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Emma Böhme * 1884

Nagelsweg 33 (Hamburg-Mitte, Hammerbrook)


HIER WOHNTE
EMMA BÖHME
JG. 1884
VERHAFTET 1943
RAVENSBRÜCK
ERMORDET 11.3.1943
AUSCHWITZ

Weitere Stolpersteine in Nagelsweg 33:
Friedrich Löser

Emma Bertha Marie Böhme, geb. Görlich, geb. 10.8.1884 in Barth (Vorpommern), umgekommen im KZ Auschwitz am 11.3.1943

Als Emma in der Kleinstadt Barth, an der Ostseeküste westlich von Stralsund, zur Welt kam, war ihr Vater Wilhelm Görlich bereits kurz zuvor verstorben und ihre Mutter Wilhelmine, geb. Range, die später einen Mann namens Marx heiratete, hatte zunächst die alleinige Verantwortung für die Familie. Emma besuchte in Barth die Volksschule bis zum Abschluss und war danach "beim Bauern tätig". Bereits mit achtzehn Jahren heiratete sie den Landarbeiter Max Hopp, mit dem sie vier Kinder hatte. Wahrscheinlich noch bevor sie ihre Kinder gebar, ging sie 1907 in die pommersche Provinzhauptstadt Stettin und erlernte in der dortigen Provinzial-Hebammen-Lehranstalt, an die eine Frauenklinik angegliedert war, während eines Jahres den Beruf der Hebamme. Dieser für eine junge verheiratete Frau einfacher ländlicher Herkunft damals sicher ungewöhnliche Weg scheint auf eine Persönlichkeit hinzudeuten, die nach Aussage ihres zweiten Mannes in einer späteren polizeilichen Vernehmung ausgesprochen tatkräftig und lebenstüchtig gewesen sein muss.

Nach der Berufsausbildung eröffnete sie in Lüdershagen bei Barth eine eigene Hebammenpraxis. Mit ihrem ersten Mann scheint sie jedoch nicht glücklich gewesen zu sein, da dieser nach ihren Schilderungen trunksüchtig und gewalttätig gegen Frau und Kinder war. Sie trennte sich bei Ausbruch des Krieges von ihm und musste nun allein für sich und die vier Kinder aufkommen. Sie tat dies, indem sie – möglicherweise neben ihrer Hebammentätigkeit – in einer Eisengießerei arbeitete und einen Postwagen fuhr. Im Jahr des Kriegsendes, 1918, siedelte sie mit allen Kindern nach Hamburg über und musste auch dort die Familie alleine durchbringen.

In der Hansestadt durfte sie nicht als Hebamme arbeiten, da hier offenbar ihre pommersche Berufslizenz nicht anerkannt wurde. Sie eröffnete deshalb einen Massagesalon, der, wie ihr die NS-Justiz später unterstellte, zur Tarnung für die Durchführung von Abtreibungen gedient haben soll; "nebenbei" betrieb sie noch ein Zigarrengeschäft. Da die Einkünfte aus legalen Tätigkeiten für die Familie nicht ausreichten, trieb sie, wie sie später angab, bei anderen Frauen "aus Not" ab. Deswegen wurde sie im Oktober 1920 erstmals (bereits im Februar 1920 war sie wegen eines leichten Diebstahldelikts mit einer Woche Haft bestraft worden) vom Schwurgericht Hamburg wegen "Lohnabtreibung" in drei Fällen und in einem Fall in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung (eine Frau starb an den Folgen des Eingriffs) zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Umstände dieser Taten sind unbekannt, da die Strafakte nicht mehr existiert. Emma Böhme hat die Abtreibungen anscheinend mit einer weiteren Frau vorgenommen und betrachtete sich, wie sie später angab, als "unschuldig verurteilt", was sie wahrscheinlich auf den Tatbestand der fahrlässigen Tötung bezog.

Ihre Verurteilung nahm der von ihr getrennt lebende Ehemann 1922 zum Anlass, sich scheiden zu lassen, wobei ihr wegen ihrer Verurteilung die Alleinschuld für die Scheidung angelastet wurde, was zur Folge hatte, dass sie jegliche Unterhaltsansprüche gegen ihn verlor. Von der vierjährigen Strafe erließ man ihr ein Jahr auf Bewährung bis zum Jahr 1926, so dass sie bereits 1923 freikam. Doch 1925 wurde sie erneut wegen Abtreibung vom Schöffengericht Stralsund zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt, was dazu führte, dass sie das zur Bewährung ausgesetzte Jahr aus der vorigen Verurteilung verbüßen musste und erst im März 1928 aus der Strafhaft entlassen wurde.

Nach der Entlassung aus dem Zuchthaus arbeitete sie als Sacknäherin und hatte, auf sich alleingestellt, zunächst vermutlich eine harte Zeit zu überstehen. Schon wenige Wochen nach ihrer Freilassung besuchte sie eine Haftgenossin, die 1920 zusammen mit ihr wegen illegalem Schwangerschaftsabbruch verurteilt worden war, und bat sie, eine Abtreibung bei einer ihr unbekannten "Frau vom Land" vorzunehmen. Sie kam dieser Bitte nach und führte, wie sie in einem Polizeiverhör über elf Jahre später zugab, im selben Jahr eine weitere Schwangerschaftsunterbrechung durch, für die sie wie bei der vorherigen 15–25 RM bekommen haben soll. 1929 heiratete sie den elf Jahre jüngeren Erich Böhme, den sie schon seit 1925 kannte. Dieser war damals noch verheiratet, ließ sich jedoch kurz vor seiner zweiten Heirat von seiner ersten Frau scheiden.

Die Böhmes lebten zwischen 1929 und 1935 in der Seilerstraße in St. Pauli und in der Eduardstraße in Eimsbüttel. In dieser Zeit, die für Emma Böhme wohl eine Verbesserung ihrer sozialen Lage mit sich brachte, da ihr neuer Mann eine feste Arbeit hatte und ihre Kinder inzwischen großenteils erwachsen waren, lernte sie eine Hebamme aus Altona kennen, der sie gelegentlich bei ihrer Arbeit half. Diese sprach im Sommer 1934 bei ihr vor und bat sie dringend, bei einer jungen Frau eine Abtreibung vorzunehmen, bei der sie mehrmals erfolglos den Eingriff versucht habe. Emma Böhme ließ sich dazu überreden und führte bei der Schwangeren eine Gebärmutterspülung mit einer Spritze durch, was wenige Tage später zu einer Fehlgeburt führte. Als Honorar bekam sie dafür lediglich 20 RM, obwohl die Altonaer Hebamme zwischen 200 und 300 RM (nach späteren Aussagen von Emma Böhme und der Schwangeren) von der Frau abkassiert hatte. Nach diesem Vorfall arbeitete Emma Böhme wegen deren eigensüchtigen Verhaltens nicht mehr mit der Hebamme zusammen.

Von 1932 bis 1936 war ihr Mann arbeitslos und die soziale Situation des Paares verschlechterte sich wieder; erst 1936 bekam Erich Böhme wieder eine feste Stelle als Kranführer bei der Deutschen Werft in Hamburg. Als die Böhmes im März 1935 gerade in die Ifflandstraße in Hohenfelde gezogen waren, bekam Emma Böhme Besuch von der Frau, bei der sie im Sommer 1934 die Schwangerschaftsunterbrechung vorgenommen hatte. Diese bat sie inständig, erneut einen Eingriff durchzuführen, da sie ungewollt im zweiten oder dritten Monat schwanger war. Emma Böhme willigte ein, obwohl sie ihrem Mann das Versprechen gegeben hatte, keine Abtreibungen mehr vorzunehmen. Sie erhielt für den Eingriff, den sie erneut ohne Komplikationen nach derselben Methode wie beim erstenmal durchführte, und für die Nachpflege wegen der eingeleiteten Fehlgeburt von der Frau 50 RM, die sie nach eigenen Angaben freiwillig von dieser bekommen haben will (die Schwangere sagte später aus, das Geld sei von ihr "verlangt" worden). Noch im selben Jahr zogen die Böhmes in den Luisenweg nach Hamm um. 1936, als der Ehemann eine neue Arbeitsstelle fand, pachteten sie 700 m2 Land auf Reichsbahngelände in Tiefstack, das insbesondere von Emma Böhme als Garten genutzt wurde.

Die Frau, bei der Emma Böhme in den Jahren 1934 und 1935 die Abtreibungen durchgeführt hatte, erlitt im Juli 1937 erneut eine Fehlgeburt, obwohl sie diesmal nach eigenen Angaben vorhatte, die Schwangerschaft auszutragen, da sie und der Vater des Kindes bald heiraten wollten. Trotzdem sollte eine Denunziation lange nach dieser dritten Fehlgeburt – im Dezember 1938 – die Hamburger Kriminalpolizeileitstelle dazu veranlassen, weil sie laut Aktenvermerk eine Abtreibung vermutete, die Frau zum Verhör vorzuladen. Diese gab nach anfänglichem Zögern den Namen von Emma Böhme als denjenigen der Frau preis, die bei ihr die beiden Abtreibungen in den Jahren 1934 und 1935 vorgenommen hatte. Dadurch geriet Emma Böhme erneut in die Verfolgungsmaschinerie einer unbarmherzigen Strafjustiz, die ihr Vorgehen in der NS-Zeit bei der Verfolgung von Abtreibungsdelikten noch verschärft hatte. Bei dem Verhör der Kriminalpolizei am 3. Februar 1939 gab sie zunächst zu, dass sie im August 1937 bei einer Frau mittleren Alters und im Oktober 1938 bei deren fünfzehnjähriger Tochter, die von einem Geschäftsmann und Rottenführer (Obergefreiter) der SS geschwängert worden war, eine Schwangerschaftsunterbrechung vorgenommen hatte. In beiden Fällen erhielt sie nach Angaben der Mutter der Fünfzehnjährigen eine freiwillige Zahlung von 20 bzw. 30 RM.

Später gestand Emma Böhme noch ein, dass sie zwei bis drei weitere Abtreibungen durchgeführt habe, sich jedoch an deren genauen Zeitpunkt und die Namen der Frauen nicht mehr erinnere. Nach dem Verhör wurde sie sofort in das Untersuchungsgefängnis Hamburg-Stadt eingewiesen, war dann ab dem 6. Februar für eine Woche in "Schutzhaft" im KolaFu, um danach wieder in die U-Haft zurückzukehren.

Schon anhand der Ermittlungsakten wird deutlich, dass die Kriminalpolizei Emma Böhme als skrupellose Serientäterin hinstellen wollte, deren einziges Trachten darin bestand, möglichst viel Geld mit Abtreibungen zu verdienen. So wurde die Aussage ihres Mannes, dass sie in finanziell schwierigen Lagen sehr gut zu haushalten verstehe, als Hinweis dafür genommen, dass sie ständig das Familieneinkommen mit Abtreibungen aufbessere.

Dabei wurde allerdings nicht berücksichtigt, dass sie die von ihr behandelten Frauen keinesfalls ausnutzte, sondern von ihnen, auch für die damalige Zeit, relativ moderate Summen bekam, deren Höhe sie in mehreren Fällen sogar in deren Ermessen stellte ("zahlen Sie was Sie können"). Sie agierte bei den Schwangerschaftsabbrüchen auch keineswegs brutal oder unverantwortlich (zumindest nicht bei denen nach ihrer Haftentlassung 1928), sondern besuchte die Frauen noch Tage nach dem Eingriff, um sich zu vergewissern, dass keine Komplikationen bei den eingeleiteten Fehlgeburten eingetreten waren. Auch beeindruckte die Ermittlungsbeamten wenig, dass die Töchter Emma Böhmes sie als "sehr gutmütig und hilfsbereit" schilderten.

Diese amtliche Voreingenommenheit gegen Emma Böhme sollte sich dann im Strafprozess noch zuspitzen. In der Anklageschrift des Oberstaatsanwalts beim LG vom 5. Juli 1939 wird sie als "gemeingefährlicher Volksschädling" bezeichnet. Sie habe "als typische gewissenlose Abtreiberin ... ihr volksschädliches Treiben vom Augenblick der Entlassung aus der Strafanstalt an bis in allerjüngste Zeit hinein weiter fortgesetzt. Bei der Gesamtwürdigung ihrer Taten und ihres inneren Wesens wird man zu der ‹berzeugung gelangen müssen, dass die Allgemeinheit nur durch die Anordnung der Sicherungsverwahrung vor ihr geschützt werden kann". An anderer Stelle der Anklageschrift ist gar – in eindeutiger Überzeichnung der festgestellten Tatsachen – die Rede davon, sie habe "Abtreibungen gewissermaßen am laufenden Band betrieben".

Das Urteil des Schwurgerichts gegen Emma Böhme vom 30. August 1939 unterschied sich im Tenor dann auch kaum von den Anwürfen des Oberstaatsanwalts. Es spricht ebenfalls von einem "in ihrer Persönlichkeit verwurzelten verbrecherischen Hang, sich durch Abtreibungen eine Einnahmequelle zu verschaffen" und von "volksschädigendem ... Treiben" und konstatiert schuldverschärfend, dass Emma Böhme sich nach der Machtübernahme "im besonderen Maße über den Kampf gerade des nationalsozialistischen Staates gg. gewerbsmäßige Abtreibungen klar (gewesen) sein musste". Sie wurde schließlich zu fünf Jahren Zuchthaus mit Sicherungsverwahrung wegen "gewerbsmäßiger Abtreibung in vier Fällen und versuchter gewerbsmäßiger Abtreibung in vier Fällen" verurteilt. In den letztgenannten Fällen konnte ihr nur der Versuch nachgewiesen werden, da die Namen der Frauen unbekannt waren und nicht nachgeprüft werden konnte, ob es bei ihnen tatsächlich zu künstlich eingeleiteten Fehlgeburten gekommen war.

Über das weitere Schicksal Emma Böhmes ist nur bekannt, dass sie am 21. September in das Frauengefängnis Lübeck-Lauerhof zur Strafverbüßung eingeliefert wurde. Bereits am 7. Januar 1943 – mehr als ein Jahr vor Ende der regulären Zuchthausstrafe am 6. Februar 1944 – wurde sie in das KZ Ravensbrück eingewiesen. Hier kann sie sich nur kurze Zeit befunden haben, da sie laut einer "Sterbeurkunde" des KZ Auschwitz dort am 11. März 1943 ums Leben gekommen ist.

© Benedikt Behrens

Quellen: StaH213-11 Staatsanwaltschaft LG – Strafakten, 10153/39; StaH 213-8 Staatsanwaltschaft OLG Verwaltung, Abl. 2, 451 a E I, 1 d; Schreiben des Museums Auschwitz-Birkenau v. 30.6.2005 und E-Mail dess. v. 5.8.2005; http;//de.wikipedia.org.wiki (Stichwort "Stettin").

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