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Helene Fischer (geborene Böttcher) * 1888

Kohlhöfen 18 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
HELENE FISCHER
JG. 1888
EINGEWIESEN 1941
VERSORGUNGSHEIM FARMSEN
"VERLEGT" 25.3.1941
HEILANSTALT
MESERITZ-OBRAWALDE
ERMORDET 5.3.1943

Helene Auguste Therese Fischer, geb. Böttcher, geb. am 28.1.1888 in Cottbus, verlegt am 25.3.1941 aus dem Versorgungsheim Farmsen in die Tötungsanstalt Meseritz-Obrawalde, ermordet am 5.3.1943

Kohlhöfen 18

Helene Fischer war am 28. Januar 1888 in der Zimmerstraße 19a im brandenburgischen Cottbus zur Welt gekommen. Ihre Mutter, die Arbeiterin Auguste Böttcher, war bei der Geburt ihrer Tochter unverheiratet, später hieß sie Thomala. Helene besuchte die Volksschule bis zur 1. Klasse (entspricht der heutigen achten) und arbeitete anschließend als Hausangestellte. Während des Ersten Weltkrieges kam sie nach Hamburg und heiratete am 9. Januar 1918 in Altona den Matrosen Paul Johannes Fischer (geb. 3.6.1896 in Danzig). Beide wohnten damals im Stadtteil St. Pauli in der Jägerstraße 15, später in der Straße Kohlhöfen 18. Paul Fischer gab die Seefahrt auf und arbeitete als Glas- und Gebäudereiniger. Nach eigenen Angaben trennte sich Helene 1929 von ihrem Ehemann "weil er getrunken hat". Sie zog als Untermieterin "auf Zimmer".

Am 3. Januar 1931 wurde Helene Fischer in das Altonaer Krankenhaus eingewiesen. Dort diagnostizierten die Ärzte eine progressive Paralyse, die Spätfolgen einer unbehandelten Infektion mit Syphilis. Am 16. Januar 1931 wurde Helene Fischer "zeitlich und örtlich völlig desorientiert" in die Heil- und Pflegeanstalt Neustadt/Holstein verlegt. Die erhoffte Besserung ihrer Demenzerkrankung nach einer damals üblichen Malariakur blieb aus. "Psychisch ohne wesentliche Veränderung, ist recht dement [...] ohne große Einsicht u. Verständnis für ihre Lage" wurde nach Abschluss der Therapie in ihrer Krankenakte vermerkt. Helene Fischer verhielt sich ruhig, "half fleißig auf ihrer Abteilung" und machte sich um ihre Zukunft keine Gedanken, wie aus der Akte zu entnehmen ist, "will gar nicht wieder fort, hier habe sie ja Essen u. Trinken, gute Pflege, da brauche sie sich um nichts kümmern".

Auch eine Salvarsanbehandlung (Salvarsan, eine organische Arsenverbindung, war eines der ersten antimikrobiellen Arzneimittel gegen Infektionskrankheiten) im März 1931 bewirkte keine Verbesserung ihres Krankheitsbildes. Am 2. Juni 1931 wurde Helene Fischer ins Pflegeheim Eichenkamp in Pinneberg-Thesdorf verlegt, am 24. Februar 1933 kam sie von dort in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg in Hamburg-Eilbek.

Bei der Aufnahmebesprechung gefragt, ob sie in der Anstalt bleiben wolle, antwortete sie: "Muss ich wohl, wo soll ich denn sonst hin". Dies wurde als Kritiklosigkeit und Unbekümmertheit gewertet.

Helene Fischer arbeitete auch in Friedrichsberg im Anstaltsbetrieb und in der Nähstube mit. Am 8. Mai 1934 beantragte die Zivilkammer III beim Landgericht Hamburg ein Fachärztliches Gutachten, ob sie ihre Angelegenheit in dem von ihrem Ehemann angestrebten Scheidungsprozess vertreten könne, oder ein Vormund für sie bestellt werden müsse.

Der begutachtende Arzt stützte sich auf die Krankengeschichte des Altonaer Krankenhauses, der Heil- und Pflegeanstalt Neustadt und der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg.

Auf die Frage, ob sie mit der Scheidung einverstanden sei, antwortete sie "Gott sei Dank! Lass ihn man laufen. Dann lebt er noch, ich dachte er wäre tot [...]." (Bei ihrer Aufnahme in Friedrichsberg hatte sie angegeben, dass ihr Mann verstorben sei). Weitere Fragen zur zeitlichen und örtlichen Orientierung führten in dem Gutachten zu folgender Beurteilung: "Die Beklagte ist geisteskrank, Besserung ist nicht mehr zu erwarten, die Erkrankung besteht mindestens seit Anfang 1931. Also über 3 Jahre und hat einen solchen Grad erreicht, dass die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben ist und auch jede Aussicht auf Wiederherstellung dieser ausgeschlossen ist."

Für Helene Fischer wurde die Beiordnung eines Pflegers angeordnet. Ob die Ehescheidung tatsächlich erfolgte, ist in der Akte nicht vermerkt, die Vormundschaft wurde am 26. Oktober 1934 aufgehoben.

Am 13. Februar 1935 wurde Helene Fischer im Zuge der Räumung aus der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg in das Versorgungsheim Farmsen verlegt, da der Pflegesatz dort niedriger war. Für die Kosten ihrer Unterbringung kam die Sozialverwaltung auf. Ihr Transport in die Landesheilanstalt Meseritz-Obrawalde erfolgte am 25. März 1941. Die 1904 in der damaligen preußischen Provinz Brandenburg gegründete "Provinzial-Irrenanstalt" Meseritz bei Obrawalde gehörte nach der offiziellen Einstellung der "Aktion T4" im August 1941 zu einer der Tötungsanstalten, in denen im Rahmen des "Euthanasie"-Programms durch Ärzte und Pflegepersonal weiter gezielt getötet wurde.

Die Überlebenschancen hingen von der Arbeitskraft und Unterordnungsbereitschaft der Patientinnen und Patienten ab. Die Tötungen erfolgten durch Verabreichung von Medikamenten, wie Morphium oder Luminal. Helene Fischer starb angeblich am 5. März 1943 an einer "Hirnlähmung". Ihre Beisetzung erfolgte drei Tage später, vermutlich in einem Massengrab auf dem Anstaltsfriedhof.


Stand: September 2019
© Susanne Rosendahl

Quellen: StaH 332-5 Standesämter 3319 u 25/1918; Patientenakte aus der ehemaligen Landesheilanstalt Meseritz-Obrawalde, Akten-Nr. 9418; UKE/IGEM, Patientenakte Helene Fischer der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg Akten-Nr. 73844; https://de.wikipedia.org/wiki/Arsphenamin (Zugriff 20.5.2017); Harald Jenner, Die Heil- und Pflegeanstalt Mesetz-Obrawalde – Der unbekannte Tötungssort, in: "Euthanasieverbrechen"-Verbrechen im besetzten Europa, Hrsg. Osterloh, Schulte, Steinbacher, Göttingen 2022, S. 97 ff.

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