Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste

Gustav Wagener, 1939
© Evangelische Stiftung Alsterdorf

Gustav Wagener * 1924

Eißendorfer Straße 55a (Harburg, Eißendorf)


HIER WOHNTE
GUSTAV WAGENER
JG. 1924
EINGEWIESEN 1927
ALSTERDORFER ANSTALTEN
1943 "VERLEGT"
HEILANSTALT EICHBERG
ERMORDET 31.8.1944
HEILANSTALT WEILMÜNSTER

Gustav Wagener, geb. am 1.10.1924 in Celle, aufgenommen in die Alsterdorfer Anstalten, verlegt in die "Landesheil- und Pflegeanstalt Eichberg", dort ermordet am 31.8.1944

Stadtteil Harburg-Altstadt, Eißendorfer Straße 55a

Gustav Wagener war ein uneheliches Kind der Dienstmagd Emilie Maria Wagener. Der Vater Rudolf Sitz stammte aus Moorburg. Einen Tag nach der Geburt Gustavs wurde der Junge in der benachbarten Kreisstadt Celle in einer evangelisch-lutherischen Kirche getauft. Seine ersten Lebensjahre verbrachte er bei seiner Mutter in Harburg. Doch seine Entwicklung verlief anders als erwartet.

Nach einer gründlichen Untersuchung plädierte der zuständige Harburger Amtsarzt im November 1927 für eine Einweisung des Kindes in die damaligen Alsterdorfer Anstalten, die den dreijährigen Jungen ihrerseits als ängstlich und weinerlich beschrieben, aber zugleich feststellten, dass er aufmerksam sei und viel beobachte. Er könne nicht so gut laufen wie andere gleichaltrige Kinder und sich sprachlich nur unzureichend ausdrücken. Er galt als "Fütterkind". Die Diagnose lautete: "Imbezillität" (geistige Behinderung mittleren Grades).

In den folgenden Jahren wurde Gustav Wagener als unruhiges und schwer erziehbares Kind beschrieben. 1930 vermerkte eine Schwester in seiner Krankenakte: "Hat wieder den ganzen Tag die anderen Kinder gequält, ihnen das Spielzeug fortgenommen." Wenig später besagte eine andere Eintragung, dass er eine Schutzjacke tragen müsse, weil er so stark onaniere.

1931 probierte Gerhard Kreyenberg, der leitende Oberarzt der damaligen Alsterdorfer Anstalten, an seinem kleinen Patienten die Anwendung seiner Röntgentiefenbestrahlung aus. Er hatte diese Therapiemethode 1930 in der Hoffnung eingeführt, "Schwachsinn" auf diese Weise "heilen" zu können. Mit Einverständnis seiner Mutter wurde Gustav Wa­geners Schädel vom 24. April 1931 bis zum 26. April 1933 ständig wachsenden Röntgendosen ausgesetzt. Zugleich wurde das Verhalten des Jungen in dieser Zeit penibel registriert und in seiner Krankenakte festgehalten. Eine "Besserung" trat jedoch nicht ein. Die körperlichen Folgen der hohen Strahlenbelastung wurden nicht untersucht. Sie sind zumindest nicht dokumentiert, so dass wir nicht wissen, welche Belastungen der kleine Patient durchlitten hat. Laut seiner Akte blieb er "jähzornig" und zerstörte weiterhin "alles, was ihm in die Hände" fiel.

1940 wurde der sechzehnjährige Junge zum "Hilfsjungen" ausgebildet, zu harten körperlichen Arbeiten herangezogen und in der Außenkolonne mit Wagenschieben beschäftigt. Er soll jedoch meist, wie es in seiner Patientenakte hieß, mit offenem Mund herumgestanden und getan haben, als ob er nichts verstünde. Oft soll er sich unbemerkt "abgesetzt" ha­ben, um sich vor der anstehenden Arbeit "zu drücken".

Im August 1943 gehörte Gustav Wagener zu den 469 Insassen der damaligen Alsterdorfer Anstalten, die auf Initiative von Pastor Friedrich Lensch, dem Direktor des Hauses, in enger Zusammenarbeit mit der Hamburger Gesundheitsbehörde aus Hamburg abtransportiert wurden.

Am 7. August 1943 wurde er zusammen mit 75 anderen Alsterdorfer Kindern und Männern in die "Heil- und Pflegeanstalt Eichberg" in Hessen verlegt. Zehn Wochen später war die "Landesheilanstalt Weilmünster" seine nächste Station.

In dieser Einrichtung lebten die Kranken unter den erbärmlichsten Bedingungen. Die Zahl der Todesfälle lag in den Jahren von 1940 bis 1944 weit über dem bisherigen Durchschnitt. Diese traurige Bilanz war das Ergebnis des ständigen Hungers, unter dem die Patientinnen und Patienten von Anfang an zu leiden hatten, ihrer mangelhaften ärztlichen Versorgung bei Krankheiten und des gezielten Einsatzes tödlicher Medikamente.

Am 31.8.1944 zählte auch Gustav Wagener zu den vielen Toten der "Landesheilanstalt Weilmünster".

© Klaus Möller

Quellen: Gedenkbuch der Evangelischen Stiftung Alsterdorf; Archiv der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, Krankenakte Gustav Wageners (V121); Wunder u. a., Kein Halten, 2. Auflage.

druckansicht  / Seitenanfang