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Julius Sommer * 1867

Neuer Pferdemarkt 12 (Altona, Sternschanze)


HIER WOHNTE
DR. JULIUS SOMMER
JG. 1867
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
16.12.1938

Dr. Julius Sommer, geb. am 25.4.1867 in Rotenburg, Freitod am 16.12.1938

Neuer Pferdemarkt 12

Der praktische Arzt Dr. Julius Sommer wurde am 25. April 1867 in Rotenburg an der Fulda als Sohn von Moses Moritz und Bertha Sommer, geb. Wallach, geboren. An welcher Universität er seine Ausbildung absolvierte und wann er nach Hamburg kam, ließ sich nicht ermitteln. 1891 erhielt er seine Approbation. Im Oktober 1908 heiratete er in Hamburg die aus Frankfurt stammende Hedwig Wallach, geb. Rothschild, deren erster Ehemann drei Jahre zuvor verstorben war. Aus dieser Ehe brachte sie den am 23. Mai 1900 geborenen Sohn Philipp mit in die neue Verbindung. Aufgrund des identischen Familiennamens Wallach liegt die Vermutung nahe, dass sich die beiden Familien schon seit langem kannten. Gemeinsame Kinder hatte das Ehepaar Sommer nicht.

Dr. Julius Sommer trat im August 1911 der jüdischen Gemeinde bei und hatte laut Steuerkarte ein kontinuierlich steigendes Einkommen. Den hohen Gemeindeabgaben zufolge, die bis 1940 gezahlt wurden, muss seine Praxis am Neuen Pferdemarkt 12 gut gelaufen sein. Das Hamburger Adressbuch führt ihn als "Dr. med. et chir. Arzt" auf. "Gerade seine ruhige Art und seine medizinische Sicherheit müssen die vielen Patienten angelockt haben", beschrieb ihn seine Schwiegertochter 1960 im Zuge des Entschädigungsverfahrens. Und auch aus ihren weiteren Ausführungen spricht viel Zuneigung für Julius Sommer: "Mein Schwiegervater war ein kleiner, unscheinbarer Mann, hingegeben an seinen Beruf, unermüdlich in der liebevollen Sorge um seine fast immer leidende Frau. Er war glücklich, wenn seine nie endende Arbeit ihm eine ungestörte Stunde im Familienkreis gewährte oder ihm Zeit liess, sich medizinisch weiterzubilden oder mit seiner graphischen Sammlung zu beschäftigen."

Nach Angaben aus dem Adressbuch von 1928 hielt Dr. Sommer auch am Sonntagvormittag regelmäßig Sprechstunden ab. Familie Sommer wohnte bis zur Aufgabe der Praxis im September 1938 am Neuen Pferdemarkt. Danach zog Dr. Sommer mit seiner Frau Hedwig in die Rothenbaumchaussee 129. Der Sohn Philipp war bereits im Mai 1934 mit seiner Frau nach Italien ausgewandert, nachdem ihm im April 1933 die Zulassung als Rechtsanwalt entzogen worden war.

Am 16. Dezember 1938 starb Julius Sommer im Israelitischen Krankenhaus. Als Todesursache wurde laut Bescheinigung "akuter Herztod" angegeben. Seine Familie und Freunde gaben jedoch später an, dass er schon Tage zuvor davon gesprochen habe, sich das Leben zu nehmen. Demnach soll sich Dr. Sommer selbst "eine Einspritzung" gegeben haben. Ein befreundeter Arzt hatte ihn daraufhin noch ins Krankenhaus begleitet, um den Selbstmord zu verschleiern. Seine Ehefrau sollte damit vor behördlichen Ermittlungen verschont bleiben.

Der Grund für den Freitod von Julius Sommer bestand darin, dass er von einer ehemaligen Patientin mit Strafanzeige wegen "Rassenschande" bedroht worden war, falls er ihre Geldforderungen nicht erfüllen sollte. Trotz Verhandlungen mit dieser Frau und ihrem Ehemann befürchtete er augenscheinlich ein gerichtliches Verfahren, dem er sich angesichts der Politik gegenüber der jüdischen Bevölkerung nicht gewachsen fühlte, wie seine Schwiegertochter angab: "Wenn er in der damaligen Zeit damit hätte rechnen können, bei den Behörden Recht und Schutz zu finden, so wäre seine ruhige, seriöse Persönlichkeit seine volle Verteidigung gegen die unwahren Anschuldigungen gewesen. Da aber ein Jude in damaliger Zeit nicht Gerechtigkeit vor Gericht erwarten konnte, so sah er bei seinem Charakter keinen anderen Ausweg, als sich und seiner Frau die unverdiente Schmach zu ersparen."

Auf die Möglichkeit, noch rechtzeitig auswandern zu können, schien Dr. Julius Sommer nicht mehr zu vertrauen. Seiner schwerkranken Ehefrau Hedwig, die durch seinen Tod nach ihren Worten ihren "besten, treuesten Beschützer verloren" hatte, glückte noch im letzten Moment – und nach einer Zahlung von über 15000 RM an "Reichsfluchtsteuer" – die Ausreise nach Kuba, wo sie im Mai 1940 eintraf. Am 10. August 1945 starb sie in New York.

© Gunhild Ohl-Hinz

Quellen: 1; 4; StaH 351-11 AfW, Abl. 2008/1, 230500 Wallace, Phillipp; StAH 314-15 OFP, R 1938/3231; AB 1928; Villiez, Verdrängung.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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