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Ella Schiff * 1877

Grindelallee 50 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
ELLA SCHIFF
JG. 1877
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
10. OKT. 1942

Ella Schiff, geb. 30.8.1877, gedemütigt und entrechtet, vermutlicher Suizidversuch am 10.7.1942, Tod 10.10.1942

Grindelallee 50, Eimsbüttel

Ella Schiff war am 30. August 1877 in der Straße Neuer Steinweg 20 in der Hamburger Neustadt geboren worden. Sie war für ihren Vater Louis Schiff das dritte Kind. Seine gesicherten Einkünfte als Schuhmachermeister hatte es ihm am 7. Januar 1859 ermöglicht in den Hamburger Staatsverband aufgenommen zu werden. Aus einer ersten Ehe mit Rike Schiff, geb. Braunschweiger, stammten bereits zwei Kinder: Martin, geboren am 10. November 1859, und Marianne, geboren am 17. August 1863. Rike Schiff war am 11. Juli 1874 verstorben. Sie wurde auf dem Grindelfriedhof beigesetzt.

Louis Schiff heiratete in zweiter Ehe am 21. März 1876 Lea Elias, die am 3. Januar 1842 in Hamburg geboren worden war. Ihre Eltern hießen Moses Isaac Elias und Fanny Elias, geb. Eisenmann. Lea Schiff adoptierte, noch im Jahr ihrer Hochzeit mit Louis Schiff, die ersten beiden Kinder ihres Mannes mit dem Einverständnis seiner Eltern und Geschwister, die auf ihren Erbteil mit einer schriftlichen Erklärung verzichten mussten.
Als Ella Schiff fünf Jahre alt war, starb ihr Halbbruder Martin Schiff am 1. März 1882 im Alter von 22 Jahren. Er wurde auf dem Jüdischen Friedhof Ottensen beigesetzt. Zwei Jahre später starb ihr Vater am 25. Januar 1885 in der Wohnung Neuer Steinweg 20 in der Hamburger Neustadt.

Bis 1889 wohnten Ella und Marianne Schiff und deren Mutter Lea Schiff noch im Neuen Steinweg 20. 1890 zogen sie in die Eimsbütteler Chaussee 83 in Eimsbüttel. Am 24. August 1893 heiratete Marianne Schiff Berel Häcker, der seinen Namen später in Hecker änderte.

Ella Schiff und ihre Mutter Lea Schiff blieben alleine zurück. Sie wechselten 1895 in eine Wohnung in dem Wohnstift Schlachterstraße 40-42 (die Straße existiert heute nicht mehr) in der Hamburger Neustadt.

Das Wohnheim in der Schlachterstraße 40-42 war durch den Kaufmann Lazarus Gumpel gestiftet worden. Ein Teil der Wohnungen war vorgesehen für Personen, die zwar ihren Lebensunterhalt verdienen, jedoch keine Miete zahlen konnten. Diese erhielten Freiwohnungen. Ob Ella Schiff und ihre Mutter Lea Schiff mietfrei wohnen konnten, wissen wir nicht.

Ella Schiff absolvierte eine Ausbildung zur Kontoristin. 1905 arbeitete sie als Buchhalterin bei Sachs im Pfandleihgeschäft an der Caffamacherreihe 39 in der Hamburger Neustadt.
1907 zogen Ella Schiff und ihre Mutter Lea Schiff in die Osterstraße 130 nach Eimsbüttel. Ella Schiff pflegte ihre 65jährige Mutter bis zu deren Tod am 24. Dezember 1907. Beigesetzt wurde Lea Schiff am 24. Dezember 1907 auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel.

Nach dem Tod ihrer Mutter zog Ella Schiff in die Grindelallee 80 und wechselte nach kurzer Zeit wieder in die Osterstraße, diesmal Nr. 180. Vermutlich verdiente sie als Kontoristin gut, so dass sie sich 1920 eine 6 ½ Zimmerwohnung in der Rutschbahn 27 in Rotherbaum für 140 RM mietete. Drei Zimmer davon wollte sie untervermieten, um sich einen guten Lebensstandard zu sichern. Nachdem 1922 einer der Untermieter ausgezogen war, verfügte sie nur noch über Mieteinnahmen für zwei Zimmer.

1923 beendete Ella Schiff ihr Arbeitsverhältnis im Pfandleihgeschäft und wechselte als Kontoristin zum Bankgeschäft Gebrüder Schönlank, die ihren Sitz seit 1911 in der Wexstraße 6 in der Neustadt hatten.

Durch die Inflation, aber auch durch einen Heiratsschwindler, dessen Versprechungen sie erlegen war, häufte sie ab Oktober 1923 Mietschulden in Höhe von 565 RM an. Sie hatte den Mann über viele Monate hinweg ernährt, seine Scheidung bezahlt und ihm Wertgegenstände überlassen. Doch er verließ sie, und Ella Schiff verfiel in schwere Depressionen. Sie brachte die Energie nicht mehr auf, um ihre Wohnung sauber zu halten oder sich um ihre Versorgung zu kümmern. Als Folge verlor sie auch noch ihre Anstellung als Kontoristin im Bankhaus.

Ihr Arzt Dr. Bohm befürwortete am 29. März 1925 eine Entmündigung und die Einweisung in eine Klinik. Auch die eingeschaltete Jüdische Gemeinde sah es als erwiesen an, dass Ella Schiff nicht mehr in der Lage war, ihr Leben zu regeln, und bat den Arzt, sich um die Entmündigung zu kümmern. Für die täglichen Belange von Ella Schiff sollte – ebenfalls im Auftrag der Jüdischen Gemeinde - eine Gemeindeschwester Sorge tragen. Und im Gegenzug wurde Ella Schiff von der Jüdischen Gemeinde beauftragt, Essen für bedürftige Gemeindemitglieder auszutragen.

Bis Ende Februar 1925 hatten sich die Mietschulden auf 852,35 RM erhöht. Ella Schiff stellte beim Wohlfahrtsamt einen Antrag auf Unterstützung. Ein Herr Sussmann dort nahm sich ihrer an. Er veranlasste, dass sie Wohlfahrtsunterstützung bekam und kümmerte sich darum, dass sie wieder über Mieteinnahmen durch Zimmervermietungen verfügen konnte.
Sie erhielt auch weitere Hilfen von vielen Seiten: Ihr früherer Arbeitgeber Schönlank sorgte für eine kostenlose tägliche Mahlzeit. Der Hauswirt erließ ihr 284,12 RM, ein Vetter schenkte ihr 30 RM, durch die Steinthal-Looge bekam sie 50 RM, die Jüdische Gemeinde unterstützte sie mit 100 RM, eben so viel zahlte ein Untermieter. Die restlichen Mietschulden in Höhe von noch 289,24 RM musste sie selber aufbringen.

Am 21. April 1926 waren drei Zimmer ihre 6 ½ Zimmerwohnung wieder vermietet, eines an eine Frau S. de Vries. Von ihr kaufte Ella Schiff Pelzjacken und -mäntel, um sie dann teurer weiterzuverkaufen. Doch Ella Schiff konnte die Ware nicht bezahlen, so dass S. de Vries ihrerseits das Geld für die Miete einbehielt.
Am 28. September vermerkte das Wohlfahrtsamt, Ella Schiff sei laut mündlicher Mitteilung der Jüdischen Gemeinde inzwischen entmündigt. Ein entsprechendes Gutachten fehlt in der Akte.

Am 25. Oktober 1926 war Ella Schiff laut Wohlfahrtsamt wieder in der Lage, ihre Angelegenheiten selber zu regeln und auch einem kleineren Broterwerb nachzugehen. Das Wohlfahrtsamt stellte ab November 1926 die Unterstützungszahlung für Ella Schiff ein.
Ella Schiff gelang es, einen Teil ihrer Schulden aus eigenen Mitteln abzutragen. Vermutlich hatte sie einige Pelzjacken- und Mäntel verkaufen können.

1927 zogen zwei Untermieter wieder aus. Es blieb nur die Untermieterin S. de Vries, die keine Miete zahlte. Wieder wurde das Geld knapp. Ella Schiff beantragte im März 1927 bei der öffentlichen Darlehenskasse einen Kredit, der nicht bewilligt wurde. Sie wurde wieder an das Wohlfahrtsamt verwiesen.

Am 22. April 1927 reichte der Vermieter Klage gegen Ella Schiff ein, sie hatte Mietschulden in Höhe von 272,96 RM. Er kündigte auch das Mietverhältnis. Der Gerichtsvollzieher beschlagnahmte einen Großteil ihrer Möbel für die Mietrückstände.

Ella Schiff bemühte sich weiter ihre Mietschulden zu begleichen, die im August des Jahres noch 228,89 RM und im Oktober 188 RM betrugen. Das Wohlfahrtsamt bat die Jüdische Gemeinde, einen Teil der restlichen Summe zu übernehmen.

Die Jüdische Gemeinde unterstützte Ella Schiff erneut kurzzeitig. Ella Schiff arbeitete von November 1927 bis Januar 1928 als Notstandsarbeiterin beim Statistischen Landesamt, bis eine Erkrankung ihr dies nicht mehr erlaubte.
Am 7. März 1928 verlor sie dann endgültig die Räumungsklage für die Wohnung in der Rutschbahn 27 vor Gericht. Drei Pelzjacken waren noch vorhanden, die versteigert wurden, um die restlichen Mietschulden zu begleichen. Mit der Räumungsklage zog dann auch die Untermieterin de Vries aus.

Nachdem Ella Schiff die Wohnung in der Rutschbahn verloren hatte, bezog sie eine 2-Zimmerwohnung mit Küche wieder im Lazarus-Gumpel-Wohnstift in der Schlachterstraße 47. Dafür zahlte sie eine monatliche Miete von 6 RM und 0,50 RM für die Hofreinigung.

Ella Schiff wurde nun von der Jüdischen Gemeinde als Haushaltshilfe an jüdische Familien und Einrichtungen vermittelt. So arbeitete sie u. a. als Putzfrau im Kinderhort, als Altenpflegerin und in der Nähstube. Offensichtlich war es ihr wichtig zu arbeiten, auch als ihre Kräfte nachließen.
Auf Veranlassung des Wohlfahrtsamtes wurde sie dann am 2. April 1928 in der Nähstube in Farmsen zur "Pflichtarbeit" (die Fürsorgebezieher leisten mussten) eingesetzt.

Sie wurde vom 30. April bis zum 4. Juni 1932 stationär im Krankenhaus Elim behandelt. Die Ärzte diagnostizierten eine Diabeteserkrankung. Sie benötigte Insulin.
Der Vertrauensarzt stellte am 4. Juni 1932 ein Gutachten aus und bescheinigte ihr die weitere Arbeitsunfähigkeit. Sie bat die Jüdische Gemeinde um die Übernahme ihrer Mietkosten.

Am 12. September 1932 wurde sie erneut ins Krankenhaus eingewiesen, dieses Mal ins Israelitische Krankenhaus Eckernförder Straße 4 (heute Simon-von-Utrecht-Straße) in St. Pauli. Es folgte eine Verlegung in die "Irrenanstalt" Friedrichsberg, aus der sie am 26. Januar 1933 entlassen wurde. Sie kehrte kurz in ihre Wohnung Schlachterstraße 47 zurück, wurde dann aber in das Pflegeheim Oberaltenallee 60 eingewiesen, aus dem sie am 4. Oktober 1933 auf eigenen Wunsch in die Schlachterstraße 47 entlassen wurde.

In den folgenden Jahren war Ella Schiff wegen Diabetes und deren Begleiterscheinungen ca. einmal im Jahr für mindestens einen Monat stationär im Krankenhaus aufgenommen worden. Auf beiden Augen hatte sich ein Grauer Star entwickelt, der ihr weite Wege unmöglich machte. Zusätzlich bekam sie ein Fußleiden und verbrachte nun die meiste Zeit zu Hause. Weite Wege waren wegen der Augen und des Fußes nicht mehr möglich.

Für Ella Schiff wurde der Vormund Gustav Heinemann, geboren am 17. Januar 1883, eingesetzt. Er war als Fürsorgepfleger für die Jüdische Gemeinde tätig. (Gustav Heinemann wurde am 18. November 1941 nach Minsk deportiert. Siehe www.stolpersteine-hamburg.de).

Ella Schiff zog nun am 24. Januar 1934 in ein Zimmer zur Untermiete in der Straße Kleiner Schäferkamp 16 bei der Witwe S. Faudel, die Ella Schiff betreute, denn diese musste wegen der Diabetes Diätessen zu sich nehmen. Wenige Monate später zogen beide in die Straße Kleiner Schäferkamp 31 um. Im Sommer 1934 kam es zwischen beiden Frauen zu Streitigkeiten. Beide hielten trotzdem an ihrer Wohnsituation fest. Zusätzlich kam täglich eine Gemeindeschwester, um ihr die Insulinspritzen zu verabreichen.

Seit dem 29. November 1934 bezog Ella Schiff monatlich eine Invalidenrente von 61,60 RM. Die finanzielle Unterstützung vom Wohlfahrtsamt wurde eingestellt.

1935 trennten sich die Wege von Ella Schiff und ihrer Vermieterin. Ella Schiff zog in die Grindelallee 50 zur Untermiete bei Novigk ein, wenig später in die Grindelallee 165 zu Paula Jacob.

1939 gehörte sie keiner Krankenkasse mehr an, so dass die Krankenhauskosten von der Jüdischen Gemeinde übernommen werden mussten. Das jüdische Heim in der Innocentiastraße 37 ermöglichte ihr eine warme Mahlzeit am Tag, und in der Schäferkampsallee 27 hatte die Jüdische Gemeinde seit 1941 eine Volksküche eröffnet. Vermutlich nutzte Ella Schiff diese Versorgungseinrichtungen.

Im Frühjahr 1942 musste sie in das "Judenhaus" Schlachterstraße 40-42 umziehen.

Am 10. Juli 1942 erlitt Ella Schiff im Jüdischen Gemeinschaftshaus in der Hartungstraße 9-11 einen Oberschenkelhalsbruch durch einen Treppensturz. Ob sie einen Suizidversuch unternommen hatte oder eine Treppenstufe verfehlt hatte, ausgelöst durch die schlechte Sehleistung ihrer Augen, wissen wir nicht.

Als Folge des Treppensturzes wurde ihre bereits geplante Deportation am 11. Juli 1942 abgesagt, von der heute bekannt ist, dass sie nach Auschwitz führte.

Ella Schiff starb am 10. Oktober 1942 im Jüdischen Krankenhaus in der Schäferkampsallee 29. Der Oberschenkelhalsbruch vom 10. Juli 1942 war nicht die Todesursache, sondern eine Hirnhautentzündung.

Sie wurde auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel beigesetzt.

Zum Schicksal der Halbschwester von Ella Schiff:
Marianne Schiff hatte am 23. August 1893 Berel Häcker/Hecker, geboren am 2. August 1861, geheiratet. Sie bekamen die Kinder Louis Hecker, geboren am 28. Juni 1894, und Max Hecker, geboren am 27. November 1895. Berel Hecker verstarb am 11. Juni 1931 und wurde auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel beigesetzt. Marianne Hecker wurde mit ihren Söhnen Louis und Max am 8. November 1941 nach Minsk deportiert und ermordet (Biographie www.stolpersteine-hamburg.de).

Stand: Juli 2023
© Bärbel Klein

Quellen: 1; 2; 4; StaH, 351-14_1881 Ella Schiff; 232-1 Vormundschaftsakte Serie II 7200/1876 Louis Schiff; 331-5 Polizeibehörde – unnatürliche Sterbefälle 3 Akte_1533/1942; 332-3 Zivilstand C157 Sterberegister Nr. 3807/1874 Rieke Schiff; 332-5 Geburtsregister 1911 Nr. 4060/1877 Ella Schiff, 9104 Nr. 1557/1894 Louis Häcker, 9118 Nr. 2888/1895 Max Hecker; 332-5 Heiratsregister 2558 Nr. 288/1876 Schiff/Elias, 2814 Nr. 948/1893 Häcker/Schiff; 332-5 Sterberegister 124 Nr. 651/1882 Martin Schiff, 179 Nr. 310/1885 Louis Schiff, 7991 Nr. 852/1907 Lea Schiff, 980 Nr. 292/1931 Berel Hecker, 8179 Nr. 480/1942 Ella Schiff; Irmgard Stein, Jüdische Baudenkmäler, Hans Christians Verlag, erschienen 1984; Stefanie Fischer, Familie und Alltag, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 22.09.2016, [Zugriff 5.3.2023]; Hamburger www.ancestry.de; www.geni.com; www.wikipedea.de Einsicht am 6.1.2021).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen"

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