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Bertha Alexander * 1893

Brahmsallee 11 (Eimsbüttel, Harvestehude)

1941 Lodz
1942 Chelmno ermordet

Weitere Stolpersteine in Brahmsallee 11:
Hertha Coutinho, Rosa Müllner, Emma Tarnowski

Bertha Alexander, geb. am 3.11.1893 in Lauenburg/Elbe, deportiert am 25.10.1941 in das Getto Lodz, am 4.5.1942 im Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) ermordet

Brahmsallee 11

Bertha Alexander kam am 3.11.1893 in Lauenburg zur Welt. Ihre Eltern Samuel und Rosalie Alexander, geb. Marcus, waren keine gebürtigen Lauenburger, sondern stammten aus Burg­dorf bei Hannover und Walsrode. Geheiratet hatten sie am 16. Juni 1891 in Lüneburg, dem Wohnort der Familie Marcus. Samuel Alexander gründete 1902 in Lauenburg, Elbstraße 115, ein Kaufhaus für Arbeitsbekleidung, das 1906 zu einem "Konfektionshaus" erweitert wurde.

Dem Ehepaar Alexander wurde ein stattlicher Kindersegen zuteil: Vor Bertha (geb. November 1893) kam Arthur (geb. Mai 1892) zur Welt, nach ihr Erna (geb. November 1894), Clara (geb. Dezember 1895, gest. Juni 1896), Irmgard (geb. November 1901), Kurt (geb. Dezember 1905) und Margot (geb. Juli 1913). Von Arthur und Erna ließen sich keine biographischen Spuren finden, vielleicht sind sie, wie Clara, früh verstorben. Bertha blieb als älteste Tochter nach ihrem Schulabschluss vermutlich im elterlichen Haushalt. Welchen Weg sie bis zu ihrer Ankunft in Hamburg am 1. Februar 1932 tatsächlich genommen hat, konnten wir nicht verfolgen.

Als Beruf gab sie Hausgehilfin an, als sie sich als Mitglied der Jüdischen Gemeinde in Hamburg registrieren ließ. Ihre Kultussteuerkarteikarte dort gibt Auskunft über die vielen Arbeitsstellen, die sie seit ihrer Ankunft in Hamburg antrat, in der Regel in jüdischen Haushalten. Bei Haushaltsgehilfinnen war ein häufiger Wechsel durchaus keine Seltenheit. Nach 1933 verstärkte sich dies, als die immer strikteren Einschränkungen des täglichen Lebens für Juden zugleich die Möglichkeiten jüdischer Dienstboten verringerten, Arbeit zu finden. Davon war auch Bertha Alexander betroffen. Am 12. Februar 1938 führte die Gemeinde sie mit dem Status "ohne Arbeit", 1940 arbeitete sie "ohne Barvergütung", also gegen Kost und Logis.

Die Auswirkungen der nationalsozialistischen Diktatur in Hamburg werden an den Schicksalen von Bertha Alexanders Arbeitgebern deutlich:
Schlüterstraße 22, E. Dr. Wolff: Hier ist Dr. Alfred Wolff (geb. 1880) gemeint, der als Landrichter, Banksyndikus und Rechtsanwalt tätig war. Er erhielt am 30. November 1939 Berufsverbot und starb am 30. November 1941.
Brahmsallee 11, E. Sander: Hinter dieser knappen Angabe verbirgt sich Emma Sander, geb. Königsberger (1876). Seit 1936 verwitwet, wanderte sie im Alter von 63 Jahren nach Britisch Honduras aus.
Haynstraße 29, Pat. b. Freund: "Freund" – das waren Hermann (geb. 1872) und Helene (geb. 1876) Freund, geb. Pincus. Hermann arbeitete als Schuhwarenvertreter. Über ihre Privatwohnung wurde als sogenannte Judenwohnung verfügt. Das Ehepaar Freund wurde am 15. Juli 1942 ins Getto Theresienstadt deportiert und kam von dort nicht zurück (s. Stolpersteine für Helene und Hermann Freund, Hedwig Rosskamm und Euphrosine Jaques).

Bertha Alexanders letzte Adresse vor ihrer Deportation lautete Rothenbaumchaussee 209, bei Feis. Im Haushalt Feis hatte sie eine Aufgabe übernommen, die über die einer regulären Tätigkeit als Haushaltshilfe weit hinausging. Der Haushalt bestand aus dem Witwer Leopold Feis (geb. 1872) und seiner Tochter Gertrud (geb. 1913). Leopold Feis war seit dem Tod seiner Ehefrau im Jahr 1926 alleinerziehend. Eine schwierige Aufgabe, denn die Tochter lebte geistig in ihrer eigenen Welt. Umso wichtiger war es, den Haushalt einem Menschen anzuvertrauen, den Gertrud als Mitglied des Haushalts akzeptierte. Dieses schien bei Bertha der Fall zu sein, und dementsprechend fehlte sie den Feis’ sehr. Gertrud Feis’ Betreuer, der Rechtsanwalt Herbert Bichmann, hatte noch erfolglos versucht, die Deportation bei der Gestapo im Interesse seines Pfleglings abzuwenden. Bertha musste dem Deportationsbefehl jedoch Folge leisten und Hamburg am 25. Oktober 1941 verlassen.
Leopold Feis und Tochter Gertrud blieben in Hamburg zurück.

Leopold Feis starb im Februar 1942 im Israelitischen Krankenhaus in der Johnsallee 68. Nun sorgte niemand mehr für Gertrud Feis, die in das jüdische Altenheim in der Schäferkampsallee 29 gebracht wurde. Dort konnte sie auf Dauer nicht bleiben, und die zentrale "Heil- und Pflegeanstalt der Reichsvereinigung der Juden in Bendorf-Sayn" (Kreis Mayen-Koblenz), in der sie Aufenthalt finden sollte, stand kurz vor ihrer Auflösung. So wurde Gertrud am 15.Juli 1942 ins Getto Theresienstadt deportiert und drei Monate später im Vernichtungslager Treblinka ermordet. An sie erinnert ein Stolperstein vor dem Haus Rothenbaumchaussee 209.

Bertha Alexander hatte den Deportationsbefehl ins Getto Lodz erhalten. Dort verblieb ihr nur noch eine kurze Frist. Mit elf weiteren Personen war sie unter menschenunwürdigen Bedingungen in ein Zimmer in der Hausierergasse 6 eingepfercht. Vermutlich fand sie keine Arbeit in einer der Werkstätten des Gettos. Am 4. Mai 1942 erhielt sie dann den "Aussiedlungsbefehl". Mit diesem euphemistischen Begriff verschleierte die Gestapo den Transport ins Vernichtungslager Chelmno/Kulmhof, ca. 60 km von Lodz entfernt. Bertha Alexanders Transport war der erste einer bis zum 16. Mai 1942 andauernden Verschleppungsaktion von etwa 10000 reichsdeutschen Juden, die von Oktober bis November 1941 aus dem "Reich" nach Lodz deportiert worden waren und als nicht (mehr) "arbeitsfähig" galten. Vermutlich war der Abfahrts- auch der Todestag Bertha Alexanders.

Berthas Geschwister überlebten den Holocaust durch Auswanderung:
Irmgard Alexander konnte im Frühjahr 1939 nach England auswandern, wo sie als Sekretärin in London arbeitete.
Kurt Alexander lebte im kanadischen Montreal, wo er im April 1931 Lea Wieseberg heiratete. Das Ehepaar ließ sich später in Detroit, USA, nieder. Kurt Alexander starb am 25. Oktober 1952.
Margot Alexander konnte mit Unterstützung des "Hilfsvereins der Juden in Deutschland" im Juni 1939 nach England auswandern. Sie heiratete 1948 und lebte mit ihrem Ehemann Hans Alex Maimon in Kapstadt/Südafrika.
Samuel und Rosalie Alexander, Berthas Eltern, konnten das Konfektionsgeschäft zunächst noch bis zum Jahr 1937 weiter betreiben.
Die NS-Ideologie hatte sich selbstverständlich auch in der Elbestadt verankert. In einer Rede des Kreisschulleiters, Rektor Schwarz, anlässlich einer NSDAP-Versammlung im Juni 1936 hieß es zum Thema "Rassegedanken in der nationalsozialistischen Weltanschauung": "Norddeutschland ist als der Ursitz der germanischen Menschen anzusehen." Das Ehepaar Ale­xander blieb auch nach der zwangsweisen Geschäftsschließung zunächst in Lauenburg und wohnte in der Gartenstraße 3. Doch die Repressalien gegen Juden im Jahr 1939 setzten dem Ehepaar Alexander, mittlerweile 73- und 71-jährig, sehr zu. In ihrer Wohnung in Lauenburg fühlten sie sich nicht mehr sicher. Da lag es nahe, nach Hamburg in die Nähe der Tochter Bertha zu ziehen und in der vermeintlich sichereren Großstadt einen möglichst wenig behelligten Lebensabend zu verbringen. Ihren Hausstand mussten sie zurücklassen bzw. unter Wert "verschleudern". Möglicherweise verschönerte manche Lauenburger Familie ihre Wohnung mit Einrichtungsgegenständen aus ihrem Besitz.

In Hamburg fand das Ehepaar vorübergehend Unterkunft im "Altenheim des Jüdischen Religionsverbandes" im Jungfrauenthal 37. Ein Umzug in die Schäferkampsallee 25 im Frühjahr 1942, mittlerweile als "Judenhaus" genutzt, wurde zu ihrer letzten – sicher nicht freiwilligen – Adresse. Über das Schicksal ihrer ältesten Tochter Bertha blieben der Mutter nur Vermutungen. In einem Brief an ihre Töchter Irmgard und Margot vom 5. Mai 1942 berichtete sie: "Wir sind gesund, aber schwere Sorgen wegen Bertha. Seit Oktober ohne jegliche Nachricht. Wir wohnen jetzt Schäferkampsallee 25. Herzliche Grüße, Eltern".

Samuel Alexander starb im Juni 1942. Seine Witwe Rosalie wurde vier Wochen später, am 15.Juli 1942 ins Getto Theresienstadt verschleppt und zwei Monate später im Vernichtungslager Treblinka ermordet.
Der Stolperstein für Bertha Alexander liegt, in Erinnerung an sie und stellvertretend für ihre zahlreichen Hamburger Stationen, in der Brahmsallee 11.

Stand: September 2016
© Christina Igla

Quellen: 1; 5; 7; 9; StaH 131-1 II Senatskanzlei II Korrespondenz mit ehemaligen jüdischen Hamburger Bürgern -3796 Irmgard Alexander; 232-4 480 Vormundschaftsakte Gertud Feis, Rothenbaumchaussee 209; 351-11 Amt für Wiedergutmachung -1030 (Samuel Alexander), -15122; Morisse, Ausgrenzung, Bd.1 Rechtsanwälte, S. 179; Walk, Sonderrecht; Gottwald/Schulle, "Judendeportationen", S. 67; Bohlmann, Lauenburg/Elbe, aus: http://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/ band_04/Demokratische_Geschichte_Band_04_Essay12.pdf (download vom 4.10.2013); Dokumente von Archiwum Panstwowe Lodz; Euphrosine Jaques, Haynstraße 29 – Zugriff am 27.3.2015; Auskünfte v. Dr. Anke Mührenberg, Archivgemeinschaft Schwarzenbek v. 8.10.2013, Auskünfte v. Heike Schwarz, Stadt Lauenburg/Elbe und Amt Lütau, Standesamt v. 24.8.2012; Auskünfte v. Heimatbund und Geschichtsverein Lauenburg/Elbe, Horst Eggert v. 27.3.2015.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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