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Bereits verlegte Stolpersteine


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Rolf Förster * 1940

Marckmannstraße 135 (ehemalige Kinderklinik) (Hamburg-Mitte, Rothenburgsort)


ROLF FÖRSTER
GEB. 15.9.1940
ERMORDET 17.5.1942

Weitere Stolpersteine in Marckmannstraße 135 (ehemalige Kinderklinik):
Andreas Ahlemann, Rita Ahrens, Ursula Bade, Hermann Beekhuis, Ute Conrad, Helga Deede, Jürgen Dobbert, Anneliese Drost, Siegfried Findelkind, Volker Grimm, Antje Hinrichs, Lisa Huesmann, Gundula Johns, Peter Löding, Angela Lucassen, Elfriede Maaker, Renate Müller, Werner Nohr, Harald Noll, Agnes Petersen, Renate Pöhls, Gebhard Pribbernow, Hannelore Scholz, Doris Schreiber, Ilse Angelika Schultz, Dagmar Schulz, Magdalene Schütte, Gretel Schwieger, Brunhild Stobbe, Hans Tammling, Peter Timm, Heinz Weidenhausen, Renate Wilken, Horst Willhöft

Kinderkrankenhaus Rothenburgsort

Im früheren Kinderkrankenhaus Rothenburgsort setzten die Nationalsozialisten ihr "Euthanasie-Programm" seit Anfang der 1940er Jahre um.
33 Namen hat Hildegard Thevs recherchieren können.

Eine Tafel am Gebäude erinnert seit 1999 an die mehr als 50 ermordeten Babys und Kinder:

In diesem Gebäude
wurden zwischen 1941 und 1945
mehr als 50 behinderte Kinder getötet.
Ein Gutachterausschuss stufte sie
als "unwertes Leben" ein und wies sie
zur Tötung in Kinderfachabteilungen ein.
Die Hamburger Gesundheitsverwaltung
war daran beteiligt.
Hamburger Amtsärzte überwachten
die Einweisung und Tötung der Kinder.
Ärzte des Kinderkrankenhauses
führten sie durch.
Keiner der Beteiligten
wurde dafür gerichtlich belangt.



Weitere Informationen im Internet unter:

35 Stolpersteine für Rothenburgsort – Hamburger Abendblatt 10.10.2009

Stolpersteine für ermordete Kinder – ND 10.10.2009

Stolpersteine gegen das Vergessen – Pressestelle des Senats 09.10.2009

Die toten Kinder von Rothenburgsort – Nordelbien.de 09.10.2009

35 Stolpersteine verlegt – Hamburg 1 mit Video 09.10.2009


Wikipedia - Institut für Hygiene und Umwelt

Gedenken an mehr als 50 ermordete Kinder - Die Welt 10.11.1999

Euthanasie-Opfer der Nazis - Beitrag NDR Fernsehen 29.05.2010

Hitler und das "lebensunwerte Leben" - Andreas Schlebach NDR 24.08.2009
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Rolf Förster, geb. 15.9.1940 in Hamburg, ermordet am 17.5.1942

Rolf Förster kam als das fünfte Kind der Eheleute Förster zur Welt, seine älteste Schwester war zu diesem Zeitpunkt bereits zwölf Jahre alt. Die Eltern stammten aus Dresden, wohnten auf der Veddel und gehörten der evangelisch-lutherischen Kirche an. Sie ließen ihren Sohn Rolf taufen.

Der Vater, Kurt Förster, schilderte gegenüber dem Ermittlungsrichter am 6. April 1948, wie sein Sohn in das Kinderkrankenhaus Rothenburgsort gekommen war: "Rolf war bei Dr. Nielsen privat in Behandlung, der auch die Entbindung vorgenommen hat. Ich nehme an, dass Dr. Nielsen dem Gesundheitsamt Mitteilung über den Zustand von Rolf gemacht hat. Wer vom Gesundheitsamt in meiner Abwesenheit in meiner Wohnung gewesen ist, weiß ich nicht. Ich nehme an, dass es sich um einen Sachbearbeiter und nicht um einen Arzt gehandelt hat. Wir wurden dann auf das Gesundheitsamt Uhlenhorst/Graumannsweg bestellt. Wir gingen ohne das Kind hin. Dort wurde ein eingehender Fragebogen über das Kind und über uns Eltern aufgenommen. Später bekamen wir den Bescheid, dass wir Rolf in das Kinderkrankenhaus Rothenburgsort einliefern sollten."

Rolfs Kopfumfang betrug bei seiner Geburt bereits 42 cm und nahm in den folgenden Wochen zu, so dass er 55 cm erreicht hatte, als er in die Kinderklinik eingewiesen wurde. Er konnte sich kaum aufrichten, weil der Kopf zu schwer war.

Da das Kinderkrankenhaus Rothenburgsort zu dem Zeitpunkt überfüllt war, brachten die Eltern ihren Sohn in die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn, wo er am 27. Oktober 1941 in der "Kinderfachabteilung" aufgenommen wurde. Er "reagierte auf das Weggehen der Eltern mit einem furchtbaren Gebrüll und ließ sich lange nicht beruhigen", notierte der Leiter der Abteilung, Friedrich Knigge, und weiter: Er "ist in seiner Affektivität ansprechbar und lebhaft, hat den deutlichen Drang, sich durch Gesten und mimische Äußerungen verständlich zu machen, und versucht auch immer wieder zu sprechen. Er ist sehr empfindlich, reagiert auf Berührungs- und Schmerzreize, möchte auf den Arm genommen werden."

Als der Vater den Eindruck hatte, dass Rolfs Kopf stark wuchs, hatte er Knigge nach Heilungsmöglichkeiten und Zukunftsaussichten gefragt. Der Arzt habe ihn auf die Notwendigkeit einer weiteren Beobachtung verwiesen, von einer Behandlung sei keine Rede gewesen. Demgegenüber hielt Knigge in der Krankenakte fest, "beide Eltern sind mit jeder Behandlung, die dem Kind nützen könnte, einverstanden". Offenbar verstanden die Eltern unter einer ihrem Kind nützenden Behandlung aber etwas anderes als der Arzt.

Als es Rolf deutlich schlechter ging, vermutete sein Vater, dass Knigge eine Behandlung vorgenommen habe, die fehlgeschlagen sei. Rolf bekam eine Erkältung mit Fieberschüben bis über 40 Grad, sein Kopfumfang war weiter gewachsen.

Was die Eltern nicht wussten: Bereits am 13. Januar 1942 hatte Knigge Rücksprache mit Bayer wegen Rolfs Verlegung in seine Klinik genommen, am 30. März 1942 brachte ihn eine Krankenschwester nach Rothenburgsort und informierte anschließend Rolfs Mutter zu Hause über die Verlegung, für die sie keine Gründe anzugeben vermochte.

Am 6. Februar 1948 schilderte die Stationsschwester Sophie Pertzel ihre Erinnerungen an Rolf: "Wir hatten einen ca. 2-jährigen Jungen mit einem Wasserkopf liegen. Dieses Kind war sehr niedlich und insbesondere die Schwester Gertrud Krohn hing sehr an diesem Kind. … Es wurde seines Kopfes wegen mit Kosenamen von uns Schwestern immer ,Dutt‘ genannt. … Als ich eines Morgens zum Dienst kam, fand ich Rolf Förster bewusstlos liegend vor. Die Nachtschwester sagte mir, dass Dr. Knigge sich am Abend vorher wieder ein Kind zum Sprit­zen geholt habe. Als die Schwester Gertrud Krohn morgens zum Dienst kam und das Kind bewusstlos liegen sah, weinte sie sehr. Dr. Knigge kam dann am Vormittag zur Visite und fragte, wo die Schwester Krohn sei. Ich musste sie holen, und sie kam völlig verweint an. Dr. Knigge nahm sie ins Untersuchungszimmer und hatte dort mit ihr eine Unterredung. Als sie zurückkam, erzählte sie mir, Dr. Knigge habe ihr gesagt, den Kindern passiere nichts, sie solle sich keine Sorge machen. Ich wusste aus der vorher stattgefundenen Unterredung mit Dr. Knigge über den Fall Agnes [Petersen], dass die Äußerung von Dr. Knigge unwahr war. Das Kind Rolf überstand die Spritze, wachte auf und erholte sich und wir waren froh, dass wir das Kind über den Berg hatten. Eines Tages sagte Dr. Knigge, dass er das Kind doch nach Rothenburgsort verlegen wolle. Die Schwester Gertrud Krohn weinte sehr und wollte das Kind nicht hergeben. Ihr Sträuben half nichts. Sie erzählte mir, dass Rolf Förster in Rothenburgsort gestorben sei, und ich weiß, dass die Schwester Gertrud Krohn das Grab des Kindes auf dem Friedhof in Ohlsdorf aufgesucht hat."

Im Kinderkrankenhaus Rothenburgsort erhielt Rolf Förster nur noch Besuch von seinem Vater, damit seiner wieder hochschwangeren Mutter "sein Anblick erspart bliebe". Am 4. April 1942 brachte Frau Förster eine Tochter zur Welt. Ohne dass die Eltern eine Einwilligung zu einer Behandlung erteilt hätten, wie sie sagten, erhielt Rolf von der Stationsärztin Lotte Albers die Luminal-Spritze, wobei sie sich ausnahmsweise nicht assistieren ließ. Rolf verstarb am Vormittag des 17. Mai 1942. Dem Vater fiel auf, dass auf dem Totenschein als Todesursache "Hydrocephalus und Lähmung des Atemzentrums" stand, was er nicht miteinander in Verbindung bringen konnte. Er zeigte den Tod am folgenden Tage dem Standesamt an. Rolf Förster war eineinhalb Jahre alt geworden.

© Hildegard Thevs

Quellen: StaH 213-12 Staatsanwaltschaft Landgericht – NSG, 0017/001; 332-5 Standesämter, 1156+299/1942; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Abl. 2000/01, 61.

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