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Julie Cahn mit Tochter Eva (ohne Datum)
© Privatbesitz Assaf Feuerstein

Julie Cahn (geborene Horwitz) * 1904

Brahmsallee 23 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
JULIE CAHN
GEB. HORWITZ
JG. 1904
EINGEWIESEN 1940
HEILANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
"AKTION T4"

Julie Cahn, geb. Horwitz, geb. am 16.4.1904 in Hamburg, ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Brahmsallee 23 und Bundesstraße 78 (Gymnasium Emilie-Wüstenfeld)

Am 22. April 1904 zeigte der Prokurist Samuel Philip Horwitz im Hamburger Standesamt 3 die Geburt seiner Tochter Julie an. Seine Ehefrau Hedwig Horwitz, geborene Friedheim, hatte Julie am 16. April 1904 geboren. Die Eltern gehörten der Jüdischen Gemeinde an.

Julie lebte die ersten sechs Jahre mit ihren Eltern in der Rentzelstraße 19 im Hamburger Stadtteil Rotherbaum. 1910 zog die Familie in die nahe gelegene Sedanstraße 7 um. Hier hatte sie ihren Wohnsitz bis 1922. Danach bezog sie eine Wohnung in der Oderfelderstraße 13 im wohlsituierten Stadtteil Hamburg-Harvestehude.

Julie Cahn erlebte ihre ersten Schuljahre in der Dr.-Jakob-Löwenberg-Schule in der Johnsallee 33. Zu Ostern 1914 wechselte sie in die Emilie-Wüstenfeld-Schule, die seit 1912 die staatliche Anerkennung als Höhere Lehranstalt (sog. Lyzeum) erhalten hatte. Zu diesem Zeitpunkt war die Schule noch in den Räumen des städtischen Central-Hotels an der Rentzelstraße 72/Ecke Lagerstraße untergebracht. Nach sieben Jahren, zu Ostern 1921, wurde Julie Cahn aus der Schule entlassen, die sie "mit Erfolg absolviert" hatte.

Julie Horwitz war noch nicht volljährig, als sie am 16. Oktober 1923 den etwa vier Jahre älteren, ebenfalls jüdischen Kaufmann Victor Cahn heiratete. Sie zog zu ihrem Ehemann nach Berlin, der in der dortigen Eisenbahnstraße 29 seinen Wohnsitz hatte. Das Ehepaar Cahn bekam drei Töchter, Eva, geboren am 4. Juli 1925 wahrscheinlich in Hamburg, Hanna, geboren am 8. September 1926 in Berlin, und Suse, geboren am 31. Juli 1928 ebenfalls in Berlin. Am 28. Mai 1930 wurde die Ehe geschieden. Victor Cahn ging noch im selben Jahr eine neue Ehe ein.

Wir wissen nicht, wann Julie Cahn mit ihren drei Töchtern nach Hamburg zurückkehrte. Sie muss aber spätestens 1937 wieder in Hamburg gelebt haben, denn im Hamburger Adressbuch von 1938 ist sie mit der Adresse Brahmsallee 23 im Stadtteil Harvestehude eingetragen. Hier bewohnte sie eine Kellerwohnung.

Für ihre Töchter hatte Julie Cahn nach der Scheidung die Vormundschaft zugesprochen bekommen. Sie war aber nicht in der Lage, für ihre Kinder zu sorgen. Das zeigt ein Schreiben des Jugendamtes des "Jüdischen Religionsverbandes" vom 5. August 1938, nach dem Julie Cahn einen Monat vorher "in Berlin anscheinend wegen Geistesschwäche aufgegriffen" worden war. Die Mädchen waren zu dieser Zeit auf öffentliche Kosten im Mädchenwaisenhaus "Paulinenstift", Laufgraben 37, im Stadtteil Rotherbaum, untergebracht. Zurück in Hamburg wurde Julie Cahn am 11. August 1938 in das Versorgungsheim Hamburg–Farmsen eingewiesen. Sie verließ jedoch das Versorgungsheim ohne Papiere, irrte in Hamburg umher und kam ab 20. September 1938 in die Psychiatrische und Nervenklinik der Hansischen Universität in Friedrichsberg. Hier wurde diagnostiziert, dass Julie Cahn unter einer schweren Depression litt. Sie galt als "geistig gebrechlich" und wurde am 10. November 1938 in die Staatskrankenanstalt Langenhorn verlegt. Wir wissen nicht, wie es ihr dort erging. Ihre Patientenakte existiert nicht mehr. Julie Cahn, die bei ihrer Aufnahme in Langenhorn 34 Jahre alt war, blieb bis zum September 1940 in der Anstalt.

Mit der nicht nur vorübergehenden Aufnahme Julie Cahns in Langenhorn stand außer Zweifel, dass sie nicht mehr für ihre Töchter würde sorgen können. Ein Onkel von Julie, Alfred Horwitz, vermutlich ein Bruder ihres Vaters, der in Malmö/Schweden lebte, war bereit, die Kinder bei sich aufzunehmen. Daraufhin verließen Eva, Hanna und Suse Cahn am 10. Januar 1939 Deutschland und reisten nach Schweden.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in staatlichen sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen. Nachdem alle jüdischen Patienten aus den norddeutschen Anstalten in Langenhorn eingetroffen waren, wurden sie gemeinsam mit den dort bereits länger lebenden jüdischen Patienten am 23. September 1940 in einem Transport von insgesamt 136 Menschen nach Brandenburg an der Havel gebracht. Noch am selben Tag wurden sie in dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses mit Kohlenmonoxyd getötet. Nur eine Patientin, Ilse Herta Zachmann, entkam diesem Schicksal zunächst (siehe dort).

Wir wissen nicht, ob und ggf. wann Julie Cahns Angehörige Kenntnis von ihrem Tod erhielten. In allen dokumentierten Sterbemitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm oder Cholm verstorben sei. Zudem wurden spätere Sterbedaten als die tatsächlichen angegeben. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch), einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es in Chelm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung falscher Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Julie Cahns Tochter Eva Foiershtein hinterlegte 1988 bei Yad Vashem ein Zeugenblatt (page of testimony), in dem sie den Mord an ihrer Mutter festhielt. An Julie Cahn erinnert ein Stolperstein in Hamburg-Harvestehude, Brahmsallee 23.

Im Eingangsbereich des Emilie-Wüstenfeld Gymnasiums in der Bundesstaße 78 erinnern mehrere Stolpersteine an frühere Schülerinnen der Emilie-Wüstenfeld Schule, denen durch die nationalsozialistische Verfolgung das Leben genommen wurde. Sie alle besuchten das 1923 bezogene Schulgebäude an der Bundesstraße oder – wie Julie Cahn – ihre Vorläufereinrichtung an der Rentzelstraße 72/Ecke Lagerstraße.

Stand: August 2023
© Ingo Wille

Quellen: 1; 4; 5; 8; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 232-5 Amtsgericht Hamburg – Vormundschaftswesen 191 Julie Cahn/Victor Cahn; 332-5 Standesämter 14185 Geburtsregister Nr. 1034/1904 Julie Horwitz, 8780 Heiratsregister Nr. 602/1923 Julie Horwitz; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26.8.1939 bis 27.1.1941,362-2/5 Emilie-Wüstenfeld Gymasium (1867-1997) E I 3 Band 2 Matrikelbuch von Oktober 1909-Ostern 1916.UKE/IGEM, Archiv, Patienten-Karteikarte Julie Cahn der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg; Stadtarchiv Leipzig, Geburtsregister Standesamt Leipzig I, Nr. 4876/1899 Victor Cahn. Jasser, Wolfgang, hrsg. Emilie-Wüstenfeld Gymnasium, Emilie Wüstenfeld – eine kleine Schulgeschichte (ohne Datum).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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