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Bereits verlegte Stolpersteine



Siegfried Mayer auf der MS Bremen
Siegfried Mayer auf der MS Bremen
© Privatbesitz Ken Mayer

Siegfried Meyer * 1881

Maria-Louisen-Straße 90 (Hamburg-Nord, Winterhude)


HIER WOHNTE
SIEGFRIED MEYER
JG. 1881
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
6.3.1943

Siegfried Mayer (Meyer), geb. 5.6.1881, gedemütigt/entrechtet, Flucht in den Tod am 6.3.1943

Maria-Louisen-Str. 90, Winterhude

Siegfried Mayer (so seine standesamtliche Eintragung) wechselte aus uns nicht ersichtlichen Gründen ab und zu die Schreibweise seines Namens. So finden wir ihn in den Unterlagen auch als Siegfried Meyer, wie es auch auf seinem Stolperstein steht.

Siegfried Mayer war am 5.6.1881 als letztes von sechs Kindern in Nieder Flörsheim/Worms geboren worden. Seine Eltern waren der jüdische Kaufmann Hermann Mayer und seine Ehefrau Adelheid Mayer, geb. Meyer. Über die Kindheit von Siegfried Mayer können wir nichts berichten.

Mit 24 Jahren mietete er am 21. Oktober 1905 eine Wohnung in Bremerhaven in der Kaiserstraße 33. Auf seinen Meldebogen gab er an, preußischer Staatsbürger und katholischen Glaubens zu sein.

Siegfried Mayer arbeitete als zweiter Steward auf dem Postdampfer "Bülow". Die Postdampfer des Norddeutschen Lloyd wurden auch als Passagierschiffe eingesetzt, die vor allem Ostasienfahrten anboten.

Bei seiner Heirat am 10. März 1912 in Southampton/England mit der Nichtjüdin Lucie Charlotte Schau, genannt Lulu, gab er an, Christ zu sein.

Lulu Schau war am 9.10.1887 als einziges Kind des nichtjüdischen Zollbeamten Ernst August Schau und Lucie Auguste Sophie Schau, geb. Seidler, in Bremerhaven zur Welt gekommen. Da Mutter und Tochter die gleichen Vornamen hatten, wurde die Tochter nur Lulu gerufen.

Lulu hatte ihre Kindheit mit ihren Eltern in Stuttgart und Paris verbracht und in Bremerhaven die Volksschule und anschließend die Handelsschule besucht. Dann hatte sie den Beruf der Kontoristin erlernt.

1915 zog das Ehepaar Mayer von der Kaiserstraße 33 in die Hafenstraße 174 (heute Nr. 57) in Bremerhaven. Die Schwiegermutter Lucie Schau wohnte bei ihnen.

Siegfried Mayer wurde vom Norddeutschen Lloyd auf der "Steuben" eingesetzt und erwarb sich durch seine zuvorkommende Art eine sehr gute Position. Sein Freund Heinz Gerbracht berichtete später, dass die "Marine SA" Siegfried Mayer 1933 von Bord der "Steuben" geholt hatte, um ihn zu demütigen. Siegfried Mayer ließ sich durch solche Attacken jedoch nicht einschüchtern. Beruflich stieg er durch seine kompetente Arbeit auf und arbeitete dann als Oberschiffssteward auf der "Bremen". Dort verdiente er monatlich 900 RM – und oftmals kamen pro Saison 1000 bis 1500 RM Trinkgelder dazu.

Im Laufe des Jahres 1933 zog das Ehepaar Mayer mit der verwitweten Lucie Schau in eine Villa in der Parkstraße 24 im ca. 6 km entfernten Wesermünde-Lehe. (Siegfried Mayers Name wurde im Adressverzeichnis fett gedruckt, ein Hinweis darauf, dass ihm das Haus gehörte).

Doch 1934 entließ die Reederei Siegfried Mayer wegen seiner jüdischen Herkunft. Sie zahlte ihm fortan eine Rente von noch 140 RM.

Die Eheleute lebten nun von ihren Ersparnissen und mit Unterstützung der Schwiegermutter Lucie Schau weiterhin in ihrem Haus in Wesermünde-Lehe. Doch weil die Anfeindungen gegen die Juden immer stärker wurden, entschlossen sich Lulu und Siegfried Mayer, in die Großstadt Hamburg zu ziehen. Am 4. September 1937 meldeten sie sich in Wesemünde-Lehe ab.

Die Schwiegermutter Lucie Schau kaufte eine teure Wohnung in der Maria-Louisen-Straße 90 in Hamburg-Winterhude im Erdgeschoss, und am 29. September 1937 meldeten sich Lulu Mayer und Siegfried Mayer dort an.

Lucie Schau selbst blieb noch einige Zeit in Wesermünde-Lehe, sie folgte ihren Kindern ein Jahr später, am 29. August 1938, nach Hamburg. Auch in Hamburg blieben die Eheleute nicht unbehelligt. Lulu Mayer erklärte sich die häufigen Besuche der Gestapo damit, dass ihre Ehe – in der NS-Terminologie eine "nichtprivilegierte Mischehe" - kinderlos geblieben sei (mit christlich erzogenen Kindern wäre die Ehe "privilegiert" gewesen und hätte einigen Einschränkungen nicht unterlegen). Um den Kontrollen der Gestapo zu entgehen, zog sich Siegfried Mayer immer mehr und mehr zurück. Auch verließ er Hamburg zeitweise und besuchte seine Verwandten und Freunde in Nieder Flörsheim, Stuttgart und Mannheim.

Als Jude, der ein Vermögen über 5000 RM hatte anmelden müssen, wurde Siegfried Mayer zur "Judenvermögensabgabe" herangezogen, die alle wohlhabenderen Juden nach dem Novemberpogrom zu leisten hatten. Er zahlte insgesamt 5.250 RM, beginnend ab 16. Dezember 1938 in fünf Raten an die Devisenstelle in Hamburg.

Das Ehepaar Mayer pflegte zur Familie Rayner, die in der unmittelbaren Nachbarschaft lebte, ein freundschaftliches und enges Verhältnis. Dr. Rayner kannte sich als Justizdirektor im deutschen Recht aus und stand dem Ehepaar oft beratend zur Seite. Außerdem versuchte er der Familie Mayer ihr schweres Los zu erleichtern, indem er sich von den Peinigern und Verfolgern distanzierte.

Nach dem Krieg gab er im Entschädigungsverfahren zu Protokoll: "Herr Mayer war ein sehr gefälliger und freundlicher Herr, der still im Ruhestand lebte und niemanden zum Feinde hatte".

Wie alle Mischehepaare wurden auch die Mayers durch die Geheime Staatspolizei immer wieder dazu gedrängt, sich scheiden zu lassen. So wurde die Situation immer schwieriger für Siegfried und Lulu Mayer.

Der Nachbar Rayner berichtete später, man habe gemeinsam überlegt, als mit einem absehbaren Ende des Nationalsozialismus gerechnet worden sei, ein Scheidungsverfahren einzuleiten und dieses immer dann wieder hinauszuzögern. Rayner zog einen guten Bekannten, den Rechtsanwalt Stumme hinzu, als das Ehepaar Mayer in ein Scheidungsverfahren einwilligte.

Doch die Hoffnung, im Schatten eines schwebenden Scheidungsverfahrens mehr Sicherheit gewinnen zu können, zerschlug sich schnell: Im Dezember 1942 musste Siegfried Mayer in das "Judenhaus" Beneckestraße 2 umziehen. Und die Nationalsozialisten beschleunigten das Verfahren. Ein "Sühnetermin" wurde schon auf den Hochzeitstag des Ehepaares, der am 10. März gewesen war, angesetzt. Inzwischen hatten die Demütigungen und Beschränkungen Siegfried Mayer depressiv gemacht. Als der Scheidungstermin noch einmal, nun auf den 6. März 1943, vorverlegt wurde, verstärkte diese Maßnahme seine Depressionen weiter.

Am 5. März 1943 suchte er seine noch-Ehefrau Lulu Mayer in ihrer früher gemeinsamen Wohnung auf und nächtigte dort. Am 6. März 1943 morgens um 5.oo Uhr stand er auf, holte sich aus der Küche ein Glas Wasser und löste darin zwei Röhrchen Veronal-Tabletten auf. Als er ausgetrunken hatte, legte er sich wieder schlafen.

Als seine Frau um 7.00 Uhr erwachte, stellte sie fest, dass ihr Ehemann Schlaftabletten eingenommen hatte. Sie benachrichtigte einen Arzt, der die Überführung von Siegfried Mayer in das jüdische Pflegeheim Schäferkampsallee 29 veranlasste. Dort konnte nur noch sein Tod festgestellt werden.

Siegfried Mayer wurde wenige Tage später auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel beigesetzt.

Einige Zeit nach dem Tod ihres Ehemannes suchte die Geheime Staatspolizei Lulu Mayer in ihrer Wohnung auf: Sie hatte, als der Körper ihres Mannes überführt wurde, der Schutzpolizei gegenüber angegeben, die Geheime Staatspolizei habe Siegfried Mayer in den Tod getrieben. Nun sollte sie diese Aussage widerrufen. Diesen Vorfall gab der Nachbar Rayner später im Entschädigungsverfahren zu Protokoll, ohne zu erwähnen, ob Lulu Mayer diesem Druck nachgab.

Zum Schicksal der Geschwister von Siegfried Mayer:
Über den Bruder Ferdinand Mayer wissen wir nichts.

Julius Mayer (geb. 18.8.1861), verheiratet seit 9. Juni 1887 mit Johanna Katzenstein (geb. 18.4.1866), starb am 6. April 1934 in Mannheim.

Leo Mayer (geb. 23.7.1863), verheiratet seit 25. Dezember 1892 mit Jeanette Schwarzenberger, verwitwet am 22. September 1905, verstarb am 1. September 1930 in Stuttgart.

Max Moses Mayer (geb. 12.6.1866), verheiratet seit 27. April 1892 mit Frida Fanny Adler, flüchtete mit dieser nach Palästina. Frida Fanny Mayer verstarb am 9. Juni 1943 und Max Moses Mayer verstarb am 10. Juni 1943. Frida Fanny Mayer verstarb eines natürlichen Todes. Ob Max Moses aus diesem Grund Suizid beging, wissen wir nicht.

Ob Luise Mayer (geb. 23.5.1879) 1943 im Vernichtungslager Majdanek ermordet wurde, wie ein Geni.com-Eintrag besagt, wissen wir nicht.

Stand: November 2020
© Bärbel Klein

Quellen: StaH, 1; 2; 4; 5; 9; 332-5_139; 351-11_9586; 351-11_9589; Stadtarchiv Bremerhaven, Geburtsurkunde Lucie Schau Nr. 327; Heirat von Siegfried Mayer und Lucie Schau in Southampton; Geschichten aus Lehe – Spiegel einer Stadt - Historische Geschichten von Menschen aus der Hafenstraße und Umgebung, (Hg.), Burkhard Hergesell, Geschichtswerkstatt Bremerhaven, Band 3, S. 130-134. Zwei Schiffsstewards der General von Steuben von Sabine Beister, 2012; www.geni.com; www.ancestry.de; www.wikipedea.de (Einsicht am 9.10.2020).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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