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Wilhelm Lanquillon * 1911

Heimfelder Straße 15 (Harburg, Heimfeld)


1941 eingewiesen
'Heilanstalt' Weilmünster
ermordet 30.10.1941

Wilhelm Lanquillon, geb. am 5.1.1911, von den Rotenburger Anstalten der Inneren Mission verlegt in die "Landesheilanstalt Weilmünster", dort ermordet am 30.10.1941

Stadtteil Heimfeld, Heimfelder Straße 15

Als der Zweite Weltkrieg begann, war Wilhelm Lanquillon 28 Jahre alt und Patient der Rotenburger Anstalten der Inneren Mission, einer evangelischen Einrichtung für Menschen mit Behinderung, in der benachbarten Kreisstadt an der Wümme.

Bereits im Herbst 1939 verschlechterten sich die Lebensbedingungen der Patienten und des Personals erheblich, weil der Staat Gebäude für die Errichtung eines Lazaretts beschlagnahmte und zahlreiche Mitarbeiter eingezogen wurden. Im Sommer 1940 sollte auch die Leitung der Rotenburger Anstalten an den Maßnahmen zur "planwirtschaftlichen Erfassung der Heil- und Pflegeanstalten" mitwirken. Sie waren Teil der so genannten Aktion T4; der Ermordung unheilbar Kranker (siehe Glossar). Von großer Bedeutung waren dabei die Meldebögen, die alle Heil- und Pflegeanstalten auszufüllen und an die Berliner T4-Zentrale zurückzusenden hatten, wo dann die Selektion der Patientinnen und Patienten erfolgte, die "verlegt", d. h. in eine Tötungsanstalt transportiert werden sollten.

Da sich die Rotenburger Anstalten nicht so kooperativ verhielten wie gewünscht, schickte ihnen die T4-Zentrale am 24. April 1941 eine Kommission von vier Ärzten ins Haus, die innerhalb von vier Tagen alle 1150 Bewohnerinnen und Bewohner – darunter auch Wilhelm Lanquillon – in Augenschein nahm und die entsprechenden Fragebogen ausfüllte.

Am 20. Juni 1941 wurde den Rotenburger Anstalten mitgeteilt, dass je 100 namentlich ge­nannte Männer und Frauen in die "Landesheilanstalt Weilmünster" in Hessen verlegt werden sollten. Auch Wilhelm Lanquillons Name befand sich auf der beigefügten Liste. Der Transport fand am 30. Juli 1941 statt. Anschließend wurden die Angehörigen über den Vorgang unterrichtet. Wilhelm Lanquillons Mutter nahm die Nachricht mit Bestürzung und Unverständnis zur Kenntnis, wie ein Brief von ihr vom 2. August 1941 zeigt. Im Antwortschreiben teilten die Rotenburger Anstalten ihr mit, dass kein Grund zur Sorge bestünde, da ihr Sohn sich auch in Weilmünster "in guten Händen" befände.

Davon konnte jedoch keine Rede sein. Weilmünster liegt in der Nähe Hadamars, wo die Nationalsozialisten im Laufe des Jahres 1940 die ursprüngliche Heil- und Pflegeanstalt des Ortes im Zuge der "Aktion T4" in eine Vernichtungsstätte umgebaut hatten, in der in den ersten acht Monaten des Jahres 1941 insgesamt 10072 Menschen durch Gas ermordet wurden. Gleichzeitig war das Krankenhaus von Weilmünster zu einer Art Zwischenanstalt umfunktioniert worden, in der die selektierten Kranken und Behinderten für einige Tage verblieben, bis sie nach Hadamar gebracht wurden. Durch den eingeschobenen Zwischenaufenthalt auf dem Weg nach Hadamar hofften die Verantwortlichen, den eigentlichen Zweck dieser Transporte besser verschleiern zu können. Doch bevor Wilhelm Lanquillon und die anderen Rotenburger Pfleg­linge die Weiterfahrt antreten mussten, wurde die "Aktion T4" am 24. August 1941 offiziell gestoppt.

Die Rotenburger Pfleglinge blieben in der "Landesheilanstalt Weilmünster", in der sie die nächsten Wochen und Monate unter erbärmlichen Lebensbedingungen verbrachten. Sie starben im Laufe der nächsten beiden Jahre an den Folgen der verschlechterten Pflegebedingungen in dieser Anstalt, des dort praktizierten Nahrungsmittelentzugs und der gezielten Verabreichung tödlicher Medikamente. Die Einrichtung war infolge der täglich eintreffenden Massentransporte heillos überbelegt, die Versorgungslage war weit schlechter als in anderen Einrichtungen dieser Art, und die Vergabe von Schlaf- und Beruhigungsmitteln war exzessiv.

Wilhelm Lanquillon starb am 30. Oktober 1941. Er war einer der mehr als 3000 Patientinnen und Patienten, deren Lebensweg in Weilmünster in den Jahren von 1940 bis zur Kapitulation Hitler-Deutschlands endete. Hier hatte man sie "langsam aber sicher verhungern" lassen und "mit Einspritzungen nachgeholfen", wie es eine ehemalige Patientin 1946 formulierte.

© Klaus Möller

Quellen: Gedenkbuch der Rotenburger Werke der Inneren Mission; Archiv der Rotenburger Werke der Inneren Mission, Akten Nr. 153, 196; Rotenburger Werke (Hrsg.), Zuflucht; Vanja (Hrsg.), Weilmünster.

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