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Karl-Heinz Cordes
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Karl-Heinz Cordes * 1934

Schrammsweg 8 (Hamburg-Nord, Eppendorf)


HIER WOHNTE
KARL-HEINZ
CORDES
JG. 1934
EINGEWIESEN 1940
ALSTERDORF ANSTALTEN
"VERLEGT" 1943
HEILANSTALT MAINKOFEN
ERMORDET 5.2.1945

Karl-Heinz Cordes, geb. am 7.7.1934 in Hamburg, aufgenommen in den damaligen Alsterdorfer Anstalten am 16.12.1940, "verlegt" in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" am 11.8.1943, gestorben am 5.2.1945

Schrammsweg 8 (Eppendorf)

Karl-Heinz Cordes, der am 7.7.1934 in Hamburg zur Welt kam, war das zweite von drei Kindern des Elektrikers Leonhard Karl Christian Cordes, geb. am 3.2.1905, und seiner Ehefrau Herta Louise, geb. Weidner, geb. am 3.5.1907. Das Ehepaar hatte 1929 geheiratet. Zu der Familie gehörten die Töchter Edith, geb. am 12.11.1929, und Inge, geb. am 14.6.1940, beide geboren in Hamburg.

Als Karl-Heinz in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) im Dezember 1940 aufgenommen wurde, berichtete seine Mutter, er habe mit eineinhalb Jahren selbstständig laufen können. Karl-Heinz‘ körperliche Entwicklung entsprach bei seiner Aufnahme in Alsterdorf laut Patientenakte seinem Alter von sechs Jahren, er konnte jedoch nicht sprechen, nicht allein essen und sich auch nicht allein an- bzw. ausziehen.

Vor seinem Aufenthalt in den Alsterdorfer Anstalten hatte Karl-Heinz Cordes in der diakonischen Einrichtung Kastanienhof der Stiftung Anscharhöhe in Eppendorf gelebt. Es ist nicht übermittelt, wann er von dort zu seiner Familie in den Schrammsweg 8 in Eppendorf zurückkehrte. Er blieb nicht lange. Seine Mutter, die Mitte August 1940 die Aufnahme ihres "an Geisteskrankheit" leidenden Sohnes in die "geschützte Fürsorge" der Alsterdorfer Anstalten beantragt hatte, erneuerte ihr Gesuch am 10. Oktober 1940. Sie schrieb: "Mein Mann ist im Felde und so bin ich gezwungen, am Tage beruflich tätig zu sein bzw. meines Mannes Stellung als Hauswart einschl. der Heizung zu übernehmen. Ich habe hierbei noch eine unselbständige Tochter im Alter von 10 Jahren und ein Kleinkind von 4 Monaten zu versorgen. Wir wohnen in einer ziemlich ungeschützten Dachwohnung und müssen […] bei Luftalarm ins Nachbarhaus. Es ist mir unmöglich bei Luftalarm ein vollständig hilfloses und 2 hilfsbedürftige Kinder in der erforderlichen Eile sicher zu stellen. Ich bitte nochmals ebenso höflich wie dringend, mir endlich ernstliche Hilfe zu gewähren und zwar möglichst umgehend ehe ich selbst darüber zusammenbreche." Der Notruf hatte Erfolg. Karl-Heinz Cordes wurde am 16. Dezember 1940 in den Alsterdorfer Anstalten aufgenommen.

Über Karl-Heinz Cordes‘ Krankheitsverlauf finden sich in seiner Alsterdorfer Patientenakte nur wenige Eintragungen von einer dreiviertel Seite. Er habe gefüttert und mit sehr weitgehender Unterstützung an- und ausgekleidet sowie gewaschen werden müssen sowie unartikulierte Laute von sich gegeben. Vereiterte Mandeln und die Erkrankung an Windpocken waren ebenso vermerkt wie am 11. August 1943: "Wegen schwerer Beschädigung der Anstalten durch Fliegerangriff verlegt nach Mainkofen. Gez. Dr. Kreyenberg."

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg im Sommer 1943 ("Operation Gomorrha") erlitten auch die damaligen Alsterdorfer Anstalten in der Nacht vom 29./30. Juli 1943 und dann noch einmal vom 3./4. August 1943 Schäden. Der Anstaltsleiter, Pastor Friedrich Lensch, bat die Gesundheitsbehörde um Zustimmung zur Verlegung von 750 Patientinnen und Patienten, angeblich um Platz für Verwundete und Bombengeschädigte zu schaffen. Mit drei Transporten zwischen dem 7. und dem 16. August wurden insgesamt 468 Mädchen und Frauen, Jungen und Männer in die "Landesheilanstalt Eichberg", in den Kalmenhof bei Idstein im Rheingau, in die "Wagner- von Jauregg- Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" ("Am Steinhof") und in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" verlegt.

Karl-Heinz Cordes wurde am 11. August 1943 zusammen mit 112 anderen Männern, Jugendlichen und Kindern nach Mainkofen in der Nähe von Deggendorf in Bayern abtransportiert. Seine Mutter erfuhr am 15. August 1943 von der "Verlegung", anscheinend als sie oder Karl-Heinz‘ Großmutter ihn in Alsterdorf besuchen wollten. Anstelle von Herta Cordes, die offenbar schwanger war, richtete "Oma Cordes", wie sie sich selbst nannte, am 16. August folgendes Schreiben an die Alsterdorfer Anstalten:
"An die Pflegerin von Karlheinz Cordes.
[…] Wir haben gestern in Alsterdorf erfahren, dass Karl-Heinz mit anderen Zöglingen verschickt ist. Weil in Hamburg keine Möglichkeit ist, sie ordentlich zu verpflegen. Man muss sich ja damit abfinden. Wir sind alle ungeschädigt, waren aber aus Angst auf 9 Tage fort. Nicht weit, nur bis Pinneberg und sind nun wieder hier. Meine Schwiegertochter findet in der Eppendorfer Frauenklinik Aufnahme, wenn ihre Stunde gekommen ist. Nun möchten wir Sie bitten, uns ein paar Zeilen zukommen zu lassen, ob K.-H. die große Umstellung gut überstanden hat. Es würde eine große Beruhigung auch für meine Schwiegertochter sein."

Am 31. Oktober schickte Karl-Heinz‘ Mutter in Sorge um ihren Sohn ein Päckchen an die Anstalt in Mainkofen und legte das nachstehende Schreiben bei:
"An die Pflegerin!
Ich bitte freundlichst, unserem Karlheinz die Zwiebacke einzuweichen, zu einem Brei, da er das sehr gern isst. Wie Sie wohl schon gemerkt haben, ist K.H. ein sehr schlechter Esser. Ich denke viel daran, in Hamburg konnten wir ja hingehen, und ihm etwas bringen, was ihm mundete. Hoffentlich ist es auch hier erlaubt, die Blechschachteln die beiliegen ist sein liebstes Spielzeug. Sollte er noch sehr unruhig sein, und sie geben ihm eine in [die] Hand, wirkt es oft Wunder. Könnten wir vielleicht auch mal Nachricht bekommen wie es ihm geht? Herzlichen Dank im Voraus." Es ist nicht erkennbar, ob auf eines dieser beiden Schreiben geantwortet wurde.

Die spärlichen Eintragungen in Karl-Heinz‘ Mainkofener Patientenakte deuten nicht darauf hin, dass ihm dort viel Aufmerksamkeit oder gar Zuwendung zuteil wurde. Die umfangreichste Notiz stammt vom August 1943, als der nunmehr neunjährige Junge in Mainkofen eingetroffen war: "Sehr unruhiger Patient. Spricht nichts, gibt nur hin und wieder unartikulierte Schreie von sich. Brummt vor sich hin. Hat eine Vorliebe für alles Bewegliche."

Erst im Januar 1945 folgte wieder ein Eintrag: "Keine Änderung im Verhalten. Muss gefüttert werden, kann nur Breikost essen. Körperlich verfällt er immer mehr." Und schließlich am 5. Februar 1945: "Pat. [ient] ist heute um 12.30 an Herzmuskelerkrankung gestorben."

Karl-Heinz Cordes wurde zehn Jahre alt.
Die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen", in die Karl-Heinz Cordes "verlegt" worden war, gehörte zu jenen Einrichtungen, in denen der Tod der Patientinnen und Patienten durch Nahrungsentzug (Hungerkost, fleisch- und fettlose Ernährung, in Mainkofen als "3-b Kost" bezeichnet), pflegerische Vernachlässigung und überdosierte Medikamentengaben vorsätzlich herbeigeführt wurde. Von 1943 bis 1945 starben in Mainkofen 762 Patientinnen und Patienten in den sogenannten Hungerhäusern. Als angebliche Todesursache wurden insbesondere Darmkatarrh, Tbc, Lungenentzündung festgehalten.

Stand: August 2020
© Ingo Wille

Quellen: Adressbuch Hamburg 1943; StaH 332-5 Standesämter 14442 Geburtsregister Nr. 275/1905 (Leonhard Karl Christian Cordes); StaH 332-5 Standesämter 13234 Heiratsregister Nr. 523/1929 (Karl Christian Cordes/Herta Louise Weidner); Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, V 428 (Karl-Heinz Cordes).

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