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Bereits verlegte Stolpersteine



Otto Berger * 1920

Langenhorner Chaussee 623 (Hamburg-Nord, Langenhorn)


OTTO BERGER
JG. 1920
"FAHNENFLUCHT"
VERHAFTET SEPT. 1943
ZWANGSARBEIT KETTENWERK
GEFLÜCHTET / VERHAFTET
SONDERGERICHT BERLIN
HINGERICHTET 6.7.1944

Weitere Stolpersteine in Langenhorner Chaussee 623:
Karl-Heinz Barthel

Otto Berger, geb. am 1.10.1920 in Berlin-Charlottenburg, mehrfach verhaftet, inhaftiert und geflüchtet, verurteilt durch das Sondergericht Berlin, hingerichtet am 6.7.1944 in Plötzensee

Langenhorner Chaussee 623

Otto Berger kam am 1. Oktober 1920 in Berlin-Charlottenburg zur Welt. Er muss ein aufgeweckter Junge gewesen sein. Mit seinem ehemaligen Schulkameraden Paul kaperte der 17-Jährige gleich zweimal hintereinander Autos, welche die Besitzer unverschlossen an den Straßen geparkt hatten: Beim ersten Mal setzten sie sich in Berlin-Dahlem in einen DKW und rasten damit quer durch Deutschland. War der Tank leer, ließen sie die Autos am Straßenrand stehen, den DKW in Hannover, den zweiten Wagen in Hameln. Noch minderjährig, mussten sich die beiden im Jahr 1938 "wegen rechtswidriger Fortnahme fremder beweglicher Sachen in zwei Fällen sowie wegen Führens eines Kraftfahrzeuges ohne Führerschein" vor dem Amtsgericht Berlin-Charlottenburg verantworten. Zwar wurden sie von Richter Neumann freigesprochen, doch nicht ohne Auflagen. Er verhängte eine "Schutzaufsicht". Das Jugendamt Charlottenburg sollte nun die Rückkehr der beiden in die "Volksgemeinschaft" begleiten. Also begann Otto Berger noch im selben Jahr im Lehrbetrieb "Kattendorfer Hof" in Kaltenkirchen, Schleswig-Holstein, eine landwirtschaftliche Ausbildung. Die Berührung mit Ackerbau und Viehzucht muss in ihm einen neuen Tatendrang geweckt haben, denn bereits Anfang 1939 hinterließ Otto Berger auf seinen Fürsorger "einen forschen und arbeitsamen Eindruck", sodass das Jugendamt bald von der weiteren Aufsicht entbunden wurde.

Im Frühjahr 1939 begann Berger in Mecklenburg ein Praktikum – auf einem großen landwirtschaftlichen Gut in Roez, einem Flecken an der Müritz. Doch der Landwirt Paul Burchard, Mitglied der NSDAP seit Mai 1933, war nicht nur ein überzeugter Nationalsozialist, sondern auch ein weithin bekannter Leuteschinder. Vielleicht war das der Grund, dass Otto Berger sich bereits nach einem Jahr (statt der geplanten zwei) am 1. Mai 1940 freiwillig zum Militär meldete.

Nach der Ausbildung zum Soldaten der Luftwaffe auf dem Seefliegerhorst an der Schlei blieb Otto Berger auf den Schleswiger Fliegerhorsten stationiert. Drei Jahre vergingen, bis während eines Urlaubs in Berlin etwas vorgefallen sein muss, über das keine weiteren Informationen vorliegen. Unter dem Verdacht, er sei in einen Mordfall verwickelt, wurde er noch während des Urlaubs am 16. September 1943 festgenommen und der Wehrmachtsgerichtsbarkeit übergeben. Zwar war von einem Mord bald nicht mehr die Rede, doch das Flieger-Feldgericht in Hamburg (es ist dieselbe Jury wie bei seinem Mithäftling Karl-Heinz Barthel, siehe dessen Biographie) verurteilte ihn Ende Oktober 1943 "wegen Begünstigung und wegen Vergehens gegen die Kriegswirtschaftsverordnung und Urlaubsüberschreitung" zu fünf Jahren Zuchthaus. Der Tatvorwurf, gegen die Kriegswirtschaftsverordnung verstoßen zu haben, war meist die Umschreibung für den nicht ganz legalen Handel mit rationierten Waren wie Tabak, Zigaretten, Benzin und Lebensmittelkarten, kurzum ein anderes Wort für die allerorts blühenden Schwarzmarktgeschäfte, aber auch für kleine Diebereien und Schwarzschlachtungen. Otto Berger wurde am 28. Dezember 1943 aus der Untersuchungshaft in Altona in das "Zuchthaus und Strafgefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel" überstellt, am selben Tag wie Mithäftling und Freund Karl-Heinz Barthel. Hier wurde Otto Berger zum "Z-Gefangenen 324/43". Das Z stand für "Zuchthaus".
Von Otto Berger ist kein Foto überliefert.

Die beiden Flieger (so hieß der niedrigste Dienstgrad der Luftwaffe) Karl-Heinz Barthel und Otto Berger wurden als Strafgefangene des Zuchthauses Fuhlsbüttel zu einem Außenkommando in die Munitionsfabrik "Hanseatisches Kettenwerk" in Langenhorn beordert. Hier arbeiteten 4000 Menschen – täglich zehn Stunden im Schnitt – für einen wahnwitzigen Krieg. Die beiden Soldaten wurden in der "Beize 14", einer stark gesicherten Werkabteilung, zur Arbeit eingeteilt. Hier waren alle Türen und Tore während der Arbeitszeit ausbruchsicher versperrt, die Luft stickig und gesundheitsschädigend, die Arbeiter standen unter ständiger Aufsicht. Das Kettenwerk galt als nationalsozialistischer Musterbetrieb. Bis Mitte der 1950er Jahre war an der Stirnseite von Halle 24 der Kettenwerke in großen Buchstaben zu lesen: "Sei wahr – sei klar – sei deutsch – Deutschland braucht dich, wie du Deutschland brauchst". Doch nicht alle Beschäftigten dachten so.

Die Arbeitstage im Kettenwerk waren lang und anstrengend. Karl-Heinz Barthel und Otto Berger waren sich bald einig: Dieser Zehn-Stunden-Fron und dem strengen Reglement für die Strafgefangenen mussten sie entkommen. Sie weihten einen Mithäftling, den 20-jährigen Ernst Gravenhorst, vom Beruf Elektrotechniker, der "wegen Fahnenflucht" zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, in ihre Pläne ein. 1923 in Hamburg geboren, war Gravenhorst mit seiner Einberufung im Oktober 1941 Infanterist geworden. Seit Mai 1943 – so die Akten – hatte er in Hamburg dem Grenadier-Ersatz-Bataillon (motorisiert) 90 angehört, wo ihm irgendein Vorkommnis (von dem wir keine Kenntnis haben) die Zuchthausstrafe eingetragen hatte.

Barthel, Berger und Gravenhorst planten, einen der kalten dunklen Januarabende für ihren Ausbruch zu nutzen. Am 4. Januar 1944 um 18:30 Uhr war die Gelegenheit günstig; für 100 Arbeiter in drei großen Werkhallen hatte nur eine Person, der "Kommandoführer" Kopp, die Aufsicht. Die drei jungen Männer durchstießen im Schutz des höllischen Fabriklärms mit Stemmeisen die provisorische Trennwand zu einer externen Toilettenanlage, entwichen in den Hofbereich und überstiegen das Außengitter des Firmengeländes. Doch Ernst Gravenhorst hatte bei der Hast durch die Dunkelheit seine beiden Kameraden aus den Augen verloren. Während diese in die Winternacht entkamen, wurde er von der Werkswache aufgegriffen.

Barthel und Berger hingegen liefen zu Fuß nach Eppendorf und kleideten sich bei einem Bekannten in der Erikastraße ein. Sie fuhren – vorsichtshalber getrennt – mit den wenig kontrollierten Nachtzügen in ihre Heimatstadt Berlin. Erst nach zehn Tagen trafen sie sich in Berlin – wie vereinbart – wieder. Um überleben zu können, verübten sie nun – auch mithilfe von Bergers 17-jähriger Freundin Carola Wahrholz – mehrere Laden- und Garageneinbrüche sowie Autodiebstähle, übernachteten in einem ausgebrannten Luftschutzkeller und mieteten sich schließlich ein Zimmer. Hier gaben sie sich als Leutnant und Oberleutnant aus, wobei sie ihre geschorenen Köpfe mit einem Verband umwickelt hatten und erklärten, sie seien "kriegsbeschädigt" und stünden kurz vor ihrer Entlassung aus der Wehrpflicht. Als sie am 10. Februar 1944 abermals in einem gestohlenen Auto (ein Fahrzeug der Volkswohlfahrt) durch Berlin-Charlottenburg fuhren, wurden sie von der Kriminalpolizei angehalten – und verhaftet. Barthels kam zur Untersuchungshaft in das Strafgefängnis Berlin-Tegel, Berger in die Haftanstalt "Zellengefängnis" Berlin-Lehrterstraße. Der Staatsanwalt Grassow erhob am 29. März 1944 Anklage. "Als Volksschädlinge und gefährliche Verbrecher" hätten die Angeklagten die Situation der häufigen Bombenalarme für ihre Einbrüche und Diebstähle ausgenützt. Er beantragte für die geständigen Täter wegen ihrer "besonders schweren Volksschädlingsverbrechen" die schwerste zu Gebote stehende Strafe.

Irgendwann zwischen April und Juni 1944 – die genauen Daten sind nicht bekannt – fand in Berlin-Moabit die Hauptverhandlung statt. Das Sondergericht beim Landgericht Berlin verurteilte Otto Berger und Karl-Heinz Barthel zum Tode. In Plötzensee wurden sie am 6. Juli 1944 hingerichtet. Beide zur selben Stunde. Karl-Heinz Barthel wurde 21 Jahre alt, Otto Berger 23 Jahre.

Mithäftling Ernst Gravenhorst, der bei dem Ausbruch aus dem Kettenwerk gefasst worden war, wurde im Februar 1944 in eines der Emslandlager überführt (Strafgefangenenlager VII, Esterwegen). Im Juli 1944 wurde er für die "Bewährungstruppe 500" rekrutiert und kam ab April 1943 an der Ostfront zum Einsatz. 1948 kehrte er aus der Kriegsgefangenschaft in Tallin nach Hamburg zurück, wo er als kaufmännischer Angestellter sein Auskommen fand.

Das weitere Schicksal von Otto Bergers Freundin Carola Wahrholz ist nicht bekannt.

Die Stolpersteine wurden im Mai 2019 an jenem Ort verlegt, von wo aus Karl-Heinz Barthel und Otto Berger die Flucht aus dem Kettenwerk gelang. Sie erinnern daran, dass seit November 1942 im Kettenwerk auch Strafgefangene aus dem "Straf- und Jugendgefängnis Glasmoor" und dem Zuchthaus Fuhlsbüttel in der Kriegsproduktion eingesetzt waren.

Stand: Januar 2023
© René Senenko

Quellen: BArch, Standort Eichborndamm Berlin (ehem. Deutsche Dienststelle/WASt), Sign. B 563/61025, S. 299 (Gravenhorst); Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin, Akte Anklage des Generalstaatsanwalts Grassow beim Landgericht [Berlin] als Leiter der Anklagebehörde bei dem Sondergericht [Berlin] vom 29.3.1944 gegen den Landwirt Otto Werner Berger; Landesarchiv Berlin, Sign. A Rep. 341-02 Nr. 13910, A Rep. 342 Nr. 6166 und Film-Sign. A Rep. 358-02 Nr. 2909; Suchdienst Arolsen ITS Digital Archive, Arolsen Archives, Sign. 1.1.34.1/3734222, 1.1.34.1/3752912 und 1.1.34.1/3734869f (Strafgefangenenlager VII, Esterwegen); Karl Heinrich Biehl: "Hak" Hanseatisches Kettenwerk 1935–1945, Norderstedt 2003, S. 98, 133.

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