung" der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn überwiesen, einer Einrichtung des "Reichsausschusses zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden" (siehe weiter unten), der Empfehlungen zur Beobachtung und ggfs. zur Tötung aussprach. Rudolf wurde am 2. März 1942 dort aufgenommen. Wer ihn an den "Reichsausschuss" gemeldet hatte, ließ sich nicht ermitteln.

Nach einer schwierigen Eingewöhnungszeit reagierte er auf das Pflegepersonal in Langenhorn zunehmend freundlich und spielte mit anderen Kindern. Er begann auch, sich an den Gitterstäben seines Bettes aufzurichten. Entweder beurteilte ihn der Chefarzt der Abteilung, Fritz Knigge, als "ungeeignet zur Behandlung" oder die Mutter traf aus Gründen, die uns nicht bekannt sind, die Entscheidung, ihr Kind aus der Klinik zu nehmen, jedenfalls holte sie ihn nach viereinhalbmonatiger Beobachtung heim. Da die Pflege sie überforderte, brachte ihn das Landesjugendamt im Kinderheim in der Feuerbachstraße unter und veranlasste aufgrund einer aussichtslosen Erziehungsprognose seine erneute Überweisung nach "Alsterdorf". "Ausnahmsweise" nahm ihn der Ärztliche Leiter, Prof. Dr. Gerhard Schäfer, am 3. Oktober 1942 ein zweites Mal dort auf.

Als im August 1943 in Alsterdorf durch Verlegungen von Bewohnern "Platz geschaffen" werden sollte, wurde Rudolf Meyer mit dem ersten Transport am 6. August in die "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" in Idstein am Taunus verlegt. Dort wurde er am 9. September 1943 ermordet. Die ehemals pädagogisch fortschrittliche Anstalt war in eine für die "Euthanasie"-Aktion T4 wie für den "Reichsausschuss" wichtige Mordanstalt umgewandelt geworden.

© Hildegard Thevs

Quellen: Ev. Stiftung Alsterdorf, Archiv, V 68; StaH 213-12 Staatsanwaltschaft OLG NSG, 0013/001ff., 0017/001; 333-3/1 Feuerwehr, B 5-1, Band 2; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Abl. 2000/01 (8); Jenner, Meldebögen; Wunder, Abtransporte; ders., Exodus. E-Mail von Thomas Brinkmann, AKK, vom 3.7.2010.

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