Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste

Else Behr (geborene Cohen) * 1880

Grindelallee 79 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
ELSE BEHR
GEB. COHEN
JG. 1880
DEPORTIERT 1941
ERMORDET IN
MINSK

Weitere Stolpersteine in Grindelallee 79:
Max Behr

Else Behr, geb. Cohen, geb. am 31.8.1880 in Scharmbeck bei Hannover, deportiert am 18.11.1941 nach Minsk, dort im Dezember 1942 umgekommen
Max Behr, geb. am 19.9.1879 in Harburg, deportiert am 18.11.1941 nach Minsk, dort im Dezember 1942 umgekommen

Grindelallee 79

Else Behr wurde als Tochter des Schlachters Adolf Cohen (1850 Scharmbeck–1916 Eberswalde) und seiner Frau Minna, geborene Behr, am 31. August 1880 in Scharmbeck, Koppelstraße 12 (früher 202), geboren. Die Cohens waren ein weit verzweigtes jüdisches Familiengeschlecht, das über 100 Jahre in der heute als Osterholz-Scharmbeck bekannten Stadt in Niedersachsen beheimatet war. Sechs Jahre nach der Geburt von Tochter Else zog die Familie 1886 zunächst nach Lüneburg, wo die Schwester Rosa geboren wurde, und von da aus nach Eberswalde, wo der Vater ein Geschäft (vermutlich eine Schlachterei) eröffnete.

Max Behr war am 19. September 1879 als zweites von fünf Kindern des Ehepaares Philipp Behr und dessen Frau Jeanette, geborene Marcus, in Harburg, Lüneburgerstraße 12, zur Welt gekommen. Philipp Behr war am 23. Mai 1850 in Wanna, Kreis Otterndorf, geboren worden. Dort hatte er auch seine Frau Jeanette kennengelernt, die im selben Ort am 27. Oktober 1851 zur Welt gekommen war. Philipp Behr betrieb in Harburg in der Lüneburger Straße 26 einen "Handel mit fertigen Kleidungsstücken, Schuh- und Stiefelwaaren". Mitte der 1880er-Jahre zog die Familie nach Lüneburg, wo 1887 der Sohn Bernhard geboren wurde. Für kurze Zeit lebte sie zudem in Bergedorf sowie in Altona, bis sich Philipp Behr und seine Frau im November 1895 in Hamburg in der Hammerbrookstraße niederließen.

Über Max Behrs Jugendzeit in Harburg ist nur bekannt, dass er die Mittelschule besuchte. Nach dem Umzug seiner Familie nach Lüneburg hat er möglicherweise schon zu Kinderzeiten seine spätere Frau Else kennengelernt. Da ihre Mutter auch eine geborene Behr war, könnte die Familie Cohen zur entfernten Verwandtschaft der Behrs gehört haben. Während seine Eltern bereits 1895 nach Hamburg umzogen, kehrte Max Behr nach Harburg zurück und machte vermutlich eine Lehre bei der Firma J. Weinthal, "Kleiderfabrik, Herren- und Knabenkonfektion, Arbeiter-Artikel, Schuhwaren" in der Lüneburgerstraße 4. In diesem Geschäft arbeitete er bis 1904 als "Handlungs-Gehülfe"; anschließend verließ er Harburg und ging nach Schwerin. Am 15. Februar 1907 heiratete er in Eberswalde Else Cohen. Die Neuvermählten zogen nach Elmshorn in die Königstraße 50, wo am 25. Januar 1908 ihre Tochter Erika geboren wurde. Um 1910 verließ Max Behr mit Frau und Tochter Elmshorn und ließ sich in Hamburg in der Bismarckstraße 97 nieder. 1918 trat er in die Jüdische Gemeinde Hamburgs ein, im selben Jahr, am 16. Juli 1918, erhielten seine Frau Else und er die hamburgische Staatsangehörigkeit.

Max Behr machte sich in Hamburg als Agent in der Schuhbranche selbstständig. Bis zum erzwungenen Ende seiner beruflichen Tätigkeit waren seine Geschäfts- und seine Privatadresse identisch: Von der Bismarckstraße 97 zog er 1913 für zwei Jahre um in die Blücherstraße 17, bevor er sich 1915 in der Gneisenaustraße 33 niederließ und dort, von kurzen Unterbrechungen abgesehen, bis 1933 blieb. 1934 mietete er sich in der Grindelallee 79 ein. Von 1920 bis 1924 existierte auch noch eine Firma namens Philipp Behr & Söhne im Mönkedamm 7. Offenbar hatte der Vater Philipp Behr zusammen mit seinen Söhnen Max und Martin eine Firma gegründet, die aber nur kurze Zeit existierte.

Max Behr gehörte mit seiner Agentur zu der Schuhhändlerdynastie Behr, die in Hamburg zahlreich und weit verzweigt war. Er vertrat mehrere bedeutende Schuhfirmen, darunter das namhafte Unternehmen Emil Benedum aus Pirmasens, das nach dem Zweiten Weltkrieg in der Salamander AG aufging. Seine Geschäfte entwickelten sich gut, wie aus seinen Kultussteuerbeiträgen für die Jüdische Gemeinde ersichtlich ist, und woran sich auch seine Tochter, die die Shoah überlebte, später erinnerte. Von 1931 bis 1933 lag sein monatliches Einkommen zwischen 800 und 1000 Reichsmark (RM). Auch die Firma Benedum bestätigte, er habe als Vertreter bis 1934 monatlich 1000 RM verdient. Doch 1934 trafen auch ihn die nationalsozialistischen Repressalien gegen Jüdinnen und Juden: Ihm wurde die Vertretung für Benedum-Schuhe entzogen. Eingeschränkt konnte er noch bis April 1938 seine Agentur aufrechterhalten, dann musste er seine berufliche Tätigkeit ganz einstellen. Bis zur Deportation 1941 wurde er zu Zwangsarbeiten herangezogen, so ist er in der Deportationsliste als "Arbeiter" aufgeführt.

In seiner schon stark eingeschränkten Geschäftssituation bezog Max Behr mit seiner Familie 1934 eine Vier-Zimmer-Wohnung in der Grindelallee 79. Die Erinnerung der Tochter Erika Behr an die Einrichtung von Speisezimmer, Herrenzimmer und zwei Schlafzimmern spiegelte die gutbürgerliche Wohnsituation der Familie wieder: das Herrenzimmer in dunkler Eiche mit einem großen Bücherschrank, gefüllt mit "guten Büchern, u.a. Meyers Lexikon", einem Mahagoni-Klavier der Klavierfabrik Zimmermann in Leipzig, einem Schreibtisch mit Stuhl, einem Sofa mit zwei passenden Klubsesseln, einem wertvollen Teppich sowie verschiedenen Radierungen an den Wänden; das Speisezimmer mit einem großen Buffet mit Glasaufsatz als Aufbewahrungsort für ein Rosenthal-Kaffeeservice und ein Rosenthal-Speiseservice für 12 Personen sowie diversen Kristallschalen und -platten, einem großen Ausziehtisch mit acht Stühlen, einem wertvollen Teppich und einer Perserbrücke; das Schlafzimmer aus heller Eiche mit zwei Betten, einem großen Kleiderschrank, einem Toilettentisch mit Spiegel, einer Kommode, Nachttischen und drei Teppichbrücken sowie das Tochterzimmer weiß lackiert mit Kleiderschrank, Toilettentisch mit Spiegel, Bett, Nachttisch, Tisch und vier Stühlen.

Diese Wohnung musste das Ehepaar Behr 1940 zwangsweise verlassen; die Möbel wurden überwiegend zu Schleuderpreisen verkauft. Im Wiedergutmachungsantrag bezifferte die Tochter den Erlös der Eltern mit 500 RM bei einem realen Wert von 5000 bis 7000 RM. Else und Max Behr zogen mit nur wenigen Stücken – zwei Betten, einem Tisch, mehreren Stühlen und Küchenutensilien – in eine 1-Zimmer-Wohnung in der Dillstraße 16. Nach ihrer Deportation wurde ihr bereits stark reduzierter Haushalt vom Auktionshaus Carl F. Schlüter verwertet. Zur Versteigerung kamen: 2 Rauchtische, 1 Sessel, 1 Nähmaschine, 1 Dielengarderobe, 1 Schrank, 1 Küchenschrank, 2 kleine Schränke, 1 Tisch, 1 deutscher Teppich, diverse Geschirre und Bekleidungsgegenstände. Der Erlös betrug 329,20 Reichsmark. Außerdem wurden von der Sozialverwaltung diverse nicht benannte Gegenstände im Wert von 400 RM erworben.

Die Tochter Erika Behr war von Beruf Kontoristin, so ihre Selbstauskunft in ihrem Wiedergutmachungsantrag. Auf ihrer Kultussteuerkarte der Jüdischen Gemeinde wurde sie als Kindergärtnerin bezeichnet; als Arbeitsstätte für den Zeitraum von November 1937 bis Mai 1938 war "Kaufmann Arthur Braun, Bogenstraße 16" angegeben. Vermutlich hat Erika Behr, nachdem sie ihre Arbeit zwangsweise aufgeben musste, durch private Kinderbetreuung bei Familie Braun etwas Geld verdient.

Erika Behr, die bis 1938 bei ihren Eltern in der Grindelallee 79 wohnte, gelang es, rechtzeitig auszureisen und so der Deportation zu entgehen. Sie emigrierte am 20. November 1938 nach Shanghai. Noch im selben Jahr heiratete sie Arthur Rosenbaum. In den 1950er-Jahren lebten die Rosenbaums nach Aussage des sie vertretenden Anwalts in "dürftigen Verhältnissen" in New York, inzwischen waren beide schwer erkrankt.

Möglicherweise hat Max Behr versucht, seiner Tochter nach Shanghai zu folgen, scheiterte aber mit diesem Vorhaben. Das legt zumindest die durchgestrichene Notiz auf seiner Kultussteuerkarte nahe: "Shanghai, Sept. 39".

Durch einen Brief, den ein Überlebender des Gettos Minsk Erika Rosenbaum 1946 schrieb, sind Informationen über die Lebensumstände und den Tod von Max und Else Behr überliefert. Max Sommerfeld war zusammen mit ihnen in Minsk interniert und berichtete, dass in dem Getto nur diejenigen etwas zu essen bekamen, die arbeiten konnten. Da die Behrs aufgrund ihres Alters nicht dazu gehörten, lebten sie von dem Verkauf ihrer geringen Habe. Max Sommerfelds Schwester, die in der SS-Küche arbeitete, konnte das Ehepaar vor dem größten Hunger bewahren. Nach gut einem Jahr unter diesen harten Lebensumständen starben beide im Dezember 1942 an Typhus, erst Else Behr, kurz darauf ihr Mann. Beide wurden – so die Information Max Sommerfelds – von ihm persönlich in einem Massengrab auf dem jüdischen Friedhof in Minsk begraben.

Stand: Juli 2017
© Ute Harms

Quellen: 1; StaH 552-1 Jüdische Gemeinden Nr. 992 e 2 Bd. 3; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 33738; StaH 332-5 Standesämter 12862 u. 508/1879; Meldeamt, Alt–Hamburg Kartei, 1892–1895, K 4217; Hausmeldedatei Harburg; StaH A III 12, Erwerb der hamb. Staatsangehörigkeit 1916–20, Bd. 4; Hamburger Adressbücher 1910–1941; Harburger Adressbücher 1882 u. 1904; Einwohnermeldeamt Elmshorn (telefon. Auskunft); E-Mail Kreisarchiv Landkreis Osterholz, 21.8.2013; Klaus Beer, Ein Denkmal für Familie Cohen, die in Osterholz-Scharmbeck in Niedersachsen gelebt hat, Osterholz-Scharmbeck 2001; Lohmeyer: Stolpersteine, S. 72–76.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

druckansicht  / Seitenanfang