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Leopold Simonsohn * 1883

Ebertallee 201 (Altona, Bahrenfeld)

1938 KZ Sachensenhausen
tot an Haftfolgen 10.12.1939

Leopold Simonsohn, geb. am 18.6.1883, Haft im KZ Sachsenhausen vom 9.11. bis 10.12.1938, gestorben an den Haftfolgen am 10.12.1939

Ebertallee 203 (Ebertallee 145)

Leopold Simonsohn stammte aus einer jüdischen Berliner Kaufmannsfamilie. Er war der jüngste Sohn und hatte einen Bruder namens Max und zwei Schwestern namens Jenny und Therese. Mit 15 Jahren ging Leopold Simonsohn zur See. Als Matrose bei der Handelsmarine fuhr er auf Segelschiffen der Südamerika-Route, die Salpeter nach Hamburg brachten, und umschiffte mehrfach Kap Horn. Auch führte ihn die Seefahrt zu den deutschen Kolonien in China und Südwestafrika. Zuletzt war er Nautiker und dritter Offizier auf einem Segelschiff der Hamburger Reederei F. Laeisz. Nach seiner Heirat im Jahr 1911 mit Bertha Bramman, die aus einer nichtjüdischen Altonaer Kunststeinfabrikantenfamilie stammte, blieb Leopold Simonsohn an Land, in Altona.

Im Ersten Weltkrieg wurde Leopold Simonsohn als Marinesoldat eingezogen. 1935 wurde ihm im Nachhinein das "Frontkämpferkreuz" verliehen; aus dem Kolonialkrieg in Südwest-Afrika (1904–1908) besaß er für Verdienste während des Herero-Aufstandes bereits den "Löwenorden Erster und Zweiter Klasse".

Leopold und Bertha Simonsohn konnten keine Kinder bekommen. 1920 vermittelte eine Krankenschwester des Altonaer Kinderkrankenhauses den einjährigen Wilhelm aus dem Osdorfer Landpflegeheim als Pflegekind an das befreundete Ehepaar. Wilhelm, unehelich geboren am 9. September 1919, war von seiner Mutter, einem Altonaer Dienstmädchen, zur Adoption freigegeben worden. Simonsohns adoptierten ihn 1922.

Familie Simonsohn wohnte in der Weidenstraße 25 in Groß Flottbek. 1925 zog sie in das neu errichtete Haus Lauenburgerstraße 145 (ab 1927 Ebertallee, heute Nr. 203) in der Steenkampsiedlung in Altona-Bahrenfeld. Die sogenannte Gartenstadt mit überwiegend zweigeschossigen Reihenhäusern und Hintergärten für die Selbstversorgung wurde unter Leitung von Bausenator Gustav Oelsner zwischen 1914 und 1926 errichtet.

Seit Anfang der 1920er Jahre führte Leopold Simonsohn an der nahe gelegenen Möllner Straße 11 (heute Notkestraße), Ecke Luruper Chaussee, das "Steenkamper Kohlenlager Leopold Simonsohn". Haupteinnahmequelle war neben dem direkten Handel die Vermittlung von Großlieferungen auf Provisionsbasis vom Grossisten zu Kunden wie zum Beispiel der Firma Reemtsma und der Bahrenfelder Kirchengemeinde. Wilhelm Simonsohn erinnerte sich: "Uns ging es wirtschaftlich prima in den 20er Jahren im Steenkamp, in dieser schönen Siedlung, mit 300 Quadratmetern Garten. Wir hatten sogar ein Dienstmädchen, die lebte im ausgebauten Dachgeschoss unseres Reihenhauses in der Ebertallee 145."

Seinen Vater und seine Kindheit hat er in guter Erinnerung: "Er war ein sehr liebevoller Vater. Er ist wohl als junger Bengel von zu Hause weggelaufen, er ist ja sehr früh zur See gefahren. Er hatte einen tätowierten Anker auf dem Handrücken. Er war immer der Weihnachtsmann, was ich aber natürlich nicht wusste. An irgendeinem Weihnachtsabend kam er wieder rein mit allem Drum und Dran, ob ich auch artig gewesen war und so weiter, und um die Geschenke aus seinem Sack zu ziehen, zieht er sich den Handschuh aus und da war ein tätowierter Anker auf seinem Handrücken. Papa!"

Nach der Grundschule in Othmarschen besuchte Wilhelm die "Reformschule", das Realgymnasium in der Altonaer Königstraße. Sein Vater brachte ihn in der Yachtschule Blankenese unter – der Leiter war ein ehemaliger Korvettenkapitän und Kriegskamerad aus dem Kolonialkrieg. "Eine elitäre Geschichte, da passte ich als Kohlenhändlersohn eigentlich gar nicht rein. Die Elbe wurde meine zweite Heimat, der Kutter, die Jungs. Ich hatte eine glückliche Jugend, verkehrte, wenn man so will, in besten Kreisen."

Leopold Simonsohns politischer Standpunkt war konservativ und national. "Mein Vater war christlich getauft. Er war einer von den Juden, die so überassimiliert waren, dass sie dachten, sie müssten deutscher sein als deutsch. Zur Reichstagswahl hing bei uns aus der Dachluke nicht die rote Fahne der SPD raus, wie im Steenkamp die Mehrheit war, sondern die alte Reichskriegsflagge; mein Vater tendierte zu den Deutschnationalen. Am Wahlsonntag 1932 – ich hatte kurze Hosen an – ging ich nach Hause, da marschierten zwei Reichsbannerleute, die SA der SPD, hinter mir. Die hatten wie die SA-Leute Schulterriemen mit Karabinerhaken. Kurz vor Erreichen meiner Wohnung zogen sie die Schulterriemen runter und hauten sie mir in die Beine, weil sie wussten, der Bengel gehört zu der komischen Reichskriegsflagge."

Erst mit 15 Jahren, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, erfuhr Wilhelm Simonsohn, dass seine Eltern ihn adoptiert hatten. "Die Yachtschule wurde in die Marinehitlerjugend eingegliedert und ich war Marine-Hitlerjunge. Später – Jungs streiten sich ja manchmal – hieß es im Streit ‚Du Judenlümmel!‘ Da bin ich damit nach Hause gekommen: ‚Papa, die sagen zu mir: ,Judenlümmel‘ Da sagte mein Vater mir: ‚Das brauchst du dir nicht gefallen zu lassen, du bist keiner!‘ Das wiederholte sich und da schickten mich meine Eltern zu Pastor [Anton Christian] Andersen in die Bahrenfelder Lutherkirche. Und der sagte mir dann, dass meine Eltern nicht meine leiblichen Eltern waren. Da brach eine Welt für mich zusammen. ‚Jude‘ war ja ein Schimpfwort und nun war mein Vater einer! Dann bin ich nach Hause gegangen. Ich sehe heute noch meine Eltern auf dem Sofa sitzen, die guckten mich voll banger Erwartung an. Dann sind wir uns weinend in die Arme gesunken. Ich ging zu meinem Unterbannführer und habe ihm bedeutet, dass ich austreten möchte aus der Marine-Hitlerjugend. Er akzeptierte, dass ich bei meinen Eltern bleiben wollte."

Am 28. März 1933 forderte die NSDAP in einem Rundschreiben alle Parteidienststellen auf, "sofort Aktionskomitees zu bilden zur praktischen planmäßigen Durchführung des Boykotts jüdischer Geschäfte, jüdischer Waren, jüdischer Ärzte und jüdischer Rechtsanwälte." Der Altonaer Kreisleiter Piwitt mahnte die Parteimitglieder: "Es nützt nichts, wenn ich täglich in wilder Art in Judenfragen mache, aber mein Geld doch zum Juden trage oder tragen lasse." Leopold Simonsohns Kohlenlager stand auf der Liste jüdischer Geschäfte, die gemieden werden sollten. Am 1. April 1933 wurde ein erster öffentlicher Boykott organisiert. Damit begann die Verdrängung der Menschen jüdischer Herkunft aus dem Wirtschaftsleben. Leopold Simonsohn verlor seine Großkunden: die Tabakfabrik Reemtsma, die Elektromaschinenfabrik Gustav Altmann. Auch die Luthergemeinde Bahrenfeld, deren Kirchenvorstand sich am 12. August 1935 für den Ausschluss der jüdischen Gemeindemitglieder aussprach, bezog ihre Kohlen nicht mehr bei ihm. Nach wenigen Jahren stand Leopold Simonsohn vor dem Ruin. 1936 musste die Familie in eine bescheidene Zweizimmerwohnung in der Marktstraße 2 (heute Ehrenbergstraße) in der Altonaer Altstadt ziehen. Seine Firma gab Leopold Simonsohn 1937 auf.

Als seine Eltern das Schulgeld für das Gymnasium nicht mehr aufbrachten, wechselte Wilhelm zur Dritten Knaben-Mittelschule an der Fischers Allee. Nach der Mittleren Reife vermittelte sein Vater ihm bei der Firma Gustav Altmann eine Stelle als Elektromaschinenbau-Volontär, Voraussetzung für den Besuch der Ingenieurschule.

Mitte 1937 heuerte Leopold Simonsohn bei der Reederei Fairplay der jüdischen Reederin Lucy Borchardt als einfacher Matrose auf dem Dampfer "Richard Borchardt" an, mit der Route zwischen Hamburg und Spanien bzw. Portugal. Ab 1938 konnte er wegen seiner jüdischen Herkunft nicht weiter auf diesem Dampfer, der bald darauf in einem Sturm sank, und auch nicht auf anderen Schiffen deutscher Flagge anmustern. Gelegentlich konnte sich Leopold Simonsohn noch als Nachtwächter auf Baustellen verdingen. Die Familie litt Hunger.

Der siebzehnjährige Wilhelm Simonsohn arbeitete neben der Berufsschule in Nachtschicht in der Dreherei der Firma Gustav Altmann, um die Familie zu ernähren. Im April 1938 wurde er zum Arbeitsdienst ins Emsland und ein halbes Jahr später als Rekrut zu den Seefliegern in Schleswig-Holstein eingezogen. Leopold Simonsohn war froh, dass sein Sohn nun "eingegliedert" war. Nach wie vor vertrat er eine national-konservative Position. Emigration kam für ihn nicht in Frage. "Irgendwann kam die ganze ‚Mischpoke’ zusammen, da ging es um das Auswandern. Mein Vater war dagegen. Meine Mutter hatte immer Angst, dass sie Papa holen würden, weil er Jude war. Nein, man kennt ja meine politische Gesinnung – er war ja deutsch-national – mich holt man nicht." Seine jüdische Verwandtschaft wanderte größtenteils aus. Der Bruder Max Simonsohn, Geschäftsführer bei Tietz, emigrierte 1935/36 mit seiner Frau in die USA, dessen Tochter Emma entkam 1938 nach England. Die Schwester Therese, ihr Mann Moritz Traugott und die beiden Söhne flohen ebenfalls in die USA. Die Schwester Jenny vertraute auf den Schutz durch ihre Ehe mit einem Nichtjuden.

Während des Pogroms gegen die jüdische Bevölkerung am 9. November 1938 wurde Leopold Simonsohn wie viele andere jüdische Männer verhaftet. Sein Sohn bekam Sonderurlaub und fuhr nach Hause. "Ich war drei Tage Soldat, da bekam ich am 9. November 1938 ein Telegramm von meiner Mutter: ‚Sie haben Papa abgeholt.‘ Später schilderte sie: Es klopfte, dann standen da zwei Leute in Zivil, er durfte seine Zahnbürste und ein paar Sachen zusammenpacken und dann wurde er abgeholt. Meine Mutter war zusammengebrochen. Ich sprach – in Uniform und mit dem Orden meines Vaters – beim Gauamtsleiter vor."

Leopold Simonsohn saß viereinhalb Wochen im KZ Sachsenhausen ein. An seine Frau schrieb er aus der Haft: "Wenn der Junge noch nichts weiß, dann bitte teile ihm nichts mit, damit er nicht während seiner Ausbildung beim Militär gestört wird. Sonst grüße ihn und sage ihm, er soll sich trotzdem nicht von seinen Vorhaben abbringen lassen und immer das bleiben, das er bis jetzt gewesen ist."

Diesen Einbruch in seinem Leben und die Erfahrungen der Konzentrationslagerhaft konnte Leopold Simonsohn nie mehr verwinden. "Mein Vater kam am 10. Dezember 38 raus aus der Haft. Er hat nichts darüber gesagt, wie es ihm ergangen war. Man hatte ihm eine Glatze geschoren, sein Kaiser-Wilhelm-Bart war weg, er war aufgedunsen Er war auch leichter Asthmatiker, und nach vier Wochen Sachsenhausen, Betonfußboden, hatte sich das verschlimmert, sein Atem ging sehr laut. Sein ganzer Optimismus, seine ganze Persönlichkeit, war wie ein Kartenhaus zusammengebrochen."

Ein Jahr später starb Leopold Simonsohn im Alter von 56 Jahren an den Folgen der Konzentrationslagerhaft. "Weihnachten ‘39 hatte ich Urlaub. Mein Vater hatte seit seiner Entlassung aus dem KZ die Wohnung nicht verlassen. Es war die Nacht zum 10.12., ich schlief in der Küche. Ich wurde wach, weil das laute Atemgeräusch meines Vaters verstummt war. Er hatte als Asthmatiker so einen röchelnden Atem. Und dann stellte ich fest, dass mein Vater verstorben war."

Stand September 2015

© Birgit Gewehr

Quellen: AB Altona; Familiendokumente im Besitz von Wilhelm Simonsohn; Archiv der Reederei Fairplay Towage, Seefahrtsbuch von Leopold Simonsohn; Simonsohn, Ein Leben; Gespräch mit Wilhelm Simonsohn, 4.11.2009.

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