Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste

Ilse Berlin (geborene Hildesheimer) * 1906

Gneisenaustraße 10 (Eimsbüttel, Hoheluft-West)

1941 Minsk

Weitere Stolpersteine in Gneisenaustraße 10:
Erwin Berlin, Hildegard Berlin

Erwin Berlin, geb. am 13.12.1906 in Hamburg, deportiert nach Minsk am 8.11.1941
Ilse Berlin, geb. Hildesheimer, geb. am 19.7.1906 in Schlüsselburg, deportiert nach Minsk am 8.11.1941
Hildegard Berlin, geb. am 4.7.1934 in Hamburg, deportiert nach Minsk am 8.11.1941

Gneisenaustraße 10

Erwin Berlin war der Sohn von Alexander und Frieda Berlin, geb. Heyn (s. dort). Er heiratete wahrscheinlich Anfang der 1930er Jahre Ilse Hildesheimer. Offenbar fühlte sich Erwin Berlin seiner Heimatstadt Hamburg besonders verbunden, denn schon mit 18 Jahren trat er in den Verein für Hamburgische Geschichte ein.

Die Eltern von Ilse Berlin waren Julius und Jenny Hildesheimer, geb. Goldschmidt. Ilse Berlin stammte aus Schlüsselburg, einem Dorf an der Weser (heute Stadtteil von Petershagen/Krs. Minden-Lübbecke), wo sie mitunter ihre Familie besuchte. In den Akten findet sich der Hinweis auf eine Arztrechnung aus Stolzenau, einem Marktflecken etwas nördlich ihres Heimatdorfes.

Im Juli 1934 wurde Ilses und Erwins einzige Tochter Hildegard geboren. Kurzzeitig gehörte das Mädchen noch zu den letzten Schülerinnen der Jüdischen Schule in Hamburg, die am 30. Juni 1942 wie alle jüdischen Schulen schließen musste. Da war Hildegard schon nicht mehr in Hamburg. Mindestens 80 jüdische Schulkinder wurden gemeinsam mit ihr im November 1941 nach Weißrussland deportiert.

Seit 1936 hatte die Familie in der Gneisenaustraße 10 gelebt. Frühere Adressen waren Schlankreye 13 II und Moltkestraße 57. Als Beruf war für Erwin Berlin in der Kultussteuerkarteikarte "Kaufmann" angegeben, auf der Deportationsliste "Kollekteur". Die Geschäfts­adresse lautete zunächst Königstraße 21/35, später dann Curschmannstraße 30. Wie schon sein Vater Alexander arbeitete Erwin Berlin als Vertreiber von Lotterielosen. Im Januar 1929 hatte er die Firma Friedrich Jessen übernommen, die von da an Friedrich Jessen Nachf. hieß und bis Januar 1937 bestand. Im Adressbuch 1937 war Erwin Berlin mit einem Zuckerwarengroßhandel verzeichnet.

Erwin Berlins Mutter gehörte das Grundstück Wrangelstraße 17, das er nach ihrem Freitod erbte und am 10. Mai 1939 an Otto Hoffmann verkaufte, wahrscheinlich, um mit dem Erlös seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Im Juli 1939 genehmigte der Hamburger Reichsstatthalter den Verkauf mit der Auflage, dass der Kaufpreis auf ein Konto eingezahlt würde, über das nur mit Zustimmung des zuständigen Oberfinanzpräsidenten (Devisenstelle) verfügt werden konnte. Der Verkaufserlös von etwa 13.000 Reichsmark (RM) wurde auf ein Sperrkonto bei der Hamburger Sparcasse von 1827 überwiesen. Einem Antrag auf Freigabe des Vermögens vom Juli 1939 wurde nicht stattgegeben. Der Familie war lediglich gestattet, monatlich 400 RM vom Konto abzuheben, eine Summe, die sich aus der Zahlung der Miete mit Nebenkosten in Höhe von 100 RM, einer angesetzten Summe für den Lebensunterhalt von 200 RM und für sonstige Ausgaben von 100 RM ergab.

1939 nahm Erwin Berlin die Dienste eines "jüdischen Konsulenten", wie jüdische Rechtsanwälte sich jetzt nennen mussten, in Anspruch. Er trug sich mit dem Gedanken, die jüdische Religion aufzugeben und möglicherweise zu konvertieren. Im Testament der Eltern gab es eine Klausel, die ein Bekenntnis zum Judentum zur Voraussetzung für das Erbe machte. Der Konsulent schrieb ihm: "Wenn Sie das jüdische Bekenntnis aufgeben, so ist die Folge, dass Sie dasjenige von der Erbschaft Ihrer Eltern, was Sie über Ihren Pflichtteil hinaus erhalten haben, an den nächstberechtigten Erben herausgeben müssen." Außerdem wies er ihn darauf hin, dass die Zugehörigkeit zur Reichsvereinigung der Juden nicht aufgegeben werden könne und durch den Austritt aus dem jüdischen Religionsverband nicht berührt sei. Am 11. September 1939 trat Erwin Berlin dennoch aus der Jüdischen Gemeinde aus. Vor der Deportation rettete ihn dieser Schritt nicht. Auf der Deportationsliste für den Transport am 8. November 1941 nach Minsk war lediglich Erwin Berlin eingetragen. Frau und Tochter tauchen erst im Nachtrag auf, in dem diejenigen aufgelistet wurden, die sich "freiwillig" zur Deportation gemeldet hatten.

Aus der Familie Berlin wurden mindestens fünf weitere Mitglieder ermordet, nämlich zwei Tanten, zwei Cousinen und ein Vetter von Erwin Berlin. Drei Vettern überlebten. Auch die Eltern von Ilse Berlin wurden deportiert und sind in Minsk verschollen.

© Susanne Lohmeyer

Quellen: 1; 2 (R1939/2880); 4; 5; 8; StaH 231-7 Handelsregister A1 Band 121 HRA 27410; StaH 351-11 AfW AZ 040313 und AZ 131206; Ursula Randt, Carolinenstraße 35; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden 992e2 Band 1 Deportationsliste; StaH 621-1/82, 5 (Konsulent Alexander Bechur); HAB II 1937; Joist Grolle und Ina Lorenz, Ausschluss, S. 105–107; Herbert Obenaus (Hrsg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden; Recherchen zu den Familien Berlin und Meyer von Johann-Hinrich Möller.

druckansicht  / Seitenanfang