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Herbert John Cohen * 1900

Bogenstraße 19 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)


HIER WOHNTE
HERBERT JOHN
COHEN
JG. 1900
FLUCHT 1939 BELGIEN
INTERNIERT DRANCY
DEPORTIERT 1942
AUSCHWITZ
ERMORDET

Herbert John Cohen, geb. am 22.12.1900 in Altona, über Belgien nach Frankreich emigriert, aus dem Durchgangslager Drancy am 10.8.1942 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet

Bogenstraße 19

"Die Neue Kleidung" hieß das Herrenkonfektionsgeschäft, das Herbert John Cohen 1932 in der Hamburger Straße in Barmbek eröffnete. Dabei war er promovierter Staatswissenschaftler. Nach der Volksschule und dem Abschluss des Gymnasiums in Hamburg hatte der Sohn des Kaufmanns John Joseph Cohen und dessen Frau Jenny, geborene Burg, in München, Detmold, Hamburg und Erlangen studiert. Schon seine erste Anstellung fand er aber um 1927 in einer Herrenkonfektionsfirma, als Syndikus bei AWB in Breslau. 1930 wechselte er in gleicher Position nach Berlin zu Schoenlank. Dort blieb er nicht lange, denn im Oktober desselben Jahres trat er in das väterliche Geschäft in Hamburg ein. John Joseph Cohen hatte 1904 das Geschäft "Ph. Daltrop Nachf. Herren- und Knabengarderoben" am Billhorner Röhrendamm 100 übernommen, das er zunächst gemeinsam mit Max Hirschberg aus Berlin, ab 1917 dann allein führte. Als sein Sohn Herbert dazu kam, war er 62 Jahre alt, so dass er auf diese Weise wohl die Nachfolge regelte. Das Ehepaar Cohen hatte auch eine Tochter, Alice, geboren am 4.10.1897. Über ihre Berufstätigkeit ist nichts bekannt; offensichtlich kam sie als Nachfolgerin nicht in Betracht.

Herbert Cohen übernahm nach kurzer Einarbeitung 1931 die Ph.-Daltrop-Filiale in der Hamburger Straße. Zu der Zeit herrschte aber bereits eine weltweite Wirtschaftskrise, von der auch John Joseph Cohens Unternehmen betroffen war. Im April 1932 meldete er erstmals ein gerichtliches Vergleichsverfahren zur Abwendung des Firmenkonkurses an, in dessen Folge die Filiale in der Hamburger Straße wieder geschlossen wurde. Gleichwohl versuchte Herbert Cohen weiter sein Glück und eröffnete in gleicher Lage ein eigenes Geschäft. Im Jahr darauf, nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten, kam es jedoch zu ersten Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäftsinhaber, von denen auch sein Vater und er betroffen waren. 1934 meldete John Joseph Cohen für seine Firma endgültig Konkurs an, Herbert Cohen schloss sein Geschäft im selben Jahr. Von nun an lebten beide in ärmlichen Verhältnissen, worunter auch ihre Familien zu leiden hatten.

Herbert Cohen war zu jener Zeit zum zweiten Mal verheiratet. Im September 1921 hatte er seine erste Frau Else, geborene Giesenow, geheiratet. Die gemeinsame Tochter Lieselotte Hannelore war bereits am 26.11.1920 in Warnemünde zur Welt gekommen und wurde durch die Eheschließung legitimiert. Anderthalb Jahre später ließen sich Herbert und Else Cohen scheiden. Else heiratete Ende 1929 erneut und lebte gemeinsam mit ihrem zweiten Mann, dem Tanzlehrer und Bühnenmanager Philipp Wiener, und Lieselotte in Hamburg. Lieselotte besuchte die Jahn-Schule und begann nach dem Volksschulabschluss 1935 eine Lehre als Weißnäherin, die sie aber rund zwei Monate später abbrach, weil ihr diese Arbeit nicht lag. Lieber wollte sie Sportlehrerin werden.

Herbert Cohen wiederum heiratete 1928 in Breslau ein zweites Mal: die knapp fünf Jahre jüngere Edith Gundelfinger aus Ichenhausen bei Stuttgart. Beide bekamen zusammen zwei Kinder: Am 31.1.1931 wurde Hanns Peter in Hamburg geboren, sechs Jahre später, am 23.5.1937, seine Schwester Eva Irene. In jenem Jahr arbeitete Herbert Cohen noch gegen geringe Bezahlung als Mitgliedswerber beim Jüdischen Hilfswerk, doch auch diese Tätigkeit musste er im November 1938 aufgeben. Danach versuchte er seine zweite Familie mit dem Verpfänden und Verkaufen von Wert- und Haushaltsgegenständen über Wasser zu halten. Sein Vater, John Joseph Cohen, war pflegebedürftig geworden und bereits im Oktober 1938 gestorben. Die Mutter, Jenny Cohen, lebte völlig verarmt in einem möblierten Zimmer mit Ofenheizung. Sie hatte keine Rentenansprüche, auch ihre Kinder konnten sie nicht mehr unterstützen. Dank der Jüdischen Gemeinde bekam sie zumindest ein tägliches Mittagessen. Unterhaltszahlungen für seine Tochter aus erster Ehe hatte Herbert Cohen lediglich bis 1934 geleistet, und auch das nur mit Unterbrechungen. 1936 war der Kontakt zwischen ihm und Lieselotte ganz abgebrochen. In jenem Jahr hatte die mittlerweile 15-Jährige zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater nach Kolumbien emigrieren und so dem NS-Terror entkommen können.

Nach dem Novemberpogrom 1938 versuchten auch Herbert und Edith Cohen zusammen mit ihren Kindern Deutschland zu verlassen. Ihr Ziel war Brasilien. Edith Cohen besaß aus der Zwangsversteigerung eines väterlichen Grundstücks in München eine größere Geldsumme. Brasilien hatte jedoch bereits im Juli 1937 seine Einwanderungsbestimmungen drastisch verschärft und eine generelle Visasperre verhängt, so dass es der Familie Cohen offenbar auch mit diesem Betrag nicht mehr gelang, Visa zu bekommen. Verzweifelt suchten Herbert und Edith Cohen ein neues Land, das die Familie aufnehmen würde. Anfang 1940 schrieb die Hamburger Beratungsstelle der Reichsvereinigung für Juden in Deutschland, Abteilung Wanderung, an die Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten, dass Herbert Cohen im Oktober 1939 aus Hamburg abgereist sei, um über die Vereinigten Staaten nach Panama auszuwandern, und sich dazu vorläufig noch in Belgien aufhalte. Nach der Besetzung Belgiens durch die deutsche Wehrmacht im Mai 1940 war die Familie jedoch auch dort Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt. Gleich am ersten Tag der deutschen Invasion, am 10. Mai 1940, verhaftete die belgische Polizei alle auffindbaren männlichen Flüchtlinge aus dem Gebiet des Deutschen Reiches und brachte sie unter dem Generalverdacht, feindliche Spione zu sein – eine "fünfte Kolonne" Hitlers –, in Viehwaggons in das Internierungslager Saint-Cyprien in Südfrankreich. Dabei handelte es sich bei den meisten von ihnen um entschiedene NS-Gegner. Der Transport von Brüssel oder Antwerpen ins Lager dauerte 18 Tage, zu den Festgenommenen gehörte Herbert Cohen. Als Saint-Cyprien Ende Oktober 1940 aufgelöst wurde, brachte man ihn zusammen mit rund 3.800 weiteren Internierten – überwiegend deutsche Jüdinnen und Juden – ins französische Sammellager Gurs. Von dort kam er am 6. August 1942 in das Sammel- und Konzentrationslager Drancy bei Paris. Vier Tage später wurde er zusammen mit rund 1.000 anderen Jüdinnen und Juden nach Auschwitz "ausgewiesen". Rund 700 von ihnen wurden sofort nach der Ankunft ermordet, darunter auch Herbert Cohen.

Seiner Frau und den beiden kleinen Kindern gelang die Flucht, sie konnten in die USA emigrieren. Edith Cohen heiratete dort erneut und nahm den Namen ihres zweiten Mannes, Mannsbach, an. 1970 hinterlegte sie ein Gedenkblatt für Herbert Cohen in Yad Vashem. Sie starb am 2. Juli 1995 im Alter von 90 Jahren in Los Angeles. Der Sohn Hanns Peter nannte sich in den USA John Peter, seine Schwester Eva Irene änderte ihren Vornamen in Eveline. Sie heiratete zweimal und trägt heute den Nachnamen Leisner. Bis zu ihrer Pensionierung arbeitete sie als Französischlehrerin.

Herbert Cohens Mutter Jenny war in Deutschland geblieben. Sie starb am 22. August 1940 in Hamburg.
Herberts drei Jahre ältere Schwester Alice war seit 1919 mit Rudolf Mehrgut verheiratet. Sie konnte im Februar 1939 mit ihrer Tochter Ruth Ingeborg und deren bester Freundin Eva Stein (s. die Biographie Clementine und Mathias Stein) nach Großbritannien flüchten. Alle drei hatten ein Dienstbotenvisum erhalten. Ihr Sohn Heinz Sigurd hatte England schon im November 1938 mit einem Kindertransport erreicht, Alices Ehemann sollte nachkommen. Er blieb jedoch in Hamburg und starb am 16. Dezember 1941 im Alters- und Pflegeheim des Jüdischen Religionsverbandes Hamburg in der Grünestraße 5 in Altona.

Stand: Januar 2018
© Frauke Steinhäuser

Quellen: 1; 2; 5; 8, 9; StaH 314-15 FVg 8089; StaH 332-5, 13461 u. 3609/1900; StaH 332-5, 5426 u. 1281/1941; StaH 351-11 AfW 23785; StaH 351-11 AfW 1401; StaH 351-11 AfW 44206; 522-1 390 Wählerliste jüd. Gemeinden; California Department of Health Services, Vital Tatistics Section: California, Death Index 1940–1997, URL: https://familysearch.org/pal:/MM9.1.1/VP2Z-SGL (Zugriff 20.12.2012); Auskunft Dr. Diana Schulle v. 26.10.2012; Michael Philipp, Gurs; Les arrestations du 10 Mai 1940, URL: Jewish Traces, Mémoire et histoire des réfugiés juifs pendant la Shoah, http://jewishtraces.org/10-mai-1940 (Zugriff 20.12.2012); E-Mail-Korrespondenz Sabine Brunotte mit dem Großneffen Herbert John Cohens, 2017.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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