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Albert Voigts * 1904

Eißendorfer Straße 88 (Harburg, Eißendorf)


HIER WOHNTE
ALBERT VOIGTS
JG. 1904
VERHAFTET 16.10.1942
IM WIDERSTAND
"ROTE KAPELLE"
GEFÄNGNIS BERLIN
SACHSENHAUSEN
ERMORDET 30.6.1943

Albert Voigts, geb. am 4.6.1904 in Harburg, angeklagt wegen Vorbereitung zum Hochverrat im Februar 1943, eingewiesen in das KZ Sachsenhausen im Mai 1943, ermordet am 30.6.1943

Stadtteil Eißendorf, Eißendorfer Straße 88

Albert Voigts wurde als einziger Sohn des amtlichen Wiegers Friedrich Voigts und seiner Ehefrau Wilhelmine Voigts geboren.

Als Schüler besuchte er das nahe gelegene Harburger Realgymnasium (heute: Friedrich-Ebert-Gymnasium), das sich damals in dem Schulgebäude in der Eißendorfer Straße 26 befand, in dem heute die Schülerinnen und Schüler der Goethe-Schule-Harburg unterrichtet werden. Noch in seiner Schulzeit schloss Albert Voigts sich dem Verein `Wandervogel e. V. – Bund für deutsches Jugendwandern´ an.

Wie die Pioniere dieser kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert aufblühenden Jugendbewegung zog es auch die Harburger Gruppe aus der immer stärker von Fabrikgebäuden und Mietskasernen geprägten Stadt hinaus in die unberührte Natur. Diese Sehnsucht nach einer unverfälschten Umwelt verband sich mit dem Wunsch nach einer anderen Werteordnung. Diese progressiv orientierten Jugendlichen wollten nicht länger nur Anhängsel der Erwachsenen sein. Ihnen lag daran, die Bevormundung durch Eltern und Lehrer gegen eine selbstbestimmte Lebensführung auszutauschen.

Als sich die Jugendbewegung nach der Novemberrevolution von 1918 in zwei große Lager spaltete, gehörte Albert Voigt zu denen, die die politische Neuorientierung befürworteten und sich von denen trennten, die eine Rückkehr zum Kaiserreich anstrebten. Mit anderen Jugendlichen verbrachte er viele Heimabende in froher oder nachdenklicher Runde und erschloss sich die norddeutsche Landschaft auf unzähligen Wanderungen mit Klampfe und Gesang. Zu den Wanderzielen gehörten das Jugendlager Klappholtal auf Sylt und der Barkenhoff in Worpswede. Auf Sylt studierten und besprachen sie die Aufklärungsschriften Alfred Kurellas, und in Worpswede ließen sie sich von der Kommune des Malers Heinrich Vogeler inspirieren, einem Experiment, bei dem alle Mitwirkenden auf Privateigentum verzichteten und sich zu gegenseitiger Hilfe verpflichteten.

In diesem Freundeskreis lernte der junge Albert Voigts die ebenso progressiv denkende und handelnde Elfriede Paul kennen und lieben. Sie war die Tochter eines Lithographen und einer Damenschneiderin. Nach ihrem Besuch des Harburger Lyzeums am Soldatenfriedhof studierte sie Pädagogik, und danach fand sie an der freien weltlichen Schule in der Maretstraße eine Anstellung als Lehrerin. Sie war vier Jahre älter als Albert Voigts. 1924 wurde der engagierten Reformpädagogin die Leitung des Kinder- und Waisenheims am Großen Dahlen in Harburg anvertraut, einer Aufgabe, der sie sich mit großem Engagement widmete.

Die beiden jungen Menschen beobachteten aufmerksam das Zeitgeschehen und glaubten, dass Karl Marx die richtigen Antworten auf die Krise des Kapitalismus und Imperialismus, wie sie am Ende des Ersten Weltkriegs sichtbar wurde, gefunden hätte. Schon mit siebzehn Jahren las der junge Albert Voigts die Klassiker des Marxismus-Leninismus mit einer Begeisterung, der sich auch seine Freundin nicht entziehen konnte. Durch Max und Johanna Zorn fanden Albert Voigts und Elfriede Paul den Weg zur KPD (Kommunistische Partei Deutschlands).

Ihre kleinbürgerliche Herkunft und ihr bisheriges Jugendleben erschwerten den beiden Jungkommunisten anfangs die Orientierung in ihrem neuen Umfeld. Vorher waren sie frei und ungezwungen auf Feldwegen durch die Landschaft gewandert, jetzt marschierten sie in festen Formationen diszipliniert hinter der roten Fahne durch die Straßen der Industriestadt Harburg a. d. Elbe. Gesellschaftliches Handeln war fortan wichtiger als individuelle Selbstverwirklichung. Erst mit der Zeit wurde ihnen die neue Umgebung vertraut. Privat blieben sie auch unzertrennliche Freunde, als Albert Voigts nach seinem Abitur Ingenieurwissenschaften an der TU Braunschweig studierte.

In ihrer neuen Funktion als Leiterin eines Kinder- und Waisenheims an Großen Dahlen gewann Elfriede Paul tagtäglich tiefe Einblicke in die soziale Not vieler Arbeiterfamilien. Sie unternahm alles Erdenkliche, um den abgemagerten und verlausten Kindern neue Erfahrungen zu vermitteln. Sie lebte, spielte und arbeitete zusammen mit den Kindern und zog mit ihnen in den Ferien, ausgestattet mit Rucksack und Kochgeschirr, durch die Lüneburger Heide oder an die Ostsee. So sehr sie den Kindern mit ihrer sozialpädagogischen Erfahrung helfen konnte, so wenig konnte sie etwas gegen die vielen Krankheiten ausrichten, die die Kinder immer wieder schwächten. Diese Erkenntnis bestärkte sie in dem Entschluss, Medizin zu studieren, um später einmal als Kinderärztin ein Sanatorium an der See zu leiten. Nach ihrer erfolgreichen Approbation und einigen Zwischenstationen im Gesundheitswesen eröffnete sie 1936 in der Sächsischen Straße im vornehmen Stadtteil Berlin-Wilmersdorf eine eigene Arztpraxis.

Das war auch das Jahr, in dem sie Walter Küchenmeister (9.1.1897–13.5.1943), einen gelernten Dreher und späteren Schriftsteller, kennen lernte. Er hatte vor 1933 als Kommunist in Westfalen eine Rolle gespielt und gewann durch seine kulturpolitischen Kenntnisse und literarischen Werke bald die Zuneigung der jungen Ärztin. Mitte März 1937 zog er zu ihr.

Walter Küchenmeister war wiederum mit Harro Schulze-Boysen, einem Mitarbeiter des Reichsluftfahrtministeriums, gut befreundet, der nach 1939 zusammen mit Arvid Harnack. einem Oberregierungsrat im Reichswirtschaftsministerium, durch persönliche Kontakte ein loses Netzwerk von sieben Berliner Widerstandsgruppen geknüpft hatte. Ihnen gehörten mehr als 150 Gegner des Nationalsozialismus ganz unterschiedlicher Herkunft und weltanschaulicher Traditionen an, die aus dem universitären Bereich, aus dem musikalischen und künstlerischen Milieu, aus der Publizistik und aus der Verwaltung kamen, darunter viele Frauen. Sie alle einte die entschiedene Gegnerschaft zum Nationalsozialismus.

Ihr Widerstand war vielseitig. Einige trafen sich zu politischen und künstlerischen Diskussionsabenden, andere sammelten Informationen über nationalsozialistische Gewaltverbrechen oder versuchten, verfolgten Menschen beizustehen. Darüber hinaus war die Weitergabe von Informationen über Flugblätter und Klebezettel ein wichtiges Anliegen. 1940/41 gelang es Schulze-Boysen und Harnack auch, sowjetischen Dienststellen militärisch wichtige Informationen zuzuspielen.

Albert Voigts, der inzwischen sein Studium beendet und eine Anstellung als Patentanwaltskandidat in der Kanzlei des Berliner Patentanwalts Dipl. Ing. Arthur Kuhn gefunden hatte, blieb weiterhin mit Elfriede Paul in Verbindung, gehörte aber nicht zu ihrem neuen Freundeskreis. Er nutzte andere Wege für seine illegalen Aktivitäten, die er, wie ein Kamerad nachträglich bestätigte, "außerordentlich gewissenhaft und verschwiegen" betrieb.

Im Sommer 1942 deckte die Gestapo die Widerstandsorganisation um Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen auf, nachdem sie einen Funkspruch des sowjetischen Nachrichtendienstes an einen Agenten in Brüssel mit den Namen und Adressen von Harro Schultze-Boysen, Arvid Harnack und Adam Kuckhoffs abgefangen und mit viel Glück nach einiger Zeit auch entschlüsselt hatte. Dieser Agent hatte sich zuvor einmal mit Harro Schultze-Boysen getroffen. Die deutschen Sicherheitsbehörden glaubten nach ihrem Fahndungserfolg, einer großen sowjetischen Spionageorganisation auf die Spur gekommen zu sein, und gaben dieser Personengruppe den Namen `Rote Kapelle´.

In schneller Folge wurden im August und September 1942 über 120 Angehörige der Berliner Gruppe festgenommen. Durch deren Verhöre oder Bespitzelungen in der Zelle wurden anschließend noch einmal 80 Personen aus dem Umfeld dieses Kreises verhaftet.

Am 16. September 1942 wurden Elfriede Paul und Walter Küchenmeister aus ihrer Wohnung abgeführt. Genau einen Monat später musste Albert Voigts auf Grund einer Vorladung der Gestapo um 9.00 Uhr zur Vernehmung im Zimmer 421 des Berliner Hauptquartiers der Staatspolizei in der Prinz-Albrecht-Straße erscheinen. Von dort kehrte er nicht wieder an seinen Arbeitsplatz und in seine Wohnung zurück. Sie wurde auf Befehl der Gestapo bald darauf von einer Mitarbeiterin der Anwaltskanzlei aufgelöst.

79 Verhaftete wurden auf Weisung der Reichskanzlei vor dem Reichskriegsgericht angeklagt. Vertreter der Anklage war Obergerichtsrat Manfred Roeder, ein glühenden Anhänger Adolf Hitlers, der bald darauf durch seine menschenverachtende Verhandlungsführung fragwürdigen Ruhm erwarb. Er befasste sich in den Prozessen nicht nur mit den politischen Aktivitäten der Angeklagten, sondern in epischer Breite auch mit ihrem Privatleben, um sie als unmoralische Menschen zu verunglimpfen. Alle Verhandlungen erfolgten streng geheim. Den Angeklagten wurden Pflichtverteidiger zugewiesen, die nur kurz vor Prozessbeginn oder gar nicht mit ihnen sprechen durften.

Am 15. Dezember 1942 wurde auf Weisung Hitlers eine Eisenschiene mit Fleischerhaken im Hinrichtungsraum der Haftanstalt Berlin-Plötzensee installiert. Bis dahin waren Todesurteile von Militärgerichten durch Erschießen und die von Zivilgerichten durch Enthauptung mit dem Fallbeil vollstreckt worden. Gegen mehr als 70 Angehörige der Schultze-Boysen/Harnack-Gruppe wurde ab Dezember 1942 die Todesstrafe verhängt.

Walter Küchenmeister wurde am 6. Februar 1943 vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt und am 13. Mai 1943 in Berlin-Plötzensee durch das Fallbeil enthauptet. Elfriede Paul wurde zu 6 Jahren Zuchthaus verurteilt. Im April 1945 wurde sie von amerikanischen Truppen aus der Haftanstalt Leipzig/Klein-Meusdorf befreit.

Albert Voigts gehörte zu den wenigen Angeklagten, die vom Reichskriegsgericht aus Mangel an Beweisen frei gesprochen wurden. Doch anstatt das Gebäude als freier Mensch zu verlassen, wurde er noch vor dem Verlassen des Hauses von der Gestapo auf der Grundlage eines Schutzhaftbefehls wieder in Gewahrsam genommen und erneut eingesperrt. Der Gestapobeamte, bei dem sein Chef sich anschließend nach seinem Verbleib erkundigte, erklärte ihm, dass seine Behörde diesen Freispruch nicht akzeptiere und Albert Voigts bis zum Kriegsende in Haft behielte.

Aus dem Gefängnis wurde der Schutzhäftling am 21. Mai 1943 in das KZ
Sachsenhausen überstellt. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich über 23.000 Insassen in diesem Konzentrationslager - dreimal so viele wie zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, ohne dass in der Zwischenzeit entsprechende Ausbauten vorgenommen worden waren. Der Tod und das Töten waren im KZ Sachsenhausen allgegenwärtig. Tausende starben hier an Entkräftung, an mangelnder medizinischer Versorgung, an Unterernährung oder an den Folgen willkürlicher und brutaler Misshandlungen.

Keine fünf Wochen nach seiner Einlieferung in dieses Konzentrationslager war Albert Voigts nicht mehr am Leben. Kurz nach seinem 39. Geburtstag fand er am 30. Juni 1943 an diesem Ort des Schreckens den Tod.


Stand: April 2019
© Klaus Möller

Quellen: Komitee ehemaliger politischer Gefangener, Akte: Albert Voigts; Elfriede Paul, Ein Sprechzimmer der Roten Kapelle, Berlin 1981; die anderen. Widerstand und Verfolgung in Harburg und Wilhelmsburg, VVN-BdA Harburg (Hrsg.), 6. Auflage Harburg 2005; Harburger Opfer des Nationalsozialismus, Bezirksamt Harburg (Hrsg.), Hamburg-Harburg 2003; AB Harburg-Wilhelmsburg und Landkreis 1938; https://hannover.vvn-bda.de/hfgf/h5-10-ElfriedePaul, eingesehen am 11.4.2018; https://de.wikipedia. org/wiki/Elfriede_Paul, eingesehen am 11.4.2018; https://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Küchenmeister, eingesehen am 11.4.2018; https://de.wikipedia.org./wiki/Albert_Voigts_(Widerstandskämpfer, eingesehen am 11.4.2018; https://www.gdw-berlin.de/vertiefung/themen/14-die-rote-kapelle, eingesehen am 11.4.2018; https://de.wikipedia.org./wiki/Rote_Kapelle, eingesehen am 12.4.2018; Stefan Roloff, Die Rote Kapelle, München 2002; Johannes Tuchel, Julia Albert, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, in: Informationen zur politischen Bildung Nr. 330, Bonn 2016. Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, Totenbuch.

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