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Franziska Joseph (geborene Horwitz) * 1890

Hastedtstraße 20 (Harburg, Harburg)


HIER WOHNTE
FRANZISKA JOSEPH
GEB. HORWITZ
JG. 1890
DEPORTIERT 1941
LODZ / LITZMANNSTADT
ERMORDET 15.5.1942

Franziska Joseph, geb. Horwitz, geb. am 11.9.1890 in Oldenburg, deportiert am 1.11.1941 von Berlin nach Lodz, ermordet am 15.5.1942

Stadtteil Harburg Altstadt, Hastedtstraße 20

Franziska Horwitz war das zweite Kind ihrer jüdischen Eltern Ferdinand (5.7.1864 -5.10.1933) und Johanna Horwitz, geb. Behrens, (7.3.1859 – 2.2.1919). Zusammen mit ihrem älteren Bruder Willy (*1889) und ihren jüngeren Geschwistern Richard (*1892) und Gertrud (*1895) verbrachte sie eine glückliche Kindheit in der Ackerbürgerstadt Oldenburg in Holstein. Ihre Eltern führten dort zunächst von 1888 – 1893 ein Textil- und Konfektionsgeschäft und von 1893 – 1905 ein Putzgeschäft.

Ferdinand Horwitz, so die Familienüberlieferung nach Historiker Dietrich Mau, habe sich keine bessere Geschäftspartnerin als seine Frau Johanna wünschen können. Als gelernte Hutmacherin sei sie die eigentliche Seele des Geschäfts gewesen. Sie verbrachte mehr Zeit im Geschäft am Marktplatz als in seinem privaten Bereich. Sie garnierte Damenhüte, nähte Röcke und habe ihren Kundinnen stets höchste Aufmerksamkeit geschenkt. Für die Kindererziehung und die Führung des Haushalts konnte sie ihre ältere Schwester Sophie und immer wieder Kinder- und Dienstmädchen gewinnen. Ferdinand Horwitz zog derweil meist mit Pferd und Wagen über die Lande und kümmerte sich um die Kundschaft in den umliegenden Dörfern.

Im Haus habe eine traditionell-jüdische Atmosphäre geherrscht. Am Schabbat blieb das Geschäft geschlossen. Während der Pessachtage kam kein Brot ins Haus, zu Chanukkah wurden die Lichter angezündet, an Jom Kippur fastete die ganze Familie. An hohen Feiertagen, Pessach, Schawwoth, Rosch Haschanah, Jom Kippur und Sukkot, ließen die Eltern die vier Kinder vom Schulunterricht befreien.

Obwohl Ferdinand Horwitz jahrelang damit warb, das "anerkannt größte und billigste Putzatelier am Platz" zu führen, waren seine beruflichen und wirtschaftlichen Perspektiven in der ostholsteinischen Kleinstadt und ihrer ländlichen Umgebung alles andere als rosig. Er hatte Konkurrenten, die ihm mit immer neuen Verkaufsideen in zunehmendem Maße das geschäftliche Leben erschwerten. Im Herbst 1905 verkaufte er sein Wohn- und Geschäftshaus in Oldenburg und zog mit seiner Frau und den Kindern nach Harburg a. d. Elbe.

Hier lebten Verwandte und hier hatte sich das Ehepaar kennen gelernt. Ferdinand Horwitz´ Bruder Bernhard war Inhaber des großen Harburger Warenhauses `Horwitz & Co´ in der Wilstorfer Straße (heute: Lüneburger Straße). Zu seinen Angestellten hatten vorübergehend auch die Putzmacherin Johanna Behrens aus Plau in Mecklenburg und der Handlungsgehilfe Ferdinand Horwitz aus Neustadt in Holstein gehört, die nach einiger Zeit festgestellt hatten, dass sie sich nicht nur bei der Arbeit gut verstanden.

Nachdem die Familie zunächst mehrmals aus unterschiedlichen Gründen ihre Wohnung gewechselt hatte, fand sie schließlich in der Hastedtstraße während der Zeit des Ersten Weltkriegs eine längerfristige Bleibe. An diese Wohnung erinnerte sich vor allem ihr fünftes Kind Kurt Horwitz, der 1906 als `Nachkömmling´ in Harburg zur Welt kam, in späteren Jahren besonders gern.

Nachdem Franziska Horwitz eine Lehre als Putzmacherin absolviert und in dieser Zeit speziell bei der Herstellung von Damenhüten ein ganz besonderes Geschick entwickelt hatte, arbeitete sie eine Zeit lang mit großem Erfolg in einem Harburger Geschäft für Damenhüte. Auch nach Geschäftsschluss konnte sie sich nicht von ihren Hüten trennen, womit sie ihren jüngeren Bruder Kurt immer wieder beeindruckte: "Meine Schwester Fränze war mit ihren `goldenen´ Händen und ihrem guten Geschmack eine wahre Künstlerin in diesem Fach. Nach Beendigung ihrer Tagesarbeit ... saß sie noch am Abend zu Hause - zuweilen ... bis tief in die Nacht hinein - und fertigte Hüte an. In jeder Saison musste man wenigstens einen neuen haben. Für die weiblichen Familienmitglieder, und nicht nur für die engsten Verwandten, sondern auch für alle möglichen Tanten, Kusinen und Freundinnen sorgte sie, und natürlich ohne Bezahlung. Wenn ich sie heute in meiner Erinnerung bei dieser Arbeit sehe, [vergesse ich nie, dass] sie dabei eine besondere Schaffensfreude entwickelte."

In dieser Zeit vor dem Ersten Weltkrieg verliebte sie sich in einen jungen Harburger Nichtjuden, der ihre Liebe nicht weniger innig erwidert haben soll. Als sie bereits Heiratspläne schmiedeten, verbot ihr Vater ihr den weiteren Umgang mit diesem jungen Mann, da er strikt gegen eine Ehe seiner Tochter mit einem Andersgläubigen war. Er bestand darauf, dass sie abends immer rechtzeitig nach Hause kam. Und wenn das einmal nicht der Fall war, sei es zu sehr unerfreulichen Auseinandersetzungen zwischen Vater und Tochter gekommen. Franziskas Verehrer wanderte bald darauf in die USA aus und hielt auch von dort noch jahrelang schriftlichen Kontakt zu ihr, was ihren Kummer stets aufs Neue belebt habe.

Im Ersten Weltkrieg und in den ersten Nachkriegsjahren verließ sie ihr Elternhaus für einige Zeit, um weitere berufliche Erfahrungen in zwei Hutgeschäften in Herford in Westfalen und in Goch am Niederrhein zu sammeln. Hier erreichte sie Anfang Februar 1919 die traurige Nachricht, dass ihre Mutter im Alter von 59 Jahren unerwartet gestorben war. Auf dem Jüdischen Friedhof der Stadt auf dem Schwarzenberg fand sie ihre letzte Ruhe.

Franziska Horwitz kehrte bald darauf vom Niederrhein nach Harburg zurück und übernahm hier zusammen mit ihrer Schwester Gertrud die Weiterführung des Haushalts, was besonders ihrem erst dreizehnjähriger Bruder Kurt sehr gut getan habe, der noch lange unter dem frühen Tod seiner Mutter gelitten habe.

Ferdinand Horwitz starb 14 Jahre nach dem Tod seiner Frau am 5. Oktober 1933 kurz vor seinem 70. Geburtstag und wurde ebenfalls auf dem Jüdischen Friedhof der Stadt beigesetzt.

Das war nicht die einzige familiäre Veränderung in diesem dramatischen Jahr mit seinen politischen Gewittern und ihren unheilvollen Folgen. Noch vor Jahresende verließ Franziskas Bruder Kurt das Land, nachdem er als junger Arzt von der Leitung des Barmbeker Krankenhauses eine Kündigung erhalten hatte. Jahrelang hatte er sich zuvor mit den Ideen des religiösen und politischen Zionismus befasst, und so war es jetzt in gewissem Sinne folgerichtig, dass er, frischvermählt mit seiner Frau Hilde Horwitz, geb. Stein, nach Palästina aufbrach. Hier fanden die beiden Immigranten Aufnahme in einem Kibbuz, in dem vor allem landwirtschaftliches Wissen und Können gefragt waren.

Auch Franziskas Bruder Willy und ihrer Schwester Gertrud gelang später noch die Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland.

Franziska Horwitz blieb zurück. Es gibt nur wenige Informationen darüber, wie es ihr in den letzten Lebensjahren erging. Versuchte sie zu emigrieren? Wenn ja, warum scheiterte dies, wenn nein, warum schreckte sie davor zurück? Diese Fragen lassen sich heute nicht mehr klären.

Feststeht, dass sie in Berlin-Charlottenburg im Februar 1940 Willy David Joseph (*23.3.1892), den verwitweten Inhaber eines jüdischen Schuhgeschäfts aus der Kleinstadt Woldenberg (heute: Dobiegniew) in der Neumark heiratete, der zwei Kinder mit in die Ehe brachte. Er gehörte zu den 19 jüdischen Männern, Frauen und Kindern, die die Zerstörung der kleinen Synagoge dieses Ortes im November 1938 miterlebt hatten. Unmittelbar danach war auch er wie so viele andere Juden in Deutschland verhaftet worden. Nach einem kurzen Aufenthalt im Gefängnis der Stadt war er dann in das KZ Sachsenhausen eingewiesen worden. Nach seiner Rückkehr in die Freiheit schien sich das Blatt für ihn noch einmal zum Guten zu wenden. Doch das private Glück war nur von kurzer Dauer.

Am 1. November 1941 wurden er, Franziska Joseph und die beiden Kinder Manfred Joseph (*3.12.1924) und Gerd Joseph (*15.8.1929) von Berlin ins Getto Lodz deportiert. Hier hausten Tausende auf engstem Raum und litten ständig unter Hunger und Kälte. Als im Herbst 1941 weitere 20.000 Juden aus Luxemburg, Prag und Wien sowie aus dem `Altreich´ hinzukamen, potenzierten sich die Probleme.

Die deutschen Ankömmlinge trafen hier auf Glaubensbrüder und -schwestern, die ihnen völlig fremd waren. Diese Fremden unterhielten sich in einer Sprache, die sie nicht verstanden, und waren in der Regel im orthodoxen Judentum verwurzelt. Die Häuser waren verfallen, die Straßen verschmutzt und die Menschen schäbig gekleidet. In den Straßen häuften sich die Abfälle, und überall stank es entsetzlich. So berichten später Überlebende.

Am Mittwoch, d. 29. April 1942, wurden im Getto Lodz Plakate ausgehängt, die die `Aussiedlung´ aller `arbeitslosen´ deutschen Juden ankündigten. Die Reaktionen unter den Betroffenen waren unterschiedlich. Während die einen glaubten, dass es anderswo nicht schlimmer sein könnte als an diesem Ort, war den anderen diese Reise ins Ungewisse nicht geheuer. Viele derjenigen, die nichts Gutes ahnten, wandten sich mit schriftlichen Eingaben an das zuständige `Büro für Eingesiedelte´ in der Gettoverwaltung - darunter auch Willy Joseph. Er bat um Rückstellung und verwies auf seine Auszeichnung mit dem Eisernen Kreuz im Ersten Weltkrieg und seine derzeitige Beschäftigung im Getto als Tagelöhner.

Sein Einspruch wurde zurückgewiesen. Mit seiner Frau Franziska Joseph und seinen Söhnen Manfred und Hans Gerd Joseph gehörte er zu den 1306 Menschen, die am Donnerstag. d. 14. Mai 1942, und am Freitag, d. 15. Mai 1942, die Reise in den Tod antraten. In Kulmhof wurden sie gleich in einen großen Raum geführt, in dem ihnen erklärt wurde, dass sie hier vor der Weiterreise in ein gut ausgestattetes Arbeitslager zunächst duschen müssten. Nachdem sie sich entkleidet hatten, wurden sie durch einen langen Korridor getrieben, an dessen Ende sie in den Laderaum eines Lastwagens mit offenen Türen gelangten. Befanden sich genügend Menschen im diesem dunklen Wagenteil, wurden die Türen verschlossen. Gleichzeitig sprang der Motor dieses umgebauten Lasters an. Durch flexible Leitungen gelangten die Abgase in das Innere des Kastenaufbaus. Die Leichen wurden anschließend in ein abgelegenes Waldgebiet gefahren und dort verscharrt.

Franziska Joseph war 51 Jahre alt, als ihr Leben in dieser Todesfabrik ein qualvolles Ende fand.

Stand: Mai 2020
© Klaus Möller

Quellen: Staatsarchiv Hamburg, 522-1, Jüdische Gemeinden, 992b; Staatsarchiv Hamburg, Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus, bearbeitet von Jürgen Sielemann unter Mitarbeit von Paul Flamme, Hamburg 1995; Gedenkbuch für die Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, Bundesarchiv Koblenz (Hrsg.), Koblenz 2006; Yad Vashem, The Central Database of Shoa Victims´ Names: www.yadvashem.org; Harburger Opfer des Nationalsozialismus, Bezirksamt Harburg (Hrsg.), Harburg 2003; Barbara Günther, Margret Markert, Hans-Joachim Meyer, Klaus Möller, Stolpersteine in Hamburg-Harburg und Hamburg-Wilhelmsburg, Hamburg 2012; Eberhard Kändler/Gil Hüttenmeister, Der jüdische Friedhof Harburg, Hamburg 2004; Harburger Adressbücher; Matthias Heyl, Vielleicht steht die Synagoge noch. Jüdisches Leben in Harburg 1933 – 1945, Norderstedt 2009; Alfred Gottwaldt, Diana Schulle, Die `Judendeportationen´ aus dem Deutschen Reich 1941 – 1945, Wiesbaden 2005; Samuel Krakowski, Das Todeslager Chelmno/Kulmhof. Der Beginn der Endlösung, Göttingen 2007; Die Chronik des Gettos Lodz/Litzmannstadt, Sascha Feuchert, Erwin Leibfried, Jörg Riecke (Hrsg.), Göttingen 2007; Andrea Löw, Juden im Getto Litzmannstadt. Göttingen 2006; Deutsche Jüdinnen und Juden in Ghettos und Lagern (1941 – 1945), Lodz, Chelmno, Minsk, Riga, Auschwitz, Theresienstadt, Beate Meyer (Hrsg.), Hamburg 2017; Dietrich Mau, Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Oldenburg, in: Jahrbuch für Heimatkunde Oldenburg/Ostholstein, 63. Jg, Oldenburg 2020; Haus der Ewigkeit, Rolf Verleger, Nathanja Hüttenmeister (Hrsg.), Kiel 2019; Kurt Horwitz, Erinnerungen, Typoskript (unveröffentlicht), Tel Aviv 1982; http://www.woldenberg- neumark.eu/ Ex/Dobiegniew, eingesehen am 17.10.2017.

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