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Selma Schümann (geborene Cohn) * 1876

Jungfernstieg 34 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER ARBEITETE
SELMA SCHÜMANN
GEB. COHN
JG. 1876
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
17.7.1942

Selma Schümann, geb. Cohn, geb. am 9.5.1876 in Hamburg, Freitod am 17.7.1942 in Hamburg

Jungfernstieg 34
Schlüterstraße 14 (Hamburg-Eimsbüttel)

Selma Schümann war als Selma Cohn, Tochter von Charlotte Cohn, geb. Brager, und dem Kaufmann Michael Cohn am 9. Mai 1876 in Hamburg geboren worden. Vermutlich waren die Eltern schon vor 1913 zum Christentum konvertiert.

Derzeit ist unbekannt, wo oder wie Selma Cohn aufwuchs. Sie war jedenfalls evangelisch getauft und seit dem 24. Mai 1913 verheiratet mit Wilhelm August Daniel Schümann, Restaurateur und Inhaber des Austernkellers am Jungfernstieg. Schümann hatte bei Cölln am Brodschrangen den Umgang mit Austern, Caviar, anderen Meerestieren und Wein gelernt und sich 1884, zunächst im Kellergeschoss von Streit‘s Hotel, erfolgreich selbstständig gemacht.

Zum Zeitpunkt der Eheschließung war er 57 und sie 37 Jahre alt. Aus einer früheren Ehe hatte er vier Kinder. Gemeinsame Kinder bekamen sie nicht.

Im Juli 1913 zogen sie in eine Wohnung in der Schlüterstraße1 und 1918 in die Schlüterstraße14. Als Wilhelm August Daniel Schümann 1923 starb, wurde Selma entsprechend seinem Testament alleinige Inhaberin und Geschäftsführerin von Schümanns Austernkeller. Dazu hieß es in einem Schriftsatz des späteren Wiedergutmachungsverfahrens: "Dass der verstorbene Ehemann das Geschäft seiner Frau vermachte, hat seinen Grund darin, dass sie ständig im Geschäft mitgearbeitet hatte und der alte Schümann auf dem Standpunkt stand, seine Söhne könnten und müssten sich zunächst selbst ihre Existenz schaffen." Die leiblichen Kinder von Wilhelm August Daniel Schümann wurden als Nacherben nach Selmas Tod eingesetzt, ihnen wurde jedoch in einem Zusatztestament explizit jede Einmischung in die Geschäftsführung untersagt. Dieser Zusatz legte auch fest, dass Selma Schümann, für den Fall, dass es nötig sein sollte, berechtigt sei, den Austernkeller zu verpachten oder zu verkaufen.

Das erregte möglicherweise schon damals den Unwillen des Stiefsohnes Friedrich Wilhelm Daniel Schümann. Er war seit 1931 NSDAP-Mitglied und bekämpfte seine Stiefmutter, die ab 1935 durch das "Reichsbürgergesetz" und die dazugehörige 1. Verordnung zur "Volljüdin" ohne Bürgerrechte erklärt worden war, gerichtlich und mit rasseideologischen Argumenten vehement, aber erfolglos. In seinen diesbezüglichen Schreiben bezeichnete er sie stets nur als "Sara" oder als "die Jüdin".

Ein Zeuge berichtete im Juli 1945: "Frau Schümann brachte mir wiederholt zum Ausdruck, wie schwer sie durch die Auswirkungen der innenpolitischen Lage zu leiden hätte. Ganz besonders aber wäre sie gebeugt durch fast ununterbrochene Drangsalierungen und Verfolgungen durch den Sohn ihres verstorbenen Gatten [...] [der] den Geschäftsbetrieb [...] für sich beanspruchte. [...] Schließlich sagte Frau Schümann, dass sie, [...] auch unter Berücksichtigung ihres hohen Alters ihre Gaststättenunternehmung durch einen Geschäftsmakler zum Verkauf stellen wollte."

Im November 1938 veräußerte sie ihr Unternehmen. In ihrem Restaurant – so ihre Nacherben – hätten mit besonderer Vorliebe höhere SS-Chargen verkehrt, denen ein Besuch in einem von einer Jüdin betriebenen Lokal nicht erlaubt war, die aber in dem bekannten Restaurant gern weiter verkehren wollten. Deshalb sei der Druck auf sie so stark gewesen.

Schümanns Austernkeller wurde an Max Henneberg verkauft. Der Erwerber entsprach den vom Gauwirtschaftsberater festgelegten Kriterien, nach denen Bewerber bevorzugt werden sollten, die sich mit der "Arisierung" erst etablierten. Er hatte keinerlei Erfahrung in der Branche und verfügte nicht über eigenes Vermögen, sondern zahlte die Kaufsumme aus dem Betriebsvermögen. Allerdings hatte er gute Beziehungen zum Reichsstatthalter und führenden Kreisen der NSDAP, wie die Nacherben ausführten.

In monatelangen Verhandlungen hatte man sich zunächst auf einen Kaufpreis von 60.000 Reichsmark (RM) geeinigt. Der Kaufvertrag wurde aber erst im November, nach der "Reichskristallnacht", geschlossen. Deren unverhohlene Brutalität zusammen mit der Internierung zahlreicher Hamburger Juden, denen man das Versprechen abnahm, umgehend auszuwandern, hatte inzwischen nicht wenig zum Preisverfall jüdischer Betriebe beigetragen. Der Preis wurde schließlich vom damaligen Gauwirtschaftsberater Otte, dem alle Verkäufe zur Genehmigung vorgelegt werden mussten, auf 32.000 RM reduziert. Eine Diskussion über die Höhe des jeweils festgelegten Kaufpreises war nach Ottes eigenen Aussagen ausgeschlossen.

Kurz vorher war der Wert des Austernkellers auf 150.000 RM geschätzt worden, tatsächlich dürfte er nach Angaben des Testamentsvollstreckers Schlage mehr als 200.000 RM betragen haben. 15.000 RM vom Kaufpreis waren "good will", für die immateriellen Werte des Betriebs – eigentlich bei "Arisierungen" ausgeschlossen, aber in diesem Fall laut Frie, dem Leiter der Arisierungsabteilung beim Gauwirtschaftsberater, zulässig, wenn die Summe als Sondervermögen auf ein Sperrkonto für die "arischen" Nacherben eingezahlt werde und auch die Zinsen diesem Konto gutgeschrieben würden.

Schließlich verblieben für Selma Schümann aus dem Verkauf 17.000 RM, die sie mündelsicher anzulegen hatte und davon selbst nur die Zinsen beanspruchen durfte. Nach dem Verkauf erhielt sie aus dem Nachlass ihres Mannes über die Testamentsvollstrecker monatlich 350 RM. Inzwischen musste der Jüdische Religionsverband mehr und mehr "Volljuden" in "Judenhäusern" unterbringen. 1942 betraf dies auch Selma Schümann.

Der damalige Testamentsvollstrecker Schlage berichtete dazu: "Frau Schümann wurde am 1. April 1942 aus ihrer Wohnung Schlüterstraße 14 vertrieben, indem Herr Hilgenfeldt, ihr Schwiegersohn, sich die Wohnung vom Wohnungsamt zuweisen ließ." Das Verhalten des Stiefschwiegersohns beschleunigte den Gang der Dinge nur unwesentlich, vermehrte aber vermutlich die Bedrückung von Selma Schümann. Schlage fügte hinzu: "Bei dieser Gelegenheit musste Frau Schümann bescheinigen, dass sie durch freiwillige Schenkung die von ihr nicht benötigten Gegenstände den vier Kindern […] überlassen hätte". Ein entsprechender Brief von Selma Schümann an ihre Stieftochter findet sich im Archiv: "Die Teilung haben die Kinder unter sich […] am 1.4. 11:00 vorzunehmen und für sofortigen Abtransport zu sorgen, da die Wohnung geräumt sein muss."

Eigentlich wurden nur in jüdischem Besitz befindliche Häuser als "Judenhäuser" verwendet. Wie es dazu kam, dass das bei einer Zwangsversteigerung im Jahre 1940 von der Hansestadt Hamburg gekaufte Gebäude Steubenweg 36 als solches fungierte, ist bisher nicht deutlich.

Von April 1942 an lebte Selma Schümann dort zusammen mit weiteren 16 als "Juden" gebrandmarkten Menschen. Dort erreichte sie in der zweiten Julihälfte 1942 der Evakuierungsbefehl für den Transport am 19. Juli nach Theresienstadt.

Am Morgen des 17. Juli verständigte Verwalter Siegfried Frank telefonisch die Polizei, dass sich im Steubenweg 36 eine Frau eingeschlossen habe und anscheinend tot sei. Nachdem die Polizei die Tür aufgebrochen hatte, fand man Selma Schümann bewusstlos, auf dem Nachtschränkchen eine Schachtel mit dem Morphin Pantopon, von dem sie sich 3 Ampullen gespritzt hatte. "Der vom Verwalter herangerufene Dr. Doose ordnete Überführung in ein Krankenhaus an." Selma Schümann wurde ins Israelitische Krankenhaus überführt, wo sie um 14:00 Uhr verstarb. Eine dort tätige Krankenschwester berichtet später, dass im Zusammenhang mit Deportationen "zur selben Zeit immer 20/30 Selbstmorde" eingeliefert wurden: "Die haben wir einfach ins Bett gelegt, haben gar nicht versucht, sie zu retten […] Die wollten nicht mehr leben, und das fanden wir sehr vernünftig." Der Polizeipräsident vermerkte an die Gestapo: "Die Verstorbene sollte evakuiert werden."

Nach jahrelangen Rechtsstreitigkeiten wurde 1950 der Austernkeller durch Beschluss des Oberlandesgerichts Hamburg dem inzwischen alleinigen Nacherben Friedrich Wilhelm -Daniel Schümann zurückerstattet. Hinsichtlich des moralischen Problems, ob ein früherer Nationalsozialist und Widersacher der Erblasserin eine solche Rückerstattung für sich in Anspruch nehmen dürfe, bemerkte das OLG lapidar, es sei nicht zu ersehen, "dass es schlechthin im Sinne des Rückerstattungsgesetzes liegt, solche Personen, die zur Zeit der Entziehung dem Kreise der Judengegner angehört haben, von der Geltendmachung der Rückerstattung entzogenen jüdischen Vermögens auszuschließen".

1984 erschien eine "Kleine Chronik zum 100-jährigen Bestehen von W. Schümanns Austernkeller". Dort hieß es: "21. Mai 1923 – Tod des Gründers August Wilhelm Daniel Schümann; sein Sohn Friedrich Wilhelm Daniel Schümann übernimmt das inzwischen weltberühmte Restaurant an der Binnenalster.
1. April 1950 – Wiedereröffnung des Restaurants nach 12-jähriger Besitzentfremdung."

Diese Lüge zog sich dann durch die gesamte Berichterstattung über den Austernkeller nach 1945. Ab und zu wurde eine namenlose Mitinhaberin erwähnt. Nicht ein einziges Mal fiel der Name Selma Schümann.


Stand: August 2018
© Sabine Boehlich (†)

Quellen: StaH 391-11/9309; StaH Wilhelm Schümann 213-13 1517 Aussage Wilhelm Krefter, 31.7.1945; StaH Wilhelm Schümann 213-13 1517; StaH Wilhelm Schümann 213-13 1517; Bajohr: Arisierung, S. 184; StaH 351-11/ 9309; StaH 391-11/9310; StaH 351-11/9309; StaH 331-5, 3 Akte/1942 1159.

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