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Karl-Heinz Meyer * 1920

Hammer Landstraße /Ecke Hammer Steindamm (Hamburg-Mitte, Hamm)


HIER WOHNTE
KARL-HEINZ MEYER
JG. 1920
DESERTIERT
VERHAFTET 1942
ARRESTANSTALT ALTONA
TORGAU FORT ZINNA
1943 STRAFBATAILLON 500
GEFÄNGNIS STUTTGART
ENTHAUPTET 24.8.1944

Karl-Heinz Meyer, geb. 19.10.1920 Hamburg, wegen "Fahnenflucht" Gefängnis Stuttgart, hingerichtet am 24.8.1944

Ecke Hammer Steindamm/Hammer Landstraße (früher: Bei der Hammer Kirche 35)

Karl-Heinz Meyer wurde am 19. Oktober 1920 in Hamburg als Sohn der aus Flensburg stammenden Elisabeth Frieda Karoline Meyer, geb. Haßler, geb. 12.1.1891, und des in Hamburg am 22.11.1889 geborenen Gustav Ernst Meyer geboren. Gustav Meyer hatte eine Ausbildung zum Handlungsgehilfen durchlaufen und war später als Buchhalter tätig.

Das Ehepaar Meyer bewohnte im Stadtteil Hamm eine Wohnung in der Eiffestraße 586 und gehörte der ev.-luth. Kirche an. Sohn Karl-Heinz schloss vermutlich 1935 seine Schulausbildung ab und wurde von Beruf Kraftfahrer.

1940 wurde Karl-Heinz Meyer zur Wehrmacht einberufen. Er begann seinen Einsatz heimatnah beim Infanterie-Ersatzbataillon 69 in Wandsbek. Im März 1941 wurde er zum Infanterie-Ersatzbataillon 156 nach Wuppertal-Barmen versetzt und noch im selben Monat zum Infanterie-Regiment 408. Mit diesem nahm er im Juni 1941 am Überfall auf die Sowjetunion teil.

Am 22. September 1941 wurde Karl-Heinz Meyer bei Maskowskaja in Lettland durch ein Infanteriegeschoss verwundet. Er wurde zum Gefreiten befördert und zur Genesenden-Kompanie des Infanterie-Ersatzbataillons 494 abgestellt. Nach seiner Genesung kehrte er vorerst zu seiner Einheit zurück, wurde dann aber am 9. Mai 1942 von seiner Kompanie als "fahnenflüchtig" gemeldet.

Ob er nach einem Heimaturlaub nicht wieder an die Front zurück kehrte oder sich anderweitig dem Zugriff der Truppe entzog, ist unbekannt. Offenbar wurde er in Hamburg festgenommen und in der Standort-Arrestanstalt Hamburg-Altona inhaftiert. Am 25. Juni 1942 verurteilte ihn das Feld-Kriegsgericht der Division z.b.V. 410 (= "zur besonderen Verwendung") mit Sitz in Hamburg zu fünf Jahren Zuchthaus und dem Verlust der Wehrwürdigkeit. Das Militärstrafrecht der Wehrmacht sah vor, dass die Verurteilten ihre Strafe nach Kriegende abzusitzen hatten. Bis dahin sollten sie in Strafgefangenenlagern (Stalag) verwahrt werden.

Karl-Heinz Meyer wurde Anfang August 1942 in das Stalag III Brual-Rhede/Ems, eines von 15 Emslandlagern, überführt. In den Emsland-Lagern wurden die auch als "Moorsoldaten" bekannten Strafgefangenen zur Arbeit im Moor gezwungen. Schätzungsweise 20.000dort Inhaftierte überlebten die Lagerzeit nicht.

Die soziale Ächtung einer strafrechtlichen Verurteilung traf im nationalsozialistischen Deutschland die gesamte Familie. Karl-Heinz Meyers Eltern zogen aus der Wohnung in der Eiffestraße 586 aus, die ihnen für mehr als 15 Jahre ein Zuhause gewesen war, sie kamen zur Untermiete bei der Familie Möhring, Bei der Hammer Kirche 35, unter.

In den Emslandlagern waren die Inhaftierten neben der harten Zwangsarbeit regelmäßiger Gewalt und Schikane durch das Wachpersonal ausgesetzt. Erschwert wurden diese Haftbedingungen durch die besonders kalten Wintermonate des Jahres 1942/43. Im Februar 1943 wurde Karl-Heinz Meyer wegen "Moorunfähigkeit" in die Haftanstalt Lingen/Ems überführt.

Zur "Prüfung für die Bewährungstruppe" war er von Juni bis Juli 1943 im Wehrmachtsgefängnis Torgau-Fort Zinna inhaftiert. Durch einen "Führererlass" von 1940 wurden seit 1942 sogenannte Bewährungsbataillone der Wehrmacht aufgestellt. Als "bedingt wehrwürdig" eingestufte verurteilte Soldaten wurden an besonders gefährlichen Frontabschnitten oder zur "Banden-Bekämpfung", d.h. militärischem Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung und (vermeintlichen) Partisanen, eingesetzt.

Längst hatte sich der von den Nationalsozialisten begonnene Krieg auch gegen die deutschen Städte gewendet. Im Zuge der "Operation Gomorrha" wurde Hamburg vom 24. Juli bis 3. August 1943 von schweren Luftangriffen getroffen. Die östlichen Stadtteile Hamburgs, darunter auch Hamm, wurden schwer zerstört. Davon waren auch die Wohnung Bei der Hammer Kirche 35 und die gegenüberliegende Kirche betroffen. Das Ehepaar Meyer verließ Anfang September 1943 das ausgebombte Haus und kam, erneut zur Untermiete, im Lokstedterweg 100 a Haus Nr. II in Eppendorf unter. Clara Haßler, Elisabeth Meyers Mutter, arbeitete dort als Hausangestellte.

Karl-Heinz Meyer selbst befand sich seit Ende Juli 1943 wieder an der Ostfront. Im polnischen Skierniewice wurde er der 4. Kompanie des Infanterie-Ersatzbataillons 500 zugeteilt. Anfang Dezember 1943 wurde er erneut verwundet. Von Mitte Januar bis Februar verblieb er in der Genesenden-Kompanie des Infanterie-Ersatzbataillons 500, am 3. März 1944 wurde er zu seiner Einheit zurückbeordert.

Anfang Mai 1944 desertierte Karl-Heinz Meyer ein zweites Mal. Mit Meldung vom 4. Mai 1944 meldete ihn die 4. Kompanie des Infanterie-Bataillons 550 z.b.V. als "fahnenflüchtig".

Karl-Heinz Meyer gelang es offenbar, sich bis Süddeutschland durchzuschlagen, bis er im Zuständigkeitsbereich des Gerichts der Division Nr. 465, Zweigstelle Ulm, gefasst und vor diesem angeklagt wurde.

Vom Zeitpunkt der Flucht bis zur Hinrichtung vergingen lediglich drei Monate. Das Ulmer Gericht gehörte zur Division Nr. 465 mit Sitz in Ludwigsburg. Die beiden ranghöchsten Richter, die bereits vor Kriegsbeginn am Ulmer Landgericht gearbeitet hatten, verblieben (für Kriegsrichter sehr ungewöhnlich) fast während der gesamten Kriegsdauer am Ulmer Militärgericht. Sie fällten im Sommer 1944 das Todesurteil über Karl-Heinz Meyer. Den nach dem Militärstrafgesetz der Nationalsozialisten durchaus vorhandenen Ermessensspielraum hinsichtlich des Strafmaßes schöpfte das Gericht in seinem Fall nicht aus. Im Gegenteil: Wurden desertierende Soldaten aus Gründen der Abschreckung üblicherweise vor Erschießungs-Kommandos gestellt, wurde Karl-Heinz Meyer zum Tod durch Enthauptung verurteilt. Zu diesem Zweck wurde der 23-jährige nach Stuttgart ins dortige Untersuchungsgefängnis überführt, wo er am 24. August 1944 um 5 Uhr morgens durch das Fallbeil hingerichtet wurde.

Bei Desertionen wurden sofort massive Fahndungsmaßnahmen von Wehrmacht, Polizei und Gestapo eingeleitet und alle Personen im Lebensumfeld des Desertierten umfangreichen Verhören unterzogen. Die Eltern Meyers hatten mutmaßlich Kenntnis von der Fahnenflucht ihres Sohnes. Informationen über Verhaftung, Urteil und Vollstreckung erhielten die Angehörigen von Deserteuren jedoch nicht in allen Fällen. Öffentliche Traueranzeigen oder -feiern für die Hingerichteten waren untersagt. Zudem bestand kein Anrecht auf Überführung des Leichnams in den Heimatort der Hingerichteten. Im Fall von Karl-Heinz Meyer wurde der Leichnam noch am Tag seiner Hinrichtung an das Anatomische Institut der Universität Tübingen übergeben.

Epilog:
Teile der sterblichen Überreste Karl-Heinz Meyers und hunderter anderer NS-Opfer wurden auch noch nach Kriegsende in der Universität Tübingen als Präparate missbraucht. Noch im Winter-Semester 1946/47 "praktizierte" ein Obduktionskurs der Universität an den sterblichen Überreste Meyers. Die nicht benötigten sterblichen Überreste wurden auf dem Gräberfeld X des Tübinger Bergfriedhofs beigesetzt. Erst im Jahr 1990 gab das Universitätsklinikum Tübingen auch die letzten Überreste von NS-Opfern aus seiner anatomischen Sammlung zur Bestattung frei und ließ einen Gedenkstein für sie aufstellen.

Nach Kriegsende, im Februar 1951, wurde die erste kriegsgerichtliche Verurteilung Karl-Heinz Meyers wegen Fahnenflucht durch Verfügung des Hanseatischen Oberlandesgerichts getilgt. Unterlagen der Nachkriegsjustiz über die Unrechtmäßigkeit des späteren Todesurteils an Karl-Heinz Meyer sind nicht dokumentiert. Im Gegenteil: 1946 rechtfertigte Hermann Bames, einer der beiden Vorsitzenden Richter der Ulmer Zweigstelle des Gerichts der Division Nr. 465, schriftlich seine Beteiligung an Todesurteilen: "Politische Gesichtspunkte spielten hierbei keine Rolle. Die Verurteilten waren nach meiner Erinnerung in allen 4 Fällen Kriminelle, die zugleich gemeiner Verbrechen überführt waren."

Das Spruchkammer-Verfahren gegen den ehemaligen Oberfeldrichter Hermann Bames wurde mit Beschluss vom 14. August 1946 eingestellt. Darin heißt es: "Die angestellten Ermittlungen über den seit 1933 in Ulm ansässigen und als Richter tätigen B. Ergaben eine einwandfreie politische Haltung […]." Hermann Bames arbeitete bis zu seiner Pensionierung weiterhin am Ulmer Landgericht und wurde 1946 sogar zum Vorsitzenden der Ulmer Spruchkammer ernannt.

Die Eltern von Karl-Heinz Meyer verließen im April 1945 die Hansestadt Hamburg und zogen ins niedersächsische Marxen. Jahre später kehrten sie zurück. Im Mai 1972 starb Elisabeth Frieda Karoline Meyer, geb. Haßler, in Barmbek-Uhlenhorst, ihr Ehemann, Gustav Ernst Meyer, wenige Monate später im September 1972.

Stand: Februar 2020
© Oliver Thron

Quellen: Hamburger Adressbücher; StaH 332-5 Personenstandsregister; 332-8 Meldewesen, K 2312, K 2335, K 5050; BArch, Pers15/113418; Wehrmachtsauskunftsstelle Auskunft vom 19.5.2017; Hauptstaatsarchiv Stuttgart EA 4/150 Bü 52; Standesamt Stuttgart, Sterbeurkunde Nr.4051/1944; Staatsarchiv Ludwigsburg EL 902/21 Bü141; Universitätsklinik Tübingen, 174/118a; Schönhagen, Benigna, Das Gräberfeld X. Eine Dokumentation über NS-Opfer auf dem Tübinger Stadtfriedhof. 1987; Deserteure und "Wehrkraftzersetzer": Ein Gedenkbuch für die Opfer der NS-Militärjustiz in Ulm / Autor Oliver Thron, hrsg. Von Nicola Wenige, Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg Ulm e.V., 2011.

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